· Fachbeitrag · Kindergeld
Kindergeldanspruch: Ausbildung endet erst bei Erreichen des angestrebten Berufsziels
| Eine aktuelle BFH-Entscheidung eröffnet Eltern von Kindern in Ausbildung Aussichten auf einen längeren Bezug von Kindergeld. Der BFH ist nämlich der Meinung, dass eine Ausbildung im Sinn des Kindergeldanspruchs erst mit dem Erreichen des angestrebten Berufsziels als abgeschlossen gilt, und nicht schon mit dem Abschluss der Lehre. |
Das BFH-Urteil im kindergeldrechtlichen Kontext
Eltern erhalten Kindergeld für volljährige Kinder nur, wenn diese sich noch in Ausbildung befinden bzw. studieren und ihr 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Berufsausbildung endet nicht bereits mit dem Abschluss der Lehre, sondern erst, wenn das tatsächlich angestrebte Berufsziel erreicht ist (BFH, Urteil vom 15.4.2015, Az. V R 27/14, Abruf-Nr. 178454).
Folge der Entscheidung: Geht das Kind nach einer Lehre einer Erwerbstätigkeit nach, bis der nächste Ausbildungsabschnitt (zum Beispiel Fachoberschule [FOS] oder Studium) startet, geht der Kindergeldgeldanspruch nicht automatisch verloren. Er bleibt erhalten, wenn die Ausbildungsabschnitte zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll.
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Sohn Franz, 20 Jahre alt, hat im Februar 2015 eine Lehre zum Industriemechaniker beendet. Direkt nach dem Abschluss der Ausbildung bewirbt er sich bei einer Techniker- und einer Fachoberschule, weil sein (fernes) Berufsziel ein Maschinenbau-Studium ist. Da er im März noch keine Zusage von einer dieser Schulen hatte, unterschrieb er im März einen auf zwei Jahre befristeten Vollzeitvertrag in seinem erlernten Beruf. Er kündigt dieses Arbeitsverhältnis sofort, nachdem er die Zusage von der Fachoberschule hat, dass er diese ab August besuchen darf.
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Wichtig | Entscheidend für den Kindergeldanspruch während der Vollzeitbeschäftigung ist, dass man sich nachweislich darum bemüht (hier: Bewerbung an zwei weiterführenden Schulen), sein angestrebtes Berufsziel zu erreichen und es sich damit um eine Übergangszeit zur nächsten Ausbildungsstufe handelt.
Aktive Kindergeldsicherung bei mehraktiger Ausbildung
Der BFH stellt in seiner Urteilsbegründung klar, dass mehraktige Ausbildungsmaßnahmen nur dann als Teil einer Erstausbildung anzusehen sind, wenn sie zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Es muss erkennbar sein, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.
Die zeitliche Komponente bei mehraktiker Ausbildung
Die zeitlich geforderte Komponente ist nicht erfüllt, wenn ein Kind nach einer Lehre erst einmal ein paar Jahre in Vollzeitbeschäftigung arbeitet, um Geld zu verdienen und Erfahrung zu sammeln und nach zwei oder drei Jahren dann wieder die Schulbank drückt, um sein Berufsziel des Studiums zu erreichen. Es gilt vielmehr die Faustformel: Die Ausbildungsabschnitte müssen ohne Verzögerung in der zeitlich möglichen Reihenfolge absolviert werden.
Die inhaltliche Komponente bei mehraktiker Ausbildung
Die inhaltliche Komponente setzt voraus, dass die weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren ist. Es muss sich also bei den Ausbildungsabschnitten um dieselbe fachliche Sparte oder den denselben fachlichen Bereich handeln.
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Sohn Franz kann sich nach dem Abschluss seiner Lehre nicht mit dem Gedanken anfreunden, diesen Beruf ein Leben lang auszuüben - auch nicht mit einem Studium. Vielmehr würde ihn die Psychologie interessieren. Deshalb unterschreibt Franz nach seiner Ausbildung zum Industriemechaniker im März einen Vollzeitvertrag als Helfer in einer Psychiatrie und bewirbt sich zeitlich bei einer sozialen Fachoberschule, um später Psychologie studieren zu können. Nach der Zusage der Fachoberschule kündigt Franz um Juli seine Vollzeitbeschäftigung.
In dem Fall ist es unstreitig, dass den Eltern in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung kein Kindergeld zusteht, weil die Ausbildungsabschnitte inhaltlich nicht zusammenhängen. |
EStG 2015 steht Anwendung des Urteils nicht entgegen
Skeptiker könnten jetzt anfügen, dass das BFH-Urteil auf Zeiträume ab 2015 nicht angewendet werden kann, weil das EStG seit 2015 in § 9 Abs. 6 S. 2 ff. EStG eine Legaldefinition enthält, wann eine Erstausbildung abgeschlossen ist.
Diese Definition bezieht sich aber nur auf die Frage, ob Kosten im Zusammenhang mit der Ausbildung als Sonderausgaben oder als Werbungskosten abziehbar sind. Sie hat keine Aussagekraft auf den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG.