· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
FG Münster erweitert Steuerbefreiung für Personalgestellung in § 4 Nr. 27 Buchst. a UStG
| Welche Organisationen fallen unter den Begriff „religiöse und weltanschauliche Einrichtungen“ in § 4 Nr. 27 Buchst. a UStG und können damit von der Steuerbefreiung für Personalgestellungen profitieren? Mit dieser Frage hat sich das Finanzgericht (FG) Münster als erstes FG befasst. Erfreulich: Das FG hat der Auffassung der Finanzverwaltung widersprochen und den Kreis begünstigter Einrichtungen erweitert. VB stellt Ihnen die Entscheidung und deren Folgen für die Praxis vor. |
Welche Einrichtungen sind nach § 4 Nr. 27a UStG begünstigt?
Nach Auffassung der Finanzverwaltung umfasst die Steuerbefreiung sowohl die Gestellung selbstständigen Personals als auch abhängig beschäftigter Arbeitnehmer. Unter den Begriff religiöse und weltanschauliche Einrichtungen subsumiert sie alle Einrichtungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Verfassung. Beispielhaft nennt sie im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE ‒ Abschn. 4.27.1, Abs. 2)
- Kirchen in der Rechtsform einer juristischen Person des öffentlichen Rechts,
- geistliche Genossenschaften oder
- Mutterhäuser.
FG Münster: Auch Verein kann begünstigte Einrichtung sein
Im Münsteraner Fall ging es um eine landeskirchliche Gemeinschaft in Form eines eingetragenen gemeinnützigen Vereins. Er hatte mit einem Altenheim vereinbart, dass er gegen Entgelt die seelsorgerische Betreuung der Bewohner des Altenheims mithilfe von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern durch Gottesdienste, Bibelstunden, Bibelgruppen und einzelne Seelsorge übernimmt. Er behandelte diese Umsätze als Personalgestellung durch geistliche Vereinigungen nach § 4 Nr. 27 Buchst. a UStG als umsatzsteuerfrei.
Das Finanzamt vertrat dagegen die Auffassung, die Personalgestellung sei nicht steuerbefreit, weil der Verein nicht zum begünstigten Personenkreis gehöre. Das sah das FG Münster anders. Nach seiner Auffassung waren die Voraussetzungen des § 4 Nr. 27 Buchst. a UStG erfüllt (FG Münster, Urteil vom 20.05.2021, Az. 5 K 730/19 U, Abruf-Nr. 223563).
Verein war eine „Einrichtung“
Das FG stellt zunächst klar, dass der Verein eine „Einrichtung“ i. S. v. § 4 Nr. 27 Buchst. a UStG ist. Mit Verweis auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. k Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) fallen darunter auch privatrechtlich organisierte Einrichtungen wie eben Vereine. Gerade die Rechtsform des eingetragenen Vereins entspricht nach Auffassung des FG dem Sinn und Zweck der Befreiungsnorm, wonach privat-rechtlich organisierte religiöse und weltanschauliche Einrichtungen den steuerbefreiten öffentlich-rechtlichen Organisationen gleichgestellt werden sollen.
Und der Verein erfüllte auch die „Religiösität“
Und der Verein war auch eine „religiöse“ Einrichtung. Dabei spiele es keine Rolle, ob der Verein unter den Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG falle, so das FG. Weder schränke der Wortlaut der Gesetzesvorschrift die Befreiung in dieser Weise ein noch sei das mit Bezug auf das Gemeinschaftsrecht der Fall.
Das Wort „religiös“ ‒ so das FG ‒ beziehe sich nach dem vorherrschenden Verständnis darauf, dass Menschen ihr Handeln an den Grundlagen ihres jeweiligen Glaubens, etwa an den von Gott gegebenen Grundlagen ausrichten. Eine neutrale Bedeutung des Begriffs beziehe sich ausschließlich auf die Ableitung von Normen aus den Vorstellungen einer Religionsgemeinschaft, ohne diese im Einzelfall moralisch zu werten.
PRAXISTIPP | Dass es sich um eine religiöse Einrichtung handelt, leitet das FG aus zwei Dingen ab:
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Keine nationale Auslegung des Begriffs
Der Begriff der „religiösen und weltanschaulichen Einrichtung“ muss nach Auffassung des FG allein unionsrechtlich ausgelegt werden. Der Rückgriff auf die religionsverfassungsrechtlichen Vorgaben in im Grundgesetz, wie ihn die Finanzverwaltung vornimmt, ist unzulässig. Wegen des Neutralitätsgebots des Mehrwertsteuerrechts darf hier kein Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Einrichtungen gemacht werden.
Für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 27 Buchst. a UStG kann es deswegen nicht darauf ankommen, ob die Einrichtung die Verkündung oder Verbreitung bestimmter religiöser oder weltanschaulicher Ansichten zum Ziel hat oder ob der Hauptzweck der Einrichtung in Tätigkeiten besteht, die u. a. unmittelbar mit der Religionsausübung zusammenhängen.
Religionsgesellschaften oder -gemeinschaften ‒ so das FG ‒ sind Verbände mit dem Zweck, gemeinsam religiöse Überzeugungen zu betätigen. Allein die Behauptung und das Selbstverständnis, eine Gemeinschaft bekenne sich zu einer Religion und sei eine Religionsgemeinschaft, genügt dafür nicht. Es muss sich auch tatsächlich ‒ nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild ‒ um eine Religion und eine Religionsgemeinschaft handeln. Auf die soziale Relevanz kirchlicher Organisationsformen oder die zahlenmäßige Stärke einer Gruppierung kommt es nicht an. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit beschränkt sich nicht auf die traditionellen (groß-)kirchlichen Strukturen. Er umfasst auch religiöse Minderheiten, sogar „Sekten“.
FG definiert Merkmale einer Religionsgemeinschaft
Es müssen aber einige Eigenschaften vorliegen, damit von einer Religionsgemeinschaft gesprochen werden kann. Das FG nennt drei Kriterien:
- Es muss sich um einen auf Dauer angelegten Zusammenschluss von mindestens zwei Personen innerhalb eines bestimmten Gebiets im Geltungsbereich des Grundgesetzes handeln. Die Rechtsform ist unerheblich.
- Die Vereinigung muss von einem gewissen religiösen Konsens getragen werden, der sich auf den Sinn menschlicher Existenz bezieht und wesentliche Prinzipien der Lebensgestaltung umfasst. Sie darf dabei nicht nur einzelne Aufgaben abdecken ‒ also z. B. nicht nur die Kinder- und Jugendarbeit oder Dienste an Älteren oder Kranken.
- Der Zusammenschluss muss auf eine umfassende Bezeugung des ihn prägenden religiösen Konsenses durch ein Bekenntnis nach außen abzielen und die umfassende Erfüllung aller seiner religiös motivierten Aufgaben anstreben. Das gilt auch für Gruppierungen innerhalb einer Religion, deren Glaubensrichtung sich von derjenigen anderer Gemeinschaften unterscheidet.
Wichtig | Dabei obliegt die Definition einer Religionsgemeinschaft nicht ihr allein, sondern letztlich staatlichen Gerichten. Diese Definition ist deutlich enger gefasst als der gemeinnützigkeitsrechtliche Begriff der Religion in § 52 Abs 2 Nr. 2 AO. Nicht alle in diesem Sinn religiösen Körperschaften sind also auch Religionsgemeinschaften im umsatzsteuerlichen Sinn.
Im Einzelfall auch Befreiung nach § 4 Nr. 18 UStG möglich
Das FG ist der Auffassung, dass die seelsorgerische Betreuung alter Menschen auch unter § 4 Nr. 18 UStG (eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen) fallen kann. Diese Regelung ist aber gegenüber anderen Befreiungsvorschriften nachrangig. Der Verein könnte sich aber darauf berufen, wenn er nicht als Religionsgemeinschaft gelten kann und damit die Voraussetzungen des § 4 Nr. 27 Buchst. a UStG nicht erfüllt.
FAZIT | Seelsorgerische Leistungen für andere Einrichtungen sind in vielfältiger Form denkbar (z. B. in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Gefängnissen, Bundeswehr). Das FG Münster stellt klar, dass praktisch alle religiösen und kirchlichen Vereine in den Genuss der Steuerbefreiung kommen können, die die genannten Voraussetzungen erfüllen. Insbesondere für Religionsgemeinschaften ohne öffentlich-rechtlichen Charakter hat das Urteil Bedeutung. |