· Fachbeitrag · Betreuungsrecht
Vorsorgevollmacht und Geschäftsfähigkeit
von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA FamR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen
| Wann ist eine Vorsorgevollmacht wegen Geschäftsunfähigkeit unwirksam und was ist bei der Prüfung der Geschäftsfähigkeit eines Betroffenen zu beachten? Diese Fragen hat der BGH nun geklärt und dabei aufgezeigt, dass der Tatrichter auch die Feststellungen eines Sachverständigen hierzu kritisch prüfen muss. |
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer gerichtlichen Betreuungsanordnung für den Betroffenen. Der Betroffene leidet an einer kognitiven Störung im Rahmen einer vaskulären Enzephalopathie bei ausgedehnter cerebraler Mikroangiographie. Am 30.9.15 erteilte er der Beteiligten zu 3 eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht, die er am 15.1.18 widerrief. Am 9.3.18 erteilte der Betroffene seinem Sohn, dem Beteiligten zu 2, eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht.
Auf Anregung der Beteiligten zu 3 hat das AG im März 2018 ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung und der persönlichen Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 1 zum Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie Widerruf der den Kindern des Betroffenen erteilten Vollmachten bestellt. Zudem hat es einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet.
Gegen diese Entscheidung haben der Betroffene und auch die Beteiligte zu 3 Beschwerde eingelegt. Der Betreute begehrte die Aufhebung der Betreuung. Die Beteiligte zu 3 wollte sodann selbst zur Betreuerin bestellt werden. Das Landgericht hat ein ergänzendes Gutachten der Sachverständigen eingeholt. Es hat die Notare, die die Vollmachten beurkundet haben, sowie die Hausärztin des Betroffenen als Zeugen vernommen. Nach erneuter Anhörung des Betroffenen hat es die Betreuung ersatzlos aufgehoben.
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(Abruf-Nr. 217838) |
Entscheidungsgründe
Die gegen das Berufungsurteil durch die Beteiligte zu 3 eingelegte Rechtsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Das LG sei in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die von dem Betroffenen zugunsten des Beteiligten zu 2 erteilte General- und Vorsorgevollmacht vom 9.3.18 wirksam ist. Es konnte nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig war.
MERKE | Nach § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB dürfte ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehle es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Erteilung der Vollmacht unwirksam war, weil der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig war, stehe die erteilte Vollmacht einer Betreuerbestellung nur dann nicht entgegen, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht positiv festgestellt werden kann. |
Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung geschäftsunfähig war, entscheidet grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Bedient sich der Tatrichter jedoch sachverständiger Hilfe, müsse er das Gutachten sorgfältig und kritisch überprüfen. Will das Gericht einem Gutachten nicht folgen, müsse es seine abweichende Überzeugung dahingehend begründen, dass die Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist.
Beachten Sie | Vorliegend hat die Sachverständige bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nach der Komplexität des Geschäfts differenziert. Die Geschäftsunfähigkeit ist indes kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff. Für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit ist indes nicht primär die Fähigkeiten des Verstands des Betroffenen ausschlaggebend, sondern die Freiheit des Willensentschlusses.
Es komme nach Ansicht des BGH darauf an, ob eine freie Entscheidung aufgrund einer Abwägung des Für und Wider der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich sei. Oder ob von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden könne, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliege oder die Willensbildung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ausgelöst würden. Zwar könne eine sonst bestehende Geschäftsfähigkeit für einen gegenständlich beschränkten Kreis von Angelegenheiten ausgeschlossen sein (sogenannte partielle Geschäftsunfähigkeit). Das sei der Fall, wenn es der betreffenden Person infolge einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht möglich ist, in diesem Lebensbereich ihren Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Störung zu bilden oder nach einer zutreffend gewonnenen Einsicht zu handeln, während das für andere Lebensbereiche nicht zutrifft. Eine pauschale Differenzierung nach einfachen und schwierigen Geschäften kenne das Gesetz indes nicht.
Nach den getroffenen Feststellungen bestanden auch keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Bevollmächtigung, die eine Bestellung eines Betreuers erforderlich gemacht hätten.
Relevanz für die Praxis
Wurde eine wirksame Bevollmächtigung vorgenommen, ist eine Betreuung nicht erforderlich. Darin liegt ja gerade der Sinn der Vollmachtserteilung. Wenn eine tatrichterliche Feststellung zum Vorhandensein einer wirksamen General- und Vorsorgevollmacht getroffen wird, bleibt für die Bestellung eines Betreuers kein Raum.
Fraglich ist jedoch oftmals die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung. War der Vollmachtgeber im Zeitpunkt der Erteilung geschäftsunfähig nach § 104 BGB, ist die Vollmacht unwirksam. Liegt eine notarielle Urkunde vor, spricht zunächst die Einschätzung des beurkundenden Notars für die Geschäftsfähigkeit. Bestehen indes begründete Anhaltspunkte etwa aufgrund vorhandener Krankheitsbilder für eine (zeitweise) Geschäftsunfähigkeit, wird das Betreuungsgericht sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen müssen, um die Streitfrage aufzuklären.
Der Zwölfte Senat verdeutlicht mit dem vorliegenden Beschluss indes sehr anschaulich, dass sich die Tatsachengerichte umfassend mit eingeholten Sachverständigengutachten auseinandersetzen müssen. Hier hatte die Sachverständige ihren Ausführungen eine Auslegung der Geschäftsunfähigkeit zugrunde gelegt, die mit dem Rechtsbegriff nicht vereinbar war. So etwas wie eine Geschäftsunfähigkeit für schwierige Dinge gibt es schlicht nicht. Hierzu hat der BGH klare Worte gefunden.
PRAXISTIPP | Verbleiben im Ergebnis lediglich Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers, liegt gerade keine Geschäftsunfähigkeit vor. Diese muss positiv festgestellt werden. Das Gesetz geht in den §§ 104 ff. BGB grundsätzlich von der Geschäftsfähigkeit eines Volljährigen aus. Soll etwas anderes gelten, muss dies von den Tatsachengerichten im Einzelfall ggf. unter Bezugnahme auf sachverständige Ausführungen auch so festgestellt werden. Klar ist jedoch: Für die rechtliche Bewertung ist das Gericht zuständig ‒ und nicht der Sachverständige. |