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· Fachbeitrag · Patientenrechtegesetz

Recht auf Einsicht in Krankenakten ist vererblich

von RA Ernst Sarres, FA Erbrecht und FA Familienrecht, Düsseldorf

| Die §§ 630‒630h BGB regeln den Behandlungsvertrag zwischen dem Patienten und seinen Vertragspartnern aus (nicht-)ärztlichen Heilberufen. Sie sind unter dem Titel „Patientenrechtegesetz“ (PatientenRG 20.2.13, BGBl I 277) ein eigenständiger Teil des BGB. Der Beitrag erläutert Grundlagen und Fragen zur Vererblichkeit von Patientenrechten bei medizinischer (Heil-)Behandlung, deren Durchsetzung im Erblasser-Interesse liegt. |

1. Der Behandlungsvertrag

Gem. § 630a BGB erhalten die oft konkludent entstehenden Vertragsbeziehungen zwischen dem Patienten und einem Behandler, wie einem Arzt oder durch Vertreter von nicht ärztlichen Berufen, wie z. B. dem Psychologen, der Hebamme oder dem Masseur, durch das PatientRG eine gesetzliche Grundlage. Die Bezeichnung „Arzt“ repräsentiert im Folgenden auch alle anderen vom Gesetz erfassten Behandler. Das Gesetz soll zur Selbstbestimmung und Transparenz im Patienten-Arzt-Verhältnis beitragen. Während der Arzt als eine Hauptleistungspflicht die Behandlung nach dem jeweiligen medizinischen Standard schuldet, ist der Patient (Kostenträger) verpflichtet, die vereinbarte Vergütung zu zahlen. Dem Behandlungsverhältnis liegt ein Dienstvertrag zugrunde, § 630b BGB. Der Arzt schuldet demnach keinen Behandlungs- oder Heilungserfolg. Die Vertragsparteien sollen gem. § 630c BGB zusammenwirken, wobei der Arzt die Erläuterungen von Diagnose und möglichem Behandlungsverlauf schuldet und über Therapien informieren muss. Vor Aufnahme medizinischer Maßnahmen muss er die Einwilligung des Patienten einholen, § 630d BGB.

2. Besondere Aufklärungspflichten des Arztes

Der Gesetzgeber hat in § 630e Abs. 1 bis 5 BGB zusätzliche Aufklärungspflichten des Arztes bestimmt. Diese umfassen Art, Umfang, Durchführung, Folgen, Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, ebenso Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose und die Therapie. Außerdem sind Art und Weise sowie Umfang der Aufklärung vorgegeben. Diese kann mündlich oder durch Bezug auf Unterlagen erfolgen.

3. Dokumentationspflichten des Arztes

Der Arzt muss eine Patientenakte führen, die die Behandlungen und Maßnahmen i. w. S. widerspiegeln müssen, § 630f BGB. Die Aufbewahrungsfrist beträgt zehn Jahre. Sie beginnt nach Abschluss der Behandlung. Zu den Aufzeichnungspflichten gehören u. a.: Anamnesen, Diagnosen, Untersuchungen und deren Ergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen sowie Patientenbriefe. Bei Krankenhausärzten sind u. a. OP-Bericht, Krankenblatt, Narkoseprotokoll, Medikation, Name des operierenden Arztes, eigenwilliges Verlassen des Krankenhauses zu dokumentieren (Palandt/Weidenkaff, BGB, 77. Aufl., § 630f Rn. 2 f.).

4. Mitwirkung des Patienten

Aufgrund der Einwilligungspflicht in etwaige medizinische Maßnahmen muss der Patient dem Arzt seine Beschwerden, Anliegen und die bisherige Behandlungsbiografie schildern. Gem. § 630c Abs. 1 BGB hat der Patient aber nur eine ihm dienende Mitwirkungsobliegenheit (Soll-Vorschrift), ihn trifft aber mit geringen Anforderungen die Beweislast für einen Arztfehler, § 630h BGB. Einen eigenständigen Pflichtenkatalog des Patienten gegenüber dem Arzt sieht die Neuregelung nicht vor („Compliance“, Palandt/Weidenkaff, a.a.O., § 630c Rn. 2 BGB).

 

PRAXISTIPP | Trotz der Aufklärungs- und Informationspflichten durch den Arzt wegen seiner medizinischen Überlegenheit sind die Vertragspflichten des Patienten in der Gesamtschau vergleichsweise gering. Hieraus erklären sich auch die umfangreichen Befragungen und Dokumentationen durch den Arzt oder seiner Vertreter vor Beginn einer medizinischen Beratung oder Behandlung. Der Arzt sorgt so für die notwendige Mitwirkung des Patienten, um den Behandlungsvertrag zu erfüllen, die das PatientenRG nicht ausführlich genug kodifiziert hat.

 

5. Akteneinsichtsrechte des Patienten

Zu Lebzeiten kann der Patient nach § 630g BGB auf seine Kostenunverzüglich Einsicht in seine Patientenakte nehmen. Dem können nur erhebliche therapeutische Gründe oder erhebliche Rechte Dritter entgegengehalten werden, z. B. soll das Einsichtsrecht bei Selbstgefährdung verwehrt werden können. Rechte Dritter können betroffen sein, wenn die ärztlichen Aufzeichnungen Beziehungen des Patienten zu seinem familiären Umfeld aufweisen.

6. Vererblichkeit der Akteneinsichtsrechte

§ 630g BGB sieht Regelungen vor, die auch aus der Rechtsprechung resultieren. Beim Erbfall können die Erben daher die Einsicht in die Krankenakten geltend machen, wenn es darum geht, vermögensrechtliche Interessen zu verfolgen. Hierbei ist i. d. R. auf den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen abzustellen, da Erklärungen des Patienten zum postmortalen Akteneinsichtsrecht i. d. R. fehlen. Dies zeigen folgende Beispiele:

 

Bei einem Pflichtteilsstreit ging es darum, ob einem Kind wegen der Pflege der Verstorbenen ein Ausgleichsanspruch zustehen könne. Wegen der notwendigen Aufklärung des medizinischen Hintergrunds versagte das Gericht dem Arzt der Verstorbenen ein Aussageverweigerungsrecht, auf das sich der Mediziner wegen der an sich auch postmortal fortgeltenden ärztlichen Schweigepflicht berufen hatte. Es habe hier dem mutmaßlichen Willen der Erblasserin entsprochen, diese Frage aufzuklären. Sie hätte mutmaßlich mit der Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht das Erforderliche getan, damit Feststellungen zum Ausgleichsanspruch für eines der Kinder hätten getroffen werden können.

 

Hier bejahte das Gericht zugunsten des Erben ein Einsichtsrecht, weil Ansprüche gegen den behandelnden Arzt wegen eines angeblichen Behandlungsfehlers verfolgt werden sollten. Es sei davon auszugehen, dass der verstorbene Patient wegen der Klärung solcher Vermögensinteressen nicht auf Geheimhaltung bestanden hätte.

 

7. Ausschluss der Vererblichkeit des Akteneinsichtsrechts?

Entsprechend § 630g Abs. 3 BGB soll der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten über das postmortale Einsichtsrecht in seine Krankenunterlagen entscheiden. Demzufolge könnte der Erblasser zu seinen Lebzeiten wie folgt wesentliche Vorentscheidungen zur Geltung der postmortalen ärztlichen Schweigepflicht treffen. Die Einsicht in seine Krankenunterlagen durch die Erben bzw. Angehörigen

  • soll vollständig unterbleiben.
  • wird ihnen ausschließlich gestattet, um Vermögensinteressen zu verfolgen.
  • wird auf die Behandlungen von einem bestimmten Arzt oder auf medizinische Maßnahmen beschränkt.

8. Formulierungsvorschläge

Da die Rechtsprechung aufgrund des mutmaßlichen Willens des Erblassers postmortale Angaben aus ärztlichen Unterlagen im Zweifel bejaht, sollte der Erblasser seinen gegenteiligen Willen schon rechtzeitig und eindeutig formulieren. Dies kann in einer gesonderten schriftlichen Erklärung geschehen. Sachgerecht erscheint auch eine entsprechende Klausel in der Patientenverfügung oder eine entsprechende Klausel in der Vorsorgevollmacht oder in der letztwilligen Verfügung.

 

Musterformulierung / Beispiel einer Patientenerklärung

Meinen Erben und Angehörigen gestatte ich keinerlei der gem. § 630g Abs. 3 BGB möglichen Rechte zur Einsicht in meine Patientenakten oder sonstige Krankenunterlagen. Dieser Ausschluss von Akteneinsichtsrechten gilt für alle verfügbaren Patientenakten sämtlicher Ärzte, die mich behandelt haben. Hiervon erfasst sind auch sonstige verfügbare Krankenunterlagen. Dieser Ausschluss erfasst Ansprüche jeder Art, die postmortal von meinen Erben oder Angehörigen geltend gemacht werden könnten.

 

Weiterführende Hinweise

  • Müller, Das Akteneinsichtsrecht des Patienten nach dem Patientenrechtegesetz und seine postmortale Wahrnehmung durch Dritte, ZEV 14, 401
  • Wenzel/FA-MedizinR/Bernsmann/Geilen, 3. Aufl., Rn. 600 ff.
Quelle: Ausgabe 10 / 2018 | Seite 178 | ID 45513293