· Fachbeitrag · Versicherungen
Lebensversicherung im Nachlass ‒ das ist zu tun
von RA Uwe Gottwald, VRiLG a.D., Vallendar
| Stellt der Erbe fest, dass der Erblasser Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung gewesen ist, muss er prüfen, ob der Anspruch auf die Versicherungsleistung und etwaige Gewinnanteile in den Nachlass fällt. Der Beitrag erläutert, was der Anwalt dabei beachten muss. |
1. Rechtliche Gestaltung von Lebensversicherungsverträgen
a) Versicherungsnehmer und versicherte Person
Es sind drei Varianten möglich:
- I. d. R. sind Versicherungsnehmer (VN) und versicherte Person identisch. Der Tod des Erblassers ist gleichzeitig der Versicherungsfall.
- War der Erblasser jedoch nur VN und nicht versicherte Person, löst sein Tod den Versicherungsfall nicht aus. Entweder wird ggf. eine bei Vertragsschluss bestimmte Person neuer VN oder - wenn niemand benannt wurde - der Vertrag fällt an die Erben des VN.
- Ist der Erblasser nur versicherte Person, nicht aber VN, gilt: Sein Tod löst den Versicherungsfall aus. Der Anspruch auf die Versicherungsleistungen fällt nur in den Nachlass, wenn ausdrücklich vereinbart war, dass die Versicherungsleistung der versicherten Person (dem Erblasser) zufallen soll.
MERKE | In der betrieblichen Altersversorgung gibt es Lebensversicherungsverträge, in denen der Erblasser nicht VN, wohl aber versicherte Person ist. VN ist das Unternehmen. Es wird vereinbart, dass die Leistung entweder den Erben oder den vom Erblasser bestimmten Bezugsberechtigten (Dritten) zusteht. |
b) Risiko- und Kapitallebensversicherung
Bei der Risikolebensversicherung gilt: Versicherungsfall ist der Tod der versicherten Person. Dann wird die vereinbarte Versicherungssumme fällig, ohne dass Gewinnanteile beansprucht werden können. Bei ihr ist der Beitrag relativ gering und die Versicherungssumme im Verhältnis zum Beitrag hoch.
Bei der Kapitallebensversicherung gilt: Die Versicherungsleistung wird beim Tod des VN fällig. Dasselbe gilt, wenn er einen bestimmten Zeitpunkt erlebt hat. Versicherungsfall ist sowohl der Tod als auch das Erleben eines bestimmten Zeitpunkts. Durch die Versicherungsbeiträge wird das Versicherungskapital angespart, das bei Eintritt des Versicherungsfalls durch den Tod dazu führt, dass zusätzlich zur vereinbarten Versicherungssumme sog. Gewinnanteile fällig werden. Diese sind umso höher, je länger eingezahlt wurde. Damit dient diese Versicherung neben der Absicherung auf den Todesfall auch der Vermögensbildung (aber mit unterdurchschnittlicher Rendite).
c) Abtretung von Versicherungsleistungen
Oft hat der Erblasser die Rechte aus Lebensversicherungsverträgen abgetreten, z. B. um Darlehen abzusichern. Die Versicherungsgesellschaft (VG) zahlt die Versicherungsleistungen an den Abtretungsempfänger (meist die finanzierende Bank oder Sparkasse). Der Darlehensgeber muss gegenüber dem Erben das Darlehen abrechnen. Da es sich meist um eine Sicherungsabtretung handelt, darf die Bank die Versicherungsleistungen nur insoweit beanspruchen, wie Verbindlichkeiten des Erblassers bei ihr bestehen. Verbleibt ein Überschuss, ist dieser an den Erben zugunsten des Nachlasses auszukehren, falls nicht nachrangige Abtretungen erfolgt sind oder ein Bezugsrecht vereinbart ist.
Hat der Erblasser als VN seine Rechte aus einer Lebensversicherung abgetreten, liegt darin nicht grundsätzlich auch der konkludente Widerruf einer etwaigen Bezugsberechtigung. Jedenfalls bei einer Sicherungsabtretung wird im Allgemeinen nicht anzunehmen sein, der VN wolle etwaige Bezugsrechte vollständig widerrufen (BGHZ 109, 67). Der formularmäßige Widerruf eines Bezugsrechts bei einer Sicherungsabtretung „soweit es den Rechten der Sparkasse entgegensteht“ ist dahin zu verstehen, dass etwaige Bezugsrechte im Rang hinter den vereinbarten Sicherungszweck zurücktreten sollen. Dagegen bestehen keine Bedenken, wenn der Sicherungszweck inhaltlich klar festliegt und der Höhe nach bestimmbar ist (BGH, a.a.O.).
PRAXISTIPP | Der Anwalt muss für den Erben in den Fällen der Sicherungsabtretung prüfen, ob eine Bezugsberechtigung besteht und die darin liegendeZuwendung des Erblassers gegenüber dem Bezugsberechtigten noch widerrufen werden kann. |
d) Bezugsberechtigung
Im Lebensversicherungsvertrag kann die Zahlung der Versicherungssumme gem. § 330 BGB in der Form vereinbart werden, dass der Dritte unmittelbar das Recht erwerben soll, die Leistung einzufordern. Dies wird vor allem für die Leistungspflicht im Todesfall vereinbart, während sich der VN die Leistung der Versicherungssumme für den Erlebensfall selbst vorbehält. Vertraglich kann nach § 159 Abs. 1 VVG auch vereinbart werden, dass der VN einseitig einenBezugsberechtigten benennt. Insoweit kann auch vereinbart werden, dass die Benennung des Bezugsberechtigten durch Testament erfolgt, § 332 BGB.
Hat der VN einen Bezugsberechtigten bestimmt, erwirbt dieser beim Tod des VN (Erblassers) den Anspruch gegenüber dem Versicherer auf Auszahlung der Versicherungssumme, §§ 328, 331 BGB. Der Erwerb fällt nicht in den Nachlass (OLG Koblenz ZEV 20, 66; OLG Stuttgart VersR 19, 22; OLG Hamm VersR 19, 1545). Dies gilt gem. § 160 Abs. 2 VVG auch, wenn als Bezugsberechtigte(r) nur pauschal „die Erben“ oder „mein Erbe“ benannt sind bzw. ist (OLG Schleswig ZEV 95, 415).
PRAXISTIPP | Bei § 160 Abs. 2 VVG handelt es sich um eine Auslegungsregel. Es kommt also auf die genaue Formulierung des Bezugsrechts und die zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen an. Der Anwalt des Erben muss prüfen, ob der Bezugsberechtigte nicht vorverstorben ist oder das Bezugsrecht zurück- gewiesen hat. In beiden Fällen erwirbt der Dritte das Bezugsrecht nicht. |
Es steht dem VN, also dem Erben zu, § 160 Abs. 3 VVG. Es fällt mithin in den Nachlass. Sind mehrere Bezugsberechtigte benannt, wächst der durch einen Bezugsberechtigten nicht erworbene Anteil den übrigen Bezugsberechtigten zu, § 160 Abs. 1 S. 2 VVG. Der Anwalt des Erben muss also in allen Fällen der Bestimmung eines Bezugsrechts prüfen, ob der Bezugsberechtigte dieses auch erworben hat, insbesondere, ob er den Erblasser überlebt hat und nicht vorverstorben ist.
Schließlich ist zu prüfen, ob nicht der Erblasser selbst zu Lebzeiten gegenüber der VG das Bezugsrecht widerrufen hat. Dies kann auch durch Testament geschehen sein, wenn dies nach den Versicherungsbedingungen gestattet war. Nach dem Tod des VN können die Erben das Bezugsrecht nicht mehr widerrufen. |
e) Schenkung als Rechtsgrund des Bezugsrechts
Der Erbe kann aber u. U., wenn Rechtsgrund des Bezugsrechts eine Schenkung des Erblassers war, die in der Zuwendung des Bezugsrechts liegende Schenkung widerrufen. Im Ergebnis kann er damit vereiteln, dass es ausgeübt wird. Ob diese Möglichkeit im Einzelfall besteht, hängt vom Rechtsverhältnis des Erblassers als VN zur VG einerseits und dem Rechtsverhältnis zwischen Erblasser und Bezugsberechtigten andererseits ab.
Da zwischen dem VN und der VG ein Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall besteht, muss die VG gegenüber dem VN (Erblasser) im Todesfall an den Begünstigten leisten. Der Begünstigte erwirbt den Zahlungsanspruch nicht aus dem Nachlass, sondern aus dem Versicherungsvertrag gegen die VG.
Im Verhältnis zwischen VN (Erblasser) und dem Bezugsberechtigten kann Rechtsgrund der Zuwendung des Bezugsrechts eine Schenkung sein. Ob eine solche vorliegt, beurteilt sich nach § 516 Abs. 1 BGB und setzt voraus, dass beide, Schenker und Beschenkter, darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Der Bezugsberechtigte kann deshalb den Anspruch auf die Leistung aus der Zuwendung des Bezugsrechts nur geltend machen, wenn er mit dem VN (Erblasser) darüber einig war, dass die Zuwendung unentgeltlich i. S. v. § 516 Abs. 1 BGB war. Ist eine derartige Einigung zu Lebzeiten des VN (Erblassers) mit dem Zuwendungsbegünstigten erfolgt, ist das Schenkungsversprechen durch den Tod des VN (Erblassers) vollzogen und auch für den Erben bindend geworden. In der Praxis ist das zumeist der Fall, wenn der VN (Erblasser) die Person des Bezugsberechtigten über die Zuwendung desBezugsrechts durch Vereinbarung mit der VG informiert hat.
PRAXISTIPP | Es kommt aber auch oft vor, dass der Bezugsberechtigte von der Zuwendung des Bezugsrechts nichts weiß und demzufolge auch mit dem VN (Erblasser) keine Einigung über die schenkweise Überlassung zustande gekommen ist. Es fehlt die wirksame Schenkungsabrede. Hier muss der Anwalt des Erben schnell sein. Denn er kann durch frühzeitiges Einschreiten das nachträgliche Zustandekommen der Schenkungsabrede verhindern. Setzt nämlich der VN (Erblasser) als Bezugsberechtigten einer Lebensversicherung eine dritte Person ein, ohne diese davon zu unterrichten, können die Erben das Schenkungsangebot widerrufen (OLG Hamm ZEV 05, 126). Das bedeutet, dass der Erbe den durch den VN (Erblasser) an die VG (konkludent) erteilten Auftrag, dem Bezugsberechtigten das Schenkungsangebot zu unterbreiten, schnellstens widerrufen kann (muss). |
Zugleich hat der Erbe aber auch gegenüber dem Bezugsberechtigten, wenn dem Erben dessen Anschrift bekannt ist (meist aus den Versicherungsunterlagen ersichtlich), das Schenkungsangebot zu widerrufen (OLG Koblenz ZEV 20, 66). Denn ein durch die VG entgegen dem Widerruf doch erfolgtes Schenkungsangebot wird nicht wirksam, wenn dem Bezugsberechtigten vorher oder gleichzeitig ein Widerruf des Erben zugeht (§ 130 Abs. 1 S. 2 BGB). Zu beachten ist, dass nicht das Bezugsrecht, sondern stets nur das Schenkungsangebot als Zuwendungsgrund widerrufen wird (zur Auslegung „der Anfechtung“ des Bezugsrechts vgl. BGH NJW 08, 2702). |
Für den Erben gilt es, den „Wettlauf“ zwischen ihm und dem Bezugsberechtigten aufzunehmen und nach Möglichkeit zugunsten des Nachlasses zu „gewinnen“. In keinem Fall darf der Erbe bei Kenntnis der Sachlage untätig bleiben, weil die Gefahr besteht, dass die dem Bezugsberechtigten zugewandte Leistung für den Nachlass verloren ist.
f) Leistungsfreiheit
Die VG kann im Einzelfall auch bei der Lebensversicherung von der Verpflichtung zur Leistung befreit sein. Das ist nach § 161 VVG bei Suizid des VN undu. U. auch dann der Fall, wenn der VN bei Abschluss des Versicherungsvertrages falsche Angaben gemacht hat. Für den Suizid wird nach den AGB der Versicherungsgesellschaften die Leistungsfreiheit nicht generell angenommen, sondern es sind Wartefristen bestimmt. Der Erbe muss deshalb auch feststellen, ob trotz Suizid des VN Ansprüche bestehen. Im Hinblick auf weitere Ausschlüsse hat er u. U. auch Angaben zur Todesursache zu machen. Einen Ausschluss wegen möglicher falscher Angaben gilt es somit zu verhindern.
g) Versicherungsprämien
Nach § 80 Abs. 2 VVG gebührt der VG bei Wegfall des versicherten Risikos‒ Eintritt des Todes des Versicherten ‒ die Prämie für die laufende Versicherungsperiode. Deshalb kommt es in der Lebensversicherung in der Regel nicht zur Rückerstattung von Prämien. Die Dauer der Versicherungsperiode ergibt sich aus dem Versicherungsvertrag.
2. Pflichtteilsergänzungsansprüche
a) Bezugsrecht
Die Frage der Pflichtteilsergänzung stellt sich im Zusammenhang mit Lebensversicherungsverträgen erst, wenn feststeht, dass die Lebensversicherungssumme nicht in den Nachlass fällt. Es ist deshalb zuerst zu prüfen, ob einer oder mehreren Personen ein widerrufliches (Regelfall) oder unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt wurde (s. o.).
b) Schenkung
Steht nach dieser Prüfung fest, dass die Versicherungssumme nicht in den Nachlass fällt, ist im Verhältnis zu dem Bezugsberechtigten das Vorliegen einer Schenkung zu prüfen. Der Schenkungsbegriff des § 2325 BGB stimmt mit dem der §§ 516 Abs. 1, 517, 1624 BGB überein. Das heißt, dass der Empfänger aus dem Vermögen des Erblassers bereichert sein muss sowie dass der Zuwendende und der Empfänger darüber einig gewesen sein müssen, dass die Zuwendung ganz oder teilweise unentgeltlich erfolgen sollte. Ist eine Schenkung festgestellt, gilt dies auch in denjenigen Fällen, in denen der/die benannte(n) Bezugsberechtigte(n) zugleich Erbe/Miterben werden.
PRAXISTIPP | Unter Ehegatten wird meist von einer unbenannten (ehebedingten) Zuwendung auszugehen sein, bei der die unterhaltsrechtliche Komponente im Vordergrund steht (vgl. OLG Schleswig ZEV 10, 369) und somit ein Ergänzungsanspruch ausgeschlossen ist (MüKo/Lange, BGB, 8. Aufl. 2020, § 2325 Rn. 24, 25; BeckOK BGB, Bamberger/Roth/Hau/Poseck, 48. Edition, 2018, § 2325 Rn. 13‒16). |
c) Umfang des Ergänzungsanspruchs
Der Gegenstand der Schenkung ist bis heute ‒ obwohl der BGH hierzu entschieden hat (BGHZ 185, 252) ‒ umstritten. Da die Pflichtteilsergänzung an der Entreicherung im Vermögen des Erblassers ansetzt, wurde von früherer Rechtsprechung und der (noch) h. M. in der Literatur die Summe der entrichteten Prämien bis zur Grenze der Versicherungssumme als Schenkung i. S. d. § 2325 BGB angesehen (vgl. u. a. BGH FamRZ 76, 615; OLG Stuttgart ZEV 08, 145; Staudinger/Olshausen, BGB, Neubearbeitung 2015, § 2325 Rn. 38). Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des BGH zur Schenkungsanfechtung im Insolvenzrecht (BGH NJW 04, 214) geht eine weitere Auffassung davon aus, dass die gesamte Versicherungssumme zu berücksichtigen sei (vgl. BeckOK BGB, Bamberger/Roth/Hau/Poseck, a.a.O.).
Der BGH hat sich in seiner letzten Entscheidung zu diesem Problemkreis keiner der vorgenannten Meinungen angeschlossen. Nach seiner Auffassung berechnet sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch bei einer schenkweisen widerruflichen Bezugsberechtigung weder nach der Versicherungsleistung noch nach der Summe der vom Erblasser gezahlten Prämien. Vielmehr richtet sich die Pflichtteilsergänzung allein nach dem Wert, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten ‒ juristischen ‒ Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können. In aller Regel ist auf den Rückkaufswert abzustellen. Je nach Lage des Einzelfalls ist ggf. auch ein n‒ objektiv belegter ‒ höherer Veräußerungswert heranzuziehen (BGHZ 185, 252).
MERKE | Für den Fall der unwiderruflichen Bezugsberechtigung erwirbt der Begünstigte abweichend von § 331 BGB ein sofort wirksames eigenes Recht auf Leistung gegen die Versicherung. Zuwendungsgegenstand ist daher der Wert der Lebensversicherung im Zeitpunkt der Bezugsrechtseinräumung (BBeckOK BGB, Bamberger/Roth/Hau/Poseck, a.a.O). Daher beginnt die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB bereits mit dem Zeitpunkt der Einräumung des unwiderruflichen Bezugsrechts, sodass auch die Abschmelzungsregel Anwendung findet. Sind seit der unwiderruflichen Einräumung des Bezugsrechts zehn Jahre vergangen, entfällt der Pflichtteilsergänzungsanspruch. Das ist der Fall, wenn der Erblasser zu seinen Lebzeiten (was selten vorkommt) mit dem Versicherer kein Bezugsrecht eines Dritten für den Todesfall vereinbart hatte und der Anspruch auf die Versicherungsleistung nicht an Dritte, insbesondere finanzierende Banken, abgetreten ist. |
Weiterführender Hinweis
- EE 16, 208 zu anderen Versicherungen im Nachlass