· Fachbeitrag · Widerspruch
Wer keinen Widerspruch einlegt, muss mit einem Vollstreckungsbescheid rechnen
| Die Fristen im Mahnverfahren für den Widerspruch und den Einspruch sind mit zwei Wochen sehr kurz. Wird die Frist für den Widerspruch versäumt, bleibt der Schaden für den Schuldner überschaubar. Der verspätete Widerspruch wird als Einspruch gewertet. Wer aber nach einem dreiwöchigen Urlaub oder sonstiger Abwesenheit den Vollstreckungsbescheid findet, kommt zu spät. Da hilft nur die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der BGH zeigt in einer aktuellen Entscheidung, dass hier besondere Anforderungen bestehen. Der Schuldner muss diese beachten, der Gläubiger kann von den hohen Anforderungen profitieren. |
Sachverhalt
Der Gläubiger hat gegen den Schuldner einen Mahnbescheid beantragt. Der Schuldner hatte von diesem jedenfalls seit der Zustellung am 3.2.17 tatsächliche Kenntnis. Mit der Übersendung wurde darauf verwiesen, dass noch ein Vollstreckungsbescheid ergehen kann. Widerspruch hat der Schuldner nicht eingelegt. Er war im weiteren zeitlichen Verlauf dann vom 6. bis 24.5.17 abwesend. Als er zurückkehrte, fand er den am 8.5.17 im Wege der Ersatzzustel-lung durch Einwurf in den Briefkasten zugestellten Vollstreckungsbescheid vor. Die Einspruchsfrist war in diesem Zeitpunkt schon abgelaufen. Nunmehr begehrt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Entscheidungsgründe
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat aus Sicht des BGH keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 S. 1 ZPO).
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Verfolgt der Kläger eine erhebliche Forderung mit einem Mahnbescheid, muss eine Partei, die tatsächlich Kenntnis vom Mahnbescheid erhält und keinen Widerspruch gegen den Mahnbescheid einlegt, erst ab einer Frist von sechs Monaten ab der Zustellung des Mahnbescheids nicht mehr mit weiteren Zustellungen rechnen (Abruf-Nr. 206260). |
Wiedereinsetzung ist nur zu gewähren, wenn der Säumige ohne sein Verschulden verhindert war, die Notfrist des § 339 Abs. 1 ZPO einzuhalten (§ 233, S. 1 ZPO). Die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen muss die säumige Partei darlegen und glaubhaft machen (§ 236 Abs. 2 S. 1 ZPO).
Wichtig | Ist die Partei bereits an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt oder hat sie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein solches gegen sie beginnen und während ihrer Abwesenheit Fristen in Lauf gesetzt werden könnte oder Termine bestimmt werden, obliegt es ihr, ihren Posteingang zu kontrollieren und für eine rechtzeitige Erledigung fristwahrender Handlungen zu sorgen (BVerfG NJW 07, 3486; BGH VersR 84, 81; NJW 88, 2672; 21.9.88, VIII ZB 26/88; VersR 92, 1373; VersR 95, 810; NJW 00, 3143; NJW 09, 1608; ebenso zum Mahnverfahren BGH VersR 88, 158).
Nach diesen Maßstäben konnte der BGH nicht feststellen, dass der Schuldner ohne sein Verschulden verhindert war, die Einspruchsfrist einzuhalten. Unter den Umständen des Streitfalls musste der Schuldner nach der Zustellung des Mahnbescheids, den er unstreitig auch tatsächlich erhalten hat, mit weiteren gerichtlichen Zustellungen rechnen. Insbesondere enthält der Mahnbescheid gemäß § 692 Abs. 1 Nr. 4 ZPO den Hinweis, dass ein dem Mahnbescheid entsprechender Vollstreckungsbescheid ergehen kann, aus dem der Antragsteller die Zwangsvollstreckung betreiben kann, falls der Antragsgegner nicht bis zum Fristablauf Widerspruch erhoben hat.
Relevanz für die Praxis
Die Zustellung des gerichtlichen Mahnbescheids ermöglichte dem Schuldner, Widerspruch einzulegen; er hat daher einen ersten Zugang zu Gericht erhalten. Der Beklagte hat sich innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist ausschließlich dazu erklärt, dass er vom 6.5. bis 24.5.17 ortsabwesend gewesen sei und erst nach seiner Rückkehr von dem am 8.5.17 zugestellten Vollstreckungsbescheid erfahren habe.
MERKE | Ist die Zustellung an den Adressaten oder an eine in der Wohnung bzw. den Geschäftsräumen anwesende Person nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück dann als zugestellt. Mit der Zustellung am 8.5.17, einem Montag, vollendete sich die Einspruchsfrist mit Ablauf des 22.5.17 und damit zwei Tage vor der Rückkehr des Schuldners. |
BGH reichte Vortrag des Schuldners nicht
Dieser Vortrag reicht dem BGH nicht, um das Verschulden entfallen zu lassen. Dies ergibt sich allerdings nicht allein aus der seit der Zustellung des Mahnbescheids verstrichenen Zeit von drei Monaten und fünf Tagen bis zur Zustellung des Vollstreckungsbescheids (vgl. auch BGH NJW-RR 08, 218 zur Zustellung eines Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren).
Der Kläger verfolgte mit dem Mahnbescheid eine erhebliche Forderung über 360.000 EUR. Unter diesen Umständen muss eine Partei, die keinen Widerspruch gegen den Mahnbescheid einlegt, erst ab einer Frist von sechs Monaten ab der Zustellung des Mahnbescheids nicht mehr mit weiteren Zustellungen rechnen (s. § 701 ZPO, wonach die Wirkung des Mahnbescheids wegfällt, wenn der Antragsteller den Erlass des Vollstreckungsbescheids nicht binnen einer sechsmonatigen Frist beantragt, die mit der Zustellung des Mahnbescheids beginnt). Liegt die Zustellung eines über eine erhebliche Forderung lautenden Mahnbescheids noch keine sechs Monate zurück, muss die Partei in der Regel mit weiteren Zustellungen rechnen.
Der Schuldner hat andere Umstände, die dafür sprechen können, dass er Anfang Mai 2017 nicht mehr mit einer weiteren Rechtsverfolgung oder mit weiteren Zustellungen rechnen musste oder welche die unterlassene Vorsorge entschuldigen können, weder dargelegt noch ergeben sie sich sonst aus dem Sachvortrag der Parteien.
Insbesondere hat er nicht geltend gemacht, dass er keine außergerichtlichen Mahnungen oder Zahlungsaufforderungen erhalten habe oder dass er aus anderen Gründen annehmen durfte, dem Mahnbescheid werde sich keine weitere gerichtliche Anspruchsverfolgung anschließen.
Kein Widerspruch = kein Verschulden? Nein!
Dass der Schuldner keinen Widerspruch eingelegt hat, kann für sich allein noch kein Verschulden an der Versäumung der Einspruchsfrist begründen.
Der BGH hatte zwar 1987 entschieden, dass dem Schuldner keine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist gewährt werden kann, wenn ihm der Mahnbescheid vom Postboten persönlich übergeben worden ist und er aus Nachlässigkeit den Inhalt des Mahnbescheids nicht zur Kenntnis genommen und deshalb keinen Widerspruch eingelegt hat (BGH VersR 88, 158). In diesem Fall war allerdings der Vollstreckungsbescheid schon neun Tage nach Ablauf der Widerspruchsfrist zugestellt worden (vgl. auch BGH VersR 84, 81 bei sechs Tagen zwischen Ablauf der Widerspruchsfrist und Zustellung des Vollstreckungsbescheids). Der BGH sah den Unterschied zu der hier besprochenen Entscheidung darin, dass eine Partei nach Zustellung eines Mahnbescheids jedenfalls für eine im unmittelbaren Anschluss nach Ablauf der Widerspruchsfrist zu erwartende Zustellung Vorsorge treffen muss und dies auch erfolgen kann, indem die Partei Widerspruch einlegt.
Im Streitfall lagen zwischen dem Ablauf der Widerspruchsfrist und der Zustellung des Vollstreckungsbescheids jedoch fast drei Monate. Unter diesen Umständen kann ein Verschulden der Partei nicht allein dadurch begründet werden, dass sie bislang keinen Widerspruch eingelegt hätte. Eine solche Begründung liefe darauf hinaus, dass ein Verschulden am Versäumen einer Einspruchsfrist bereits vorliegt, wenn es die Partei zu der mit einem Einspruch anfechtbaren Entscheidung hat kommen lassen.
Das trifft nach dem BGH nicht zu, bedeutet aber gleichzeitig, dass der Schuldner sechs Monate lang Vorsorge hinsichtlich der Einspruchsfrist treffen muss.