· Fachbeitrag · Leserforum
Berücksichtigung von Immobilienvermögen bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen
von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kiersten, Berlin
| Oft reichen die (Renten-) Einkünfte zur Bedarfsdeckung nicht mehr aus, wenn einer der Ehegatten im Alter in ein Pflegeheim umziehen muss. Ist eine vorher gemeinsam genutzte Immobilie vorhanden, fragt sich, wie sich dies auf den Antrag eines Ehegatten auf Sozialhilfeleistungen auswirkt. |
1. Ausgangsbeispiel
Diese Frage lässt sich am Besten anhand von Fallbeispielen darstellen, da es ganz unterschiedliche Konstellationen gibt.
|
Die 67-jährige F und der 70-jährige M sind verheiratet und leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Sie sind zu je 1/2 Miteigentümer einer gemeinsam bewohnten 80 qm großen Eigentumswohnung, die noch mit einem Finanzierungsdarlehen belasteten ist.
Am 2.1.18 wird M in einem Pflegeheim untergebracht. Mit seiner monatlichen ‒ hierdurch allerdings auch vollständig aufgebrauchten ‒ Altersrente zuzüglich der Leistungen der Pflegekasse können die Heimkosten vollständig gedeckt werden. F, die nur eine geringfügige Rente bezieht, beantragt Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII. Sie begehrt ausdrücklich eine Leistungsgewährung in Form eines (verlorenen) Zuschusses. Der Sozialhilfeträger wendet die vorrangige Verwertung oder Beleihung der vorhandenen (noch belasteten) Eigentumswohnung ein. Allenfalls will er sich auf eine darlehensweise Leistungsgewährung einlassen. Frage: Zu Recht? |
a) Antwort zum Ausgangsbeispiel
Das Sozialhilferecht wird vom Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII beherrscht. § 19 SGB XII definiert die zentralen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen. Nach § 19 Abs. 2 SGB XII ist Grundsicherung im Alter an diejenigen Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben und ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.
aa) Was gehört zum Vermögen?
Zum Einkommen gehören gemäß § 43 Abs. 1, § 82 Abs. 1 SGB XII alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Nach § 43 Abs. 1, § 90 Abs. 1 SGB XII ist grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen, um einen sozialhilferechtlich relevanten Bedarf zu decken, bevor Sozialhilfeleistungen zu erbringen sind. Die Beschränkung in § 90 Abs. 1 SGB XII auf „verwertbares Vermögen“ hat dabei lediglich klarstellende Bedeutung. Denn nicht verwertbares Vermögen (was im wirtschaftlichen Sinn zu verstehen ist) kann bereits rein tatsächlich nicht zur Deckung eines sozialhilferechtlichen Bedarfs beitragen.
F, die mit 67 Jahren die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht hat, kann ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus ihren eigenen Einkünften bestreiten. Möglicherweise kann sie ihn aber aus ihrem (aktuellen) Vermögen aufbringen. Die Frage, was Vermögen ist, wird weder in § 90 SGB XII noch an anderer Stelle im SGB XII beantwortet; der Begriff des Vermögens wird vielmehr vorausgesetzt. Zum Vermögen i. S. v. § 90 Abs. 1 SGB XII gehören alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld oder Geldeswert. Zum Vermögen der F gehört deshalb auch ihr Miteigentumsanteil an der gemeinsamen Eigentumswohnung. Insoweit handelt es sich grundsätzlich um verwertbares Vermögen i. S. d. § 90 Abs. 1 SGB XII.
bb) Ausnahme: Angemessenes Eigenheim
§ 90 Abs. 2 und 3 SGB XII enthalten allerdings Ausnahmen zum umfassenden „Einsatzbefehl“ des § 90 Abs. 1 SGB XII. Dazu stellt § 90 Abs. 2 SGB XII bestimmte Vermögensgegenstände von der Einsatzverpflichtung frei, sodass sie bei der Ermittlung des Leistungsanspruchs außer Betracht bleiben. § 90 Abs. 3 SGB XII ergänzt § 90 Abs. 2 SGB XII um eine Härtevorschrift.
§ 90 Abs. 2 SGB XII enthält neun Gruppen von Vermögensgegenständen. Diese sind entgegen dem Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII nicht vor der Gewährung der Sozialhilfe einzusetzen. Nach dem hier allein interessierenden § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung eines angemessenen Hausgrundstücks, das u. a. von der nachfragenden Person alleine oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird. Daran, dass die gemeinsame Eigentumswohnung auch nach dem Umzug des M in das Pflegeheim i. S. d. § 90 Abs. 2 Nr. 8 S. 1 BGB XII von F selbst bewohnt wird, bestehen keine Zweifel.
§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII schützt nicht die Immobilie als Vermögensanlage, sondern allein das Grundbedürfnisses „Wohnen“ und damit den räumlichen Lebensmittelpunkt der F. Zum Schonvermögen gehört deshalb nur ein „angemessenes“ Eigenheim. Die Angemessenheit wird durch § 90 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 SGB näher umschrieben. Sie bestimmt sich vor allem nach der Zahl der Bewohner und der Größe, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes (sog. Kombinationstheorie). Das wichtigste objektivierbare Kriterium für die Angemessenheit eines selbstgenutzten Hausgrundstücks oder einer entsprechenden Eigentumswohnung stellt dabei die Größe, also die Wohnfläche, dar. Die von F nach dem Umzug des M in ein Pflegeheim allein bewohnte Eigentumswohnung weist eine Wohnfläche von 80 qm auf. Kann das mit Blick auf den Nachranggrundsatz in § 2 SGB XII noch als angemessen beurteilt werden?
Die Angemessenheit der Größe von Familienheimen und Eigentumswohnungen wurde bis zum 31.12.01 aufgrund der bis dahin in § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG enthaltenen ausdrücklichen Verweisung nach dem II. WobauG bestimmt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist es jedoch sachgerecht, sich zur Wahrung eines bundeseinheitlichen Maßstabs für die Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße weiterhin an den Werten des für den öffentlich geförderten Wohnungsbau geltenden ‒ außer Kraft getretenen ‒ § 39 II. WobauG und der darin vorgesehenen Wohnflächenobergrenzen zu orientieren. Daneben ist ‒ entsprechend den Vorgaben des § 90 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 SGB XII ‒ nach der Anzahl der Bewohner zu differenzieren.
Hiervon ausgehend gelten Familienheime mit einer Wohnfläche von 130 qm und Eigentumswohnungen mit bis zu 120 qm für einen Vier-Personen-Haushalt nicht als unangemessen groß. Für jede weitere Person im Haushalt sind weitere 20 qm hinzuzurechnen. Bei einer geringeren Anzahl an Bewohnern (als vier) ist ein Abschlag von je 20 qm pro Person bis zu einer Belegung des Hauses/der Eigentumswohnung mit zwei Personen vorzunehmen.
Das bedeutet, dass bei einer Belegung einer Eigentumswohnung mit bis zu zwei Personen die angemessene Wohnflächengröße typisierend auf (120 qm ./. 2 × 20 qm =) 80 qm festzusetzen ist. Eine weitere Reduzierung um 20 qm bei einer Wohnungsnutzung durch eine Person allein kommt nach der Rechtsprechung des BSG im Regelfall (vor allem aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität) nicht in Betracht.
MERKE | Die genannte Wohnflächengröße kann nicht als quasi normative (feststehende) Größe zugrunde gelegt werden. Die vom BSG angenommenen Werte orientieren sich am „Durchschnittsfall“ und können beim Vorliegen besonderer Umstände eine Korrektur „nach oben“ erforderlich machen, ggf. aber auch eine Anpassung „nach unten“. Die Frage der Angemessenheit ist grundsätzlich nach Maßgabe und unter Würdigung aller in § 90 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 SGB XII bezeichneten personen-, sach- und wertbezogenen Kriterien im Einzelfall zu beurteilen. |
Nach den vom BSG zu § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII aufgestellten Grundsätzen ist bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen regelmäßig auch bei nur einer Person eine Wohnfläche von 80 m2 als angemessen anzusehen. Danach handelt es sich bei der von F nach dem Umzug des M in ein Pflegeheim nur noch allein genutzten Eigentumswohnung um geschütztes Vermögen i. S. v. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII.
MERKE | Der Umstand, dass die Eigentumswohnung M und F gemeinsam gehört, ist für den Ausgangsfall folglich ohne Entscheidungsrelevanz. Gleiches gilt im Hinblick auf die Belastung der Eigentumswohnung durch ein Finanzierungsdarlehen. Auch auf den Güterstand von Eheleuten kommt es bei der Frage des Vermögenseinsatzes grundsätzlich nicht an. |
Da die von F selbst genutzte Eigentumswohnung mit 80 qm von angemessener Größe ist und sie damit den Ausnahmetatbestand in § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII erfüllt, ist sie von vornherein als sog. Schonvermögen nicht zu berücksichtigen. Die Eigentumswohnung bleibt also bei der Ermittlung des Werts des verwertbaren Vermögens der F „außen vor“. Wenn die F wegen des Vermögensschutzes nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB die gemeinsame Eigentumswohnung der Eheleute für ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht einsetzen muss, kann sie vom Sozialhilfeträger auch nicht auf deren weitere Belastung bzw. Beleihung verwiesen werden. Die Eigentumswohnung ist auch vor einer sonstigen Verwertung (z. B. durch freihändigen Verkauf) geschützt.
Sofern F über kein sonstiges verwertbares Vermögen (z. B. ein größeres Sparguthaben oder eine Lebensversicherung mit höherem Rückkaufswert) verfügt, hat sie im Ergebnis Anspruch auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen im Alter in Form eines verlorenen, also nicht rückzahlbaren, Zuschusses.
MERKE | Die Prüfung der Angemessenheit eines Hausgrundstücks als sozialhilferechtlich privilegierter Vermögensgegenstand i. S. v. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII ist im Hinblick auf die in S. 2 genannten gesetzlichen Kriterien (Zahl der Bewohner, Wohnbedarf, Grundstücksgröße, Hausgröße, Zuschnitt und Ausstattung des Wohngebäudes, Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes) so stark von den Umständen des Einzelfalls und einer wertenden einander bedingenden Abwägung der einzelnen die Angemessenheit bestimmenden Faktoren abhängig, dass den Tatsachengerichten ein revisionsrechtlich nicht voll überprüfbarer Entscheidungsfreiraum verbleibt. Gleichwohl ist die Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs gerichtlich voll überprüfbar. |
2. Abwandlung 1
Gleicher Sachverhalt wie im Ausgangsfall, allerdings mit einer Wohnflächengröße der Eigentumswohnung der Eheleute von 88 qm.
Wird die Wohnflächenobergrenze um nicht mehr als 10 Prozent überschritten, kann unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes noch von einer angemessenen Wohnfläche ausgegangen werden. Der Wohnflächenbedarf der F von an sich 80 qm wird nach den tatsächlichen Verhältnissen um 8 qm, also 10 Prozent ihrer Bedarfsfläche, überschritten. Wenn auch keine sonstigen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Eigentumswohnung mit 88 qm für F unangemessen wäre, zählt sie noch zum sog. Schonvermögen und ist nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB vor einer Verwertung geschützt. Folglich ist F auch bei dieser Fallgestaltung durch den Sozialhilfeträger Grundsicherung im Alter als verlorener Zuschuss zu gewähren.
PRAXISHINWEIS | Ein erhöhter Wohnflächenbedarf kann aufgrund von § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII auch für behinderte, blinde oder pflegebedürftige Menschen anzuerkennen sein. Wenn F also beispielsweise geltend machen könnte, sie sei stark gehbehindert, ließe sich ggf. auch aus diesem Umstand ein überdurchschnittlicher Wohnbedarf (über 80 qm hinaus) herleiten. |
3. Abwandlung 2
F und M haben während ihrer Ehe mit Blick auf ihre beiden gemeinsamen Kinder eine 120 qm große Eigentumswohnung je zur ideellen Hälfte erworben. Nach dem Auszug der erwachsenen Kinder haben die Eheleute dort weiterhin gewohnt. F bleibt auch noch nach dem Umzug des M am 2.1.18 in ein Pflegeheim in der Wohnung allein wohnen und beantragt nun Grundsicherungsleistungen als verlorener Zuschuss. Frage: Mit welcher Erfolgsaussicht?
a) Kein geschütztes Vermögen
Bei dieser Fallvariante ist die Eigentumswohnung kein geschütztes Vermögen i. S. d. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII. Sie wird zwar noch von F bewohnt. Jedoch handelt es sich dabei offensichtlich nicht um eine nach sozialhilferechtlichen Maßstäben angemessene Eigentumswohnung i. S. d. Vorschrift. Da (nur noch) F in der Wohnung lebt, besteht für sie nach den oben dargestellten Maßstäben und Kriterien ein Wohnflächenbedarf von 80 qm. Dieser wird mit Blick auf die tatsächliche Wohnfläche von 120 qm um 40 qm, also um 50 Prozent der eigentlichen Bedarfsfläche der F, überschritten. Bei der Eigentumswohnung handelt es sich folglich nicht mehr um sog. Schonvermögen.
Eine nicht mehr angemessen Eigentumswohnung wird nicht durch § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII geschützt. Es handelt sich vielmehr um ein sonstiges Immobilienvermögen. Dieses ist grundsätzlich durch Vermietung, Beleihung gegen Gewährung eines Darlehens oder Verkauf uneingeschränkt als Vermögen für den notwendigen Lebensunterhalt der F einzusetzen.
b) Härtefall
Handelt es sich ‒ wie hier ‒ bei einem Gegenstand um verwertbares Vermögen, der nicht unter einen der Schontatbestände des § 90 Abs. 2 SGB XII fällt, ist in einem weiteren Schritt die Härtevorschrift des § 90 Abs. 3 SGB XII zu prüfen. Danach darf die Sozialhilfe auch dann nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, wenn dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Der Härtevorschrift des § 90 Abs. 3 SGB XII kommt dabei die Aufgabe zu, die Fälle zu erfassen, die wegen ihrer atypischen Ausgestaltung nicht bereits von den Regeltatbeständen des Schonvermögens erfasst werden, diesen jedoch in Bezug auf den Regelungszweck grundsätzlich gleichwertig sind. Folglich könnte die von F bewohnte Eigentumswohnung trotz ihrer unangemessenen Wohnflächengröße von 120 qm ausnahmsweise unter Härtegesichtspunkten Vermögensschutz genießen und als sog. Schonvermögen zu beurteilen sein.
Härtegründe, die gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII einem Einsatz oder einer Verwertung der Eigentumswohnung entgegenstehen könnten, werden allerdings weder von F geltend gemacht, noch sind solche zu erkennen.
MERKE | Für die Prüfung des Vorliegens einer Härte sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und daraufhin zu untersuchen, ob sie in ihrem Zusammenwirken eine bei anderen Hilfsbedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende, also atypische, schwere Belastung des Vermögensinhabers ergeben. |
Allein durch den Umstand als solchen, dass das langjährig bewohnte Familienheim für den notwendigen Lebensunterhalt der F zu verwerten ist, setzt sie keiner unbilligen Belastung aus. Sie hat es nämlich in der Hand, eine Veräußerung der Eigentumswohnung z. B. dadurch abzuwenden, dass sie zur Deckung ihres Lebensunterhalts ein dinglich zu sicherndes Darlehen in Anspruch nimmt. Hierbei spielt auch die Frage keine Rolle, ob F überhaupt eine realistische Chance hat, mit ihren geringen tatsächlichen Einkünften ein solches Darlehen auf dem privaten Finanzmarkt zu erhalten. Für die Übergangszeit muss F sich ferner auf eine Darlehensgewährung durch den Sozialhilfeträger nach § 91 SGB XII verweisen lassen.
Grundvoraussetzung für die Gewährung von Sozialhilfe durch ein Darlehen nach § 91 SGB XII ist, dass überhaupt Vermögen vorhanden ist, das nach § 90 SGB XII für den Bedarf der nachfragenden Person einzusetzen ist. Sofern vorhandenes Vermögen bereits nach § 90 Abs. 2 oder 3 SGB XII (wegen seines Charakters als sog. Schonvermögen) nicht einzusetzen ist, verbleibt für die Anwendung von § 91 SGB XII kein Raum. Die Gewährung von Sozialhilfe als Darlehen nach § 91 SGB XII ist auch dann ausgeschlossen, wenn weder die nachfragende Person noch eine andere einsatzpflichtige Person über verwertbares Vermögen verfügt. Weitere Voraussetzung für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen als Darlehen nach § 91 SGB XII ist:
- 1. Alternative: Die sofortige Verwertung oder der sofortige Verbrauch des grundsätzlich verwertbaren Vermögens ist nicht möglich oder
- 2. Alternative: Die sofortige Verwertung oder der sofortige Verbrauch würde für die einsatzpflichtige Person eine Härte bedeuten.
Ein tatsächlicher Ausschluss der sofortigen Verwertbarkeit kann insbesondere bei Immobilienvermögen regelmäßig angenommen werden. Denn dessen Verwertung ‒ sei es durch Verkauf, Vermietung oder durch Beleihung (Schuldaufnahme) ‒ nimmt regelmäßig längere Zeit in Anspruch. § 91 SGB XII dient gerade auch der Abwendung eines Verkaufs unter Zeitdruck oder zur Unzeit; es soll eine unwirtschaftliche Verwertung verhindert werden.
Da F im Zuge des Umzugs des M in ein Pflegeheim am 2.1.18 realistischerweise nicht die Möglichkeit zu einer sofortigen Vermögensverwertung zur Verfügung steht, um ihren aktuellen Bedarf zu decken, ist ihr die subsidiäre Sozialhilfe unter den weiteren Voraussetzungen des § 91 SGB XII als Darlehen zu gewähren. § 91 S. 2 SGB XII ermächtigt den Sozialhilfeträger dazu, die Leistungserbringung von der Sicherung des Anspruchs auf Rückzahlung abhängig zu machen. Beim Vorhandensein von Immobilienvermögen erfolgt dies im Regelfall durch Bestellung einer Grundschuld.
Da § 91 SGB XII für alle Leistungen nach dem SGB XII gilt, kann F die beantragte Grundsicherung im Alter gemäß § 43 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 91 SGB XII (für die Übergangszeit bis zur Verwertung der Eigentumswohnung) nur als Darlehen gewährt werden. Sobald das Verbrauchs- oder Verwertungshindernis wegfällt, ist der Vermögensgegenstand sofort zu verbrauchen oder zu verwerten. Damit entfallen zugleich die Voraussetzungen für eine weitere darlehensweise Leistungserbringung. Zudem steht der Verwertungserlös zur Tilgung des Darlehens zur Verfügung.
Sofern die Verwertung der Eigentumswohnung trotz entsprechender Bemühungen der F, die das Immobilienvermögen für ihren notwendigen Lebensunterhalt einzusetzen hat, länger dauert als zunächst angenommen, ist eine erneute Prognose des Sozialhilfeträgers über die Chancen und Dauer der anstehenden Verwertung erforderlich. Wenn sich dabei ergibt, dass die Verwertung der Eigentumswohnung in einem weiteren angemessenen Zeitraum zu erwarten ist, könnte die Darlehensgewährung für F verlängert werden.Nach überwiegender Auffassung ist das nach § 91 SGB XII vom Sozialhilfeträger zu gewährende Darlehen nicht zu verzinsen. Im Übrigen erfolgt die Bewilligung und Ausgestaltung des Darlehens regelmäßig durch Verwaltungsakt mit der Festlegung der Darlehensbedingungen als Nebenbestimmungen oder durch Vereinbarungen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags.
4. Zusammenfassendes Prüfungsschema
Für die Ermittlung des einzusetzenden (Immobilien-)Vermögens empfiehlt es sich, im Wesentlichen dem Aufbau des § 90 SGB XII zu folgen. Danach ergibt sich folgende Prüfungsreihenfolge:
Checkliste / So prüfen Sie den Einsatz von (Immobilien-)Vermögen |
|
MERKE | Der Umstand, dass vorhandenes Vermögen möglicherweise unter familienrechtlichen Gesichtspunkten geschützt ist, genügt nicht, um dieses auch als sozialhilferechtliches Schonvermögen zu beurteilen. Denn im Familienrecht (insbesondere im Unterhaltsrecht) kann ein vorhandener Vermögensgegenstand einen höheren („privilegierten“) Schutz genießen, während das Sozialhilferecht vom Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII beherrscht wird. |
Für den Praktiker sind Kenntnisse über den Regelungsgehalt und die Reichweite des § 90 SGB XII gerade auch deswegen von besonderer Bedeutung, weil § 115 Abs. 3 ZPO für die Bewilligung von PKH im gerichtlichen Verfahren hierauf Bezug nimmt und die Vorschrift für entsprechend anwendbar erklärt.
Weiterführender Hinweis
- Anmerkung der Redaktion: Die Anregung zu diesem Beitrag kam durch eine Leseranfrage. Sehr gerne können Sie uns Ihre Fragen zusenden. Wir versuchen sie dann in Beitragsform zu beantworten. Der Beitrag wird in der nächsten Ausgabe fortgesetzt.