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· Fachbeitrag · Überstunden

Ab wann ist „Mehrarbeit“ vergütungspflichtig?

| Insbesondere dem fleißigen und unentbehrlichen Mitarbeiter stellt sich oft die Frage, ob und wann sein Einsatz über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist. Bei einem Blick in den Arbeitsvertrag gibt es hier jedoch oft eine Enttäuschung. Der Beitrag zeigt, welche Pauschalierungsklauseln hinsichtlich der Mehrarbeit zulässig sind und wirft in Ansehung der aktuellen Rechtsprechung des EUGH einen Blick in die Zukunft. |

1. Die Pauschalierung der Ansprüche und ihre Grenzen

Zu den in der Praxis immer wieder gestellten Fragen bei der Mehrarbeit zählt, wann eine Überstunde ganz oder teilweise zu vergüten ist. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des BAG ist die Pauschalabgeltung von Mehrarbeit mit dem Gehalt zwar grundsätzlich im Arbeitsvertrag zulässig. Jedoch müssen solche Pauschalierungs- oder Pauschalabgeltungsklauseln insbesondere in Hinblick auf § 307 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB den Voraussetzungen der AGB-Kontrolle genügen. Das bedeutet, dass sie zum einen bestimmt genug sein müssen und hinsichtlich des Umfangs der Pauschalabgeltung nicht unangemessen benachteiligend sein dürfen.

 

  • Hierbei geht das BAG davon aus, dass eine solche Bestimmtheit nur gegeben ist, wenn in der betreffenden Klausel die Höchstzahl der pauschal mit dem Gehalt abgegoltenen Mehrarbeitsstunden in einem bestimmten Zeitraum ausdrücklich geregelt wird. Der ArbN muss also ohne weitere Nachforschungen klar erkennen können, was „auf ihn zukommt“. Fehlt eine solche klare Regelung, ist die Klausel unwirksam. Sie kann damit seitens des ArbG dem Vergütungsverlangen des ArbN nicht erfolgreich entgegengehalten werden (BAG 22.2.12, 5 AZR 765/10).

 

  • Zudem legt das BAG in Bezug auf die Wirksamkeit konkret begrenzter Pauschalierungsklauseln Grenzwerte für deren Umfang fest, ohne sich aber allzu klar und eindeutig zu positionieren. So werden in einer Entscheidung bis zu 20 Stunden Mehrarbeit im Monat für zulässig erachtet (BAG 16.5.12, 5 AZR 231/11). Hieraus wird hergeleitet, dass 25 Prozent des Entgelts flexibilisierbar sein dürften und damit bis zu dieser Höchstgrenze die pauschale Abgeltung von Überstunden zulässig ist. Teilweise werden in Abweichung zu dieser Auffassung aber auch niedrigere Grenzwerte (z. B. 10 Prozent ErfK/Preis, §§ 305‒310 BGB, Rn. 91 f.) vertreten.
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    • Beispiel

    Ein Arzt legt in Hinblick auf andere Betriebe in seiner Stadt gegenüber seinen Mitarbeitern fest, dass eine Mehrarbeit bis zu 15 Minuten pro Arbeitstag nicht vergütet wird, eine Mehrarbeit über 15 Minuten hinaus jedoch ab der 1. Minute vergütet wird. Eine Mitarbeiterin ist der Meinung, so ginge das nicht. Die Mehrarbeit sei ab der ersten Minute zu vergüten oder in Form des Freizeitausgleichs abzugelten. In der Praxis gibt es eine elektronische Zeiterfassung.

     

2. Wann ist eine Abgeltungsklausel bestimmt genug?

Das Problem im dargestellten Fall liegt darin, dass der Arzt die Pauschalabgeltung der Mehrarbeit bis zu 15 Minuten pro Arbeitstag wirksam in einer arbeitsvertraglichen Klausel festhalten muss. Eine einseitige nicht einverständliche Abänderung zulasten der Mitarbeiter, die erst im Lauf des Arbeitsverhältnisses vom ArbG bestimmt wird, ist unwirksam.

 

Auch wenn der Arzt im Arbeitsvertrag eine dem dargestellten Vorgehen entsprechende Klauselformulierung vorgenommen hat, bestehen aber bei der Bestimmtheit und Transparenz einer solchen Klausel Bedenken. Zwar ist eine Höchstgrenze der wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit bei „bis zu 15 Minuten“ pro Arbeitstag bestimmbar, aber eben nur nach entsprechenden Berechnungen. Eine ausdrückliche Regelung der Höchstzahl der monatlichen oder wöchentlichen Mehrarbeitsstunden, die maximal von der Pauschalabgeltung mit dem Gehalt erfasst werden sollen, ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag selbst hingegen nicht. Diese Maximalgrenze ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch der Instanzgerichte wegen der Transparenz eindeutig in den Arbeitsvertrag aufzunehmen (LAG Hamm 11.7.07, 6 Sa 410/07).

 

FAZIT | Die stärkeren Argumente sprechen gegen die Wirksamkeit einer solchen Klausel, solange keine eindeutige Höchstgrenze der abgegoltenen Mehrarbeitsstunden aufgenommen wird. Das ist bei Neuverträgen und einvernehmlicher Gestaltung ohne Weiteres möglich.

 

3. Vergütungserwartung der ArbN und Zuschläge

ArbN haben grundsätzlich eine aus § 612 BGB herzuleitende Vergütungserwartung bei Mehrarbeit dahingehend, dass diese entweder vergütet wird, oder in Freizeit abzugelten ist. Zuschläge hat der ArbG nur auf Grundlage vertraglicher oder tarifvertraglicher Vereinbarungen oder aus dem Aspekt der Gleichbehandlung zu zahlen.

 

MERKE | Am 14.5.19 (C-55/18, Abruf-Nr. 208894) entschied der EuGH, dass die tatsächlich geleistete Arbeitszeit vom ArbG zu erfassen und zu dokumentieren ist. Dieses Urteil ist ein Auftrag an den nationalen Gesetzgeber, entsprechende nationale Regelungen zur Umsetzung der EU-Arbeitszeit-Richtlinie (2003/88/EG) zu schaffen. Der EuGH unterscheidet zwischen Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzes, um die es in der Entscheidung geht, und Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn, also die Frage, ob und wie Mehrarbeit abzugelten ist. Die Dokumentationspflicht bei der Arbeitszeit über acht Stunden findet sich zudem in § 16 Abs. 2 AZG, um eine Kontrolle zu ermöglichen, ob die Pausenzeiten und Ausgleichszeiträume bei Mehrarbeit im Unternehmen eingehalten werden. Dennoch kann die vom EuGH geforderte umfassende Dokumentationspflicht für ArbN dazu führen, dass Mehrarbeitsstunden nicht mehr ohne Weiteres vom ArbG bestritten und damit leichter im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden können. Es ändert sich damit also nicht alles, aber das Thema Mehrarbeit bleibt spannend.

 
Quelle: Seite 120 | ID 45981935