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· Fachbeitrag · Vermögen

Flankierende Regeln zur Pflegepflichtversicherung: Begünstigung im Sozialhilfe- und Erbrecht

| Pflegende werden auch an anderen Stellen begünstigt. So im Sozialhilferecht und im Erbrecht. |

1. Begünstigung beim Schonvermögen

§ 90 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII und § 12 Abs. 3 Nr. 5 SGB II qualifiziert Vermögen zu nicht angreifbarem Schonvermögen des Sozialhilfebedürftigen, wenn das Vermögen nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks von angemessener Größe bestimmt ist, soweit dies zu Wohnzwecken pflegebedürftiger Menschen dient oder dienen soll und dieser Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde. Auch im Rahmen der Härtefallprüfung können Pflegeaspekte eine Rolle spielen. Nach § 90 Abs. 3 SGB XII und § 12 Abs. 2 Nr. 6 SGB II darf die Gewährung von Sozialhilfe nicht von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, wenn es für den Vermögensinhaber oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte, bzw. eine besondere Härte wäre.

 

  • Beispiel

Das SG Aurich hat entschieden, dass die Verwertung eines Grundstücks, dessen Übertragung mit einer Pflegeverpflichtung gekoppelt war, eine Härte für den hilfebedürftigen Sohn darstellt, da ihm damit seine - noch nicht angefallenen - Versorgungsverpflichtungen unmöglich gemacht würden (SG Aurich 23.4.11, S 15 AS 91/09; A 15 AS 342/09.)

 

2. Begünstigung in der sozialrechtlichen Erbenhaftung

Pflegebedürftige beziehen manchmal Sozialhilfe trotz vorhandenen Vermögens, weil dieses Vermögen Schonvermögen i.S. des SGB XII oder des SGB II ist. Sozialhilferechtlich sind diese Menschen bedürftig. Zumeist handelt es sich um Fälle des selbstbewohnten Hausgrundstücks oder des geschonten Vermögens i.S. des SGB II. Erben von pflegebedürftigen Sozialhilfeempfängern oder Hartz IV-Beziehern sehen sich nach deren Tod dann der sog. sozialrechtlichen Erbenhaftung (Kostenersatz für empfangene Sozialleistungen) ausgesetzt. Nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII und § 35 Abs. 2 Nr. 1 SGB II werden erbende Ehegatten, Lebenspartner oder Verwandte, die gepflegt haben, bei der Inanspruchnahme begünstigt. Sie dürfen Teile der Erbschaft behalten (Grenzwert rd. 15.000 EUR), wenn sie mit einem verstorbenen Elternteil nicht nur vorübergehend in häuslicher Gemeinschaft gelebt und diesen gepflegt haben.

 

Dazu ist keine Haushaltsgemeinschaft erforderlich; ein gemeinschaftliches Leben in einem Haus reicht aus. Die Rechtsprechung hat diese Begünstigung noch erweitert und auf die häusliche Gemeinschaft im Einzelfall verzichtet, wenn die Pflegeperson stattdessen zusätzliche Strapazen auf sich genommen hat, die mit der Entfernung zwischen Pflegeort und ihrem Aufenthaltsort verbunden waren (Hessischer VGH 26.11.98, 1 UE 1276/95). Dann kann die Inanspruchnahme ohne einen Begünstigungsbetrag für die Pflege eine Härte bedeuten. Die Pflege muss dabei lediglich so umfangreich gewesen sein, dass die Voraussetzungen des § 61 SGB XII vorlagen.

3. Erbrechtliche Ausgleichung (§ 2057a BGB)

Auch das Zivilrecht kennt Begünstigungsregeln für Pflege. Allerdings ist § 2057a BGB eine Regelung mit vielen Einschränkungen, sodass er in der Praxis selten zur Geltung kommt.

 

a) Regelung

§ 2057a Abs. 1 S. 2 BGB gibt dem Abkömmling, der einen Erblasser während längerer Zeit gepflegt hat, das Recht, bei der Erbauseinandersetzung (§§ 2042 ff. BGB) der Abkömmlinge über den Nachlass eine Ausgleichung zu verlangen. Der Pflegebegriff des § 2057a BGB ist zivilrechtlich zu interpretieren, kann also unterhalb der Pflege nach der Pflegestufe 1 liegen. Die Pflege muss in Art und Umfang eine vergleichbare Sonderleistung wie die anderer Ausgleichungstatbestände darstellen. Zwar kann schon eine Pflegedauer von einem Monat die Ausgleichung rechtfertigen, aber sie muss dann deutlich von einer üblichen Leistung abgrenzbar sein.

 

Das Recht zur Ausgleichung nach § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB ist sowohl aktiv wie auch passiv an den Erbteil des ausgleichungsberechtigten gesetzlichen Erben gebunden. Es kann mit dem Erbteil vererbt oder gemäß § 2372, 2376 BGB übertragen werden.

 

b) Anwendbarkeit

Eine familienrechtlich nach §§ 1601 ff. BGB geschuldete Leistung soll nicht ausgleichungsfähig sein (Paetel, Die erbrechtliche Ausgleichung von Pflege-leistungen und anderen Sonderleistungen, Diss. Hamburg 2008, 216). § 2057a BGB ist auch sonst nur für eine begrenzte Anzahl von Fällen überhaupt anwendbar:

 

  • § 2057a BGB ist grundsätzlich nur für Abkömmlinge anwendbar, die als gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen oder auf dasjenige eingesetzt sind, was sie als gesetzliche Erben erhalten würden. Im Falle letztwilliger Verfügungen durch den Erblasser kommt eine Ausgleichung nur dann in Betracht, wenn die Erbteile so bestimmt sind, dass sie zueinander in demselben Verhältnis stehen wie gesetzliche Erbteile.

 

  • § 2057a BGB verschafft keinen selbständigen Zahlungsanspruch, sondern beinhaltet lediglich das Recht auf Einhaltung eines bestimmten Verteilungsverfahrens nach § 2042 BGB

 

  • Durch die Ausgleichung erfolgt auch keine Erhöhung des gesetzlichen Erbteils, sodass die jeweilige Erbstellung als solche nicht beeinflusst wird. Sie bewirkt nur eine von den gesetzlichen Erbquoten abweichende Bestimmung der einzelnen Teilungsquoten nach § 2047 Abs. 1 BGB am Nachlass.

 

  • Die Höhe des Ausgleichungsbetrags orientiert sich nicht allein am objektiven Leistungswert. Sie ist kein Entgelt und orientiert sich überdies am Nachlasswert und wird durch Billigkeitsgesichtspunkte korrigiert.

 

  • § 2057a BGB ist ein Auffangtatbestand gegenüber anderen Ausgleichsansprüchen. Er ist streng subsidiär. Eine Ausgleichung kann nicht verlangt werden, wenn für die erbrachten Leistungen ein angemessenes Entgelt gewährt oder vereinbart worden ist oder soweit dem Abkömmling wegen seiner Leistungen ein Anspruch aus einem anderen Rechtsgrund zusteht.

 

Schon an den Pflegenden geleistete Zahlungen sind also immer vorab einzubringen und auf Entgeltqualität und Angemessenheit zu prüfen. Weitergeleitetes Pflegegeld nach § 37 SGB XI soll Entgeltcharakter haben.

 

c) Angemessenheit

Über die Angemessenheit wird in der Praxis gestritten. Der Maßstab der Angemessenheit orientiert sich an § 612 Abs. 2 BGB, also an der Höhe des ortsüblichen Stundenlohns für eine fremde Pflegekraft. Zum Teil wird versucht, die Angemessenheit auf einen tieferen Level zu drücken, weil bei privater familienhafter Pflege eine geringere Vergütung anzusetzen sei und Lohnnebenkosten und Betriebs- und Gemeinkosten nicht anfielen.

 

Die h.M. macht aus nicht angemessenen Gesamtentgelten angemessene Teilentgelte. Ein nicht angemessenes Entgelt für die Gesamtleistung stellt danach ein angemessenes Entgelt für eine Teilleistung dar, während der nichtentschädigte Teil die Voraussetzungen des § 2057a BGB nicht mehr erfüllt, weil der nicht entschädigte Teil für sich genommen nicht mehr in besonderem Maße zu einer Vermögensmehrung oder Erhaltung geführt habe.

 

Nach § 2057a BGB ist die Ausgleichung so zu bemessen, wie es mit Rücksicht auf die Dauer und den Umfang der Leistungen und auf den Wert des Nachlasses der Billigkeit entspricht. Was das ist, weiß niemand so genau. Ziel der Regelung sei nicht - so die Kommentarliteratur - dass die leistende Person einen Gewinn erhalte. Es solle lediglich eine als gerecht empfundene Nachlassverteilung im Sinne der Anerkennung der Leistung zugunsten des leistenden Erben einerseits und regelmäßig auch einer Verringerung des Nachlassvermögens zulasten der übrigen Miterben andererseits erzielt werden. Vorgeschlagen wird u.a. eine Bewertung entsprechend der Leistungen, die nach § 36 SGB XI erbracht werden. Hier schließt sich der Kreis zur Pflegeversicherung.

 

Beachten Sie | Der so ermittelte Wert wird dann noch der Korrektur durch § 2057a Abs. 3 BGB unterzogen. Die Ausgleichung ist danach (nur!) so zu bemessen, wie es mit Rücksicht auf die Dauer und den Umfang der Leistungen und dem Wert des Nachlasses der Billigkeit entspricht.

4. Verrechnungsverfahren des § 2057a BGB

Nach § 2047 Abs. 1 wird der Überschuss ermittelt = Gesamtnachlass (§ 2046 BGB) abzüglich Nachlassverbindlichkeiten

  • Feststellung des Nettonachlasses für die an der Ausgleichung teilnehmenden Personen
  • Restausgleichungsnachlass = Nettonachlass -Ausgleichungsbetrag
  • Ausgleichungserbteil + Ausgleichungsbetrag = Zahlbetrag

 

  • Berechnungsbeispiel 1
  • Der Erblasser hatte neben seiner Ehefrau einen Sohn K1 und eine Tochter K2.
  • Er lebte im Güterstand der Zugewinngemeinschaft; hinterließ kein Testament und sein Nachlass betrug 240.000 EUR.
  • K2 hat bis zum Schluss die Pflege ihres Vaters zu Hause (Pflegestufe 1 nach SGB XI) allein gewährleistet, weil die Mutter dazu nicht mehr in der Lage war und der Bruder K1 sich um seine Eltern nicht kümmert.
  • Der Wert der Pflegeleistung wird mit 40.000 EUR bestimmt.

 

Nachlasswert

240.000 EUR

Bereinigung wegen Ehefrau

800.000 EUR/2

120.000 EUR

Ausgleichungsnachlass wg. Vorerwerb

120.000 EUR - 40.000 EUR

80.000 EUR

Verteilung

80.000 EUR/2

40.000 EUR

Ergebnis

40.000 EUR + 40.000 EUR

80.000 EUR

 

 

Der Nachlass darf nicht erschöpft werden!

 
  • Berechnungsbeispiel 2
  • Die Eheleute lebten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft und haben drei Kinder. Eine Verfügung von Todes wegen gibt es nicht. Der Nachlasswert beträgt 800.000 EUR.
  • K1 hat ausgleichungspflichtige 60.000 EUR.
  • K2 ausgleichungspflichtige 300.000 EUR vorab erhalten.
  • K3 erbringt Pflegeleistungen mit einem festgestellten Wert von 40.000 EUR.

 

Nachlasswert

800.000 EUR

Bereinigung wegen Ehefrau

800.000 EUR/2

400.000 EUR

Ausgleichungsnachlass wg. Vorerwerb

400.000 EUR + 60.000 EUR + 300.000 EUR

760.000 EUR

Nachlassbeteiligung Kinder

760.000 EUR : 3

253.333,33 EUR

K2 hat bereits mehr erhalten als seinem Anteil entspricht.

Er scheidet aus.

Bereinigung um den Ausgleichswert für Pflege

(400.000 EUR + 60.000 EUR - 40.000 EUR): 2

210.000 EUR

Verteilung des Nachlasswertes für K 1

210.000 EUR- 60.000 EUR

150.000 EUR

Verteilung des Nachlasswertes für K3

210.000 EUR + 40.000 EUR

250.000 EUR

Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 134 | ID 42854651