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· Fachbeitrag · Pflegegeld

Wohngruppenzuschlag darf nicht auf Pflegesachleistung angerechnet werden

Auf die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII darf der Zuschlag nach § 38a SGB XI (Wohngruppenzuschlag) - hier in Höhe von monatlich 200 EUR - nicht zulasten des Betroffenen angerechnet werden(SG Halle 6.3.14, S 24 SO 223/13 ER, Abruf-Nr. 141990).

 

Sachverhalt

Der Antragsteller ist schwerbehindert mit einem Grad von 100. Er lebt zusammen mit sechs anderen behinderten Menschen zur Miete in einer Wohngemeinschaft und besucht wochentags täglich acht Stunden eine Werkstatt für behinderte Menschen. Alle Bewohner der Wohngemeinschaft werden durch einen Pflegedienst betreut, der täglich 18 bis 20 Stunden anwesend ist. Die Wohngemeinschaft wird weiterhin vom einem Verein betreut. Ein Mitarbeiter des Vereins ist wöchentlich insgesamt 10 Stunden in der Wohngemeinschaft anwesend. Der Antragsteller vereinbarte mit dem Verein ein Angebot „Selbst organisiertes Wohnen“. In diesem Rahmen verpflichtete sich der Verein, die Inanspruchnahme des Pflegedienstes und alle weiteren vom Antragsteller in Anspruch genommenen Dienste zu koordinieren und die Betreuung in der Wohngemeinschaft sicherzustellen. Vereinbart wurde eine Vergütung von monatlich 200 EUR. Der Pflegedienst rechnete die von ihm erbrachte Leistung direkt mit dem Antragsgegner ab. Der Antragsgegner erstattete dem Pflegedienst die Rechnung über die erbrachte Pflegesachleistung unter Abzug von 200 EUR monatlich. Der Pflegedienst stellte dem Antragsteller jeweils den Restbetrag in Höhe von monatlich 200 EUR in Rechnung.

 

Die Pflegekasse stellte die Pflegestufe I fest und gewährt dem Antragsteller ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 665 EUR sowie einen wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI in Höhe von monatlich 200 EUR.

 

Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller Leistungen der Hilfe zur Pflege und zwar Sachleistungen nach § 65 Abs. 1 S. 2 SGB XII zur Deckung des grundpflegerischen sowie hauswirtschaftlichen Bedarfs für die Inanspruchnahme einer besonderen Pflegekraft insoweit, als der Pflegebedarf nicht bereits durch Leistungen der Gesetzlichen Pflegeversicherung abgedeckt ist. Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, dass die Leistung der Pflegekasse nach § 38a SGB XI sei vom Pflegedienst bei der Abrechnung gegenüber dem Antragsgegner in Abzug zu bringen.

 

Entscheidungsgründe

Das SG Halle stellt klar: Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Gewährung von ungekürzten Sachleistungen der Hilfe zur Pflege. Die Hilfe zur Pflege umfasst die vom Antragsteller in Anspruch genommene häusliche Pflege durch eine professionelle Pflegekraft. Der Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI ist weder nach § 66 Abs. 4 S. 1 SGB XII, noch nach § 2 Abs. 1 SGB XII auf die Pflegesachleistung nach § 65 Abs. 1 S. 1 SGB XII anzurechnen. Die Geldleistung nach § 38a SGB XI dient nach der Gesetzesbegründung der Finanzierung einer in der Wohngruppe erforderlichen Präsenzkraft, die verwaltende Tätigkeiten wahrnimmt. Der Zuschlag kann auch dafür verwendet werden, dass eine Pflegekraft dafür entlohnt wird, dass sie neben der über die Sachleistung bereits finanzierten Pflege- und Betreuungstätigkeit verwaltende Tätigkeiten in der Wohngruppe übernimmt (BT-Drucksache 17/9369, 41).

 

Bei der Gewährung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI handelt es sich nicht um eine zweckentsprechende Leistung nach anderen Rechtsvorschriften, die es rechtfertigen würde, die Pflegesachleistung nach § 66 Abs. 4 S. 1 SGB XII zu kürzen. Die Präsenzkraft erbringt keine pflegerischen Tätigkeiten, die der Pflegedienst für eine erbrachte Leistung abrechnen könnte. Die verwaltende Tätigkeit wird im Fall des Antragstellers nicht durch den Pflegedienst, sondern von einem Mitarbeiter des Vereins erbracht. Es ist zwar möglich, dass die verwaltenden Tätigkeiten in der Wohngruppe durch Pflegekräfte erbracht werden. Im Fall des Antragstellers ist dies jedoch nicht so. Der beauftragte Pflegedienst erbringt keine verwaltenden koordinativen Tätigkeiten für die Wohngruppe. Wenn der Antragsgegner dennoch die Rechnungen des Pflegediensts um den Wohngruppenzuschlag kürzt, wird ein Teil der vom Pflegedienst erbrachten Leistung tatsächlich nicht vergütet. Dafür gibt es keine Grundlage. Es ist nicht Sache des Antragsgegners, darüber zu entscheiden, wer die erforderlichen verwaltenden Tätigkeiten für die Wohngruppe erbringt. Die Bewohner der Wohngruppe haben sich dafür entschieden, die erforderlichen verwaltenden Tätigkeiten nicht mit vom Pflegedienst erbringen zu lassen, sondern durch einen Dritten. Diese Vorgehensweise entspricht dem Selbstbestimmungsrecht des betroffenen behinderten Menschen und dem Zweck des neu geschaffenen § 38a SGB XI.

 

Auch eine Anrechnung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI auf die Pflegesachleistung nach § 2 Abs. 1 SGB XII scheidet aus. Eine Kürzung des Sachleistungsanspruchs auf häusliche Pflege durch eine besondere Pflegekraft um den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI setzt voraus, dass der Antragsteller die Pflegesachleistung im gekürzten Umfang bereits durch einen anderen erhält und daher der Nachrang der Sozialhilfe eingreift. Dies ist nicht der Fall. Die Pflegesachleistung wird in vollem Umfang durch den beauftragten Pflegedienst erbracht. Dabei handelt es sich um Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung. Diese Leistung erbringt die Präsenzkraft nicht. Die Präsenzkraft übernimmt zusätzliche Aufgaben, die erst durch diese besondere Wohnform entstehen.

 

Praxishinweis

Über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit bestand im vorliegenden Fall - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - kein Streit mehr. In der Praxis ist dies aber oft der entscheidende Streitpunkt. Hierzu muss ausführlich vorgetragen und begründet werden.

 

Weiterführende Hinweise

  • Zu Wohnformen im Alter, Horst, Entscheidungsfindung und Grundlagen, SR 14, 103
  • Zu häuslicher Laienpflege, Schrehardt, Spagat zwischen Wunschvorstellung und Alltagsrealität, SR 14, 30
Quelle: Ausgabe 07 / 2014 | Seite 110 | ID 42772458