21.05.2010 · IWW-Abrufnummer 101139
Bundesfinanzhof: Urteil vom 26.11.2009 – III R 84/07
Die Ausbildungswilligkeit allein begründet keinen Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG. Hinzukommen muss, dass sich die Ausbildungsbereitschaft des Kindes durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert hat.
Die Ausbildungswilligkeit eines Kindes kann durch eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit, dass das Kind als Bewerber um eine berufliche Ausbildungsstelle registriert ist, durch direkte Bewerbungen an Ausbildungsstätten und ggf. den daraufhin erfolgten Zwischennachrichten oder auch Absagen nachgewiesen werden.
Kann eine Ausbildung nur zu bestimmten Zeitpunkten begonnen werden, muss sich das Kind für den nächstmöglichen Ausbildungsbeginn bewerben. Wird ein Studienplatz, wie beim Studienfach Medizin, über die ZVS zugeteilt, kann die Ausbildungswilligkeit und das Ausbildungsbemühen des Kindes durch die schriftliche Bewerbung bei der ZVS nachgewiesen werden. Lehnt die ZVS den Antrag auf Zulassung zu einem Studium ab, kann eine weiter bestehende Ausbildungswilligkeit des Kindes grundsätzlich vermutet werden, wenn es sich rechtzeitig - ggf. noch am letzen Tag der Bewerbungsfrist für den nächstmöglichen Ausbildungsbeginn - erneut um die Zuteilung eines Studienplatzes bewirbt.
Macht der nachrangig Berechtigte geltend, er habe das zu Unrecht erhaltene Kindergeld an den vorrangig Berechtigten weiter geleitet, hat die Familienkasse von einer Rückforderung abzusehen, wenn der Empfänger auf einem dafür vorgesehenen Formular den Erhalt des Kindergeldes bestätigt und erklärt, sein Anspruch auf Kindergeld sei erfüllt.
BFH v. 26.11.2009
III R 84/07
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog für seine 1985 geborene Tochter (T), die im Juni 2005 ihr Abitur bestanden und sich anschließend um einen Studienplatz für Medizin beworben hatte, zunächst Kindergeld. Am 30. September 2005 teilte die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) T mit, sie sei im Auswahlverfahren der Hochschulen zum Wintersemester 2005/2006 nicht berücksichtigt worden. In der Folgezeit befand sich T für mehrere Wochen im Ausland, um ihre Englischkenntnisse zu verbessern. Bis zum 15. Januar 2006, dem Bewerbungsschluss bei der ZVS für das Sommersemester 2006, hatte sie sich nicht erneut um einen Studienplatz beworben. In der am 19. April 2006 bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) eingegangenen Erklärung zu den Einkünften und Bezügen der T heißt es, T werde ab dem Wintersemester 2006/2007 eine Hochschulausbildung beginnen. Am 26. April 2006 meldete T sich bei der Agentur für Arbeit als Bewerberin für eine Berufsausbildungsstelle, zum Wintersemester 2006/2007 nahm sie ein Studium (Kunst, Musik und Medien) auf. Seit März 2006 lebte sie nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrer Mutter, der zwischenzeitlich geschiedenen Ehefrau (E) des Klägers.
Mit Bescheid vom 19. April 2006 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes ab Oktober 2005 auf und forderte das für den Zeitraum Oktober 2005 bis April 2006 gezahlte Kindergeld vom Kläger zurück. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 26. September 2006 12 K 2236/06 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 140) ab. Für die Monate Oktober 2005 bis März 2006 habe der Kläger ein ernsthaftes und nachhaltiges Bemühen der T um einen Ausbildungsplatz nicht nachgewiesen. Ab April 2006 sei zwar die Ausbildungswilligkeit der T belegt. Zu Recht habe die Familienkasse aber die Festsetzung des Kindergeldes gegenüber dem Kläger auch für April aufgehoben und das Kindergeld von ihm zurückgefordert, weil E vorrangig kindergeldberechtigt sei und die geltend gemachte Weiterleitung nicht nachgewiesen sei.
Mit seiner Revision trägt der Kläger vor, T sei durchgehend ausbildungswillig gewesen und habe sich bis zum Antritt ihres Studiums im Wintersemester 2006/2007 fortlaufend und ernsthaft um einen Studien- bzw. Ausbildungsplatz bemüht. Da T ihren Ausbildungswillen durch eine Bewerbung bei der ZVS am 15. Juli 2005 belegt habe und eine erneute Bewerbung erst wieder zum 15. Januar 2006 erforderlich gewesen sei, sei ihr Ausbildungswunsch mindestens bis zu diesem Zeitpunkt dokumentiert. Abgesehen davon seien spätestens mit der Registrierung bei der Agentur für Arbeit im April 2006 und der Aufnahme eines Studiums zum Wintersemester 2006/2007 etwaige Zweifel an ihrer Ausbildungswilligkeit ausgeräumt gewesen. Zudem habe das FG seine Sachaufklärungspflicht verletzt.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den Aufhebungsbescheid vom 19. April 2006 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 18. Mai 2006 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Aufhebungsbescheid vom 19. April 2006 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 18. Mai 2006 rechtmäßig sind.
1. Für den Zeitraum Oktober 2005 bis März 2006 war die Festsetzung des Kindergeldes für T nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aufzuheben und das gezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) vom Kläger als Leistungsempfänger zurückzufordern, weil er nicht nachgewiesen oder zumindest glaubhaft gemacht hat, dass sich T in diesem Zeitraum ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat.
a) Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung besteht für ein über 18 Jahre altes Kind, das das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert die Berücksichtigung eines Kindes gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG, dass sich das Kind ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat. Das Bemühen ist glaubhaft zu machen. Pauschale Angaben, das Kind sei im fraglichen Zeitraum ausbildungsbereit gewesen, habe sich ständig um einen Ausbildungsplatz bemüht oder sei stets bei der Agentur für Arbeit als ausbildungsplatzuchend gemeldet gewesen, reichen nicht aus. Um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Kindergeldes entgegenzuwirken, muss sich die Ausbildungsbereitschaft des Kindes durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert haben (z.B. Senatsurteil vom 19. Juni 2008 III R 66/05, BFHE 222, 343, BStBl 2009 II S. 1005 m.w.N.).
Die Nachweise für die Ausbildungswilligkeit des Kindes und für sein Bemühen, einen Ausbildungsplatz zu finden, hat der Kindergeldberechtigte beizubringen. Nachgewiesen werden kann das ernsthafte Bemühen um einen Ausbildungsplatz z.B. durch eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit, dass das Kind als Bewerber um eine berufliche Ausbildungsstelle registriert ist, durch direkte Bewerbungen an Ausbildungsstätten und ggf. den daraufhin erfolgten Zwischennachrichten oder auch Absagen (z.B. Senatsbeschluss vom 21. Juli 2005 III S 19/04 (PKH), BFH/NV 2005, 2207, und Senatsurteil in BFHE 222, 343, BStBl 2009 II S. 1005 m.w.N.).
Kann eine Ausbildung nur zu bestimmten Zeitpunkten begonnen werden, muss sich das Kind für den nächstmöglichen Ausbildungsbeginn bewerben. Wird ein Studienplatz, wie beim Studienfach Medizin, über die ZVS zugeteilt, kann die Ausbildungswilligkeit und das Ausbildungsbemühen des Kindes durch die schriftliche Bewerbung bei der ZVS nachgewiesen werden (so auch Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes 2009 —DA-FamEStG— 2009 63.3.4 Abs. 2 Satz 4, BStBl I 2009, 1033; ebenso DA-FamEStG 2004 63.3.4 Abs. 2 Satz 3, BStBl I, 743).
Lehnt die ZVS den Antrag auf Zulassung zu einem Studium ab, kann eine weiter bestehende Ausbildungswilligkeit des Kindes grundsätzlich vermutet werden, wenn es sich rechtzeitig —ggf. noch am letzten Tag der Bewerbungsfrist für den nächstmöglichen Ausbildungsbeginn— erneut um die Zuteilung eines Studienplatzes bewirbt. T hat sich jedoch bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist bei der ZVS für das Sommersemester 2006 am 15. Januar 2006 nicht wieder um einen Studienplatz beworben.
Der Kläger hat auch sonst keine Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ein ernsthaftes Bemühen der T um einen Ausbildungsplatz in den Monaten Oktober 2005 bis Januar bzw. März 2006 ergeben könnte. Die Meldung der T vom April 2006 bei der Agentur für Arbeit als Bewerberin für eine Berufsausbildungsstelle und der Beginn eines Studiums im Studiengang Kunst, Musik und Medien ab dem Wintersemester 2006/2007 können ein ernsthaftes Bemühen um einen Ausbildungsplatz nicht rückwirkend belegen. Auch der in Kopie vorgelegte Internetausdruck vom Januar 2006 mit einer Auflistung von Hochschulen und handschriftlichen Notizen zu möglichen Studienfächern reicht als Nachweis nicht aus.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FG nicht dadurch gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) verstoßen, dass es die Vernehmung von T zu ihrer Ausbildungswilligkeit abgelehnt hat. Denn die Ausbildungswilligkeit allein, die das FG als wahr unterstellt hat, begründet keinen Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG. Hinzukommen muss vielmehr, dass sich die Ausbildungsbereitschaft des Kindes durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert hat. Nachweise für ein ernsthaftes Bemühen um einen Ausbildungsplatz nach dem Erhalt des Ablehnungsbescheids der ZVS im September 2005 liegen aber nicht vor.
Dass T, wie der Kläger vorträgt, bei einer Vernehmung weitere Unterlagen hätte vorlegen können, begründet ebenfalls keinen Verstoß des FG gegen seine Sachaufklärungspflicht. Weder hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem FG einen entsprechenden Beweisantrag gestellt, noch hat er die Unterlagen und ihren etwaigen Beweiswert bezeichnet, noch ist ersichtlich, weshalb es ihm nicht möglich gewesen ist, derartige Unterlagen selbst vorzulegen.
2. Zu Recht hat die Familienkasse auch die Festsetzung des Kindergeldes gegenüber dem Kläger für den Monat April 2006 aufgehoben und das Kindergeld von ihm zurückgefordert.
a) Zwar bestand aufgrund der Meldung bei der Agentur für Arbeit ab diesem Monat wieder ein Anspruch auf Kindergeld für T nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG. Vorrangig berechtigt war jedoch nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG E, da T seit März 2006 in den Haushalt der E aufgenommen war.
b) Nach ständiger Rechtsprechung ist der Kläger als Leistungsempfänger nach § 37 Abs. 2 AO zur Rückzahlung des Kindergeldes verpflichtet (z.B. BFH-Urteile vom 1. Juli 2003 VIII R 80/00, BFH/NV 2004, 23, und VIII R 94/01, BFH/NV 2004, 25). Macht der nachrangig Berechtigte geltend, er habe das zu Unrecht erhaltene Kindergeld an den vorrangig Berechtigten weiter geleitet, hat die Familienkasse jedoch nach der DA-FamEStG 2004 64.4 Abs. 4 bis 8 bzw. DA-FamEStG 2009 64.4 Abs. 3 von einer Rückforderung abzusehen, wenn der Empfänger auf einem dafür vorgesehenen Formular den Erhalt des Kindergeldes bestätigt und erklärt, sein Anspruch auf Kindergeld sei erfüllt.
Die Entscheidung des FG, die Familienkasse sei zur Rückforderung berechtigt gewesen, weil der Kläger die behauptete Weiterleitung des Kindergeldes für den Monat April 2006 an E nicht in der dafür vorgesehenen Form nachgewiesen habe, lässt Verfahrensfehler des FG nicht erkennen. Ungeachtet des Umstands, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung einen darauf gerichteten Beweisantrag nicht gestellt hat, war das FG auch von Amts wegen nicht verpflichtet, durch schriftliche Befragung oder durch Vernehmung der E zu ermitteln, ob der Kläger das Kindergeld für April 2006 —wie von ihm behauptet— an E weitergeleitet hat. Denn auch eine Weiterleitung schließt die Rückforderung des Kindergeldes nicht von Gesetzes wegen aus (z.B. BFH-Urteile vom 9. Dezember 2002 VIII R 80/01, BFH/NV 2003, 606; in BFH/NV 2004, 25, und vom 16. März 2004 VIII R 48/03, BFH/NV 2004, 1218). Das FG war daher auch nicht gehalten, den Kläger darauf hinzuweisen, dass eine Weiterleitung nur durch eine den Anforderungen der DA-FamEStG entsprechende Bestätigung der E nachgewiesen werden könne. Abgesehen davon ergibt sich nicht zuletzt aus dem Vortrag des Klägers im Revisionsverfahren, dass ihm diese Anforderungen bekannt waren. Denn er hat selbst vorgetragen, das Kindergeld für seine zweite Tochter A an E weitergeleitet zu haben, die „hierfür ein von der Beklagten zur Verfügung gestelltes Formular unterzeichnet” habe, das fälschlicherweise auf den Namen der T und nicht der A gelautet habe; er, der Kläger, sei sich nicht mehr sicher, ob er den falschen Namen geändert habe.