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· Fachbeitrag · Zustellungsrecht

Adressat muss für die Indizien seines Aufenthalts einstehen

| Erbringen Anwälte und Inkassodienstleister Inkassodienstleistungen gegenüber dem Schuldner, ist oft festzustellen, dass jegliches Mahnschreiben ohne Reaktion bleibt. Auch auf den gerichtlichen Mahnbescheid und den nachfolgenden Vollstreckungsbescheid legt der Schuldner keinen Widerspruch oder Einspruch ein. Das kann sich ändern, wenn die Zwangsvollstreckung beginnt. Häufig behauptet der Schuldner dann, ihm seien weder Mahnungen, noch Mahnbescheid oder Vollstreckungsbescheid zugegangen. Zum Nachweis legt er eine eidesstattliche Versicherung vor, wonach er zum vermeintlichen Zustellungszeitpunkt an der genannten Adresse nicht mehr gewohnt haben will. Dass er mit dieser Argumentation nicht durchdringen muss, zeigt eine aktuelle Entscheidung des OLG Dresden. |

 

Relevanz für die Praxis

Danach gilt: Ein Zustellungsadressat, der seine Meldeadresse am Zustellungsort belässt, dort noch einen Briefkasten unterhält und die Veränderung seines Wohnsitzes auch nicht durch sein Verhalten nach außen dokumentiert, muss sich auch nach einer Wohnsitzverlagerung die an der Meldeadresse erfolgte Zustellung jedenfalls nach Treu und Glauben zurechnen lassen (OLG Dresden 23.11.20, 4 U 1563/20, Abruf-Nr. 221199).

 

Nach Ansicht des OLG ist es unerheblich, ob der Schuldner im Zeitpunkt der Zustellung des Vollstreckungsbescheids an der dort genannten Adresse gewohnt hat, soweit ein ihm zurechenbarer Rechtsschein bestanden hat, den er nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gegen sich gelten lassen muss. Es nahm eine wirksame Ersatzzustellung durch Einwurf in den Briefkasten an.

 

Die Ersatzzustellung setzt grundsätzlich voraus, dass die Wohnung oder der Geschäftsraum des Adressaten an den Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich vom Adressaten genutzt wird. Eine vormals bestehende Wohnung darf nicht zwischenzeitlich aufgegeben worden sein. Der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume zu unterhalten, genügt für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht. Denn nach den §§ 178 bis 181 ZPO kann nur in der Wohnung bzw. den Geschäftsräumen oder durch Einwurf in die hierzu gehörenden Postempfangsvorrichtungen zugestellt werden, nicht aber dort, wo nur der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums besteht (BGHZ 190, 99). Eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmungen, nach der der vom Empfänger zurechenbar gesetzte Rechtsschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums genügt, scheidet aus, denn wegen ihrer Bedeutung für die Wahrung des Grundrechtes auf rechtliches Gehör und im Interesse der Rechtssicherheit haben die Zustellungsvorschriften formalen Charakter.

 

Allerdings kann es sich als unzulässige Rechtsausübung darstellen, wenn sich der Zustellungsadressat, der einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat, auf die Fehlerhaftigkeit einer Ersatzzustellung an diesen scheinbaren Wohnsitz beruft (BGHZ 190, 99; BGH NJW-RR 11, 233). Hierbei handelt es sich aber nicht um die Erleichterung einer wirksamen Zustellung im Wege der objektiven Zurechnung des Rechtsscheins. Vielmehr wird dem Empfänger im Lichte des das gesamte Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben unter engen und deshalb verfassungsrechtlich unbedenklichen Voraussetzungen nur versagt, sich auf die Unwirksamkeit einer Zustellung zu berufen (vgl. BVerfG NJW-RR 10, 421).

 

Allerdings ist hierfür keine Arglist im engeren Sinne erforderlich. Dem Adressaten kann vielmehr dann versagt werden, sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung zu berufen, wenn er diesen Anschein zumindest insofern zielgerichtet herbeigeführt hat, als er Auswirkungen seines Handelns auf eine Zustellung in einem anhängigen oder möglicherweise bevorstehenden Verfahren in Kauf genommen hat oder sich ihm solche Auswirkungen zumindest aufdrängen mussten (BGH NJW 19, 2942).

 

Im konkreten Fall war zu sehen, dass der Schuldner zwar bereits an einer neuen Adresse gemeldet war, sich aber erst nach Zustellung des Vollstreckungsbescheids an der Zustellungsadresse abgemeldet hat. Im Rahmen dieser Abmeldung hatte er als Auszugsdatum den Abmeldezeitpunkt angegeben.

 

Auch hat sich an der Zustellungsadresse noch ein Briefkasten mit dem Namen des Schuldners befunden.

 

Letztlich war festzustellen, dass den Schuldner andere Zustellungen unter der Anschrift erreicht haben. Als weiteren Aspekt unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben hat das OLG gesehen, dass der Schuldner mit einer Zustellung rechnen musste.

Quelle: Seite 73 | ID 47292119