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· Fachbeitrag · Unternehmensnachfolge und das Arbeitsrecht

Betriebsveräußerung und Sozialplan: Vorsicht beim Anknüpfen an den Kinderfreibetrag

von Dr. Guido Mareck, stellv. Direktor des ArbG Dortmund

| Schließt ein Arbeitgeber einen Sozialplan ab, bevor er den Betrieb veräußert, dann meist mit dem Hintergrund, den Betrieb überhaupt erst veräußerbar und damit übergangsfähig zu machen. Für den wirtschaftlichen Erfolg kommt es vor allem auch auf die Attraktivität der im Sozialplan enthaltenen Abfindungsregelungen an. Das LAG Hessen „kippte“ nun eine 24 Jahre alte BAG-Rechtsprechung bei der Frage nach dem Kinderfreibetrag. Steuerberater sollten dieses Urteil daher zum Anlass nehmen, die Formulierung von Abfindungsregelungen genauer zu überprüfen. |

1. Hintergrund

Eine Mutter zweier minderjähriger Kinder hatte die Lohnsteuerklasse V gewählt und schied auf Grundlage eines Aufhebungsvertrags mit Bezug auf einen Sozialplan und eine Betriebsvereinbarung zum Freiwilligenprogramm aus einem Unternehmen aus. In dem Sozialplan ist hinsichtlich der Abfindung u. a. geregelt, dass sich diese „um 5.000 EUR pro Kind erhöht, das am Stichtag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist“ und dass dieser Betrag auch gezahlt wird, wenn das Kind nur zu 0,5 auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist. Die Abfindung wurde jedoch ohne Berücksichtigung der beiden Kinder berechnet. Die Frau erhob schließlich Klage und forderte von ihrem ehemaligen Arbeitgeber zusätzlich 5.000 EUR pro Kind, mithin weitere 10.000 EUR wegen mittelbarer Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts durch die genannte Regelung.

 

Nach dem BAG (12.3.97, 10 AZR 648/96) kann in einem Sozialplan bei der Erhöhung und Berechnung der zugesagten Abfindungsbeträge in Form von Zuschlägen für unterhaltsberechtigte Kinder der betroffenen Arbeitnehmer in zulässiger Weise an auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Kinderfreibeträge angeknüpft werden. Auf Grundlage dieses Urteils wies das ArbG Darmstadt die Klage ab (21.11.19, 8 Ca 329/19). Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin vor dem LAG Hessen (28.10.20, 18 Sa 22/20) war erfolgreich. Die Revision ist zugelassen.

2. Das Urteil des LAG Hessen (28.10.20, 18 Sa 22/20)

Anders als in dem vom BAG entschiedenen Fall steht beim LAG Hessen keine vollständige Betriebsschließung, sondern ein Abbau von Arbeitsplätzen über ein sogenanntes Freiwilligenprogramm im Blickpunkt.

 

2.1 Mittelbare Benachteiligung von Frauen

Nach der Ansicht des LAG Hessen stellt die Anknüpfung an einen Kinderfreibetrag als Lohnsteuerabzugsmerkmal eine nicht gerechtfertigte mittelbare Benachteiligung von Frauen nach § 3 Abs. 2 AGG dar. Bei der Lohnsteuerklasse V seien Kinderfreibeträge als Abzugsmerkmal nicht vorgesehen. Es sei aber eine offenkundige Tatsache i. S. d. § 291 ZPO, dass überwiegend Frauen die Lohnsteuerklasse V hätten. Dies lasse sich auch aus den Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung (Stand November 2019) klar ersehen, nach denen der Anteil der verheirateten Frauen in der Lohnsteuerklasse V 89 %, der der verheirateten Männer hingegen nur 11 % betrage. Es sei nicht angemessen und erforderlich gewesen, dieses scheinbar neutrale Merkmal als Ausschlussgrund zu verwenden. Diese mittelbare Benachteiligung der Klägerin verstoße gegen § 75 Abs. 1 BetrVG.

 

2.2 Kalkulierbarkeit des Sozialplanvolumens

Zu der Mitteilung der Beklagten, die Kalkulierbarkeit des Sozialplanvolumens müsse für sie als Arbeitgeberin gewährleistet sein, führt das LAG aus, dass bei einem Personalabbau im Rahmen eines Freiwilligenprogramms auf Grundlage einvernehmlicher Aufhebungsverträge die finanzielle Belastung der Arbeitgeberin durch den Sozialplan und die auf seiner Grundlage auszukehrenden Zahlungen ohnehin vorab nicht endgültig berechnet werden kann. Überdies sei der Arbeitgeberin hinsichtlich der voraussichtlichen Kosten eine Schätzung, wie viele Arbeitnehmer der Lohnsteuerklasse V unterhaltsberechtigte Kinder haben, möglich und zumutbar. Auch ein eingetragener Kinderfreibetrag von 1,0 sei wegen der Möglichkeit der Eintragung halber Freibeträge auf der Steuerkarte kein sicheres Differenzierungskriterium.

 

2.3 Praktikabilität

Dem von der Beklagten und in der Entscheidung des BAG vorgebrachten Argument der Praktikabilität könne ebenfalls kein entscheidendes Gewicht zukommen. Bei einem freiwilligen Personalabbau müsse die Arbeitgeberin ohnehin für jeden sich für das Ausscheiden interessierenden Arbeitnehmer prüfen, ob und welche persönlichen Voraussetzungen ‒ auch für die Berechnung der Abfindung ‒ vorliegen. Das Kriterium des Kinderfreibetrags hätte insofern leicht durch weitere Möglichkeiten, die Unterhaltspflicht gegenüber einem oder mehreren Kindern zum Stichtag im Sozialplan nachzuweisen, ergänzt werden können. Die entsprechende ausschließliche Regelung über den Kinderfreibetrag im Sozialplan sei daher auch unter dem Aspekt der Praktikabilität nicht angemessen und erforderlich.

3. Empfehlungen für Arbeitgeber

Arbeitgebern, die den Betrieb veräußern und den Übergang vorbereiten wollen, indem sie einen freiwilligen Personalabbau auf Grundlage eines Sozialplans anstreben, ist Folgendes zu empfehlen: Sie sollten einen Zuschlag auf die Abfindung wegen unterhaltsberechtigter Kinder nicht allein von den auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Kinderfreibeträgen abhängig machen. Die diesbezüglichen Sozialdaten können in Gesprächen mit den betroffenen bzw. an einer freiwilligen Regelung interessierten Arbeitnehmern ohne Weiteres im Vorfeld abgefragt und von diesen nachgewiesen werden. Dies bringt neben der Sicherheit bei der Budgetplanung auch Vorteile in Bezug auf eine außerhalb freiwilliger Regelungen möglicherweise anstehende Kündigung. Bei fehlender Berücksichtigung vorhandener, aber nicht auf der Lohnsteuerkarte eingetragener Kinder kann die Sozialauswahl leicht fehlerhaft und damit eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen unwirksam werden.

Quelle: Seite 41 | ID 47157274