· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (§ 4 Nr. 25 UStG)
von StB Catrin Stockhausen, Korbach
| Mit § 4 Nr. 25 UStG setzt der Gesetzgeber die Vorgaben des EU-Rechts um (Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, h, i, m, n und o MwStSystRL i.V. mit Art. 133 und 134 MwStSystRL). Zudem werden sozial- und familienpolitische Ziele verfolgt. § 4 Nr. 25 UStG ist insbesondere durch seine komplexe Verzahnung mit dem Sozialrecht eine in der Praxis schwer zu handhabende Norm, die mit diesem Beitrag erläutert werden soll. Ein Schwerpunkt liegt dabei insbesondere auf den Subunternehmern (gewerbliche Unternehmen und Privatpersonen), die im Rahmen der freien Jugendhilfe tätig sind. |
1. Befreite Leistungserbringer der Kinder- und Jugendhilfe
Das Kinder- und Jugendhilferecht kennt die örtlichen und die überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und „andere Einrichtungen mit sozialem Charakter“ i.S. des EU-Rechts.
1.1. Öffentliche Träger
Örtliche Träger sind die Landkreise und die kreisfreien Städte. Überörtlicher Träger ist das Bundesland (§ 69 SGB VIII).
1.2 Andere Einrichtungen mit sozialem Charakter
Hierunter fallen die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe, aber auch gewerbliche Unternehmen und Privatpersonen.
Als Träger der freien Jugendhilfe können nach § 75 SGB VIII juristische Personen und Personenvereinigungen anerkannt werden, wenn sie
- auf dem Gebiet der Jugendhilfe tätig sind,
- gemeinnützige Ziele verfolgen,
- aufgrund der fachlichen und personellen Voraussetzungen erwarten lassen, dass sie einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Aufgaben der Jugendhilfe zu leisten imstande sind, und
- die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten.
Sie sind in § 4 Nr. 25 Buchst. a UStG angesprochen („von der zuständigen Jugendbehörde anerkannte Träger der freien Jugendhilfe, die Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts sowie die amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege“), also z.B.
- die Jugendverbände (behördliche Anerkennung),
- die in § 23 UStD aufgeführten Verbände der freien Wohlfahrtspflege (Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Rotes Kreuz etc. [gesetzliche Anerkennung]),
- die Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts (gesetzliche Anerkennung).
Auch ein gewerbliches Unternehmen und selbst eine Privatperson können Träger einer Einrichtung (z.B. Kinderheim) oder einer bestimmten Aufgabe (z.B. Durchführung einer Veranstaltung) sein, selbst wenn sie mit Gewinnerzielungsabsicht handeln (FG München 24.5.12, 14 K 3415/10 m.w.N. zur EuGH-Rspr.). Die Voraussetzungen sind in § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. aa bis cc UStG aufgeführt und man macht sie sich am besten an einem Beispiel klar. (Die folgenden Beispiele zu den Leistungen einer Tagesmutter stammen aus dem PDF-Dokument „Ihr Finanzamt informiert: Kindertagespflege - Was ändert sich steuerlich?“) § 4 Nr. 25 Buchst. b UStG unterscheidet:
- Einrichtungen, die für ihre Leistungen eine im SGB VIII geforderte Erlaubnis besitzen (Doppelbuchst aa, 1. Alternative). Dies betrifft die Erlaubnis
- zur Kindertagespflege,
- zur Vollzeitpflege,
- für den Betrieb einer Einrichtung, in der Kinder oder Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tags betreut werden oder Unterkunft erhalten,
- zur Übernahme von Pflegschaften oder Vormundschaften durch rechtsfähige Vereine.
- Beispiele
Eine Tagesmutter betreut ein Kleinkind ganzjährig 20 Stunden in der Woche, während die Eltern arbeiten. Sie verfügt über eine Erlaubnis durch das Jugendamt nach § 43 SGB VIII.
Eine Tagesmutter übernimmt die Vollzeitpflege (Tag- und Nachtbetreuung) eines Kindes für zehn Wochen. Sie verfügt über eine Erlaubnis des Jugendamts nach § 44 SGB VIII.
In einer individualpädagogische Betreuungsstelle leben Kinder und Jugendliche in häuslicher Gemeinschaft mit einer pädagogischen Fachkraft. Hinweis: Die Betriebserlaubnis, die einer Jugendhilfeeinrichtung nach § 45 SGB VIII erteilt wurde, gilt unter bestimmten Voraussetzungen auch für Unternehmer, die in deren Auftrag eine sonstige Wohnform betreiben, in der Kinder oder Jugendliche betreut werden oder Unterkunft erhalten (BMF 29.3.12, IV D 3 - S 7183/11/10001: 2012/0268550).
- Einrichtungen, die nach SGB VIII einer Erlaubnis nicht bedürfen (Doppelbuchst aa, 2. Alternative). Dies sind die in § 44 Abs. 1 S. 2 SGB VIII geregelten Fälle der Vollzeitpflege sowie in bestimmten Fällen der Betrieb einer Einrichtung nach § 45 SGB VIII.
- Beispiele
Die Nachbarin betreut das Nachbarskind für die Dauer von sechs Wochen werktags von 14 bis 16 Uhr in ihrer Wohnung gegen Entgelt. Eine Erlaubnis des Jugendamts ist nach § 43 SGB VIII nicht erforderlich.
Eine Tagesmutter übernimmt die Vollzeitpflege (Tag- und Nachtbetreuung) eines Kindes für vier Wochen. Eine Erlaubnis des Jugendamts ist nach § 44 SGB VIII nicht erforderlich.
- Einrichtungen, die Leistungen erbringen, die im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil entweder von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe, von Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts oder Verbänden der freien Wohlfahrtspflege gemäß § 23 UStDV bezahlt werden (Doppelbuchst bb).
- Beispiel
Eine Tagesmutter erzielte mit ihrer Tätigkeit im Jahr 2008 Einnahmen i.H. von 40.000 EUR. Davon entfielen auf Zahlungen des Jugendamtes 30.000 EUR. Die gesamten Umsätze aus der Tätigkeit der Tagesmutter im Jahr 2009 sind somit steuerfrei, da im Vorjahr die Kosten überwiegend durch das Jugendamt vergütet wurden.
- Einrichtungen, die Leistungen der Kindertagespflege erbringen, für die sie nach § 23 Abs. 3 SGB VIII geeignet sind (Doppelbuchst cc). Diese Steuerbefreiung greift auch, wenn die Leistung von privat, also ohne Vermittlung durch das Jugendamt, nachgefragt wird (BMF 8.12.14, IV D 3 - S 7183/07/10001).
- Beispiel
Eine Tagesmutter erhält vom Jugendamt eine Bestätigung, dass sie für die Kindertagespflege vermittelt werden kann. Die Umsätze sind nicht nur bei Vermittlung durch das Jugendamt, sondern auch steuerfrei, wenn die Tagesmutter ausschließlich Leistungen erbringt, die privat nachgefragt werden.
Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 25 S. 3 UStG auch die Beherbergung der Kinder sowie deren Beköstigung und die an diese erbrachten üblichen Naturalleistungen (s. Tz. 2 „eng damit verbundene Umsätze“).
1.3 Beauftragung von Subunternehmern
Bis zur Neufassung galt einem Urteil des BFH 8.11.07 (V R 2/06, BStBl II 08, 634) zufolge, dass es für die Steuerbefreiung nicht ausreicht, wenn ein Unternehmer als Subunternehmer für eine anerkannte Einrichtung tätig geworden ist. Vielmehr kam es darauf an, dass der Leistende seine Leistungen aufgrund unmittelbarer vertraglicher Vereinbarungen mit Trägern der Sozialversicherung erbracht hatte.
Seit dem 1.1.08 erbrachte Leistungen von Subunternehmern aber werden in die Begünstigung einbezogen, wenn die Subunternehmer „…im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil…“ ihre Vergütung von begünstigten Einrichtungen erhielten. Auch hier muss der Subunternehmer direkt mit der begünstigten Einrichtung vertraglich in Beziehung stehen, aber es reicht, wenn der Träger der Jugendhilfeeinrichtungen als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt ist (BMF 8.7.13, IV D 3 - S 7183/11/10001, A. 4.25.1 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 S. 1 Buchst. a S. 5 UStAE). Aus der Neuregelung darf aber nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber dies schon für Leistungen bis 31.12.07 gewollt habe (so das FG Köln 22.10.14, 4 K 2056/11).
PRAXISHINWEIS | In einem AdV-Verfahren hat sich der BFH (12. 12.13, XI B 88/13) zur Bezugnahme auf das vorangegangene Kalenderjahr in Doppelbuchst. bb geäußert. Er verweist auf die zum EuGH-Urteil - Zimmermann - (EuGH 15.11.12, C-174/11, UR 13, 35) ergangene Nachfolgeentscheidung. Dort hatte der BFH (19.3.13, XI R 47/07) zu § 4 Nr. 16 UStG darauf hingewiesen, dass soweit die Anerkennung des sozialen Charakters einer Einrichtung allein daran scheitert, dass ausschließlich auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahrs abzustellen ist, die Umsätze dieser Einrichtung direkt nach EU-Recht steuerfrei seien. Für die Anknüpfung an das Vorjahr biete das EU-Recht keine Grundlage. |
2. Befreite Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe
§ 4 Nr. 25 UStG ist anwendbar auf Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII und die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII, wenn diese Leistungen von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe oder anderen Einrichtungen mit sozialem Charakter erbracht werden.
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Die Jugendhilfe umfasst Leistungen und andere Aufgaben zugunsten junger Menschen und Familien.
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Steuerfrei sind auch eng damit verbundene Leistungen (§ 4 Nr. 25 S. 3 UStG):
- die Durchführung von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen, wenn die Darbietungen von den von der Jugendhilfe begünstigten Personen selbst erbracht oder - wenn die Darbietungen von Dritten erbracht werden - die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden und sie in engem Zusammenhang mit Leistungen der Jugendhilfe stehen,
- die Beherbergung, Beköstigung und die üblichen Naturalleistungen, die diese Einrichtungen den Empfängern der Jugendhilfeleistungen und Mitarbeitern in der Jugendhilfe sowie den bei den Leistungen der Jugendhilfe tätigen Personen als Vergütung für die geleisteten Dienste gewähren,
PRAXISHINWEISE | Durch das Abstellen auf die „von der Jugendhilfe begünstigten Personen“ bzw. auf die „Empfänger der Jugendhilfeleistungen“ wird auch insoweit eine steuerfreie Einbeziehung von Eltern ermöglicht.
Beherbergung, Beköstigung und übliche Naturalleistungen sind nur steuerfrei, wenn sie als Vergütung für die geleisteten Dienste gewähren. Davon ausgenommen ist die Abgabe von alkoholischen Getränken (zum Begriff der Vergütung für geleistete Dienste A 4.18.1 Abs. 7 UStAE ).
- Leistungen, die von Einrichtungen erbracht werden, die als Vormünder nach § 1773 BGB oder als Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB bestellt worden sind, sofern es sich nicht um Leistungen handelt, die nach § 1835 Abs. 3 BGB vergütet werden.
Unionsrechtliche Grundlage ist vor allem Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, h, i, m, n und o MwStSystRL.
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Zahlreiche Aufgaben aus dem Bereich der Jugendhilfe fallen jedoch nicht unter die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 UStG. Es sind dies vor allem die Aufgaben nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 bis 13 SGB VIII.
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3. Leistungsberechtigte/-adressaten
Leistungen der Jugendhilfe - namentlich im Eltern-Kind-Verhältnis - sind meist nicht personenorientiert, sondern systemorientiert. Sie zielen nicht nur auf die Verhaltensänderung einer bestimmten Person ab, sondern auf die Änderung bzw. Verbesserung des Eltern-Kind-Verhältnisses. Leistungsberechtigte Personen sind in der Regel die Eltern und darüber hinaus
- Kinder im Rahmen der Förderung in Tageseinrichtungen und in Tagespflege,
- Kinder und Jugendliche als Teilnehmer an Veranstaltungen der Jugendarbeit (§ 11 SGB VIII),
- Kinder und Jugendliche im Rahmen der Eingliederungshilfe für seelisch Behinderte (§ 35a SGB VIII),
- junge Volljährige im Rahmen von Veranstaltungen der Jugendarbeit (§ 11 SGB VIII) und von Hilfe für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII).
Leistungsadressaten sind bei Hilfen für Eltern regelmäßig auch Kinder und Jugendliche.
PRAXISHINWEIS | § 4 Nr. 25 UStG verzichtet auf eine eigenständige Definition des „Jugendlichen“. Umsatzsteuerbefreit können daher auch Leistungen an Personen über 27 Jahren sein, z.B. Angebote der Jugendarbeit (§ 11 SGB VIII), die nach § 11 Abs. 4 SGB VIII in angemessenem Umfang auch Personen einbeziehen, die das 27. Lebensjahr vollendet haben (Abschn. 4.25.1 Abs. 4 UStAE). |
4. Abgrenzung zu anderen Umsatzsteuerbefreiungen
Gerade im pädagogisch-therapeutischen Bereich können neben § 4 Nr. 25 UStG noch weitere Steuerbefreiungen einschlägig sein:
- Soweit die vom Subunternehmer erbrachten Leistungen nicht nur auf die Verbesserung der Lebensgestaltung abzielen, sondern direkt an einer Erkrankung und deren Ursachen ansetzen, kommt auch eine Begünstigung nach § 4 Nr. 14 UStG in Betracht.
- Beispiel
Das FG München (24.5.12, 14 K 3415/10) gab im Fall einer Heilpraktikerin jedoch der Befreiung nach § 14 Nr. 25 UStG den Vorrang. Die Heilpraktikerin hatte im Auftrag u.a. von Landratsämtern als Familientherapeutin für verschiedene Jugendämter im Wesentlichen organische, neurotische und symptomatische Störungen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen behandelt und die Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe (§§ 27 , 35 a SGB VIII) direkt mit den jeweiligen Landrats- und Kreisjugendämtern abgerechnet.
- Unter Umständen ist aber auch an eng mit dem Betrieb einer Pflegeeinrichtung verbundene Leistungen i.S. des § 4 Nr. 16 UStG zu denken.
- Unterstützung beim Lernen kann nach § 4 Nr. 21 UStG oder - direkt - nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerbefreit sein.
- Beispiel
Eine Nachhilfelehrerin, die lese-, rechtschreib- oder rechenschwachen Schülern selbstständig Nachhilfeunterricht erteilt, kann sich, auch wenn sie kein Hochschulstudium absolviert hat, grundsätzlich unmittelbar auf die Steuerfreiheit ihrer Leistungen gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen (FG Hamburg 16.06.11, 6 K 165/10)..
- § 4 Nr. 23 UStG befreit die Beherbergung, Beköstigung und übliche Naturalleistungen durch Einrichtungen, wenn sie überwiegend Jugendliche für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke oder für Zwecke der Säuglingspflege bei sich aufnehmen. Dies gilt auch, wenn die Leistungen dort tätigen Personen gewährt werden. § 4 Nr. 23 UStG ist ab 2008 nicht mehr anzuwenden, soweit eine Leistung der Jugendhilfe nach SGB VIII erbracht wird (§ 4 Nr. 25 S. 4 UStG).
WEITERFÜHRENDE HINWEISE
- Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (Nieskoven, PFB 08, 326) und Umsatzsteuerfreiheit selbstständiger Kinder-, Jugend- und Familienhelfer (Nieskoven, PFB 08, 164)
- Ihr Finanzamt informiert: Kindertagespflege - Was ändert sich steuerlich (http://www.tagesmuetter-stuttgart.de/sites/default/files/steuerrechtliche_informationen_2009.pdf)
