Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Sozialhilferegress

Grundstücke als einzusetzendes Vermögen

von RA Markus Hagge, Nürnberg

| Die Kosten für die eigene Pflege, gerade in vollstationären Einrichtungen, können von den Betroffenen oft nicht finanziert werden. Dann ist der staatliche Sozialhilfeträger gefordert. Doch zunächst muss der Bedürftige im Grundsatz neben seinem Einkommen auch sein Vermögen einsetzen. Von besonderer praktischer Bedeutung sind dabei Grundstücke. |

1. Vermögenseinsatz von Grundstücken gemäß § 90 SGB XII

Ob Grundstücke und sonstige Vermögensbestandteile vorrangig einzusetzen sind, bestimmt sich nach § 90 SGB XII.

 

a) Grundsatz

Gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen, ehe Sozialhilfe gewährt wird. Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen.

 

Merke | Ein Grundstück ist verwertbar, wenn es in angemessener Zeit zur Bedarfsdeckung in Geld umgewandelt werden kann. Das kann durch Veräußerung, Vermietung, Verpachtung oder Bestellung sonstiger Rechte geschehen. Das Grundstück ist nicht verwertbar, wenn rechtliche oder tatsächliche Gründe der Verwertung entgegenstehen. So gibt es Grundstücke, die sich sehr schwer verkaufen oder anderweitig verwerten lassen, z.B. aufgrund von Altlasten oder einer ungünstigen Lage („Schrottimmobilien“).

 

PRAXISHINWEIS | Der Einwand, ein Grundstück sei wegen Mängeln überhaupt nicht verwertbar, wird ohne den Nachweis entsprechender Bemühungen, etwa zum Verkauf des Grundstücks, oft schwer zu führen sein. Der Sozialhilfeträger kann den Wert des Grundstücks schätzen lassen. Diese Möglichkeit besteht auch für den Mandanten, wobei die Kostenfrage im Voraus geklärt werden muss.

 

Ausnahmen von der grundsätzlichen Verpflichtung zum Einsatz des gesamten Vermögens sind die Schonvermögenstatbestände in § 90 Abs. 2 SGB XII und die Härteklausel in Abs. 3 SGB XII. Einige dieser Ausnahmen kommen für Grundstücke in Betracht.

 

b) Wohnzwecke für behinderte oder pflegebedürftige Menschen

§ 90 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII schützt Vermögen zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks, soweit dieses Wohnzwecken behinderter (§ 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII) oder pflegebedürftiger (§ 61 SGB XII) Menschen dient oder dienen soll, wenn dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde. Die entsprechende Verwendung des Vermögens ist nachzuweisen. Das Hausgrundstück muss i.S. des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII angemessen sein. Allerdings betrifft § 90 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII nicht speziell Grundstücke selbst als Schonvermögen.

 

c) Grundstücke als Erbstücke?

Die Sozialhilfe darf gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 6 SGB XII nicht vom Einsatz oder der Verwertung von Familien- und Erbstücken abhängig gemacht werden, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde. Diese Regelung könnte für Grundstücke gelten, zu denen die nachfragende Person eine besondere Beziehung hat. Nach einer aktuellen Entscheidung des BSG vom 9.1.15 (B 10 LW 1/14 LH) gelten Grundstücke aber gerade nicht als Familien- und Erbstücke i.S. des § 90 Abs. 2 Nr. 6 SGB XII. Erfasst sind nur Schmückstücke, Möbel, Kunstgegenstände etc.

 

d) Angemessenes Hausgrundstück

Die zentrale Vorschrift für Grundstücke als Schonvermögen ist § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII. Er schützt ein angemessenes Hausgrundstück, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in § 19 Abs. 1 bis 3 SGB XII genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und das nach dem Tod der Person von deren Angehörigen bewohnt werden soll. Der Schutz besteht nur insoweit, als das Wohngebäude auf dem Hausgrundstück von diesen Personen selbst bewohnt wird. Die Angemessenheit bestimmt sich gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8, 2. S. SGB XII nach

  • Bewohnerzahl,
  • Wohnbedarf,
  • Grundstücks- und Hausgröße,
  • Zuschnitt und Ausstattung des Wohngebäudes sowie
  • nach dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes.

 

Wichtig | All diese Kriterien sind maßgeblich. Wenn ein einzelnes Kriterium unangemessen ist, führt das also nicht automatisch zur Unangemessenheit des Hausgrundstücks (LSG NRW 5.5.14, L 20 SO 58/13).

 

Bewohnt werden können ein Haus, ein Reihenhaus, oder mehrere Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus auf dem betreffenden Grundstück. Hauptsache die Wohnverhältnisse sind angemessen. Ein Mehrfamilienhaus, das zum einzusetzenden Vermögen zählt und in dem nicht nur „geschützte“ Personen wohnen, ist aber an sich kein geschütztes Immobilienvermögen (OLG Koblenz 23.9.13, 13 WF 860/13).

 

PRAXISHINWEIS | In einem solchen Fall sollte vor der Verwertung Wohneigentum gebildet werden. Die Wohnungen, die von Personen i.S. des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII bewohnt werden, müssen dann nicht verwertet werden. Das gilt aber auch nur, wenn diese Wohnungen für sich allein genommen angemessen sind.

 

 

Checkliste / Angemessenheit der Wohnfläche laut BSG

Für vier Personen hält das BSG folgende Wohnflächen für angemessen:

  • Einfamilienhaus: 130 m2 
  • Eigentumswohnung: 120 m2.
  • Für jede Person weniger reduziert sich die Fläche um jeweils 20 m2.

Das BSG orientiert sich hier am früheren § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 II. WohnbauG (BSG 12.12.13, B 14 AS 90/12 R).

 

 

PRAXISHINWEIS | Dabei ist zu beachten, dass seit der Föderalismusreform 2006 die Bundesländer für die soziale Wohnraumförderung zuständig sind. Für geförderten Wohnraum kann es daher je nach Bundesland abweichende Grenzen bezüglich der Angemessenheit des Hausgrundstücks geben (OLG Hamm 15.5.12, II-2 WF 249/11, 2 WF 249/11).

 

Geschützt wird von § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII die Wohnung zur Erfüllung des „Grundbedürfnisses Wohnen“ als räumlicher Lebensmittelpunkt. Es muss also ein enger Wohnbezug vorliegen (BSG 20.9.12, B 8 SO 13/11 R). Feriendomizile gelten somit nicht als Schonvermögen.

 

Ein unbebautes Grundstück ist kein Schonvermögen, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII „eines angemessenen Hausgrundstücks, das (...) bewohnt wird“ ergibt (BSG 9.1.15, B 10 LW 1/14 LH).

 

Zum Schonvermögen kann auch ein Miteigentumsanteil an einem Hausgrundstück zählen.

 

e) Härteklausel

Mit der Härteklausel des § 90 Abs. 3 SGB XII sollen atypische Konstellationen angemessen berücksichtigt werden, die nicht von den Schonvermögenstatbeständen in § 90 Abs. 2 SGB XII erfasst werden. Entscheidend sind dabei die persönliche Situation und die soziale Stellung der nachfragenden Person im Einzelfall.

 

Merke | Bei Grundstücken kommt § 90 Abs. 3 SGB XII neben § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII keine große Bedeutung zu. Für einen Härtefall reicht es nach der Rechtsprechung nicht aus, wenn es sich bei einer verwertbaren Immobilie um das Elternhaus des Antragstellers handelt (LSG NRW 13.10.14, L 20 SO 20/13).

2. Verwertung von Grundstücken nach § 91 SGB XII

Auch wenn Vermögen einzusetzen ist, kann dessen sofortige Verwertung unmöglich oder unzumutbar sein. Eine sofortige Verwertung wird vom Gesetzgeber nicht gefordert. Es lässt sich in der Regel auch nicht vermeiden, dass die Verwertung eines Grundstücks eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Für solche Fälle gibt es § 91 S. 1 SGB XII. Die sofortige Verwertung ist nicht möglich, wenn ihr rechtliche oder tatsächliche Gründe entgegenstehen.

 

Wichtig | Für den maßgeblichen Zeitraum der fehlenden Verwertbarkeit ist eine Abgrenzung notwendig zwischen der nicht sofortigen Verwertung gemäß § 91 S. 1 SGB XII, und der generell fehlenden Verwertbarkeit, bei der schon gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII keine Verpflichtung zum Vermögenseinsatz besteht.

 

Falls die Verwertung eines Grundstücks zwar nicht sofort, wohl aber in absehbarer Zeit erfolgen kann, ist § 91 SGB XII einschlägig. Falls aber völlig ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt, nimmt das BSG eine generelle Unverwertbarkeit an (BSG 25.8.11, B 8 SO 19/10 R). Als solche Bedingung kommt etwa der Tod eines zum lebenslangen Nießbrauch Berechtigten in Betracht. Generelle Unverwertbarkeit wird vom BSG auch dann bejaht, wenn der Zeitpunkt der möglichen Verwertbarkeit außerhalb eines angemessenen Zeitrahmens liegt, in welchem noch der Einsatz bereiter Mittel angenommen werden kann.

 

§ 91 SGB XII enthält eine eigene Regelung für Härtefälle, in denen die sofortige Verwertung unzumutbar ist. Ein Härtefall i.S. des § 91 SGB XII liegt - im Unterschied zum Härtefall gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII - vor, wenn die Verwertung des Vermögens unwirtschaftlich wäre. Bei Grundstücken wird dies der Fall sein, wenn in absehbarer Zeit kein geeigneter Käufer, Mieter oder Pächter gefunden werden kann.

 

Unter den Voraussetzungen des § 91 S. 1 SGB XII wird Sozialhilfe im Regelfall als Darlehen gewährt. Zinsen können für das per Verwaltungsakt gewährte Darlehen nicht verlangt werden (BSG 27.5.14, B 8 SO 1/13 R). Die Soll-Vorschrift des § 91 S. 1 SGB XII räumt dem Sozialhilfeträger kein Ermessen dafür ein.

 

Der Sozialhilfeträger kann gemäß § 91 S. 2 SGB XII die darlehensweise Gewährung der Sozialhilfe davon abhängig machen, dass der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens dinglich oder anderweitig gesichert wird. Häufig wird dabei das betreffende, nicht sofort verwertbare Grundstück selbst belastet. Dies kann etwa durch eine Hypothek oder eine Grundschuld erfolgen. Falls sich die nachfragende Person weigert, die Sicherung zu akzeptieren, kann der Antrag auf Sozialhilfe abgelehnt werden.

 

FAZIT | Grundsätzlich müssen Grundstücke im Eigentum der nachfragenden Person eingesetzt werden, ehe Sozialhilfe gewährt wird, § 90 Abs. 1 SGB XII. Die wichtigste Ausnahme hierzu stellt der Schonvermögenstatbestand des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII dar, der ein angemessenes Hausgrundstück schützt, das von maßgeblichen Personen im Sinn dieser Vorschrift bewohnt werden muss.

 

Die Anforderungen an die Angemessenheit des Hausgrundstücks wurden durch die Rechtsprechung unter anderem hinsichtlich der Anwendung von Grenzwerten konkretisiert. Geschützt werden keine unbebauten Grundstücke oder Feriendomizile.

 

Die Pflicht zum Einsatz des Elternhauses sieht die Rechtsprechung nicht als Härtefall gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII. Falls nicht die generelle Verwertbarkeit, sondern nur die sofortige Verwertung des Grundstücks gemäß § 91 SGB S. 1 SGB XII unmöglich oder unzumutbar (bzw. unwirtschaftlich) ist, wird Sozialhilfe im Regelfall als Darlehen gewährt. Der Sozialhilfeträger kann seinen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens gemäß § 91 S. 2 SGB XII sichern lassen, etwa durch die dingliche Belastung des betreffenden Grundstücks selbst.

 

 

Weiterführende Hinweise

  • zu Strategien zum Schutz des Familienvermögens, SR 15, 75 (Teil 1)
  • zu Strategien zum Schutz des Familienvermögens, SR 15, 95 (Teil 2)
Quelle: Ausgabe 06 / 2015 | Seite 99 | ID 43419769