· Fachbeitrag · Anreize für Pflegepersonen
Flankierende Regeln zur Pflegepflichtversicherung: Pflegezeit und Absicherung von Pflegepersonen
| Der Gesetzgeber hat sich die Förderung der häuslichen Laienpflege ausdrücklich auf seine Fahnen geschrieben. Als Anreiz hat er für die pflegenden Angehörigen Absicherungen geschaffen. |
1. Familienpflegezeit und Pflegezeit
§ 44a SGB XI regelt zusätzliche Leistungen bei Pflegezeit. Erwerbstätige pflegende Angehörige werden durch Freistellungsregelungen unterstützt. Seit 2012 können sie ihre Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden wöchentlich für die Dauer von 2 Jahren verringern, um nahe Angehörige zu Haus zu pflegen. Das Familienpflegezeitgesetz ermöglicht bei Reduzierung der Arbeitszeit die teilweise Weiterzahlung der Bruttobezüge. Der Aufstockungsbetrag beträgt die Hälfte dessen, was an monatlichem Arbeitsentgelt durch die Familienpflegezeit wegfällt. Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Zahlung der Rentenversicherung sind sichergestellt. Der überschießende Betrag also der “Gehaltsvorschuss“ wird bei Rückkehr in den Betrieb solange verrechnet, bis das Vorschusskonto ausgeglichen ist. Der Arbeitnehmer muss allerdings eine Ausfallversicherung abschließen, um seine Ausfallrisiken abzusichern.
Beschäftigte, die nach § 3 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) von der Arbeitsleistung vollständig freigestellt werden oder deren Beschäftigung durch Reduzierung der Arbeitszeit zu einer geringfügigen Beschäftigung i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 1 des SGB IV wird, erhalten auf Antrag Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung. Pflegende Personen sind außerdem während der Pflegezeit nach Maßgabe des SGB III gegen Arbeitslosigkeit versichert.
Nach § 26 Abs. 2b SGB III sind Personen in der Zeit, in der sie eine Pflegezeit nach § 3 Abs. 1 S. 1 PflegeZG in Anspruch nehmen und eine pflegebedürftige Person pflegen, versicherungspflichtig, wenn sie unmittelbar vor der Pflegezeit versicherungspflichtig waren oder eine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt haben, die ein Versicherungspflichtverhältnis oder den Bezug einer laufenden Entgeltersatzleistung nach diesem Buch unterbrochen hat. Ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag können Personen begründen, die als Pflegeperson einen der Pflegestufe I bis III i.S. des SGB XI zugeordneten Angehörigen, der Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach dem SGB XI oder Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch oder gleichartige Leistungen nach anderen Vorschriften bezieht, wenigstens 14 Stunden wöchentlich pflegen. Parallele Regelungen kennt die private Pflegeversicherung in § 4 F MB/PPV.
2. Leistungen zur sozialen Sicherheit von Pflegepersonen
Das SGB XI sieht ferner für Pflegepersonen ausdrücklich Leistungen zur sozialen Sicherung vor. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a SGB VI sind Pflegepersonen pflichtversichert und erhalten für ihre Tätigkeit Beitragszeiten in der Rentenversicherung gutgeschrieben, wenn die Pflegeperson den Pflegebedürftigen i.S. des § 14 SGB XI nicht erwerbsmäßig, aber wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegt (§ 19 SGB XI). Pflege i.S. des SGB VI ist die Grundpflege i.S. des SGB XI - nicht die sonstige Betreuung und Versorgung (BSG 6.10.10, B 12 R 21/09R). Die Pflegeperson darf neben der Pflegetätigkeit nicht mehr als 30 Stunden pro Woche erwerbstätig sein. Die Höhe der geleisteten Beiträge richtet sich nach dem Durchschnittseinkommen aller Rentenversicherten und hängt vom zeitlichen Aufwand der Pflegetätigkeit in der jeweiligen Pflegestufe ab. Die Pflege eines Angehörigen führt danach zu Beitragszeiten (§ 55 SGB VI) und damit zur Erfüllung von Wartezeiten (§ 50 SGB VI) für eine eigene Rente. Das bedeutet, dass die versicherungspflichtige Pflege eines Elternteils dazu führen kann, dass man erst dadurch überhaupt einen Anspruch auf bestimmte Renten erhält oder sichert, weil Pflichtbeitragszeiten bzw. Wartezeiten in ausreichender Zahl begründet wurden.
Pflegende können außerdem nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII gesetzlich unfallversichert sein. Sie genießen - gegebenenfalls sogar im Ausland - Versicherungsschutz für Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege und, soweit diese Tätigkeiten überwiegend Pflegebedürftigen zugutekommen, für Pflegetätigkeiten in den Bereichen der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung. Sie müssen die Voraussetzungen des § 19 SGB XI bei der Pflege eines Pflegebedürftigen i.S. des § 14 des SGB XI erfüllen. Auch bei einer Pflegetätigkeit von weniger als 14 Stunden pro Woche besteht Versicherungsschutz (BSG 7.9.04, B 2 U 46/03 R). In der privaten Pflegeversicherung werden diese Leistungen nach § 4 E MB/PPV erbracht.
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Die Schwiegertochter pflegte ihre Schwiegermutter, die in ihrem Haushalt lebte. Diese hatte ein Konto, für das nur ihr Sohn eine Generalvollmacht hatte. Die Schwiegertochter erledigte mithilfe der EC-Karte ihrer Schwiegermutter deren Einkäufe und hob dazu Geld vom Konto ab, um Bareinkäufe erledigen zu können. Für andere Einkäufe bezahlte sie direkt mithilfe der EC-Karte.
Sie stürzte schwer auf einem nicht gestreuten Parkplatz, als sie dort ausstieg, um von dort aus zum Bankautomaten zu gehen und Geld für Einkäufe abzuholen. Das Bayerische LSG (27.3.13, L 2 U 516/11) bejahte eine gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII versicherte Tätigkeit und nahm einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII an. |
3. Befreiung von der Vollzeiterwerbsobliegenheit (Hartz IV)
Die Pflege von Angehörigen ist für Hartz-IV-Bezieher begünstigt. Die Pflicht zur Vollzeiterwerbsverpflichtung ist nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II reduziert oder entfällt, wenn die Arbeit mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar ist und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann. Die Beurteilung, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer wegen der Pflegetätigkeit keiner Beschäftigung nachgehen kann, erfolgt unter Berücksichtigung des Pflegeaufwands gemäß der Einstufungen der zu pflegenden Person nach Pflegebedürftigkeitsgraden in Anlehnung an die §§ 15 Abs. 1 und 3 SGB XI.
Grad der Pflegebedürftigkeit | zeitlicher Aufwand pro Tag/mindestens | davon Zeitaufwand für die Grundpflege | zumutbare Arbeitszeit |
Stufe / Beschreibung | |||
I / erheblich pflegebedürftig | 90 Minuten | mehr als 45 Minuten | In der Regel Vollzeit |
II / schwer pflegebedürftig | 3 Stunden | mindestens 2 Stunden | Bis zu 6 Stunden pro Tag |
III /schwerst pflegebedürftig | 5 Stunden | mindestens 4 Stunden | Arbeit nicht zumutbar |
4. Weiterleitung des Pflegegelds an Pflegende (§ 37 SGB XI)
Wenn Pflegebedürftige Pflegegeld beziehen und weiterleiten, gelten z.T. Begünstigungsregelungen, weil das Pflegegeld nicht für den Unterhalt des Pflegebedürftigen und seiner Familie im Allgemeinen bestimmt ist (BVerwGE 88, 90; 90, 219). Es soll den Pflegebedürftigen in den Stand setzen,
- vielfältige Aufwendungen ohne Einzelnachweis aufzufangen und
- durch darüber hinausgehende Zuwendungen Dank für geleistete und Erwartung künftiger Hilfe auszudrücken (BVerwGE 90, 220).
a) Berücksichtigung des Pflegegelds bei Unterhaltsansprüchen
Das nach § 37 Abs. 1 SGB XI gewährte und an die Pflegeperson weitergeleitete Pflegegeld bleibt nach § 13 Abs. 6 S. 1 SGB XI bei der Ermittlung von eigenen Unterhaltsansprüchen und Unterhaltsverpflichtungen der pflegenden Person grundsätzlich unberücksichtigt. Ausnahmen bestehen für den Fall der Verwirkung (BGH FamRZ 06, 1148) bei Trennungs-, Nachscheidungs- und Verwandtenunterhalt. Eine weitere Ausnahme gilt bei gesteigerter Unterhaltspflicht (§ 13 Abs. 6 S. 2 SGB XI) der pflegenden Person. Ist also noch Mindestunterhalt für ein unter dreijähriges Kind aufzubringen, muss die Pflegeperson somit auch das Pflegegeld mit verwenden. Eine Anrechnung erfolgt auch dann, wenn es um eigene Unterhaltsansprüche der Pflegeperson geht und von ihr erwartet werden kann, dass sie ihren Unterhaltsbedarf ganz oder teilweise durch eigene Einkünfte deckt.
b) Berücksichtigung des Pflegegeldes bei SGB II und SGB XII
Ist ein pflegendes Kind Empfänger von Leistungen nach dem SGB XII, soll das weitergeleitete Pflegegeld nicht angerechnet werden, „weil es nicht auf einer sittlichen Verpflichtung beruht, da auch bei Verwandten 1. Grades unter Berücksichtigung der allgemeinen Gepflogenheiten und der Verhältnisse des Einzelfalles nicht anzunehmen sei, dass sie sittlich zu persönlicher Pflege gehalten seien und seine Anrechnung eine besondere Härte darstelle, da eine Berücksichtigung mit der Absicht des Pflegbedürftigen und dem Zweck des Pflegegelds, die Pflegbereitschaft zu erhalten, nicht zu vereinbaren sei“ (Geiger in LPK-SGB XII, § 84 Rn. 17 m.w.N.).
Für Hartz-IV Bezieher nach SGB II bestimmt § 1 Nr. 4 der AlG II-VO ausdrücklich, dass die nicht steuerpflichtigen Einnahmen einer Pflegeperson für Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung kein Einkommen i.S. des SGB II darstellen. Sie mindern somit den Anspruch auf Hartz-IV Leistungen nicht.