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· Fachbeitrag · Urlaubsrecht

Der Tod ist nur der Anfang - Hat die Witwe einen Urlaubsabgeltungsanspruch?

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA ArbR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

| Räumt Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 4.11.03 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG) oder Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen ArbN einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem ArbN vor seinem Tod zustehenden Mindestjahresurlaub ein, was nach § 7 Abs. 4 BUrlG in Verbindung mit § 1922 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist? Falls die Frage bejaht wird: Gilt dies auch, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen zwei Privatpersonen bestand? (Vorlagefragen des BAG) |

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Alleinerbin ihres Anfang 2013 verstorbenen Ehemanns, der als ArbN bei dem ArbG beschäftigt war. Das Arbeitsverhältnis endete durch den Tod des Ehemanns. Dieser hatte noch Anspruch auf Erholungsurlaub. Die Ehegattin verlangte vom ArbG, den ihrem Ehemann vor seinem Tod zustehenden Erholungsurlaub abzugelten. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt (LAG Düsseldorf 29.10.15, 11 Sa 537/15).

 

Entscheidungsgründe

Das BAG hat die Sache zur Vorabentscheidung dem EuGH vorgelegt (18.10.16, 9 AZR 196/16, Abruf-Nr. 190040). Nach der Rechtsauffassung des 9. Senats könnten weder Urlaubs- noch Urlaubsabgeltungsansprüche nach § 7 Abs. 4 BUrlG in Verbindung mit § 1922 Abs. 1 BGB auf den Erben eines ArbN übergehen, wenn dieser während des Arbeitsverhältnisses stirbt (BAG AA 13, 131).

 

Vor einer Entscheidung in der Sache müsse jedoch geklärt werden, ob diese Auffassung mit europäischem Recht vereinbar sei, sodass dem EuGH die oben gestellten Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt werden müssten.

 

Der EuGH habe noch nicht die Frage entschieden, ob der Anspruch auf finanziellen Ausgleich in Form der Urlaubsabgeltung auch Teil der Erbmasse wird, wenn das nationale Erbrecht dies ausschließt. Darüber hinaus sei nicht geklärt, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC in den Fällen eine erbrechtliche Wirkung zukommt, in denen das Arbeitsverhältnis zwischen Privatpersonen bestand. Ferner bestehe auch Klärungsbedarf bezüglich des Untergangs des vom Unionsrecht garantierten Mindestjahresurlaubs.

 

Das BAG sieht nach dem Tod des ArbN keine Möglichkeit einer positiven Wirkung des Urlaubs als Erholungszeit, weil in der Person des verstorbenen ArbN der Erholungszweck nicht mehr verwirklicht werden könne. Deshalb müsse hier nach seiner Auffassung nicht abgegolten werden.

 

Relevanz für die Praxis

Die Vorlageentscheidung des 9. Senats liegt zwar auf der Linie der bisherigen Wertungen des BAG. Sie muss aber gleichwohl vor dem Hintergrund der deutlichen Worte des EuGH überraschen.

 

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat (12.6.14, C-118/13-[Bollacke]) entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne finanziellen Ausgleich untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des ArbN endet.

 

Eine inhaltliche Differenzierung dieser Aussage nahm der EuGH gerade nicht vor. Anzeichen dafür, dass solche Differenzierungen nach den Vorlagegründen erfolgen werden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere machte der EuGH deutlich, dass die seitens des BAG angenommene Höchstpersönlichkeit des Urlaubsanspruchs einer Abgeltung nicht entgegenstünde. Der Senat bezieht sich in seiner Begründung für die Vorlagefragen auf Erwägungen des EuGH, die zu Fragen der Übertragbarkeit und des Verfalls von Erholungsurlaub angestellt wurden.

 

Höchstwahrscheinlich wird der EuGH auch hinsichtlich der nun aufgeworfenen Fragen bei den Ausführungen zum Fall Bollacke bleiben. Es spielt für das Entstehen und den Übergang des Urlaubsabgeltungsanspruchs keine Rolle, ob der ArbN während des laufenden Arbeitsverhältnisses oder erst nach dessen Beendigung verstirbt. Der Abgeltungsanspruch entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird im Todesfall nach § 1922 BGB Teil der Erbmasse. Beendet der Tod das Arbeitsverhältnis, entsteht mit dem Tod der Abgeltungsanspruch, der in der folgenden juristischen Sekunde auf die Erben übergeht. Es ist davon auszugehen, dass der EuGH dies bestätigen wird.

 

Weiterführende Hinweise

  • Wie wirkt sich eine Kurzunterbrechung des Arbeitsverhältnisses auf den Urlaub aus? BAG in AA 16, 64
  • In der Elternzeit erworbener Urlaub: Abgeltung und Kürzung: Mareck in AA 15, 195
  • Urlaub bei Wechsel in Teilzeittätigkeit mit weniger Wochenarbeitstagen: BAG in AA 15, 85
  • Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung: BAG in AA 15, 66
  • Ausschluss von Doppelansprüchen bei Urlaub: BAG in AA 15, 23
Quelle: Seite 210 | ID 44341215