· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
§ 17 UStG: BFH bezieht zur Uneinbringlichkeit bei bestehender Aufrechnungslage Stellung
von Georg Nieskoven, Troisdorf
| Ändert sich bei einem Umsatz nachträglich die Bemessungsgrundlage, dann ist die Umsatzsteuer des Leistenden und auch der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers zu korrigieren. Entsprechendes gilt nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auch bei (Teil-)Uneinbringlichkeit einer Entgeltforderung. Zu der Uneinbringlichkeit von Forderungen bei bestehender Aufrechnungslage hat der BFH jüngst ausführlich Stellung bezogen (BFH 13.2.19, XI R 19/16, Abruf-Nr. 209895 ). |
1. Vorbemerkung
Die Entgeltforderung des leistenden Unternehmers (U) ist aus BFH-Sicht dann uneinbringlich i. S des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass U die Forderung gegenüber dem Leistungsempfänger (LE) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht (ganz/teilweise) durchsetzen kann. Besteht dagegen zugleich eine gegenläufige Forderung des LE gegenüber U, so war bislang ungeklärt, ob bereits „das Bestehen der Aufrechnungslage“ (§§ 387 ff. BGB) die Möglichkeit der Uneinbringlichkeit i. S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausschließt.
2. Sachverhalt
Die K-GmbH (K) erbrachte hauptsächlich an die LE-GmbH (LE), einer Schwestergesellschaft im Konzern, umsatzsteuerpflichtige Dienstleistungen. Im November 2010 stellte die LE einen Insolvenzantrag ‒ im Januar 2011 wurde das Verfahren eröffnet. Zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags hatte die K gegenüber der LE Forderungen i. H. von 4.026.407,74 EUR brutto. Zugleich existierten aber auch umgekehrt Verbindlichkeiten der K gegenüber der LE (1.767.320,63 EUR) und zudem Darlehensverbindlichkeiten (2.527.511,73 EUR).
In der Bilanz zum 31.12.10 schrieb K einen Forderungsbetrag von 3.551.000 EUR brutto gegenüber der LE ab. Hinsichtlich des darin enthaltenen USt-Anteils begehrte K in der USt-Voranmeldung 12/10 eine entsprechende Bemessungsgrundlagen- und USt-Minderung. Das FA lehnte dies ab. Begründung: Angesichts der bereits im Insolvenzeröffnungszeitpunkt bestehenden Aufrechnungslage könne keine Uneinbringlichkeit i. S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG angenommen werden.
Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage der K statt, da eine bestehende Aufrechnungslage der Uneinbringlichkeit nicht entgegenstehe. Der BFH hob diese Entscheidung in der Revision auf und verwies das Verfahren zur weiteren Aufklärung an das FG zurück.
3. Entscheidungsgründe
Das FG hatte seine Entscheidung damit begründet, dass eine Uneinbringlichkeit durch eine bloße Aufrechnungslage i. S. des § 387 BGB nicht ausgeschlossen wird. Denn in diesem Fall fehlt es dann noch an der Willenserklärung zur Aufrechnung (§ 388 BGB), die rechtsgestaltende Erfüllungswirkung hat.
MERKE | Eine Verpflichtung zur Aufrechnung besteht nicht. |
Die Aufrechnungslage steht der Uneinbringlichkeit insbesondere deshalb nicht entgegen, weil K nicht damit rechnen konnte, dass ihre Forderung in geraumer Zeit durch Aufrechnung erfüllt wird. Im vorliegenden Konzernverbund war bereits bei der Insolvenzeröffnung klar, dass in geraumer Zeit nicht mit einer Erfüllung durch Aufrechnung zu rechnen ist. Oberste Priorität war, eine Insolvenz der operativen Einheit zu vermeiden, die Existenz der gesamten Gruppe nicht zu gefährden und zu ermöglichen, dass diese als Einheit an einen neuen Investor verkauft werden kann. Die Erklärung der Aufrechnung hätte die Erreichung dieser Ziele gefährdet. Das FG wertete dies als eine nachvollziehbare Entscheidung aus unternehmerischen Gründen (kein Fall des § 42 AO).
Diese Sichtweise bestätigte zwar grundsätzlich auch der BFH: Eine bloße Aufrechnungslage schließt grundsätzlich nicht aus, dass eine Forderung i. S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich wird. Der XI. BFH-Senat wies dabei jedoch auf notwendige Differenzierungen hin.
MERKE | Zur Beurteilung der Uneinbringlichkeit im Hinblick auf eine mögliche Aufrechnungslage ist entscheidend, ob der Gläubiger der Entgeltforderung damit rechnen muss, dass
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Ebenso wie ein Forderungsverzicht zur Minderung der Bemessungsgrundlage führt, führt auch ein vertraglich vereinbarter Einforderungsverzicht zur Minderung der Bemessungsgrundlage wegen rechtlicher Undurchsetzbarkeit. Gleiches gilt für die Vereinbarung eines Aufrechnungsverbots. Dieses kann sowohl konkludent als auch für den Fall von Zahlungsschwierigkeiten zur Sicherung der Liquidität wirksam vereinbart werden (Rz. 25).
In diesem Sinne muss das FG im zweiten Rechtsgang die Vertrags- und Absprachenlage zwischen K und LE (bzw. entsprechende Konzernvorgaben) klären. Dabei muss es insbesondere die vom FA betonte Umkehrforderung der LE gegenüber der K einbeziehend berücksichtigen. Denn wenn für die Forderungen der K gegenüber LE ein Aufrechnungsverbot bestand, dann betrifft dies mutmaßlich auch umgekehrt die umsatzsteuerpflichtige Entgeltforderung (1.767.320,63 EUR) der LE gegenüber der K. Und dies dürfte eine kompensierende Vorsteuerminderung bei K wegen Uneinbringlichkeit nach sich ziehen. Denn Uneinbringlichkeit führt nach der Systematik zu einer spiegelbildlichen USt- und Vorsteuer-Korrektur bei beiden Leistungsaustauschbeteiligten.
4. Relevanz für die Praxis
Mit seiner Entscheidung bringt der BFH die gesamte Palette der Wechselwirkungen von Aufrechnungsproblematik und Uneinbringlichkeit i. S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auf den Punkt. Zudem verdeutlicht er, welche forderungsbezogenen Umstände von den Beteiligten zu klären bzw. zu dokumentieren sind, damit das steuerlich gewünschte Ergebnis der Nichtdurchsetzbarkeit der uneinbringlichen Forderung erzielt wird. Demnach gilt:
- Bei einer offenen Entgeltforderung steht das bloße Bestehen einer Aufrechnungslage der Annahme der Uneinbringlichkeit noch nicht entgegen. Es bedarf in diesen Fällen vielmehr einer Aufklärung bzw. Darlegung der Begleitumstände, da eine Aufrechnung erst durch die wirksame Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) vollzogen wird.
- Uneinbringlichkeit einer Entgeltforderung kann allerdings auch vorliegen, wenn der Leistungsempfänger anstatt einer Bezahlung mit einer vermeintlichen Gegenforderung aufrechnet ‒ der Leistende die Existenz dieser Gegenforderung aber substanziiert bestreitet.
- Begehrt der Leistende ‒ trotz Aufrechnungslage ‒ die Uneinbringlichkeit seiner Entgeltforderung gegenüber dem FA, dann sind die entsprechenden Umstände darzulegen. Zudem muss geklärt werden, ob Entsprechendes auch für umgekehrte Entgeltforderungen gilt, sodass der Leistende zwar seine USt-Last mindern darf, aber zugleich auch eine Vorsteuerkürzung aus der gegenläufigen Leistung hinnehmen muss. Etwas anderes gilt nur, wenn die Gegenforderung keine USt-Belastung beinhaltet (z. B. bei einer Darlehensrestvaluta).
MERKE | Wird eine Vertragspartei insolvent, sind durch die Insolvenzordnung (InsO) Aufrechnungen nur noch eingeschränkt möglich. Zwar soll eine bereits zuvor bestehende Aufrechnungsmöglichkeit des Gläubigers durch die Insolvenzeröffnung nicht beeinträchtigt werden (§ 94 InsO). Entsteht dagegen der Umstand, dass sich Gläubiger und Schuldner wechselseitig etwas schulden, erst nach der Insolvenzeröffnung, sind Sonderregelungen zu beachten: Bei der Aufrechnung von bereits fälligen Forderungen eines Gläubigers mit erst nach der Eröffnung fälligen Gegenforderungen des Schuldners gilt § 95 InsO. Zudem verfügt § 96 InsO besondere Aufrechnungsverbote. |
Weiterführender Hinweis
- FG-Rechtsprechung: Längere Nichtzahlung als Indiz für Uneinbringlichkeit i. S. des § 17 UStG (MBP 18, 152)