· Fachbeitrag · Sommer-Spezial 2021
45 Fragen und Antworten zu den häufigsten Problemen im arbeitsgerichtlichen Verfahren
| Während es im ersten Teil dieser Reihe um Probleme in Zusammenhang mit Leistungs- und Zahlungsklagen, der Aufrechnung, der Urlaubsabgeltung und -gewährung sowie den Ausschlussklauseln ging, beschäftigt sich der zweite Teil mit Fragen im Zusammenhang mit Stufenklagen, der Zeugniserteilung und den arbeitsrechtlichen Weiterbeschäftigungsansprüchen. |
Frage 12: Wie sieht es generell aktuell mit der Verjährung und dem Verfall von Urlaubsansprüchen nach aktueller Rechtsprechung aus?
Antwort: Generell gilt nach der als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung des EuGH, der das BAG folgt, dass gesetzliche (Mindest-)Urlaubsansprüche im Fall einer dauerhaften Erkrankung des/der ArbN 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres, in dem sie entstanden sind, verfallen, wenn der/die ArbN durch dauerhafte, zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung gehindert war, diese in natura zu nehmen.
Für Urlaubsansprüche aus weiter zurückliegenden Jahren soll dies aber nicht gelten, wenn die Nichtinanspruchnahme des Urlaubs nicht auf dauerhafter Arbeitsunfähigkeit beruht, der ArbN den Urlaub also hypothetisch in natura hätte nehmen können und der ArbG nicht auf den drohenden Verfall und die Höhe der bestehenden Urlaubsansprüche (nachweisbar) ausdrücklich hingewiesen hat. In diesem Fall hat es der ArbG nach Auffassung des EuGH und des BAG an einer notwendigen Mitwirkungshandlung fehlen lassen. Daher verfällt der Urlaub nicht und damit auch nicht der Urlaubsabgeltungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Frage 13: Gilt der Verfall des Urlaubs 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres im Fall der dauerhaften Erkrankung auch, wenn der ArbG an der tatsächlichen Inanspruchnahme nicht mitwirkt?
Antwort: Diese Frage müsste nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG und des EuGH mit „Ja“ beantwortet werden. Eine fehlende Mitwirkung kann sich denknotwendigerweise nicht praktisch auswirken, wenn es an der hypothetischen Möglichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme wegen der dauerhaft bestehenden Arbeitsunfähigkeit bereits fehlt (so ausdrücklich: LAG Hamm 24.7.19, 5 Sa 676/19, Abruf-Nr. 2126956). Gleichwohl hat der 9. Senat des BAG dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (BAG 7.7.20, 9 AZR 401/19 und 9 AZR 254/19, Abruf-Nr. 218267 ).
Frage 14: Kann im laufenden Arbeitsverhältnis der Anspruch auf Urlaubsgewährung nach §§ 195 ff. BGB bei unterbliebener Mitwirkung des ArbG verjähren?
Antwort: Das LAG Düsseldorf lehnt wegen der fehlenden Mitwirkungshandlung des ArbG die Anwendung der allgemeinen Verjährungsvorschriften auf den Urlaubsanspruch ab (21.2.20, 10 Sa 180/19, Abruf-Nr. 215601 ).
MERKE | Der 9. Senat des BAG hat auch diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (29.9.20, 9 AZR 266/20, Abruf-Nr. 220799). |
Frage 15: Was sind die typischen Anwendungsfelder der Stufenklage und wann ist sie zulässig?
Antwort: Die Stufenklage ist nach § 254 ZPO zulässig. In der Regel enthält sie auf der ersten Stufe einen Antrag auf Erteilung einer bestimmten Auskunft und ggf. eidesstattliche Versicherung der insoweit verlangten Angaben. In der zweiten Stufe geht es dann um den Antrag auf Zahlung in noch zu beziffernder Höhe nach Erfüllung der Ansprüche der ersten Stufe.
MERKE | In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass schon die erste Stufe auf Auskunftserteilung nur begründet ist, wenn sich der ArbN als Kläger die benötigten Informationen selbst nicht oder nur unter unzumutbaren Schwierigkeiten beschaffen kann. Damit ist gemeint, dass die Stufenklage nicht der Schlüssigmachung der Zahlungsklage dienen und dem oder der Prozessvertreter/in nicht ungeliebte Arbeit abnehmen soll. |
Frage 16: Welche Auskunftsansprüche auf der ersten Stufe werden von der Rechtsprechung anerkannt?
Antwort: Um zunächst ein typisches Problem im Zusammenhang mit AGG-Ansprüchen zu klären: Der abgelehnte Bewerber auf eine ausgeschriebene Stelle hat keinen Anspruch auf Auskunft gegen den ArbG, mit welchem anderen Bewerber oder Bewerberin die Stelle nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens tatsächlich besetzt worden ist ( BAG 25.4.13, 8 AZR 287/08, Abruf-Nr. 131600 in Anschluss an EuGH 19.4.12, C-415/10, Abruf-Nr. 122191 ).
Darüber hinaus sind als Auskunftsansprüche des ArbG gegen den oder die ArbN der Anspruch auf Auskunft über das Ob und den Umfang einer Nebentätigkeit (BAG 11.12.01, 9 AZR 464/00) und die Höhe im Rahmen der beruflichen Tätigkeit angenommener „Schmiergelder“ (BAG 24.9.15, 6 AZR 497/14, Abruf-Nr. 180780) anerkannt. Gerade der letzte Fall ist als erste Stufe einer Stufenklage typischerweise geeignet, weil die entsprechende Auskunft gerade der Vorbereitung eines Herausgabeanspruchs in Bezug auf die vereinnahmten Zahlungen nach § 687 Abs. 2, § 681 S. 2, § 667 BGB dient.
MERKE | Auch im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung besteht ein in § 4a Abs. 1 Nr. 2 BetrAVG geregelter Auskunftsanspruch des ArbN gegen den ArbG hinsichtlich der Höhe der bisher erworbenen unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung. Dieser dient nach Auffassung des 3. Senats des BAG zur Klarstellung der diesbezüglichen Berechnungsgrundlagen (BAG 23.8.11, 3 AZR 669/09). |
Frage 17: Was ist mit den Ansprüchen der Handelsvertreter bei der Provision?
Antwort: § 87c HGB regelt einen Anspruch des (selbstständigen) Handelsvertreters gegen den Unternehmer auf Abrechnung der zustehenden Provision, Erteilung eines Buchauszugs und Mitteilung der wesentlichen Umstände. Es ist allgemein anerkannt, dass diese speziellen Auskunftsansprüche analog auch für angestellte Handelsvertreter in einem Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Hier wird in der Regel auf der ersten Stufe auf Provisionsabrechnung und Erteilung eines Buchauszugs, ggf. auch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des ArbG geklagt und diese Klage auf der zweiten Stufe mit einer Zahlungsklage nach Erfüllung der genannten Abrechnungsansprüche verbunden.
MERKE | Auch diese Konstellation der Stufenklage ist aber bereits auf der ersten Stufe nur zulässig, wenn der ArbN nicht bereits (z. B. durch erteilte Abrechnungen und Auszüge) über hinreichende Kenntnisse der anspruchsbegründenden Tatsachen verfügt, also die Provisionshöhe selbst ermitteln kann. In solchen Fällen ist allein eine direkte Zahlungsklage zulässig. |
Frage 18: Welche Arten von Zeugnissen gibt es und wann hat der ArbN Anspruch auf Erteilung?
Antwort: Zunächst hat ein ArbN nach § 109 Abs. 1 GewO bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Erteilung eines sogenannten qualifizierten Endzeugnisses. Dieses bezieht sich auch auf Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis und bewertet diese (nachvollziehbar). Nur auf Wunsch des ArbN oder bei sehr kurzer Dauer der Tätigkeit kann der ArbG ein „einfaches“ Arbeitszeugnis erteilen, das nur Art und Dauer der ausgeübten Tätigkeit umfasst. Anspruch auf Erteilung eines „Zwischenzeugnisses“ im bestehenden Arbeitsverhältnis hat der ArbN nur, wenn ein triftiger Grund vorliegt. Dieser kann nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung oder nach Wechsel des oder der Vorgesetzten oder Wechsel der zugewiesenen Arbeitsaufgaben gegeben sein. Allein der Wunsch, sich mit dem Zwischenzeugnis anderweitig bewerben zu können, ist in der Regel nicht ausreichend.
Frage 19: Welche Formalia sind bei der Zeugniserteilung einzuhalten?
Antwort: Das arbeitgeberseitige Zeugnis ist schriftlich im Sinne des § 126 BGB abzufassen. Dies bedeutet, dass es durch den Aussteller eigenhändig zu unterzeichnen ist. Dabei kommen als Aussteller der ArbG selbst, der Geschäftsführer einer GmbH oder der direkte Vorgesetzte als Vertreter des ArbG in Betracht.
MERKE | In formaler Hinsicht ist in Bezug auf das Erscheinungsbild des Zeugnisses zu beachten, dass es mit dem im Geschäftsverkehr benutzten Briefkopf, auf dem insofern benutzten Firmenpapier des ArbG erstellt und mit dem Firmenstempel gestempelt sein muss. Es darf darüber hinaus keine Flecken, Radierungen, Streichungen oder Ähnliches aufweisen. |
Frage 20: Unter welchem Datum ist das Endzeugnis zu erteilen?
Antwort: Nach heute herrschender Meinung ist das qualifizierte Endzeugnis unter dem Datum des Tages der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszustellen (so: LAG Köln 17.3.20, 7 Ta 200/19; offengelassen BAG 21.9.99, 5 AZR 893/98). Insofern wird meist auf vom BAG gebilligte „Gepflogenheiten“ bei der Zeugniserteilung abgestellt.
Frage 21: Wann besteht ein Anspruch auf Berichtigung eines Zeugnisses?
Antwort: Nicht bei jeder kleinen Unrichtigkeit in formaler Hinsicht besteht ein Zeugnisberichtigungsanspruch des ArbN. So sind Grammatik-, Rechtschreib-, und Satzbaufehler in geringem Umfang unerheblich, soweit sie keinen erkennbaren Einfluss auf die Bewerbungschancen haben.
MERKE | Im Rahmen der Tätigkeitsbeschreibung besteht hingegen ein Anspruch des ArbN auf Vollständigkeit. Es dürfen aber Einzelfälle nicht zulasten des ArbN herausgestellt und nur unwesentliche Tätigkeiten verschwiegen werden. |
Frage 22: Wie werden Ansprüche auf Zeugniserteilung und -berichtigung vollstreckt?
Antwort: Grundsätzlich richtet sich die Zwangsvollstreckung (ZV) solcher Ansprüche, z. B. aus Urteilen oder gerichtlichen Vergleichen, nach § 888 ZPO. Das heißt, dass das Arbeitsgericht zunächst die allgemeinen Voraussetzungen der ZV prüft. Dann setzt es gegen den ArbG oder die für eine juristische Person insoweit handelnden Personen ein Zwangsgeld durch Beschluss fest. Eine solche Festsetzung ist aber nicht mehr zulässig, wenn der ArbG die sich aus dem ZV-Titel ergebende Pflicht zur ordnungsgemäßen Zeugniserteilung ‒ wenn auch erst in der Beschwerdeinstanz ‒ erfüllt hat (LAG Köln 30.9.20, 11 Ta 135/20, Abruf-Nr. 219033 ).
Frage 23: Ist der ArbG in Wortwahl und Formulierung des Zeugnisses frei?
Antwort: Grundsätzlich ja, in der Praxis aber nicht immer. Die Grundsätze der Zeugniswahrheit schränken Wortwahl und absichtliche Auslassungen erheblich ein. Darüber hinaus ist nach dem Grundsatz der Zeugnisklarheit das in der Zeugnissprache übliche Bewertungs- und Beurteilungssystem zu verwenden. Das bedeutet, dass die Leistung nach den verschiedenen Graden der Zufriedenheit und die Führung mit entsprechenden Attributen von „einwandfrei“ zu bewerten sind.
Frage 24: Was ist mit den „Geheimzeichen“?
Antwort: Die Verwendung sogenannter Geheimzeichen, wie z. B. links stehende Striche neben der Unterschrift, die für die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft oder links stehenden Partei stehen sollen und entsprechender Formulierungen wie „ausgelassene Geselligkeit“ (Hinweis auf Alkoholkonsum und Kontaktsuche), ist bei der Zeugniserteilung unzulässig.
MERKE | Nicht jede unübliche Formulierung oder Handlung ist aber als unzulässiges Geheimzeichen anzusehen. So entschied das LAG Nürnberg (11.7.19, 3 Sa 58/19, Abruf-Nr. 211992), dass die Zeugniserteilung auf gelochtem Geschäftspapier nicht immer als unzulässiges Geheimzeichen anzusehen ist. Im entschiedenen Fall ging es um einen kleinen Handwerksbetrieb, der im Gegensatz zu größeren Handelsunternehmen nur über gelochtes Geschäftspapier verfügte. |
Frage 25: Wer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Bewertung?
Antwort: Für eine unterdurchschnittliche Leistungsbewertung unter der Schulnote „befriedigend“ (entspricht „stets zu unserer Zufriedenheit“) trägt der ArbG die Darlegungs- und Beweislast, für eine überdurchschnittliche Bewertung (Schulnote „gut“ und besser) trägt sie der ArbN.
MERKE | Hier ist auch zu beachten, dass der ArbG einen Beurteilungsspielraum bei der Führungs- und Leistungsbewertung hat, der gerichtlich nur eingeschränkt kontrollierbar ist (hierzu: BAG 14.10.03, 9 AZR 12/03, Abruf-Nr. 032602). |
Frage 26: Gibt es neben dem „allgemeinen“ auch spezialgesetzliche Weiterbeschäftigungsansprüche?
Antwort: Neben dem in der Praxis bedeutenden allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch des ArbN, der typischerweise mit einer Kündigungsschutzklage verbunden wird, gibt es noch die spezialgesetzliche Regelung des § 102 Abs. 5 BetrVG. Deren Anwendungsbereich ist eng beschränkt. Der Anspruch setzt einen ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats gegen eine betriebsbedingte Kündigung aus den in § 102 Abs. 3 BetrVG aufgezählten Widerspruchsgründen voraus.
Frage 27: Welche Voraussetzungen hat der „allgemeine“ Weiterbeschäftigungsanspruch?
Antwort: Zunächst ein noch nicht rechtskräftiges, der Klage stattgebendes erstinstanzliches Urteil in einem Kündigungsschutzrechtsstreit oder die offensichtliche Unwirksamkeit der arbeitgeberseitigen Kündigung. Darüber hinaus darf kein überwiegendes Interesse des ArbG an der Nichtbeschäftigung bestehen (so z. B. aus der rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeit der Beschäftigung oder dem Ausspruch einer weiteren Folgekündigung).
Frage 28: Gibt es Beschäftigungsansprüche des ArbN auch im bestehenden (ungekündigten) Arbeitsverhältnis?
Antwort: Ja, im ungekündigten Arbeitsverhältnis hat der ArbN grundsätzlich Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung. Dieser wird aus Art. 2 Abs. 1, S. 1 GG als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hergeleitet. Dabei ist es möglich, im Verfahren nur einzelne Aspekte der „vertragsgemäßen“ Beschäftigung zu klären. Nur in Ausnahmen, wie dem Verrat von Geschäftsgeheimnissen, Straftaten gegen den ArbG und Ähnlichem, ist eine einseitige Suspendierung der Beschäftigungspflicht durch den ArbG wirksam.