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· Fachbeitrag · Reverse-Charge-Verfahren

Irrtümliche Annahme des § 13b UStG: Rückwirkende Rechnungskorrektur als Ausweg?

von Dipl.-Finw., M.A. (Taxation), Daniel Denker, Oldenburg, www.steuer-webinar.de

| Wegen der komplexen Regelungen bei der Steuerschuldumkehr (Reverse-Charge-Verfahren) ist es kaum verwunderlich, dass sich die am Leistungsaustausch beteiligten Personen ‒ durchaus in gutem Glauben ‒ oft über den Anwendungsbereich des § 13b UStG irren. Falschannahmen werden dann bei Außenprüfungen aufgedeckt ‒ und hier schließt sich die Frage an, unter welchen Voraussetzungen fehlerhafte Abrechnungen geheilt werden können, ohne steuerliche Nachteile zu erleiden. Der Beitrag gibt unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung Antworten. |

1. Vorbemerkungen

Grundsätzlich schuldet der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer für steuerbare und steuerpflichtige Lieferungen und sonstige Leistungen (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG). Die Vorschrift des § 13b UStG (Reverse-Charge-Verfahren) regelt die „Ausnahme“, dass nicht der Leistende, sondern der Leistungsempfänger Steuerschuldner ist.

 

Die Vorschrift wurde u. a. als Mittel zur Bekämpfung von Steuerbetrug eingeführt und seitdem stetig erweitert (§ 13b Abs. 2 UStG hat mittlerweile zwölf Nummern). Die Besteuerung soll dahingehend sichergestellt werden, dass ‒ anders als im Grundfall ‒ dem Leistungsempfänger die Möglichkeit verwehrt bleibt, den Vorsteuerabzug vorzunehmen, ohne dass der leistende Unternehmer die von ihm geschuldete Umsatzsteuer an das FA abführt. Für die Prüfung der Anwendung des § 13b UStG ist sowohl der Blick auf den leistenden Unternehmer (§ 13b Abs. 1 und Abs. 2 UStG) als auch auf den Leistungsempfänger (§ 13b Abs. 5 UStG) notwendig.

2. Irrtümliche Annahmen

Eine unzutreffende Rechnungsstellung kann dem Grunde nach bei

  • fehlerhafter Beurteilung der Leistung (der sog. Umsatzart) i. S. des § 13b Abs. 1 und Abs. 2 UStG sowie
  • bei fehlerhafter Feststellung der Voraussetzungen des Leistungsempfängers (z. B. der Bauleistereigenschaft) i. S. des § 13b Abs. 5 UStG in Betracht kommen.

 

Dabei sind zwei grundlegende Varianten zu unterscheiden:

  • Die unzutreffende Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens und
  • die unzutreffende Nicht-Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens.

 

Im ersten Fall gehen die Vertragsparteien von der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers aus, obwohl die Voraussetzungen des Reverse-Charge-Verfahrens nicht erfüllt sind. Hält der Leistungserbringer § 13b UStG irrtümlich für anwendbar, rechnet er netto (ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis) ab, mit der grundsätzlichen Folge, dass der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer an das FA abführen muss.

 

Im zweiten Fall gehen die Vertragsbeteiligten von der Steuerschuldnerschaft des Leistungserbringers aus, obwohl die Voraussetzungen des Reverse-Charge-Verfahrens erfüllt sind. Der Leistende rechnet mit (gesondert ausgewiesener) Umsatzsteuer ab, obwohl er eigentlich zu einem Netto-Ausweis verpflichtet gewesen wäre. Da er die Umsatzsteuer zu Unrecht ausgewiesen hat, schuldet er diese grundsätzlich gemäß § 14c UStG.

3. Der erste Ausweg: Nichtbeanstandungsregelung nutzen

Sind der Leistungsempfänger und der leistende Unternehmer in Zweifelsfällen übereinstimmend vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 13b Abs. 2 Nr. 4, Nr. 5 Buchst. b, Nr. 7 bis Nr. 12 ausgegangen, obwohl dies nach der Art der Umsätze unter Anlegung objektiver Kriterien nicht zutreffend war, gilt der Leistungsempfänger dennoch als Steuerschuldner, sofern dadurch keine Steuerausfälle entstehen (§ 13b Abs. 5 S. 8 UStG). Keine Steuerausfälle sind nach Ansicht der Finanzverwaltung entstanden, wenn der Umsatz vom Leistungsempfänger in zutreffender Höhe versteuert wurde (A 13b.8 Abs. 1 S. 3 UStAE).

 

Beachten Sie | Die vorgenannte Vereinfachungsregelung gilt nicht für alle Fälle des Reverse-Charge-Verfahrens (z. B. nicht für grenzüberschreitende Dienstleistungen i. S. des § 13b Abs. 1 UStG). Zum anderen ist sie auch nicht anzuwenden, wenn fraglich war, ob die Voraussetzungen des § 13b UStG in der Person der beteiligten Unternehmer (z. B. die Eigenschaft als Bauleistender) erfüllt sind.

4. Der zweite Ausweg: Rückwirkende Rechnungskorrektur

Als zweiter Ausweg könnte eine rückwirkende Rechnungskorrektur in Betracht kommen. Insoweit wurden vor dem FG Niedersachsen jüngst zwei interessante Fälle verhandelt.

 

  • Fälle vor dem FG Niedersachsen

Fall 1 (FG Niedersachsen 17.9.20, 11 K 323/19)

Ein Transportunternehmen mit Sitz im Inland bezog Leistungen von einer Kapitalgesellschaft (S. A.) mit Sitz in Luxemburg. Die Beteiligten gingen davon aus, dass die Leistungen am Sitz des deutschen Leistungsempfängers der deutschen Umsatzsteuer unterliegen und der deutsche Leistungsempfänger Steuerschuldner nach § 13b UStG sei. Die S. A. rechnete ihre Leistungen also ohne Steuerausweis mit Hinweis auf die Steuerschuld des deutschen Leistungsempfängers ab.

 

Fall 2 (FG Niedersachsen 17.9.20, 11 K 324/19)

Eine Kapitalgesellschaft (S. A.) mit Sitz in Luxemburg bezog Leistungen von Unternehmern mit Sitz im Inland. Hier gingen die Beteiligten davon aus, dass die Leistungen der luxemburgischen Umsatzbesteuerung unterliegen und die S. A. Steuerschuldner nach § 13b UStG sei. Die deutschen Unternehmer rechneten ihre Leistungen ohne Steuerausweis mit Hinweis auf das Reverse-Charge-Verfahren ab.

 

4.1 Fehlerhafte Abrechnung

In beiden Fällen wurde fehlerhaft abgerechnet, da sich nur der statuarische Sitz der Gesellschaft in Luxemburg befand. Die Geschäftsleitung der luxemburgischen S. A. ‒ folglich ihr umsatzsteuerlicher Sitz ‒ befand sich aber nicht in Luxemburg, sondern im Inland (Deutschland). Die Folge: In beiden Fällen unterlagen die Leistungen der deutschen Umsatzbesteuerung. Steuerschuldner waren demnach jeweils die leistenden Unternehmer, die mit deutschem Umsatzsteuerausweis hätten abrechnen müssen.

 

4.2 Rückwirkende Rechnungskorrektur

In beiden Urteilsfällen erteilten die Leistenden nach Feststellung der fehlerhaften Abrechnung neue Rechnungen mit entsprechendem Ausweis der deutschen Umsatzsteuer. Mithin beantragten die Leistungsempfänger die rückwirkende Berücksichtigung der Vorsteuerbeträge.

 

Der BFH (u. a. 20.10.16, V R 26/15) verlangt als Grundlage für eine mit Rückwirkung berichtigungsfähige Rechnung, dass die Erstrechnung Mindestangaben enthält ‒ und zwar

  • zum Rechnungsaussteller,
  • zum Leistungsempfänger,
  • zur Leistungsbeschreibung,
  • zum Entgelt und
  • zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer.

 

Beachten Sie | Dabei reicht es aus, dass die jeweiligen Angaben nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sind, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen (BFH 20.10.16, a. a. O.; BMF 18.9.20, III C 2 - S 7286-a/19/10001 :001).

 

MERKE | Fehlt eine der fünf Mindestangaben, wird davon ausgegangen, dass es sich bei der Erstrechnung um kein Rechnungsdokument gehandelt hat. Mithin kann dieses auch nicht rückwirkend berichtigt werden. Das führt dann vielmehr zu einem erstmaligen Ausstellen einer (ordnungsgemäßen) Rechnung ‒ mit all seinen Konsequenzen.

 

4.3 Auffassung der Finanzverwaltung

Der offene Ausweis der Umsatzsteuer im Ursprungsdokument ist also grundsätzlich unverzichtbar dafür, dass eine spätere Rechnungsberichtigung Rückwirkung entfalten kann. Hiervon macht das BMF (18.9.20, a. a. O., Rz. 23) aber eine Ausnahme: Wird fälschlicherweise von einem Wechsel der Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 2 und Abs. 5 UStG ausgegangen und deswegen in der Rechnung ein Hinweis nach § 14a Abs. 5 UStG erteilt, sind derartige Rechnungen gleichwohl unter den übrigen Voraussetzungen mit Rückwirkung berichtigungsfähig.

 

Beachten Sie | So erfreulich dieser Passus auch ist: Fälle der irrtümlichen Anwendung von § 13b Abs. 1 UStG (also vermeintlich innergemeinschaftliche Dienstleistungen) sind von dieser Ausnahmeregelung nicht erfasst.

 

4.4 Die Entscheidungen des FG Niedersachsen

Die beiden Entscheidungen des FG Niedersachsen vom 17.9.20 sind teilweise inhaltsgleich und haben folgenden Tenor: Gehen der Leistende und der Leistungsempfänger irrtümlich von der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens aus, ist trotz fehlenden Ausweises von Umsatzsteuer eine rückwirkende Rechnungsberichtigung möglich. Damit hat das FG Niedersachsen die Rückwirkung der Rechnungsergänzung also auch bei (vermeintlichen) Fällen nach § 13b Abs. 1 UStG zugelassen.

 

Das FG begründet seine Sichtweise u. a. wie folgt: Für die Rechnungserteilung in Fällen des § 13b UStG enthält § 14a Abs. 5 UStG eine Sonderregelung. Führt der Unternehmer eine Leistung aus, für die der Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 5 UStG die Umsatzsteuer schuldet, ist er nach § 14a Abs. 5 S. 1 HS 1 UStG zur Ausstellung einer Rechnung mit der Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ verpflichtet. Die Vorschrift über den gesonderten Ausweis der Steuer (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 8 UStG) ist nach § 14a Abs. 5 S. 2 UStG ausdrücklich nicht anzuwenden.

 

Dementsprechend kann eine rückwirkende Rechnungsberichtigung nicht mit der Begründung versagt werden, dass in den Rechnungen der Ausweis der Umsatzsteuer fehlte. Vielmehr war es in den Streitfällen so, dass die Vertragsparteien in der Annahme einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nicht dazu befugt waren, Umsatzsteuer gesondert auszuweisen. Würde Umsatzsteuer dennoch gesondert ausgewiesen, würde der Rechnungsaussteller diese nach § 14c UStG schulden.

 

Beachten Sie | Gegen die Entscheidung 11 K 324/19 wurde die Revision beim BFH eingelegt (V R 33/20). Das Urteil 11 K 323/19 ist hingegen rechtskräftig geworden. In gleichgelagerten Fällen sollte daher in jedem Fall Einspruch eingelegt und das Ruhen des Verfahrens beantragt werden.

 

FAZIT | Bestätigt der BFH die Auffassung des FG, erfolgt bei einer fehlerhaften Annahme der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers die Korrektur für alle Beteiligten mit Rückwirkung. Voraussetzung ist dann lediglich, dass die hierfür erforderliche ergänzungsfähige „Erstrechnung“ den Hinweis i. S. des § 14a Abs. 5 UStG („Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ nach § 13b UStG) enthält.

 

Das Risiko der irrtümlichen (Nicht-)Annahme einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers darf in der Praxis trotz des begrüßenswerten FG-Urteils aber weiterhin nicht unterschätzt werden. Der Gesetzgeber, die Finanzverwaltung und die Rechtsprechung tragen leider dazu bei, dass die Rechtslage kaum mehr zu überblicken ist ‒ man denke nur an die rückwirkende Abwicklung der Bauträgerfälle nach § 27 Abs. 19 UStG.

 

Weiterführender Hinweis

  • Rückwirkende Rechnungsberichtigung: Die Kernpunkte des neuen BMF-Schreibens (MBP 20, 187)
Quelle: Seite 79 | ID 47141307