· Fachbeitrag · Urteilsverkündung
Urteilsverkündung ist auch ohne ehrenamtlichen Richter möglich
| Nach § 60 Abs. 3 S. 1 ArbGG ist die Anwesenheit der ehrenamtlichen Richter bei der Urteilsverkündung weder erforderlich, wenn diese in unmittelbarem Anschluss an die Hauptverhandlung erfolgt, noch wenn ein besonders anberaumter Verkündungstermin stattfindet. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten vor dem LAG unter anderem darüber, ob der ArbN gegen den ArbG Anspruch auf strittige 2.196 Überstunden mit knapp über 24.700 EUR brutto hat und hierfür Überstundenzuschläge in Höhe von knapp über 6.800 EUR brutto zu entrichten sind. Das Arbeitsgericht Bautzen lehnte dies ab. Es stützte sich dabei darauf, dass der ArbN nicht dargelegt habe, dass er bezogen auf eine 48-Stundenwoche mehr Arbeit geleistet habe, für die er vom ArbG weder Freizeit erhalten, noch vergütet worden sei. Er habe nicht vorgetragen, in welchem zeitlichen Umfang er eine Arbeitsleistung in einem Ausgleichszeitraum hätte bringen müssen, welche Arbeitsleistung er tatsächlich erbracht habe, welche durch Freizeit ausgeglichen worden sei, welche Überstunden am 31.3. des jeweiligen Folgejahres noch bestanden und hätten vergütet werden müssen.
Der ArbN trägt in der Berufungsinstanz vor, dass das Arbeitsgericht das angefochtene Urteil am Ende des Sitzungstags in Abwesenheit der Parteien und der ehrenamtlichen Richter gefällt habe. Am 6.11.18 ‒ also genau eine Woche nach der Kammerverhandlung ‒ sei verfügt, dass die Parteivertreter das bereits fertige Protokoll samt Urteilstenor abschriftlich bekommen sollten. Erst auf Seite 296 der Akte befinde sich der handschriftlich verfasste Urteilstenor, allerdings mit Datum 30.10.18, auf dem die Unterschriften der beisitzenden Richter Herr ... und Frau ... eingeholt seien. Da die Akte chronologisch geführt ist, müsse davon ausgegangen werden, dass das angefochtene Urteil, so wie es die Aktenlage widerspiegele, durch die Vorsitzende des Arbeitsgerichts allein gefällt und eine Woche später ‒ offensichtlich am nächsten regulären Verhandlungstag ‒ die Unterschriften der ehrenamtlichen Richter auf dem handschriftlich verfassten Urteilstenor vom 30.10.18 nachträglich eingeholt worden seien. Dies sei ein Verstoß gegen Art. 101 GG. Der ArbN habe einen Anspruch darauf, dass der dem Gericht vorliegende Rechtsstreit durch die Kammer in voller Besetzung entschieden werde.
Entscheidungsgründe
Das LAG Sachsen (3.7.19, 2 Sa 5/19, Abruf-Nr. 212592) führt aus, eine Berufungsbegründung genüge den gesetzlichen Anforderungen nur, wenn sie erkennen lasse, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des ArbN unrichtig sei und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruhe. Die Berufungsbegründung müsse deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie dieses bekämpfen wolle. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens fehle eine Auseinandersetzung mit der vom Arbeitsgericht angenommenen Unzulässigkeit des entsprechenden Klageantrags sowie der von ihm dafür gegebenen Begründung.
Das Ausgangsurteil leide auch an keinem zu seiner Unwirksamkeit führenden Verkündungsmangel. Nach § 60 Abs. 3 S. 1 ArbGG sei die Anwesenheit der ehrenamtlichen Richter bei der Verkündung der Entscheidung nicht erforderlich, wenn diese in unmittelbarem Anschluss an die Verhandlung erfolge, auf die das Urteil ergehe. Sie sei auch nicht erforderlich, wenn sie in einem besonderes anberaumten Verkündungstermin stattfinde. Erfolge die Verkündung der Entscheidung ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter, die an ihr mitgewirkt hätten, müsse die Urteilsformel von dem Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern unterzeichnet sein (§ 60 Abs. 3 S. 2 ArbGG). Ein Verstoß bewirke nicht die Unwirksamkeit der Verkündung. Die Unterschriftsleistung könne nachgeholt werden, wenn der Urteilstenor auf der Beratung der Kammer beruhe.
Bereits hieraus ergebe sich, dass der vom ArbN geschilderte Geschehensablauf ‒ als wahr unterstellt ‒ die Wirksamkeit des Ausgangsurteils (genauer: seiner Verkündung) unberührt lasse.
Der vom ArbN angenommene Geschehensablauf treffe aber nicht zu. Die aufgezeigte Aktenführung stehe im Einklang mit § 3 Abs. 3 S. 1 HS. 1 AktO für die Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit nach Anlage III zu Abschnitt I Nr. 3 der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über die Aktenordnung für die Gerichte der Verwaltungs-, Sozial-, Arbeits- und Finanzgerichtsbarkeit vom 16.12.11. Danach seien Schriftstücke derselben Rechtssache in der Reihenfolge ihres Eingangs zu einer Akte zusammengefasst und fortlaufend zu nummerieren.
Nichts anderes sei hier geschehen. Die unter dem 30.10.18 ‒ dem Tag der Verkündung ‒ unterzeichnete Urteilsformel folge der Niederschrift über den Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom selben Tag. In diesem habe die Vorsitzende ‒ wie ihr aus Gründen des Prozessrechts nachgelassen ‒ das Ausgangsurteil allein verkündet. Das Vorhandensein der Urteilsformel für den Tag der Verkündung ist dokumentiert. Der sich lediglich auf die Niederschrift über den Termin beziehende Ablassvermerk der Geschäftsstelle sei selbstredend auf der Urschrift der Niederschrift anzubringen gewesen. Er beurkunde klar erkennbar einen ‒ eine Woche nach der Verkündung in Bezug auf die Niederschrift vorgekommenen ‒ Vorgang. Dass das Urteil der Verhandlung nachzufolgen habe und auch hier nachgefolgt sei, ziehe selbst der ArbN nicht in Zweifel. Der eine Falschbeurkundung im Amt insinuierende Vorwurf des ArbN beinhalte nicht die Behauptung, die auch von den ehrenamtlichen Richtern unterzeichnete Urteilsformel widerspiegele nicht das Beratungsergebnis. Der Hinweis darauf, dass er am Ende der Verhandlung auf eine Prüfung seiner Argumente verwiesen worden sei, sei plausibel und entspreche dem Umstand, dass Urteile nicht vor der Verhandlung festständen.
Hinsichtlich des abgewiesenen Vergütungsanspruchs gelte Folgendes: Bemessungszeitraum für das Arbeitsentgelt sei nach § 12 Abs. 3 S. 1 des anwendbaren Haustarifvertrags der Kalendermonat. Zu vergüten seien damit nicht einzelne Arbeitsstunden, sondern versprochen sei ein Monatsgehalt für die in einem Monat geschuldete und zu erbringende Arbeitsleistung. Sei das geschuldete Arbeitszeitvolumen wirksam auf 48 Wochenstunden heraufgesetzt, werde durch die monatliche Zahlung der Vergütungsanspruch für diesen Zeitraum mit dem Monatsgehalt erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Die regelmäßige Arbeitszeit sei hier aufgrund der Regelung in § 14 Abs. 2b des Haustarifvertrags auf bis zu zwölf Stunden täglich (durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich) verlängert gewesen. Zur Berechnung der tariflichen Arbeitsverlängerung müsse die Dauer der Arbeitsbereitschaft grundsätzlich für jeden einzelnen ArbN dargelegt und nicht nur als statistischer Durchschnittswert errechnet werden. Dies sei hier durch die „Analyse Arbeitsbereitschaft“ bezogen auf den ArbN für den gesamten Streitzeitraum erfolgt.
Überdies und selbstständig tragend scheitere der Anspruch des ArbN jedenfalls deshalb, weil der Tarifvertrag als Rechtsfolge für die Vergütung der streitgegenständlichen Überstunden lediglich die Gewährung von Freizeitausgleich vorsehe. Aus dem Vorbringen des ArbN ergebe sich nicht, warum und in welchem Umfang Ausgleichs- in Zahlungsansprüche umgeschlagen und solche über die bezogene Überstundenvergütung hinaus noch nicht erfüllt worden wären.
Relevanz für die Praxis
Allein die Tatsache, dass die ehrenamtlichen Richter bei der Urteilsverkündung nicht anwesend waren, hilft dem Parteienvertreter der unterlegenden Partei nicht weiter. Dies gilt zumindest solange wie der Urteilstenor von den ehrenamtlichen Richtern der ArbN- und der ArbG-Seite (vor Verkündung) unterschrieben wurde. Eine Auseinandersetzung mit der Urteilsbegründung in der Sache ist ohnehin unumgänglich, um die Berufungsinstanz letztlich erfolgreich abzuschließen.
