24.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112732
Finanzgericht des Saarlandes: Urteil vom 21.06.2011 – 1 K 1196/08
Überhöhte Gehaltsbeträge, die sich ein Arbeitnehmer, der für den Personalbereich alleinverantwortlich ist, über mehrere Jahre unter Anfertigung gefälschter Lohndaten auszahlt, stellen insoweit mangels tatsächlichem oder potentiellem Gehaltszahlungswillen des Arbeitgebers keinen Arbeitslohn i. S. v. § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar.
FG des Saarlandes v. 21.06.2011
1 K 1196/08
Tatbestand
Die Klägerin – eine Kapitalgesellschaft, deren Unternehmensgegenstand die … ist – begehrt die Änderung der Lohnsteuerfestsetzungen für die Zeiträume Februar 2003 bis Dezember 2006 entsprechend den am 21. September 2007 eingereichten berichtigten Lohndaten. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der für die Lohnabrechnungen zuständige und für den gesamten Personalbereich verantwortliche Mitarbeiter F zahlte sich nach den insoweit unstreitigen Feststellungen eines 2007 mit einer Sonderuntersuchung beauftragten Wirtschaftsprüfers in den Jahren 2003 bis Mai 2007 u.a. überhöhte – also höhere als ihm vertraglich zustehende – Gehälter aus. Diese betrugen in dem vorliegend maßgeblichen Zeitraum:
2003: 16.417 EUR
2004: 39.000 EUR
2005: 42.000 EUR
2006: 76.298 EUR
insgesamt: 173.715 EUR.
Dem entsprechend wurden höhere Lohnsteuerbeträge angemeldet, als bei ordnungsgemäßer Gehaltszahlung hätten festgesetzt werden müssen.
F arbeitete nach den unbestrittenen Feststellungen der Wirtschaftsprüfer als Personalsachbearbeiter überwiegend allein und eigenverantwortlich. Seine Tätigkeit im Rahmen seiner Personalsachbearbeiterstelle waren unter anderem die Erfassung von Personalstammdaten, die Lohn- und Gehaltsabrechnung sowie die Auszahlung der Löhne und Gehälter. Weiterhin erbrachte F über die Funktion des Personalsachbearbeiters hinaus Assistenztätigkeiten für den Finanzvorstand und bearbeitete den Posteingang.
Vor dem Notar … räumte F durch Erklärung vom … ein, dass er seit 2004 sein Gehalt selbst festgesetzt und entsprechende Dokumente so fingiert habe, dass es niemandem aufgefallen sei. Dies sei dadurch geschehen, dass er die Abrechnung auf zwei Mandanten habe laufen lassen. Einmal seien diese Abrechnungen korrekt gewesen, im anderen Fall seien die Abrechnungen überhöht gewesen, wobei Letztere Eingang in die EDV gefunden hätten. In einer weiteren Erklärung vom …bestätigte F, dass er für sein Verhalten alleinverantwortlich sei und niemand außer ihm selbst (auch kein Vorstandsmitglied) an seinen Taten beteiligt gewesen sei.
Der insgesamt ermittelte Schaden i.H.v. 443.877 EUR (davon entfielen 132.155 EUR auf „zuviel” entrichtete Umsatzsteuer und Lohnsteuer) sollte gegen F geltend gemacht werden. F gab in Höhe eines Betrages von 445.442 EUR ein notarielles Schuldanerkenntnis ab und unterwarf sich wegen der Zahlungsverpflichtung der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen.
Für den Zeitraum Januar 2002 bis Dezember 2004 hatte bei der Klägerin eine Lohnsteueraußenprüfung stattgefunden. Im Anschluss hieran wurde mit Bescheid vom … der Vorbehalt der Nachprüfung für die entsprechenden Lohnsteuerfestsetzungen vom 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2004 aufgehoben. Die hier relevanten Vorgänge waren während der Lohnsteueraußenprüfung noch nicht bekannt.
Die Klägerin wies den Beklagten mit Schreiben vom … 2007 auf die Problematik hin und bat insoweit um informelle Auskunft. Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom … 2007 mit, es handele sich um Arbeitslohn und die Lohnsteuer sei korrekt angemeldet und bezahlt worden. Eine Berichtigung der Lohnsteueranmeldungen sei nicht möglich.
Daraufhin beantragte die Klägerin am … 2007, die Lohnsteuerfestsetzungen für die Anmeldungszeiträume Februar 2003 bis Dezember 2006 entsprechend der dem Antrag beigefügten Anlage zu ändern. Dort wies sie die tatsächlich angemeldeten Steuerbeträge und die „berichtigten” Beträge aus. Die Differenz einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag beträgt danach:
2003: (172,50 EUR + 8*336,47 EUR + 1.657,80 EUR + 1.086,29 EUR)= 5.608,35 EUR
2004: (5 * 1.046,43 EUR + 5*1.032,46 EUR + 2.241,58 EUR + 1.014,77 EUR)= 13.650,80 EUR
2005: (9*980,84 EUR + 1.001,99 EUR+2.142,41 EUR + 2.280,85 EUR)= 14.252,81 EUR
2006: (6*2.270,81 EUR + 4*2.233,80 EUR+3.673,92 EUR + 3.193,02 EUR)= 29.427,00 EUR
Summe: 62.938,96 EUR.
Die Gesamtbeträge stimmen überein mit einer Detail-Aufstellung, die die Klägerin im Vorverfahren eingereicht hatte. Aus dieser Aufstellung ergibt sich, dass von der Gesamtdifferenz (62.938,96 EUR) nur 55.345,37 EUR auf Lohnsteuer entfallen; die übrigen Beträge entfallen auf Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag sowie AK-Beiträge. Die Lohnsteuerbeträge teilen sich hiernach wie folgt auf:
2003: (150 + 8*288,50 EUR + 1.442,50 EUR + 947,50 EUR)= 4.848,00 EUR
2004: (10*912,34 EUR + 1.968,34 EUR + 900,50 EUR)= 11.992,24EUR
2005: (9*869,83 EUR + 883 EUR+1.879 EUR + 2.010 EUR)= 12.600,47 EUR
2006: (6*2.001 EUR + 4*1.966,50 EUR + 3.226,33 EUR+2.806,33 EUR)= 25.904,66 EUR
Summe: 55.345,37 EUR.
Diesen Änderungsantrag vom 21. September 2007 lehnte der Beklagte mit Verfügungen vom … ab. Die hiergegen eingelegten Einsprüche wies er mit Einspruchsentscheidung vom 31. März 2008 als unbegründet zurück. Am 18. Oktober 2007 erließ der Beklagte Bescheide über Lohnsteuer und Folgesteuern für Januar bis Dezember 2006.
Am Montag den 5. Mai 2008 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. März 2008 den Beklagten zu verpflichten, die Lohnsteuer um 5.608,35 EUR (2003), 13.650,80 EUR (2004), 14.252,81 EUR (2005) und 29.427 EUR (2006) niedriger festzusetzen.
Die überhöhten Lohnzahlungen und die darauf basierenden Lohnsteuerfestsetzungen seien strafbare Handlungen; ebenfalls die Gehaltsabrechnungen und die darauf beruhenden Zahlungen. Sie könnten schon von daher keinen anzuerkennenden Rechtsgrund für Steuerzahlungen darstellen. Der Staat dürfe nicht unmittelbarer Vorteilsnehmer strafbarer Handlungen sein. Daher sei die Erstattung von Lohnsteuer gemäß § 37 Abs. 2 AO geboten.
Die überzahlten Gehaltsbestandteile stellten auch keinen Arbeitslohn i.S.v. § 19 EStG dar. Denn sie seien durch strafbare Handlungen erlangt. Damit liege kein Vorteil vor, der für eine Beschäftigung gewährt werde (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Zwar seien die Untreuehandlungen nicht ohne das Arbeitsverhältnis denkbar. Es fehle aber der erforderliche objektive Zusammenhang, dass es sich um Vorteile für eine Beschäftigung handelt.
Ob es sich um andere Einkünfte als Lohn handele, sei für die Frage der Lohnsteuerfestsetzungen unbeachtlich.
Die Bestandskraft etwaiger Einkommensteuerveranlagungen von F stünden der Berichtigung von Lohnsteueranmeldungen nicht entgegen.
Die Beträge ergäben sich aus der Anlage zu ihrem Antrag vom … 2007.
Der Beklagte beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Eine Änderung für die Jahre 2003 und 2004 komme bereits deshalb nicht in Betracht, da der Vorbehalt der Nachprüfung nach der Lohnsteueraußenprüfung aufgehoben worden sei.
Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO bestehe nicht. Denn vorliegend seien die Lohnsteueranmeldungen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der entsprechenden Lohnsteuerbeträge.
Die Lohnsteuer sei auch materiell-rechtlich zutreffend angemeldet worden. Auch bei den überzahlten Gehaltsbestandteilen handele es sich um Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit im Sinne des § 19 Abs. 1 EStG. Denn hierzu gehörten entsprechend § 2 Abs. 1 EStDV alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus einem Dienstverhältnis zufließen. Hierbei sei unbeachtlich, ob auf die Bezüge ein Rechtsanspruch bestehe. Maßgeblich sei vielmehr ein Veranlassungszusammenhang zwischen Einnahmen und dem Dienstverhältnis. So habe der BFH mit Urteil vom 4. Mai 2006 (VI R 17/03 BStBl II 2006, 830) auch versehentliche Überweisung des Arbeitgebers, die dieser zurückfordern könne, als Arbeitslohn angesehen. Die Entscheidung des Finanzgerichts München vom 29. August 1984 (IX 69/84 E, EFG 1985, 71), dass Veruntreuungshandlungen eines Arbeitnehmers zulasten seines Arbeitgebers regelmäßig keinen Einkünftetatbestand erfüllten, sei nach dem BFH-Beschluss vom 14. Dezember 1984 (VI S 1/84, juris) einzuschränken, wenn ein Arbeitnehmer eine über seine rechtlichen Kompetenzen hinausgehende tatsächliche Machtstellung gehabt habe, die ihm hinsichtlich von Lohnzahlungen ein freies Schalten und Walten ermöglicht habe. Denn insoweit könne gefolgert werden, dass die entsprechenden Einnahmen mit Wissen und Willen des Arbeitgebers zugewandt worden seien und daher durch das Arbeitsverhältnis veranlasst und nicht nur bei Gelegenheit der Dienstleistungen erlangt seien.
Vorliegend erwiesen sich die Einnahmen im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft. Es sei nicht feststellbar, dass strafbare Untreuehandlungen des L vorgelegen hätten.
Der Änderung der Lohnsteueranmeldungen stehe auch § 41 c Abs. 3 EStG entgegen. Danach sei eine Änderung des Lohnsteuerabzugs nach der Ausschreibung bzw. elektronischen Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr zulässig. Zwar habe der Arbeitgeber die Möglichkeit, im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs entsprechend § 42b EStG bis zum März des Folgejahres Änderungen im Lohnsteuerabzug vorzunehmen. Nach diesem Zeitpunkt kämen Änderungen nur im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers in Betracht. Demzufolge stünde auch ein Erstattungsanspruch überhöhter Lohnsteuer allein dem Arbeitnehmer zu.
Wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin dem Gericht den Widerruf der Vollmacht für den bisherigen Prozessbevollmächtigten angezeigt. Gleichzeitig hat sie Terminsverlegung beantragt, damit sich ein neu zu bestellender Bevollmächtigter einarbeiten könne. Dem neuen Vorstand sei erst am 17. Juni 2011 durch den vormaligen Prozessbevollmächtigten bekannt geworden, dass das Klageverfahren anhängig sei.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die beigezogenen Verwaltungsakten und auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A. Das Gericht war nicht an einer Entscheidung gehindert. Insbesondere war dem Terminsverlegungsantrag der Klägerin vom 17. Juni 2011 nicht zu folgen.
Nach §§ 155 FGO i.V.m. 227 ZPO kann ein Termin aufgehoben werden, wenn erhebliche Gründe dies rechtfertigen. Ein erheblicher Grund in diesem Sinne ist auch der Wechsel des Bevollmächtigten. Ein kurz vor dem Termin vollzogener Anwaltswechsel ist jedoch nur dann ein erheblicher Grund, wenn er nicht durch den Beteiligten verschuldet ist oder jedenfalls aus schutzwürdigen Gründen erfolgte (BFH vom 27. Januar 2004 VII B 66/03, BFH/NV 2004, 796; Gräber/Koch, a.a.O., § 91 Rz. 4, m.w.N.). Im Streitfall ist die Kündigung des Mandats des früheren Prozessbevollmächtigten von der Klägerin ausgegangen, ohne dass sie mit ihrem Terminsänderungsantrag vom 17. Juni 2011 schutzwürdige Gründe, welche sie zum Anwaltswechsel bewogen hat, gegenüber dem Gericht vorgetragen hat. Dass der neue Vorstand der Klägerin erst am 17. Juni 2011 (also 3 Werktage vor dem Termin) über das noch anhängige Klageverfahren informiert worden sei, hat sie nicht glaubhaft gemacht. Im Übrigen stellt auch dies keinen schutzwürdigen Grund für einen Wechsel des Bevollmächtigten dar. Das Schreiben der Klägerin vom 17. Juni 2011 dokumentiert eine Reihe von Missverständnissen und Fehlern, die im Verantwortungsbereich der Klägerin liegen. Die Erteilung einer Vollmacht an die Kanzlei … war zwar angekündigt; die Vollmacht ist dem Gericht aber bis zum Zeitpunkt der Absendung des Urteils noch nicht zugegangen.
B. Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Die Klägerin begehrt – wie sie unmissverständlich festgestellt hat – die vom Beklagten verweigerte Änderung von Steuerbescheiden (vgl. BFH vom 24. Mai 2006 I R 9/05, BFH/NV 2006, 2019) und nicht etwa die gerichtliche Entscheidung über die Auszahlung der aus ihrer Sicht zuviel entrichteten Lohnsteuerbeträge.
Die Klage ist auch insoweit begründet, als der Beklagte zu Unrecht eine Änderung der monatlichen Lohnsteuerfestsetzungen für Januar 2005 bis Dezember 2006 verweigert hat. Die Klägerin hat insoweit einen Anspruch auf Erlass geänderter Lohnsteuerbescheide durch den Beklagten (§ 101 S. 2 FGO).
I.Arbeitslohn i.S.v. § 19 EStG
Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG auch Gehälter und Löhne. Arbeitslohn in diesem Sinne sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert, die durch ein individuelles Dienstverhältnis veranlasst sind (vgl. etwa BFH vom 16. April 1999 VI R 66/97, BStBl II 2004, 408). Eine Leistung des Arbeitgebers ist dann als Arbeitslohn zu werten, wenn sie im weitesten Sinn als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers anzusehen ist. Dabei genügt auch ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen Einnahmen und Dienstleistung. Ein Rechtsanspruch muss nicht bestehen, § 19 Abs. 1 S. 2 EStG (vgl. auch Thürmer in Blümich, EStG, Stand Oktober 2010, § 19 Rz. 191). Auf eine finale, zielgerichtete Verknüpfung kommt es nicht an. Auch ohne Wissen und Wollen des Arbeitgebers bezogene Vorteile können zum Arbeitslohn gehören (BFH vom 18. Oktober 1974 VI R 249/71, BStBl II 1975, 182 zu einer Wertdifferenz bei veräußertem Hausgrundstück; Thürmer in Blümich, a.a.O., § 19 EStG, Rz. 227).
1. Ob und inwieweit eine Gehaltszahlung, die über das vom Arbeitgeber Geschuldete hinausgeht, durch das Dienstverhältnis veranlasst ist, hängt davon ab, wie diese Gehaltsüberzahlung zustande kam. So handelt es sich bei versehentlichen Gehaltsüberzahlungen, die der Arbeitgeber zurückfordern kann, in aller Regel um Arbeitslohn (vgl. BFH vom 4. Mai 2006 VI R 17/03, BStBl II 2006, 830). Dies trägt zunächst dem Umstand Rechnung, dass das Behaltendürfen kein Merkmal einer Einnahme darstellt. Zudem wird es der Tatsache gerecht, dass auch versehentlich fehlerhafte Gehaltszahlungen dem Grunde nach von dem Willen des Arbeitgebers gedeckt sind. Hingegen erfüllt eine Veruntreuungshandlung oder ein Diebstahl regelmäßig nicht die Voraussetzungen von Arbeitslohn i.S.v. § 19 EStG (vgl. FG München vom 29. August 1984 IX 69/84 E , EFG 1985, 71 zu veruntreuenden Geldüberweisungen durch Arbeitnehmer; Thürmer in Blümich, EStG, Stand Oktober 2010, § 19 Rz. 227). Derlei Vorgänge sind weder von dem tatsächlichen, noch von dem potentiellen Willen eines Arbeitgebers gedeckt, sondern sind allein Ausfluss von durch einen Anderen als dem Arbeitgeber initiierten, dem potentiellen Willen des Arbeitgebers objektiv entgegenstehenden Handlungen, die den Veranlassungszusammenhang der (überhöhten) Gehaltszahlung mit dem Dienstverhältnis durchbrechen und dieser Zahlung eine allein vom Willen des Handelnden gedeckte kriminelle Ursache verleihen.
2. Nach dieser Maßgabe handelte es sich vorliegend nicht um Arbeitslohn i.S.v. § 19 EStG. Denn die Zahlung von überhöhten Gehaltsbestandteilen war nicht von dem Wissen und Willen der Klägerin gedeckt.
F war als Gehaltsbuchhalter und Personalverantwortlicher zwar u.a. für die Gehaltszahlungen generell zuständig. Gewiss genoss er insoweit auch das Vertrauen der Geschäftsleitung bzw. des Vorstandes und war in seinen Handlungsweisen verhältnismäßig frei. Der Senat hat jedoch keinen Zweifel daran, dass hier strafbare Handlungen zulasten der Klägerin vorlagen. Denn F hatte – entsprechend seinen überzeugenden Einlassungen – gerade zum Zweck überhöhter Gehaltszahlungen an sich selbst Dokumente gefälscht und fingierte Abrechnungen auf zwei Mandanten (in der EDV-Lohnbuchhaltung) erstellt. Nur auf diese Weise war es ihm möglich, die Tat zu verheimlichen. Für den Senat steht auf Grund der eigenen Bekundungen von F vor dem Notar fest, dass diese Handlungen nicht vom Wissen und Wollen der Klägerin – als Arbeitgeberin – gedeckt war. Das Vorgehen des Klägers war auch nicht nur „gelegentlich” seiner Arbeitsverrichtung (so etwa im Fall von Behaltendürfen von Fundgeldern, vgl. FG Rheinland-Pfalz vom 22. März 1990 6 K 129/87 , juris). Es handelt sich vielmehr um ein auf einem konkreten Plan basierendes, über viele Jahre hinweg praktiziertes Vorgehen, mit der F seinen Arbeitgeber täuschte und sich dadurch selbst ungerechtfertigte Vorteile verschaffte. Eine Billigung dieses Vorgehens durch den Arbeitgeber erscheint dem Senat fernliegend. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Vertreter der Klägerin in den betreffenden Zeiträumen Kenntnis von den Vorgängen hatten.
Auch der vom Beklagten angesprochene BFH-Beschluss vom 14. Dezember 1984 rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der dort streitige Sachverhalt wich insoweit erheblich von dem vorliegenden ab, als die Arbeitnehmer dort als Geschäftsführer bzw. Vorstand eines Vereins zugleich auch Arbeitgeberfunktionen wahrnahmen. Der BFH spricht hier eindeutig von einer sog. „Doppelstellung”. Nur weil die Kläger dort auch Arbeitgeberfunktionen wahrnahmen, war es dort auch vertretbar, einen (potentiellen) Willen des Arbeitgebers bei den überhöhten Zahlungen anzunehmen. Eine solche Situation besteht im vorliegenden Verfahren jedoch nicht. F war lediglich als Arbeitnehmer tätig und nahm als Personalverantwortlicher keine Arbeitgeberaufgaben wahr (etwa als Geschäftsführer, Vorstand oder Prokurist). Ob und inwieweit er im Außenverhältnis „Vertretungsmacht” für die Klägerin hatte, ist für die Entscheidung nicht relevant. Maßgeblich ist, ob sein Tun von dem potentiellen Wissen und Wollen des Arbeitgebers getragen war, um die überhöhten Zahlungen im Ansatz als Entgelt für seine Arbeitsleistung zugunsten der Klägerin zu qualifizieren. Dies verneint der Senat ausdrücklich. Denn es lag nicht nur eine Kompetenzüberschreitung durch F vor; vielmehr handelte er bewusst und gewollt mit Schädigungsvorsatz. Dass dieses Verhalten strafbar war, liegt auf der Hand, ohne dass es zu einer strafrechtlichen Verurteilung gekommen wäre. Eine solche ist nicht Voraussetzung für die Frage der Qualifikation als Arbeitslohn.
II. Änderung von Lohnsteueranmeldungen
Nach § 168 AO steht eine Lohnsteueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO gleich. Führt die Steueranmeldung zu einer Herabsetzung des bisher zu entrichtenden Steuer oder zu einer Steuervergütung, so gilt dies nur, wenn die Finanzbehörde zustimmt. Solange der Vorbehalt der Nachprüfung besteht, kann die Steuerfestsetzung geändert werden.
1. Besteht ein Vorbehalt der Nachprüfung nicht mehr, kann eine Änderung auch nach anderen allgemeinen Korrekturvorschriften erfolgen (BFH vom 30. Oktober 2008 VI R 10/05, BStBl II 2009, 354; Drenseck in Schmidt, EStG 29. Aufl. 2010, Rz. 4 zu § 41a EStG). Eine solche Änderung ist ungeachtet der sich aus § 41 c Abs. 3 FGO ergebenden Rechtsfolgen möglich (BFH vom 30. Oktober 2008 VI R 10/05, BStBl II 2009, 354). Denn es kommt nicht darauf an, ob die Lohnsteuerbescheinigung noch geändert werden kann, denn der Betrag der Lohnsteuer als Entrichtungssteuerschuld bestimmt sich nach der Sollschuld und nicht nach dem tatsächlich Einbehaltenen.
2. Danach kann die Klägerin eine Änderung der Lohnsteueranmeldungen für die Jahre 2005 und 2006 grundsätzlich noch verlangen. Denn insoweit bestand der Vorbehalt der Nachprüfung noch fort. Betreffend die Lohnsteueranmeldungen 2005 ergibt sich dies aus §§ 168, 164 AO, da die Lohnsteueranmeldungen kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen. Dieser Vorbehalt der Nachprüfung wurde nicht aufgehoben; eine Beendigung durch Eintritt der Festsetzungsverjährung gem. § 164 Abs. 4 Satz 1 AO kam nicht in Betracht, da Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten ist.
Für die Anmeldungszeiträume im Jahr 2006 ergibt sich die Festsetzung der Lohnsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ausdrücklich aus den insoweit ergangenen Bescheiden für Januar bis Dezember 2006 (LSt, Bl. 5 ff.), die alle eine derartige Nebenbestimmung aufweisen.
3. Eine Änderung für 2003 und 2004 ist hingegen nicht mehr möglich. Für diese betreffenden Zeiträume hatte eine Lohnsteueraußenprüfung stattgefunden, nach deren Beendigung mit Bescheid vom 10. Oktober 2005 der Vorbehalt der Nachprüfung ausdrücklich aufgehoben wurde (LSt II Bl. 17).
Auch andere allgemeine Korrekturnormen sind nicht einschlägig. Eine zunächst möglich erscheinende Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheitert an der erhöhten Bestandskraftwirkung der Lohnsteueraußenprüfung (§ 173 Abs. 2 AO – vgl. Loose in Tipke/Kruse, Kommentar zu AO/FGO, Loseblattsammlung, Rz. 90 ff. zu § 173 AO). Ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO liegt nicht vor, da sich der Lebenssachverhalt bereits 2003 und 2004 ereignet hatte und lediglich sp äter erst bekannt wurde.
III. Umfang der Änderungen
Eine Verpflichtung zur Durchführung einer geänderten Festsetzung für die Jahre 2005 und 2006 ist nur insoweit möglich, als sich der Verpflichtungsantrag auf die hier allein streitigen Lohnsteuerfestsetzungen bezieht. Aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass sich die Lohnsteuer auf die überzahlten Gehaltsbeträge auf 12.600,47 EUR (2005) bzw. 25.904,66 EUR (2006) beläuft. Diese beruhen auf den folgenden, in der zitierten Einzelaufstellung dargestellten monatlichen „Mehreinnahmen”:
Januar 2005 bis Oktober 2005 je 3.000 EUR = 30.000 EUR
November 2005 und Dezember 2005 je 6.000 EUR = 12.000 EUR
Summe 2005: 42.000 EUR
Januar bis Juni 2006 je 6.000 EUR = 36.000 EUR
Juli bis Oktober 2006 je 5.883 EUR = 23.532 EUR
November 2006 = 8.883 EUR
Dezember 2006 = 7.883 EUR
Summe 2006: 76.298 EUR
IV. Die Kosten des Verfahrens waren verhältnismäßig zu teilen, wobei entsprechend dem Obsiegen der Klägerin 61 % der Kosten dem Beklagten und 39 % der Klägerin aufzuerlegen waren (§ 136 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. FGO).
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob es sich bei Beträgen, die sich ein Arbeitnehmer, der keine Arbeitgeberfunktionen wahrnahm, unter Fälschung von Lohndaten als „Gehalt” auszahlt, um Arbeitslohn i.S.v. § 19 EStG handelt.