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· Fachbeitrag · Vorsteuerabzug

BMF positioniert sich endlich zur rückwirkenden Rechnungskorrektur ‒ Teil 2

von Georg Nieskoven, Troisdorf

| Nach zehn Jahren Rechtsunsicherheit hat die Finanzverwaltung endlich „geliefert“: Mit BMF-Schreiben vom 18.9.20 (III C 2 - S 7286-a/19/10001 :001) hat sie umfänglich zur zins- und vorsteuerwirksamen Rückwirkung von Rechnungsberichtigungen Stellung genommen (siehe GStB 20, 446 ). Im zweiten Teil des Beitrags geht es nun um die Ergänzbarkeit lückenhafter oder fehlerhafter Rechnungen durch den Rechnungsempfänger und um die Frage, in welchen Fällen ein Vorsteuerabzug auch gänzlich ohne Rechnung möglich ist. |

1. Empfängerseitige Ergänzbarkeit ‒ „Objektiv-Nachweis“

Nach den „neuen Grundsätzen“ kommt nachträglichen Rechnungsberichtigungen unter gewissen Voraussetzungen (wie taugliche Ursprungsrechnung, letztmöglicher Korrekturstichtag etc.) eine zins- und vorsteuerwirksame Rückwirkung zu. Dieser „Korrekturmodus“ setzte jedoch stets voraus, dass der ursprüngliche Rechnungsaussteller auf Bitte des Leistungsempfängers zur Ausstellung einer Korrekturrechnung oder eines Rechnungsergänzungsdokuments (§ 31 Abs. 5 S. 2 UStDV) willens und in der Lage ist. Der Leistungsempfänger befand sich hier also bislang in der undankbaren Rolle des „Bittstellers“, da er hier kaum Einfluss nehmen konnte.

 

Denn nach bisheriger Sichtweise galt, dass fehler- oder lückenhafte Rechnungen nur per Rechnungsberichtigung oder -ergänzung seitens des Rechnungsausstellers korrigiert werden konnten. Und dabei durften sich ergänzende Informationen auch nur aus solchen Dokumenten ergeben, auf die in der „Hauptrechnung“ explizit verwiesen wurde:

 

  • Beispiel

Die zum Süßwarenkonzern X gehörige T1-GmbH (T1) hatte im Jahr 06 aus Rechnungen der zum gleichen Konzern gehörigen T2 den Vorsteuerabzug geltend gemacht, den das FA nach einer Außenprüfung jedoch mit der Begründung versagte, die Leistungsbeschreibung „für im Jahr 06 bezogene Beratung und Kontrolle“ sei zu unkonkret und die Rechnung folglich „nicht vorsteuerfähig“.

 

Nach erfolglosem Einspruch legte die T1 im Klageverfahren ergänzend Stundenzettel vor, aus denen sich die konkreten Beratungsleistungen der Ingenieure und Techniker der T2 nachvollziehbar ergaben. Einen konkreten Verweis auf diese Unterlagen enthielt die streitige Rechnung jedoch nicht, sodass das FA beantragte, die Stundenzettel nicht als „Rechnungsergänzungsdokumente“ i. S. v. § 31 Abs. 1 UStDV zuzulassen.

 

Dieser Fall aus der Rechtsprechung (BFH 8.10.08, V R 59/07) illustriert die bislang vorherrschende formale Sichtweise:

In erster Instanz hatte das FG den Vorsteuerabzug zwar gebilligt, da es den streitigen Leistungsinhalt auf Basis der von T1 ergänzend vorgelegten (in ihrer Buchführung aufbewahrten) Dokumente trotz der unkonkreten Leistungsbeschreibung als geklärt ansah. In der Revision hob der BFH die Entscheidung jedoch wieder auf und wies das Vorsteuerabzugsbegehren der T1 mit streng formalen Argumenten ab: Die Leistungsbeschreibung müsse sich stets aus der Rechnung selbst oder alternativ aus solchen „Rechnungsergänzungsdokumenten“ ergeben, auf die die (Haupt-)Rechnung gem. § 31 Abs. 1 UStDV durch einen entsprechenden „Verweisvermerk“ explizit und konkret verwiesen habe. Nach dieser BFH-Rechtsprechung war eine Rechnung folglich nicht mehr nachträglich durch ‒ beim Leistungsempfänger bereits vorhandene ‒ „Eigenunterlagen“ ergänzbar. Zur Vorsteuerwirksamkeit bedürfe es stets der (nicht rückwirkenden) nachfolgenden Rechnungskorrektur oder -ergänzung durch den ursprünglichen Rechnungsaussteller.

 

Der BFH hatte dem Leistungsempfänger damit eine „erläuternde/lückenfüllende“ Ergänzung der Rechnungen durch eigene Unterlagen verwehrt ‒ und zwar nicht nur wegen des fehlenden „Verweisvermerks“ in der Rechnung auf das betreffende Ergänzungsdokument, sondern auch, weil die Befugnis zur Rechnungsergänzung bzw. -korrektur nur beim ursprünglichen Rechnungsaussteller liegen sollte. Dies war insbesondere in solchen Fällen problematisch, in denen der vormalige Rechnungsaussteller nicht mehr greifbar war (unbekannt verzogen, verstorbener Unternehmer, liquidierte und gelöschte Gesellschaft etc.) und daher eine Korrigierbarkeit ausschied.

 

Beachten Sie | Gegen diese BFH-Sichtweise sprach jedoch seit jeher der abweichende Wortlaut in Art. 219 MwStSystRL, der keinen Verweisbezug in der Hauptrechnung auf das „Ergänzungsdokument“ forderte. Er verlangte lediglich, dass das „Rechnungsergänzungsdokument“ einen unstreitigen (expliziten oder denklogischen) Bezug zur Hauptrechnung aufwies.

 

An dieser Stelle setzt nun das „neue Auslegungsverständnis“ des BMF an, das auf der EuGH-Entscheidung „Barlis-06l“ (EuGH 15.9.16, C-516/14) fußt. Danach kann der Leistungsempfänger mit eigenen „Bordmitteln“ fehler- oder lückenhafte Rechnungen sogar mit „Rückwirkung“ korrigieren, was beide BFH-Senate (vgl. BFH, XI B 105/19, Rn. 8 u. BFH, V R 48/17, Rn. 39) jüngst sogar bereits aufgegriffen haben. Das BMF-Schreiben spricht bei dieser Korrekturvariante vom sog. Objektivnachweis:

 

MERKE | Hierzu betont das BMF im ersten Schritt (Rn. 9), die Existenz eines Rechnungspapiers bleibe weiterhin „unverzichtbare Grundvoraussetzung“ für den Vorsteuerabzug ‒ daran habe auch die EuGH-Entscheidung „Vadan“ (C-664/16: Vorsteuerabzug gänzlich ohne Rechnung?) mit ihrer Betonung des EG-rechtlichen Neutralitäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nichts geändert.

 

Beachten Sie | Diese enge Interpretation der EuGH-Entscheidung „Vadan“ durch das BMF ist zwar vom V. Senat jüngst bestätigt worden (vgl. V R 14/18, Rn. 31 u. V R 48/17, Rn. 37/38). Es bleibt jedoch abzuwarten, ob auch der XI. Senat mit seinen häufig t„liberaleren“ Tendenzen diese Einschätzung teilen wird oder ob der EuGH sich hierzu in nachfolgenden Urteilen vielleicht sogar gegenteilig positionieren wird (zur Schätzbarkeit von Vorsteuern c„auch ohne Rechnung“ in Sonderfällen siehe unter 2.).

 

MERKE | Im zweiten Schritt bekundet das BMF jedoch, bei „zumindest vorhandener“ aber mit Formmängeln behafteter Rechnung könne der Vorsteuerabzug ‒ auch ohne eine durch den Ursprungsaussteller erstellte Korrekturrechnung ‒ gewährt werden, wenn der Leistungsempfänger das FA durch Vorlage ergänzender Unterlagen letztlich in die Lage versetze, die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vollständig zu überprüfen (Rn. 10).

 

Stattdessen sei der objektive und zweifelsfreie Nachweis erforderlich, dass (Rz. 11) dem Leistungsempfänger

  • von einem anderen Unternehmer auf einer vorangehenden Umsatzstufe „tatsächlich versteuerte Umsätze“ (Lieferungen oder Dienstleistungen) gegen Entgelt erbracht wurden
  • und diese Eingangsleistungen beim Empfänger unstreitig dessen vorsteuerunschädlichen Ausgangsumsätzen dienten.

 

Den Nachweis der Steuerbelastung auf der Vorstufe („tatsächliche Versteuerung“) könne der Leistungsempfänger nur über ein Rechnungsdokument mit offenem USt-Ausweis erbringen, da ohne diesen Ausweis Zweifel verblieben, ob und in welcher Höhe eine Steuerzahllast in dem Zahlungsbetrag enthalten sei (Rn. 12).

 

Zumindest einen offenen USt-Ausweis muss das Rechnungsdokument folglich enthalten ‒ die weiteren Rechnungsangaben zu den übrigen materiellen Voraussetzungen darf der Leistungsempfänger demnach auch durch andere Beweismittel „dokumentieren“. Allerdings betont das BMF hierbei die unternehmerische Beweislast:

 

MERKE | Diese „anderen Beweismittel“ sollen so beschaffen sein, dass dem FA die Feststellung der materiellen Voraussetzungen „leicht und zweifelsfrei“ bereits unmittelbar aus den Unterlagen selbst möglich ist, also beispielsweise auch hinsichtlich der zweifelsfreien Nachvollziehbarkeit des konkreten Leistungsinhalts. „Unternehmerische Beweislast“ heißt für das BMF dabei auch, dass jegliche Unklarheiten und verbleibenden Zweifel vollständig zulasten des Unternehmers gehen und die Finanzbehörde in diesen Fällen des „Objektivnachweises“ von jeder Verpflichtung zur ergänzenden Ermittlung „von Amts wegen“ frei ist.

 

Im o. a. Beispiel wäre ein solcher „Objektivnachweis“ mithin auf Basis der im FG-Verfahren vorgelegten „Techniker-Stundenzettel “ als erfüllt anzusehen und der Vorsteuerabzug möglich gewesen.

 

Beachten Sie | Diese „neue Option“ entschärft künftig vor allem jene Problemfälle, bei denen eine Rechnungskorrektur an der fehlenden Erreichbarkeit des ursprünglichen Rechnungsausstellers (s. o. verstorben/unbekannt verzogen/gelöschte Gesellschaft) scheiterte.

 

Anders als bei den in Teil 1 des Beitrags behandelten Rechnungsberichtigungen ‒ für deren zins- und vorsteuerwirksame Rückwirkung BFH wie BMF bestimmte Mindestanforderungen an die Ursprungsrechnung“ (fünf elementare Rechnungs-Kernmerkmale) stellen ‒ enthält das BMF-Schreiben zum leistungsempfängerseitigen „Objektivnachweis“ keine adäquaten Ausführungen. Klar ist zwar, dass auch der „Objektivnachweis“ eine Vorsteuerabzugswirkung auf den Ursprungszeitpunkt auslösen soll. Unklar bleibt aber im zweiten Schritt, ob auch hier die Ursprungsrechnung neben dem unstreitig zwingenden offenen USt-Ausweis ‒ wie die rückwirkende Rechnungsberichtigung ‒ noch (vier?) weitere Mindestangaben enthalten muss:

 

Beachten Sie | Im BMF-Schreiben fehlt ein solches Erfordernis; und aus Rn. 39 der BFH-Entscheidung vom 12.3.20 (V R 48/17) lässt sich m. E. schließen, dass selbst bei völlig unzulänglicher Leistungsbeschreibung eine nachträgliche Ergänzung grundsätzlich möglich gewesen wäre, aber eben im Urteilsfall nicht zweifelsfrei erfolgt sei. Zu dieser m. E. wichtigen Frage ‒ nach den Anforderungen an die „Ursprungsrechnung“ beim Objektivnachweis ‒ wäre eine ergänzende Klarstellung des BMF daher wünschenswert.

2. Vorsteuerabzug gänzlich ohne Rechnung?

In seiner Entscheidung „Vadan“ hatte der EuGH (21.11.18, C-664/16) mit einer Formulierung für Furore gesorgt. Im Streitfall hatte der Steuerpflichtige sich von diversen Bauunternehmen ein gewerbliches Vermietungsobjekt errichten lassen. Später machte er ohne Vorlage jeglicher Eingangsrechnungsbelege einen „geschätzten Vorsteuerabzug“ geltend. Die Reaktion des EuGH: s„Eine strikte Anwendung des formellen Erfordernisses, Rechnungen vorzulegen, verstoße gegen die Grundsätze der Neutralität und Verhältnismäßigkeit, da dadurch dem Unternehmer auf unverhältnismäßige Weise die steuerliche Neutralität seiner Umsätze verwehrt würde“.

 

Aus dieser EuGH-Entscheidung war in der Literatur bereits die These abgeleitet worden, künftig dürfe ‒ angesichts des vom EuGH betonten „Neutralitätsgrundsatzes“ ‒ der Fiskus nicht mehr mit der Begründung fehlender Eingangsrechnungen den Vorsteuerabzug versagen. Künftig müsse damit der Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen auch ohne Rechnung „mithilfe anderer Nachweisführung“ möglich sein. Der BFH hatte sich hierzu jedoch bereits ablehnend geäußert und klargestellt, der Rechnungsbeleg mit USt-Ausweis sei und bleibe Grundlage des Vorsteuerabzugs und sei der Dokumentationspfad zu der auf einer Vorstufe mit Umsatzbelastung bezogenen Eingangsleistung (BFH 15.10.19, V R 14/18, Rz. 37‒40; BFH 12.3.20, V R 48/17, Rn. 37).

 

Diese Unterstützung der deutschen Rechtsprechung hat nun auch das BMF (Rn. 9 u. 10) aufgegriffen und klargestellt: Auch nach der EuGH-Entscheidung „Vadan“ bleibt es beim grundsätzlich zwingenden Erfordernis der vorhandenen Eingangsrechnung, da diese wegen ihrer Funktion einer Kontrolle der Vorstufenbesteuerung und des Bezugszusammenhangs zu den besteuerten Ausgangsleistungen von der Finanzverwaltung benötigt wird; ein Vorsteuerabzug „gänzlich ohne Rechnung“ bleibt daher ausgeschlossen (Rn. 6 u. 10).

 

Gleichwohl gibt die Entscheidung „Vadan“ Anlass darauf hinzuweisen, dass schon in den bisherigen Verwaltungsanweisungen Möglichkeiten für Sonderfälle existieren, Vorsteuerabzugsbeträge auch ohne im Prüfungszeitpunkt „noch vorhandener/prüfbarer“ Belege (ggf. im Schätzungswege) zu gewähren:

 

So kann der Unternehmer z. B. nach Abschn. 15.11 Abs. 1 S. 3 ff. UStAE bei inzwischen verloren gegangenen Originalrechnungen den Nachweis / die Glaubhaftmachung über die bezogenen Eingangsleistungen und deren umsatzsteuerliche Vorbelastung (Vorsteuerabzug) nicht allein durch den Rechnungsbeleg, sondern mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Mitteln führen (BFH 16.4.97, XI R 63/93, BStBl II 97, 582, BFH 23.10.14, V R 23/13, BStBl II 15, 313). Gerade in den Fällen der ursprünglich vorhandenen aber durch höhere Gewalt nachfolgend abhanden gekommenen Eingangsrechnungen (z. B. Zerstörung durch Brand, Hochwasser) ermöglichen Abschn. 15.11. Abs. 5 ff. UStAE auch Vorsteuerschätzungen und andere Billigkeitsmaßnahmen.

3. Billigkeits- und Übergangsregeln

3.1 Übergangsregelung

Das BMF-Schreiben sieht grundsätzlich die Anwendung der „neuen Sichtweise“ in allen noch offenen Fällen vor, erlaubt aber in seiner Schlussbemerkung (Seite 12) eine auf die geänderte BFH-Rechtsprechung bezogene „Übergangsregelung“. Danach wird es nicht beanstandet, wenn bei bis zum 31.12.20 übermittelten Rechnungsberichtigungen i. S. v. § 31 Abs. 5 UStDV ‒ denen nach dem BFH-Urteil vom 20.10.16 (V R 26/15) Rückwirkung zukommt ‒ der Vorsteuerabzug gleichwohl erst in dem Besteuerungszeitraum geltend gemacht wird, in dem die berichtigte Rechnung ausgestellt wird. Eine Berufung hierauf scheidet allerdings aus, wenn der Vorsteuerabzug bereits aus der ursprünglichen Rechnung gewährt wurde (kein doppelter Vorsteuerabzug sowohl im Ursprungs- als auch im Korrekturzugangszeitpunkt).

 

Beachten Sie | Die Übergangsregelung beschränkt sich nach diesem Wortlaut ausschließlich auf die Rückwirkungsfrage bei „Rechnungsberichtigungen“, bezieht also alle weiteren Neuerungen nicht mit ein, die folglich „in allen noch offenen Fällen“ zur Anwendung kommen.

 

3.2 Verzinsungsfolgen und Billigkeit

Während bei „Rechnungskorrekturen zugunsten“ die durch das BMF-Schreiben nun geklärte neue Rückwirkung dem Leistungsempfänger die früheren Nachzahlungszinsen erspart, initiiert der in anderen Fällen (vgl. z. B. BFH, XI R 10/17) durch die „Rechnungskorrektur zuungunsten“ nachträglich ausgelöste Vorsteuerentzug belastende Nachzahlungszinsen, die die Frage nach einem möglichen Billigkeitserlass der Zinsen aufwerfen. Der BFH hat einen solchen Zinserlass in einem „Steuerschuldnerschaftsfall“ bejaht (BFH 26.9.19, V R 13/18). Ein solcher Zinserlass aus Billigkeitsgründen bleibt aber „Einzelfallfrage“, wie der gegenteilige BFH-Beschluss vom 11.5.20 (V B 76/18) beweist. Hier war die Begründung, der dort fehlerhaften Rechnung habe ‒ anders als im „§ 13b-Fall“ ‒ eine rechtlich leicht zu klärende und damit „vermeidbare Fehlbeurteilung“ des Leistungsorts zugrunde gelegen.

Quelle: Seite 23 | ID 47005536