· Fachbeitrag · Betreuungsanordnung
Betreuungsbedürftigkeit muss zwingend durch Sachverständigengutachten festgestellt werden
| Wieder einmal hat ein AG ‒ bestätigt durch das LG ‒ eine Betreuung angeordnet, ohne festgestellt zu haben, ob der Betroffene noch fähig ist, einen freien Willen zu bilden. Der BGH zeigt, wie Gerichte bei einer Betreuungs- anordnung Angaben in einem Sachverständigengutachten prüfen müssen. |
Sachverhalt
Der 66-jährige B leidet an Parkinson. Am 5.10.13 hatte er seinem Sohn S Vorsorgevollmacht mit umfassender Vertretungsbefugnis erteilt. Mitte 2014 schenkte er S 120.000 EUR. Anweisungsgemäß kaufte S davon ein Haus, in das B einzog. Das AG hat Anfang 2017 eine Betreuung eingerichtet und einen Berufsbetreuer bestellt. Dagegen haben B und S Beschwerde eingelegt, die das LG zurückgewiesen hat. Ihre Rechtsbeschwerde hat vor dem BGH Erfolg.
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Wird die Betreuung eines Volljährigen gegen dessen Willen angeordnet, so muss festgestellt werden, dass dem an einer psychischen Erkrankung leidenden Betroffenen die Fähigkeit fehlt, einen freien Willen zu bilden. Die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung müssen durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (Abruf-Nr. 197649). |
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung enthält zwei Aspekte: Zum notwendigen Inhalt eines Gutachtens zur Frage, wann trotz Vorsorgevollmacht ein Betreuer zu bestellen ist.
Freier Wille des Betroffenen
B war mit der Betreuung nicht einverstanden. Nach § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen eines Volljährigen kein Betreuer bestellt werden. In diesem Fall ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung auf einem freien Willen des Betroffenen beruht. Das Gericht muss daher feststellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist. Dies muss durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (BGH 16.3.16, XII ZB 455/15, Abruf-Nr. 185190).
Das Gutachten muss Art und Ausmaß der Erkrankung und wie sie sich auf die Fähigkeit zur freien Willensbildung auswirkt im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchungen und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen. Nur dann ist das Gericht in der Lage, das Gutachten zu überprüfen und sich eine eigene Meinung von der Richtigkeit der darin gezogenen Schlussfolgerungen zu bilden (BGH 15.2.17, XII ZB 510/16, Abruf-Nr. 194472).
Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Er enthält keinerlei Feststellungen zur Fähigkeit des Betroffenen, seinen Willen frei zu bilden. Die Ausführungen im dazu eingeholten Sachverständigengutachten reichen nicht aus. Der Senat konnte in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann. Daher war die Sache zurück zu verweisen.
Betreuerbestellung trotz Vorsorgevollmacht
Das LG hielt eine Betreuung trotz bestehender Vorsorgevollmacht gemäß § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB für erforderlich. Es lägen gewichtige Anhaltspunkte vor, dass S die Vorsorgevollmacht nicht zum Wohle des B eingesetzt habe. Die Annahme des hohen Schenkungsbetrags durch S sei angesichts der gesundheitlichen Situation des B nicht an dessen Wohl orientiert. Schon zum Zeitpunkt der Annahme der Schenkung sei nicht gesichert gewesen, wie lange B noch in einem Privathaus leben könne. Für die künftige Unterbringung in einem Pflegeheim würden erhebliche finanzielle Mittel benötigt, die dem Betroffenen aufgrund der Schenkung fehlten. Auch fehle es an jeder rechtlichen Absicherung des B. Die Eintragung eines Wohnrechts oder Nießbrauchs zu seinen Gunsten sei nicht erfolgt. Deshalb trage er auch das Insolvenz- und Todesfallrisiko des S.
Dem ist der BGH nicht gefolgt. Anhaltspunkte dafür, dass S seine Vollmacht entgegen dem Wohle des B eingesetzt habe, könnten aus dem Schenkungsgeschäft allenfalls hergeleitet werden, wenn dieses mittels der Vorsorgevollmacht abgeschlossen oder vollzogen worden wäre. Dies ist indessen bisher nicht festgestellt worden. Vielmehr hat B in seiner Anhörung bestätigt, die Geldsumme für den angegebenen Zweck selbst zur Verfügung gestellt zu haben.
Relevanz für die Praxis
Für den Anwalt eines von Betreuung Betroffenen bedeutet die Entscheidung, dass er genau prüfen muss, ob das eingeholte Sachverständigengutachten auch die Entscheidung des Gerichts trägt. Die bloße Aussage im Gutachten mitgeteilt, der Betroffenen habe keine Fähigkeit zur freien Willensbildung, genügt dafür nicht. Angriffspunkte sind dabei:
- Die Aussage steht für sich, ist jedoch nicht näher begründet.
- Die Aussage steht im Widerspruch zur vom Gutachter vorgenommenen diagnostischen Einordnung. Hier konnte der Gutachter hinsichtlich des kognitiven Leistungsvermögens keine abschließende Einschätzung zur Frage einer zwischenzeitlichen Verschlechterung im Vergleich zu seiner Voruntersuchung in 2012 machen. Grund: Eine weitere Untersuchung konnte nicht erfolgen, da der Betroffene nicht angetroffen worden ist.
- Das Gutachten setzt sich nicht mit der Vorgeschichte, insbesondere früheren Gutachten auseinander. In 2012 gelangte der Gutachter noch zu dem Ergebnis, dass die freie Willensbildung bei dem Betroffenen nicht eingeschränkt sei, und dass eine krankheitsbedingte Willensbeeinträchtigung nicht festgestellt werden könne.