· Fachbeitrag · WEG-Novelle
Rechtsfähige Gemeinschaft der Wohnungseigentümer: Rechte und Pflichten nach § 9a Abs. 2 WEG n. F.
von RAin Kornelia Reinke, www.schiffer.de, Bonn
| Der neue § 9a WEG n. F. regelt die Grundlagen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und ersetzt § 10 WEG a. F. In MK 21, 211 , haben wir über § 9a Abs. 1 berichtet. In dieser Ausgabe zeigen wir, worauf Sie nun bei § 9a Abs. 2 WEG achten müssen. |
1. Vorbemerkungen
Während es in § 9a Abs. 1 WEG n. F. um die eigenständigen Rechte und Pflichten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geht (Rechtsfähigkeit), betrifft § 9a Abs. 2 WEG n. F. die aus dem gemeinschaftlichen Eigentum resultierenden Rechte und Pflichten. Rechte und Pflichten, die direkt der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zugeordnet sind und sog. Sozialansprüche und -pflichten, z. B. Anspruch auf Zahlung des Wohngeldes, bei deren Pflichtverletzung folgende Schadenersatzansprüche sowie Forderungen wie Sonderumlagen, fallen nicht in den Anwendungsbereich von § 9a Abs. 2 WEG n. F. (BT-Drucksache 19/18791, S. 45 ff.). § 9 Abs. 2 WEG n. F. betrifft ausschließlich das Außenverhältnis, somit die Rechtszuständigkeit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu Dritten (Schuldner/Gläubiger) und berechtigt zum Handeln im eigenen Namen (Palandt/Wicke, BGB, 80. Aufl., § 9a WEG Rn. 5).
2. § 9 Abs. 2 1. Alt. WEG n. F.
Nach dem Wortlaut des § 9a Abs. 2 1. Alt. WEG n. F. übt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte der Wohnungseigentümer aus. Nach der Gesetzesbegründung knüpft § 9a Abs. 2 WEG n. F. an die aus § 1011 BGB bekannte Formulierung an. Danach kann jeder Eigentümer die Ansprüche aus dem Eigentum Dritten gegenüber in Ansehung der ganzen Sache geltend machen. § 9a Abs. 2 1. Alt. WEG n. F. wandelt § 1011 BGB dahin gehend ab, dass die Ansprüche nicht von jedem Wohnungseigentümer, sondern von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geltend gemacht werden können. Erfasst sind insbesondere Ansprüche wegen einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums aus § 1004 BGB (BT-Drucksache 19/187910, S. 45 ff.).
Beispiele gesetzlicher Rechte aus dem gemeinschaftlichen Eigentum im Außenverhältnis sind:
- Schadenersatzansprüche wegen Verletzung gemeinschaftlichen Eigentums,
- Geltendmachung nachbarrechtlicher Schutzrechte und Schadenersatzansprüche und
- Beseitigung und Unterlassung einer Störung gemeinschaftlichen Eigentums.
Beispiele gesetzlicher Pflichten aus dem Gemeinschaftseigentum im Außenverhältnis sind Verkehrssicherungspflichten, Abgabenschuld und Einbau von Rauchmeldern (Hügel/Elzer, WEG, § 9a Rn. 99; MüKo/Burgmair, BGB, § 9a, Rn. 31 WEG).
3. § 9 Abs. 2 2. Alt. WEG n. F.
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer übt zudem Rechte und Pflichten der Eigentümer aus, die für eine einheitliche Rechtsverfolgung erforderlich sind, auch wenn sich diese Rechte nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergeben. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass die Vorschrift an die Stelle des früheren § 10 Abs. 6 S. 3 WEG a. F. tritt. Diesen Unterschied zwischen der sog. „geborenen“ Ausübungs- oder Wahrnehmungsbefugnis, die aufgrund gesetzlicher Anordnung bestand, und der sog. „gekorenen“ Ausübungs- oder Wahrnehmungsbefugnis, die einen Beschluss der Wohnungseigentümer voraussetzte, hat der Gesetzgeber aufgegeben. Eine auf einem Beschluss beruhende besondere „gekorene“ Ausübungs- oder Wahrnehmungsbefugnis sieht § 9 Abs. 2 WEG n. F. nicht mehr vor (BT-Drucksache 19/18791, S. 45).
Begründet wird dies damit, dass der Entzug der Ausübungsbefugnis ein gravierender Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie des Eigentümers sei. Ein solcher Eingriff ist nur in den in § 9a Abs. 2 WEG n. F. genannten Fällen, somit aufgrund gesetzlicher Anordnung gerechtfertigt. Eine durch Beschluss begründete, im Außenverhältnis wirkende Ausübungsbefugnis widerspricht auch dem berechtigten Interesse des Rechtsverkehrs an einer klaren Zuordnung von Rechten und Pflichten (BT-Drucksache 19/18791, S. 45).
§ 9 Abs. 2, 2. Alt WEG n. F. knüpft an das Kriterium der Gemeinschaftsbezogenheit aus § 10 Abs. 6 S. 3 WEG a. F. an. Der Gesetzgeber hat nicht den Begriff der Gemeinschaftsbezogenheit übernommen, sondern lehnt sich an dessen Definition durch den BGH an (24.7.15, V ZR 167/14). Erforderlich ist danach eine Rechtsausübung durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, wenn schutzwürdige Belange der Wohnungseigentümer oder des Schuldners an einer einheitlichen Rechtsverfolgung das grundsätzlich vorrangige Interesse des Wohnungseigentümers, seine Rechte selbst und eigenverantwortlich auszuüben und prozessual durchzusetzen, deutlich überwiegen, wobei eine typisierende Betrachtungsweise geboten ist. Da § 9 Abs. 2 2. Alt. WEG n. F. dem geltenden Recht entspricht, kann auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden (BT-Drucksache 19/18791, S. 45).
PRAXISTIPP | Beispiele für eine einheitliche Rechtsverfolgung durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sind Vermietung von gemeinschaftlichem Eigentum, die Miete steht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu und die Notgeschäftsführung (Hügel/Elzer, a. a. O., Rn. 105). |
Die neue Rechtslage erweitert im Ergebnis die sog. geborene Ausübungsbefugnis auf die Rechte, die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergeben, die nach bisherigem Recht in den Anwendungsbereich der sogenannten „gekorenen“ Ausübungsbefugnis fielen, allen voran Ansprüche aus § 1004 BGB (BT-Drucksache 19/18791, S. 45 ff.). Der Anspruch kann sich aus dem Gemeinschafts- und dem Sondereigentum ergeben.
Soweit es um Störungen des Gemeinschaftseigentums geht, besteht die alleinige Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gemäß § 9a Abs. 2 WEG n. F. Soweit es aber um Rechte und Pflichten geht, die allein dem Sondereigentümer zuzuordnen sind, scheidet eine einheitliche Rechtsverfolgung aus (Hügel/Elzer, a. a. O., Rn. 106). Sind zeitgleich sowohl Gemeinschafts- als auch Sondereigentum betroffen, kann ein Eigentümer Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche nach § 1004 BGB und § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG n. F., die auf die Abwehr von Störungen im räumlichen Bereich seines Sondereigentums gerichtet sind, weiter auch selbst geltend machen (BGH 11.6.21, V ZR 41/19). Der Anspruch ist jedoch beschränkt auf die Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Ausgleich in Geld kann der einzelne Eigentümer nur verlangen, wenn die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 WEG n. F. erfüllt sind.
4. Bauträgerrecht
Für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen einen Bauträger durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hat sich durch die Neuregelung des § 9a Abs. 2 WEG n. F. keine Änderung ergeben. Der BGH hat bereits vor der WEG-Novelle 2007 und dem Inkrafttreten des § 10 Abs. 6 S. 3 Hs. 2 WEG a. F. entschieden, dass die Eigentümergemeinschaft als teilrechtsfähiger Verband einen Anspruch auf Kostenvorschuss für die Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum in gesetzlicher Prozessstandschaft und einen solchen für die Mängelbeseitigung am Sondereigentum in gewillkürter Prozessstandschaft gerichtlich geltend machen kann (BGH 12.4.07, VII ZR 236/05).
Auch das Streichen der „gekorenen“ Ausübungsbefugnis nach dem früheren § 10 Abs. 6 S. 3 Hs. 2 WEG a. F. hat daher keine Auswirkungen auf die Gesetzesänderung (BT-Drucksache 19/18791, S. 45).
Bei Rechten auf Minderung und „kleinen“ Schadenersatz wegen behebbarer Mängel am Gemeinschaftseigentum ist die Eigentümergemeinschaft zuständig. Der einzelne Wohnungseigentümer ist zur Geltendmachung seiner individualvertraglichen Rechte ausgeschlossen (BGH 24.7.15, V ZR 145/14). Rücktritt und Ansprüche auf großen Schadenersatz kann der einzelne Wohnungseigentümer individuell geltend machen (BGH 6.3.14, VII ZR 266/13).
5. Abnahme Gemeinschaftseigentum
Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums bei Neubauten fällt nicht unter § 9a Abs. 2 WEG n. F., weil sich dieses Recht aus den einzelnen Erwerbsverträgen ergibt (Hügel/Elzer, a. a. O., Rn. 136).
6. Altbeschlüsse
Für Altbeschlüsse, soweit sie auf Grundlage von § 10 Abs. 6 S. 3 Hs. 2 WEG a. F. gefasst wurden, gibt es für die Vergangenheit keine Änderungen. Sie verlieren aber für die Zukunft ihre Wirkung (BT-Drucksache 19/18791, S. 45). Die Rechte und Pflichten, die auf die Gemeinschaft übertragen wurden, müssen in der Zukunft wieder von den Eigentümern übernommen werden.
Beachten Sie | Für die Praxis bedeutet dies eine Prüfung der Beschlüsse, die auf der Grundlage des früheren § 10 Abs. 6 S. 3 Hs. 2 WEG a. F. gefasst wurden.