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· Fachbeitrag · Vorsorgevollmacht

Betreuung trotz Vorsorgevollmacht: Das ist zu beachten

von RA Dr. Gudrun Möller, FA Familienrecht, Münster

| Der BGH hat sich erneut damit befasst, in welchen Fällen es erforderlich sein kann, eine Betreuung trotz einer Vorsorgevollmacht einzurichten. |

Sachverhalt

Der Betroffene (M) und seine Ehefrau (F) hatten ihrem Sohn (S) und ihrer Tochter (T1, den Beteiligten zu 4 und 5) eine umfassende notarielle General- und Vorsorgevollmacht erteilt. Später regte eine weitere Tochter (T2, die Beteiligte zu 3) beim AG an, einen Berufsbetreuer für ihre Eltern zu bestellen. Das AG bestellte im Wege der einstweiligen Anordnung den Beteiligten zu 1, einen Rechtsanwalt (RA), zum vorläufigen Betreuer des M für verschiedene Aufgabenbereiche. Später ordnete das AG an, dass die Betreuung längerfristig fortgeführt werde. Die hiergegen von S und T1 eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Das LG hat den Beschluss lediglich insoweit abgeändert, als es anstelle des RA den Beteiligten zu 6, einen Berufsbetreuer (B), zum Betreuer bestellt hat. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde von S und T1 führt dazu, dass die Sache zurückverwiesen wird (BGH 17.2.16, XII ZB 498/15, Abruf-Nr. 189605).

 

 

Entscheidungsgründe

Hier ist keine Betreuung trotz der Vorsorgevollmacht erforderlich i. S. d. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB. Ein Betreuer darf nur bestellt werden, soweit dies erforderlich ist, § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB. Er ist nicht erforderlich, soweit ein Bevollmächtigter ebenso gut wie ein Betreuer die Angelegenheiten des Betroffenen besorgen kann, § 1896 Abs. 2 S 2 BGB. Grundsatz: Besteht eine Vorsorgevollmacht, ist kein Betreuer zu bestellen.

 

Ausnahme: Zweifelhaft ist, ob die Vollmacht wirksam erteilt worden ist oder ob sie fortbesteht. Diese Zweifel müssen geeignet sein, die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr zu beeinträchtigen und damit auch die Wahrnehmung von Rechten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten (BGH FamRZ 16, 701). Eine Betreuung kann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen. Es ist z. B. zu befürchten, dass dessen Wohl konkret gefährdet ist, weil Bedenken bestehen, ob der Bevollmächtigte geeignet oder redlich ist (BGH FamRZ 14, 738; 11, 964). Hier bestehen solche Bedenken: Es ist nicht mehr hinreichend sicher feststellbar, ob der M in einer Weise dement gewesen ist, dass er S und T1 nicht wirksam bevollmächtigen konnte. Daher ist zweifelhaft, ob die Vollmacht geeignet ist, die Betreuung zu hindern. Würde dies dazu führen, dass es relevante Probleme für die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr und damit in der Rechtswahrnehmung durch S und T1 gibt, könnten sie die Angelegenheiten des M nicht ebenso gut wie ein Betreuer besorgen (BGH FamRZ 16, 701).

 

Unerheblich: Meinungsänderung bezüglich der Bevollmächtigung

Die Betreuung wird aber nicht dadurch erforderlich, dass die rechtliche Vertretung durch S und T1 nicht dem geäußerten natürlichen Willen des M entspricht. In gesunden Tagen kann der Bevollmächtigende mit der Vollmacht regeln, wer seine rechtlichen Angelegenheiten besorgen soll, wenn er dies krankheitsbedingt nicht mehr kann. Dies ist Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) des Betroffenen (BGH FamRZ 15, 1702). Damit kann eine staatliche Einflussnahme mittels Betreuung vermieden werden. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB drückt aus, dass das Selbstbestimmungsrecht aus den Gründen des dem Staat obliegenden Erwachsenenschutzes und damit zum Wohl des Betroffenen im Einzelfall erst endet, wenn die rechtliche Fürsorge durch einen Betreuer derjenigen durch den Bevollmächtigten überlegen ist. Eine - ggf. krankheitsbedingte - schlichte Meinungsänderung des Geschäftsunfähigen kann die rechtliche Bindungswirkung der Vollmacht nicht beseitigen.

 

Prüfen, ob die Bevollmächtigten geeignet sind

Die Annahme, S und T1 seien nicht geeignet, die Angelegenheiten des M zu dessen Wohl zu besorgen, ist nicht gerechtfertigt. Dies ist nicht dargelegt. Das Gleiche gilt, soweit entsprechende Anhaltspunkte darin gesehen werden, dass S und T1 sich nicht m die tatsächliche Betreuung des M bemühten. Anhaltspunkte weisen begrifflich allenfalls in eine bestimmte Richtung, können aber die notwendige Überzeugung des Gerichts von einem Umstand nicht begründen. Es ist nicht ersichtlich, dass S und T1 dem M nicht die erforderliche tatsächliche Betreuung hätten zukommen lassen. Sie haben Unterstützungsmaßnahmen für den M vorgetragen. S und T1 waren aufgrund der Vollmacht nicht für tatsächliche Betreuungsleistungen, wie Fahrten, zuständig. Denn die Vorsorgevollmacht begründet gerade keine Pflicht zu tatsächlichen Pflegeleistungen, sondern soll eine rechtliche Betreuung überflüssig machen. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit S und T1 rechtliche Aufgaben unerfüllt gelassen hätten, die nicht dem Aufgabenkreis des (vorläufigen) Betreuers unterfielen.

 

Auch das von S der T2 erteilte Hausverbot rechtfertigt nicht die Annahme einer Ungeeignetheit. Zwar kann es ggf. die Besorgnis begründen, die Vollmacht werde nicht zum Wohl des M ausgeübt, wenn der Bevollmächtigte eigene Interessen über die des M stellt, indem er aus eigensüchtigen Motiven den persönlichen Kontakt des M mit für diesen wichtigen Bezugspersonen unterbindet. Vom Hausverbot sind hier aber Besuche bei den Eltern ausgenommen.

Relevanz für die Praxis

Der BGH gibt ein Prüfungsschema vor, anhand dessen ermittelt werden kann, ob trotz bestehender Vorsorgevollmacht ein Kontrollbetreuer zu bestellen ist:

 

  • Prüfungsschema: Kontrollbetreuung trotz Vorsorgevollmacht
  • Bleibt zweifelhaft, ob die Vollmacht wirksam ist, ist zu klären, ob diese Zweifel die Rechtswahrnehmung des Bevollmächtigten für den Betroffenen so behindern können, das eine Betreuung erforderlich wird.

 

  • Kann die Vollmacht grundsätzlich einer Betreuung nach § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB entgegenstehen, ist zu prüfen, ob auch der Bevollmächtigte geeignet ist.
    • In Betracht kommt eine persönliche Anhörung des Bevollmächtigten durch das Gericht (§ 26 FamFG) zu Zweifeln daran, ob er geeignet oder auch redlich ist (BGH FamRZ 11, 285).
    • Das Gericht muss u. U. auch den Betroffenen persönlich anhören, § 278 Abs. 1 S. 1 FamFG. Zwar kann davon abgesehen werden, wenn dieser bereits im ersten Rechtszug angehört wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG. Diese Annahme scheidet aus, wenn das Beschwerdegericht den Betreuer auswechselt. Die Person des Betreuers gehört zum elementaren Entscheidungsgehalt des die Betreuung errichtenden Beschlusses. Dazu ist ein Betroffener sowohl mit Blick auf seine Verfahrensrechte als auch auf die gebotene Amtsermittlung persönlich anzuhören. Die Anhörung kann nicht delegiert werden, etwa auf die Verfahrenspflegerin.
 

 

Soll der Betreuer im Rahmen einer Kontrollbetreuung prüfen, ob die General- und Vorsorgevollmacht zu widerrufen ist, gilt:

 

  • Das Gericht muss dem Betreuer die Befugnis zum Widerruf ausdrücklich zuweisen (BGH FamRZ 15, 1702). Dies setzt tragfähige Feststellungen voraus, dass eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen hinreichend wahrscheinlich und in erheblicher Schwere zu befürchten ist, wenn an der Vorsorgevollmacht festgehalten wird.

 

  • Gibt es behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst den Versuch, durch einen (Kontroll-)Betreuer auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere dadurch, dass er Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB) verlangt sowie Weisungsrechte ausübt.

 

  • Nur wenn diese Maßnahmen fehlschlagen oder aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeignet erscheinen, ist die Ermächtigung zum Widerruf der Vollmacht als ultima ratio verhältnismäßig (BGH FamRZ 16, 117; 15, 2163; 1702).

 

Weiterführender Hinweis

  • Zur Frage, wann ein Kontrollbetreuer zu bestellen ist, SR 16, 111
Quelle: Ausgabe 12 / 2016 | Seite 215 | ID 44405637