21.02.2012 · IWW-Abrufnummer 120515
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 09.11.2011 – 3 K 1122/07
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
3 K 1122/07
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin das Eigentum an einem Grundstück aufgrund einer Rechtshandlung erlangt hat, die die Merkmale eines Tatbestandes nach dem Anfechtungsgesetz erfüllt, und ob sie insoweit wegen Steuerforderungen, die der Beklagte (das Finanzamt) gegenüber einem der früheren Grundstückseigentümer hat, die Zwangsvollstreckung in das Grundstück dulden muss. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Klägerin ist die Tochter des Herrn P und der Frau P geb. … . Diese waren bis zum Jahr 2003 zu je 1/2 Eigentümer des Grundstücks X-Straße … in G ( …), Gemarkung M. Das Grundstück ist bebaut mit einem Zweifamilienhaus (mit einer Wohnung im Erdgeschoss über … m² Wohnfläche und einer Wohnung im Obergeschoss über … m² Wohnfläche). Bis zum Jahr 2003 war es belastet mit einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (Wohnungsrecht) für Herrn Z sowie mit vier Grundschulden über einen Gesamtbetrag von … DM (entsprechend … EUR).
Der Vater der Klägerin war während der Jahre 2001 bis 2003 an einer Gesellschaft beteiligt gewesen, die einen Gewerbebetrieb unterhalten hatte. Zum Stand 06.09.2005 hatte er gegenüber verschiedenen Gläubigern Verbindlichkeiten in einer Höhe zwischen … EUR und … EUR. Daneben hatte er Steuerschulden aus den Jahren 1993 bis 2000 (Einkommensteuer, Zinsen zu Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, evangelische Kirchensteuer, zu unterschiedlichen Teilbeträgen fällig gestellt während des Jahres 2005) in Höhe von insgesamt ca. 15.000 EUR (ohne Säumniszuschläge).
Mit notariellem Vertrag vom ...06.2003 übergaben die Eheleute P das Grundstück X-Straße … „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ an die Klägerin (§ 1 Abs. 1 des Vertrages). Die Vertragsparteien erklärten sich über den Eigentumsübergang einig und beantragten die Eigentumsänderung im Grundbuch (§ 1 Abs. 2 des Vertrages). Die Klägerin übernahm die dinglichen Belastungen des Grundstücks; die Eheleute P sollten die Zins- und Tilgungsleistungen für die Grundschulden wie bisher tragen (§ 2 Abs. 3 des Vertrages). Des Weiteren behielten sich die Eheleute P als Gesamtberechtigte ein Wohnungsrecht an dem Grundstück vor (§ 4 des Vertrages). Als Wert des Grundstücks gaben die Vertragsparteien gegenüber dem Notar zu Kostenzwecken einen Betrag von 385.000,00 EUR an (§ 6 Abs. 1 des Vertrages).
Wegen bestimmter Steuerrückstände gab das Finanzamt am 06.09.2005 an den zuständigen Vollziehungsbeamten einen Auftrag zur Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Herrn P. Der Vollziehungsbeamte stellte daraufhin fest, bei dem Steuerschuldner seien keine pfändbaren Sachen vorhanden.
Unter dem Datum vom 14.02.2006 erließ das Finanzamt gemäß § 191 der Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 4 des Anfechtungsgesetzes (AnfG) einen so genannten Duldungsbescheid. Darin traf es folgende Regelungen: Es seien gegenüber Herrn P Steuern in einem Gesamtbetrag von ca. 16.000,00 EUR (Betrag von ca. 15.000,00 EUR zuzüglich ca. 1.000,00 EUR Säumniszuschläge) endgültig und unanfechtbar festgesetzt sowie fällig und vollstreckbar. Wegen dieser Schuldbeträge werde die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück X-Straße … in G aufgrund des Vertrages vom ...06.2003 angefochten. Die Klägerin habe die Vollstreckung in das Grundstück so zu dulden, als gehöre es noch zur Hälfte zum Vermögen ihres Vaters, Herrn P. Durch den Vollzug der Grundstücksübergabe sei das Land Hessen als Gläubiger benachteiligt. Aufgrund des gesetzlichen Auftrages, die rechtzeitige Zahlung der Steuerschulden sicherzustellen, sei es ermessensgerecht, die Klägerin zur Duldung der Vollstreckung heranzuziehen. Das übertragene Grundstück sei der einzige Vermögensgegenstand, in den vollstreckt werden könne. Die Vollstreckung in das sonstige Vermögen des Steuerschuldners sei erfolglos verlaufen.
Gegen den Duldungsbescheid legte die Klägerin, vertreten durch ihren damaligen steuerlichen Berater, Einspruch ein. Dieser trug hierzu im Wesentlichen folgendes vor: Das Finanzamt sei nicht berechtigt gewesen, die Grundstücksübertragung gegenüber der Klägerin anzufechten. Die Klägerin sei nämlich durch die Übertragung nicht „bereichert“ worden. Sie habe mit dem Grundstück Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 133.000,00 EUR übernommen. Darüber hinaus seien die auf dem Grundstück lastenden Wohnungsrechte (im Erdgeschoss sowie im Obergeschoss) zu berücksichtigen. Außerdem sei die Klägerin aufgrund des Übergabevertrages verpflichtet, die ordnungsgemäße Instandhaltung des Grundstücks zu gewährleisten.
Das Finanzamt wies durch Entscheidung vom 13.03.2007 den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es unter anderem aus: Dem Vorbringen der Klägerin, sie sei durch die Grundstücksübertragung nicht „bereichert“ worden, könne nicht gefolgt werden. Ausweislich des Vertrages vom ...06.2003 seien die Vertragsparteien von einem Grundstückswert von 385.000,00 EUR ausgegangen. Die auf dem Grundstück lastenden Grundschulden hätten bei Vertragsschluss mit etwa 133.000,00 EUR valutiert. Wenn man davon ausgehe, dass bei Grundstücksübertragungsverträgen im Kosteninteresse häufiger zu niedrige Wertangaben gemacht würden, dürfte das hier betroffene Grundstück einen realisierbaren Wert von mindestens 260.000,00 EUR gehabt haben. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin die gesicherten Schulden nur mit dinglicher Wirkung von ihren Eltern übernommen habe, aber in persönlicher Hinsicht von den betreffenden Zins- und Tilgungsleistungen durch ihre Eltern freigestellt gewesen sei. In dem vorliegenden Zusammenhang könne auch nicht das Vorbringen der Klägerin berücksichtigt werden, wegen der Bedingung ihrer Eltern, sich ein Wohnungsrecht an einem Teil des übertragenen Grundstücks vorzubehalten, fehle es insoweit an einer „Bereicherung“.
Die Klägerin hat, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, gegen den Duldungsbescheid und die Einspruchsentscheidung Klage erhoben. Die Klage ist von der Gerichtsverwaltung entsprechend dem damals gültigen Geschäftsverteilungsplan dem 7. Senat des Hessischen Finanzgerichts zur Entscheidung zugewiesen worden. Der 7. Senat hat sodann den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
Zur Begründung der Klage hat der Prozessbevollmächtigte zunächst geltend gemacht, der angefochtene Duldungsbescheid sei schon deswegen rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 4 AnfG nicht vorlägen. Im Sinne einer hilfsweisen Begründung hat er weiter vorgetragen, die Rechtswidrigkeit des Duldungsbescheids ergebe sich auch aus Fehlern des Finanzamts im Rahmen der Ermessensausübung. Später hat er vorgetragen, das Grundstück sei zum Zeitpunkt der Übertragung wertausschöpfend belastet gewesen und deshalb fehle es an einer Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 1 AnfG.
Am 01.04.2009 hat der Einzelrichter des 7. Senats eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Zu dieser Verhandlung ist für das Finanzamt kein Vertreter erschienen. Der Einzelrichter ist nach Erörterung der Sache mit dem Prozessbevollmächtigten zu dem Ergebnis gelangt, in der Verhandlung seien neue Aspekte bekannt geworden und deshalb müsse dem Finanzamt Gelegenheit gegeben werden, hierzu Stellung zu nehmen. Vor diesem Hintergrund hat er die Sache vertagt.
In der Zwischenzeit hatte die Klägerin, weiter vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, betreffend den Duldungsbescheid bei Gericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Der Einzelrichter des 7. Senats hat daraufhin am 02.07.2009 einen Beschluss erlassen, durch den die Vollziehung des Duldungsbescheids ausgesetzt wurde. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Zwar seien die Merkmale des § 4 Abs. 1 AnfG in Bezug auf den hier angefochtenen Übergabevertrag gegeben. So hätten die Vertragspartner insbesondere keine Gegenleistung für die Übergabe des Grundstücks vereinbart. Allerdings könne – angesichts des summarischen Charakters des Aussetzungsverfahrens – für den Streitfall keine Aussage zu der Frage gemacht werden, ob das Grundstück zu dem maßgebenden Zeitpunkt im Sinne einer Gläubigerbenachteiligung (§ 1 AnfG) wertausschöpfend belastet gewesen sei. Zur Klärung dieser Frage müsse der Verkehrswert des Grundstücks ermittelt werden. Dies könne, etwa durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens, nur im Hauptsacheverfahren erfolgen. Zu klären sei auch die weitere Frage, welcher Zeitpunkt für das Vorliegen einer wertausschöpfenden Belastung maßgebend sei, der Abschluss des Übergabevertrages (...06.2003) oder der Erlass der Einspruchsentscheidung (13.03.2007).
Aufgrund einer Änderung des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans ist die vorliegende Streitsache in die Zuständigkeit des erkennenden Senats übergegangen. Der hier damals zuständige Einzelrichter hat – nach Anhörung der Beteiligten – die Streitsache wieder auf den Senat zurückübertragen. Der Senat hat sodann durch Beweisbeschluss vom 21.07.2011 den Gutachterausschuss beim Amt für Bodenmanagement … damit beauftragt, den Verkehrswert für das Grundstück zu den Stichtagen ...06.2003 und 13.03.2007 zu ermitteln und hierbei auch Feststellungen zu treffen über den Wert für das damals bestehende Wohnungsrecht zu Gunsten des Herrn Z sowie über den Wert für das von den Eltern der Klägerin zu ihren Gunsten zurückbehaltene Wohnungsrecht.
Der Gutachterausschuss hat in seiner Sitzung vom 14.09.2011 die Verkehrswerte für das Grundstück entsprechend dem Beweisbeschluss des Senats ermittelt. Dabei ist er zu folgenden Ergebnissen gelangt: (1) Stichtag ...06.2003: (a) Gesamtgrundstück: 308.000,00 EUR, (b) Wohnungsrecht für Herrn Z 130.000,00 EUR, (c) Wohnungsrecht für Eheleute P: 160.000,00 EUR, (2) Stichtag 13.03.2007: (a) Gesamtgrundstück: 301.000,00 EUR, (b) Wohnungsrecht für Herrn Z: 63.000,00 EUR, (c) Wohnungsrecht für Eheleute P: 153.000,00 EUR. Das betreffende Gutachten hat der Gutachterausschuss mit Schreiben vom 28.09.2011 dem Gericht vorgelegt.
Mit Schreiben vom 03.11.2011 (dem Gericht vorab übermittelt per Fax am selben Tag) hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin verschiedene Einwendungen gegen das Gutachten erhoben. Dabei hat er auch auf einen offenkundigen Fehler im Ansatz des Bodenwerts hingewiesen (Ermittlung des Bodenwerts mit 115.560,00 EUR, Seite 18 des Gutachtens; Ansatz eines Bodenwerts von 115.560,00 EUR im Ertragswertverfahren, Seite 21 des Gutachtens; Ansatz eines Bodenwerts von 204.050,00 EUR im Sachwertverfahren, Seite 24 des Gutachtens). Der Berichterstatter des Senats hat daraufhin den Gutachterausschuss gebeten, die Verkehrswertermittlung im Hinblick auf den vorgenannten Fehler nochmals zu prüfen und gegebenenfalls richtig zustellen sowie zu den Einwendungen des Prozessbevollmächtigten eine Stellungnahme abzugeben (Telefongespräch zwischen dem Berichterstatter und dem Vorsitzenden des Gutachterausschusses vom 03.11.2011, gerichtliche Verfügung vom selben Tag).
Der Gutachterausschuss hat in seiner Sitzung am 04.11.2011 den Verkehrswert für das Grundstück neu ermittelt. Daran anschließend hat der Vorsitzende des Gutachterausschusses mit Schreiben vom 04.11.2011 (dem Gericht per Telefax übermittelt am selben Tag) mitgeteilt: Hinsichtlich des Bodenwerts enthalte das bisherige Gutachten einen Übertragungsfehler. Dadurch änderten sich auch die für das Grundstück festzustellenden Verkehrswerte. Richtigerweise betrage der Verkehrswert zum Stichtag ...06.2003 270.000,00 EUR und zum Stichtag 13.03.2007 265.000,00 EUR. Die geänderten Berechnungsgrundlagen hat er dem Schreiben beigefügt. Gleichzeitig hat er die Neufassung des Gutachtens dem Gericht per Post übermittelt.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schreiben vom 07.11.2011 (dem Gericht per Telefax übermittelt am selben Tag) auch gegen die geänderten Feststellungen des Gutachterausschusses verschiedene Einwendungen erhoben. Auf einen entsprechenden Hinweis durch den Berichterstatter des Senats hat der Gutachterausschuss mit Schreiben vom 08.11.2011 (dem Gericht per Telefax übermittelt am selben Tag) bezüglich der Punkte „Marktanpassungsfaktor“ und „Liegenschaftszinssatz“ erläutert und hierzu einschlägige Literaturquellen vorgelegt.
Der Vorsitzende des Senats hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 09.11.2011 den Beteiligten jeweils eine Kopie des Schreibens vom 08.11.2011 ausgehändigt. Gegen die darin enthaltenen Erläuterungen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Wesentlichen keine Einwände mehr geltend gemacht. Auch bezüglich anderer Punkte hat er sein früheres Vorbringen nicht nochmals aufgegriffen.
Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende die (vorläufige) Rechtsauffassung des Senats dargelegt. Hierzu hat er unter anderem ausgeführt: Für die Beurteilung der Frage, ob der Steuergläubiger durch die hier angefochtene Grundstücksübergabe benachteiligt worden sei, komme es auf den Stichtag 13.03.2007 an. Dies ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung der einschlägigen Grundsätze des Bundesgerichtshofs (BGH). Es sei mithin zu prüfen, ob das Grundstück zu dem vorgenannten Stichtag wertausschöpfend belastet gewesen sei. Würden von dem Verkehrswert des Grundstücks (265.000,00 EUR) die Belastungsposten „Wohnungsrecht zu Gunsten des Herrn Z“ (63.000,00 EUR) und „Darlehensvaluta“ (133.000,00 EUR) abgezogen, verblieben noch ein unbelasteter Rest von 69.000,00 EUR.
Anknüpfend an den Hinweis des Senatsvorsitzenden hat der Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen ausgeführt: Der Duldungsbescheid sei in jedem Falle rechtswidrig, entweder wegen des Fehlens einer Gläubigerbenachteiligung oder wegen der Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung durch das Finanzamt. (1) Eine Gläubigerbenachteiligung könne nicht festgestellt werden, auch wenn man sich hinsichtlich der Wertverhältnisse an dem Stichtag 13.03.2007 orientiere. Denn als Belastungsposten müsse das von den Eheleuten P zurückbehaltene Wohnungsrecht zur Hälfte seines Werts (153.000,00 EUR x 1/2 = 76.500,00 EUR) berücksichtigt werden. Frau P habe mit den Steuerschulden ihres Ehemannes, Herrn P, nichts zu tun. Deshalb könne der Übergabevertrag vom ...06.2003 hinsichtlich des zu Gunsten von Frau P zurückbehaltenen Wohnungsrechts auch nicht angefochten werden. Unter Berücksichtigung dieses Abzugspostens sei das Grundstück zum Stichtag 13.03.2007 (wie auch schon zum Stichtag ...06.2003) wertausschöpfend belastet gewesen. Im Übrigen müsse bei der Wertermittlung (etwa im Hinblick auf den Marktanpassungsfaktor) berücksichtigt werden, dass Gegenstand des Duldungsbescheids nicht das gesamte Grundstück, sondern nur der Herrn P betreffende Anteil sei. (2) Das Finanzamt habe im Rahmen der ihm obliegenden Ermessensausübung nicht geprüft, ob das Grundstück wertausschöpfend belastet gewesen sei, und darüber hinaus auch nicht, ob angesichts der betroffenen Vermögenswerte der Erlass eines Duldungsbescheids verhältnismäßig gewesen sei. Hierzu sei es aber verpflichtet gewesen. Denn ein Duldungsbescheid könne erst dann erlassen werden, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen zweifelsfrei festgestellt und die einzelnen Werte gegeneinander abgewogen worden seien. Diese Ermessenserwägungen könnten im finanzgerichtlichen Verfahren jedenfalls nicht nachgeholt werden.
Die Klägerin beantragt,
den Duldungsbescheid vom 14.02.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.03.2007 aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt es unter anderem vor: Die Frage einer wertausschöpfenden Belastung des Grundstücks sei im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren eingehend geprüft worden. Dies ergebe sich aus der Einspruchsentscheidung wie auch aus dem vorangegangenen Schriftverkehr. Nach dem damals vorhandenen Zahlenmaterial habe der unbelastete Grundstücksanteil einen Wert gehabt, der deutlich über dem Wert der im Duldungsbescheid genannten Steuerrückstände gelegen habe. Auch sei es zulässig gewesen, den Wert des Gesamtgrundstücks nach der im Übergabevertrag genannten Wertangabe
( 385.000,00 EUR) zu bestimmen.
Der Senat hat vom Finanzamt die den angefochtenen Duldungsbescheid betreffenden Akten, die das Grundstück betreffenden Einheitswertakten sowie die Herrn P betreffenden Vollstreckungsakten angefordert. Diese Vorgänge waren Gegenstand des Verfahrens.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Der angefochtene Duldungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin auch nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, FGO).
Das Finanzamt ist berechtigt, die Klägerin im Wege des Duldungsbescheids aufgrund der Steuerschulden ihres Vaters in Anspruch zu nehmen. Es geht zutreffend davon aus, dass die Klägerin aufgrund des mit ihren Eltern geschlossenen Übergabevertrages die Merkmale eines Tatbestandes nach dem Anfechtungsgesetz erfüllt hat und dass sie insofern die Zwangsvollstreckung in den übergebenen Grundstücksanteil dulden muss.
Wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Der Duldungsanspruch der Finanzbehörde kann sich auch aus zivilrechtlichen Normen ergeben. Solche Normen enthält insbesondere das Anfechtungsgesetz (vgl. Intemann in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 191 Rn. 134).
Nach § 1 Abs. 1 AnfG können Rechtshandlungen eines Schuldners, die seine Gläubiger benachteiligen, angefochten werden. Zu einer solchen Anfechtung ist nach § 2 AnfG jeder Gläubiger berechtigt, der einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat und dessen Forderung fällig ist, wenn die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers geführt hat. Anfechtbar ist nach § 4 Abs. 1 AnfG eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, wenn sie nicht früher als vier Jahre vor der Anfechtung vorgenommen worden ist. Wird – wie hier – die Anfechtung (abweichend von § 13 AnfG) nicht im Wege der (zivilgerichtlichen) Klage, sondern durch Duldungsbescheid geltend gemacht, bestimmt sich (abweichend von § 7 Abs. 1 AnfG) die in § 4 AnfG festgelegte Frist gemäß § 191 Abs. 1 Satz 2 AO nach dem Zeitabstand zwischen dem Wirksamwerden der Rechtshandlung (§ 8 AnfG) und dem Erlass des Duldungsbescheids. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AnfG muss dasjenige, das durch die anfechtbare Rechtshandlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert worden ist, dem Gläubiger zur Verfügung gestellt werden, soweit es zu dessen Befriedigung erforderlich ist.
a) Die Grundvoraussetzungen des § 2 AnfG liegen vor.
Das Finanzamt hat die Steuerbeträge, die dem Duldungsbescheid zu Grunde liegen, durch entsprechende Bescheide bestandskräftig festgesetzt und fällig gestellt. Dadurch hat es jeweils einen vollstreckbaren Schuldtitel im Sinne des § 2 AnfG erlangt.
Die Zwangsvollstreckung aus den Schuldtiteln war erfolglos. Denn ausweislich der Niederschrift, die der Vollziehungsbeamte des Finanzamts am 06.09.2005 erstellt hat, waren bei dem Vater der Klägerin keine pfändbaren Sachen vorhanden.
b) Der Übergabevertrag vom 13.06.2003 stellt eine unentgeltliche Leistung im Sinne des § 4 Abs. 1 AnfG dar.
§ 4 Abs. 1 AnfG setzt – abweichend vom Begriff der Schenkung im Sinne des § 516 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) – keine vertragliche Einigung über die Unentgeltlichkeit voraus. Insofern sind die subjektiven Vorstellungen und Absichten der Beteiligten (des Schuldners einerseits und des Leistungsempfängers andererseits) nicht entscheidend. Vielmehr kommt es auf die objektive Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners und der Gegenleistung des Empfängers an (vgl. Huber, Anfechtungsgesetz, 9. Aufl., § 4 Rn. 18 mit weiteren Nachweisen). Dies gilt insbesondere bei der Übertragung von Grundstücken. Hier begründet die Übernahme einer Belastung nicht ohne Weiteres die Entgeltlichkeit des betreffenden Geschäfts. Denn der Übernehmer erhält in einem solchen Falle das Grundstück ohnehin nur mit den darauf ruhenden dinglichen Belastungen. Auch Nießbrauchsrechte, die sich der Schuldner bei der Übertragung eines Grundstücks vorbehält, sind keine „Gegenleistung“ im Sinne des § 4 Abs. 1 AnfG (vgl. BGH-Urteil vom 07.04.1989 V ZR 252/87, NJW 1989, 2122).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klägerin keine Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück erbracht. Dies gilt zunächst für die Übernahme der dinglichen Belastungen, die vor der Übertragung des Grundstücks bestanden haben, nämlich für die Grundschulden sowie für das Wohnungsrecht zu Gunsten des Herrn Z. Zum anderen gilt dies für das Wohnungsrecht, das sich die Eltern der Klägerin in dem Übergabevertrag vorbehalten haben. In dieser Hinsicht kann der Streitfall nicht anders behandelt werden als der Fall, bei dem der Schuldner sich den Nießbrauch an dem übertragenen Grundstück vorbehalten hat. Der Umstand, dass sich die Klägerin in dem Übergabevertrag „im Interesse des Wohnungsrechts zur ordnungsgemäßen Instandhaltung des Bauwerks“ verpflichtet hat, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant. Denn die Instandhaltungspflicht hat neben dem Wohnungsrecht keine eigenständige Bedeutung.
Der 7. Senat des Hessischen Finanzgerichts ist schon in seinem Aussetzungsbeschluss von der Annahme ausgegangen, dass die Grundstücksübergabe an die Klägerin eine unentgeltliche Leistung im Sinne des § 4 Abs. 1 AnfG darstellt. Der hier erkennende Senat folgt zwar nicht den dort angegebenen Gründen. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen sieht er aber keinen Anlass, von dem Ergebnis abzuweichen. Im Übrigen hat die Klägerin an ihrer Auffassung, die Grundstücksübergabe sei entgeltlich erfolgt, zuletzt auch nicht mehr festgehalten.
c) Die Anfechtung des Übergabevertrags ist innerhalb der in § 4 Abs. 1 AnfG festgelegten Vier-Jahres-Frist erfolgt.
Der Übergabevertrag ist durch die gleichzeitigen Erklärungen über die Auflassung und die Grundbuchänderung am ...06.2003 im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 AnfG wirksam geworden. Die Anfechtung des Übergabevertrags im Wege des Duldungsbescheids ist gemäß § 191 Abs. 1 Satz 2 AO am 14.02.2006 erfolgt, mithin noch innerhalb der vorgenannten Frist.
d) Durch den Übergabevertrag ist eine Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 1 AnfG eingetreten. Der Einwand der Klägerin, an einer Gläubigerbenachteiligung fehle es im Streitfall, weil das Grundstück wertausschöpfend belastet gewesen sei, ist bezogen auf den Stichtag 13.03.2007 (Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung) nicht begründet.
Regelungszweck des Anfechtungsgesetzes ist es, im Wege der so genannten Einzelgläubigeranfechtung die Zugriffslage wiederherzustellen, die ohne die (anfechtbare) Rechtshandlung des Schuldners bestanden hätte. Anfechtbar ist eine Rechtshandlung des Schuldners insofern nur dann, wenn durch sie die Befriedigungsmöglichkeit des Gläubigers aus dem Schuldnervermögen beeinträchtigt und der Gläubiger in diesem Sinne objektiv benachteiligt ist. Ausreichend ist allerdings im Regelfall eine mittelbare Benachteiligung. Nur für den Anfechtungstatbestand des § 3 Abs. 2 AnfG (Abschluss eines entgeltlichen Vertrags zwischen dem Schuldner und einer nahe stehenden Person) ist nach dem Gesetzeswortlaut eine unmittelbare Benachteiligung erforderlich. Eine objektive Gläubigerbenachteiligung fehlt jedoch, wenn der Gegenstand, den der Schuldner weggegeben hat, wertausschöpfend belastet ist. Denn in einem solchen Fall könnte die Zwangsvollstreckung für den anfechtenden Gläubiger keinen Erfolg haben. Handelt es sich bei dem weggegebenen Gegenstand – wie hier im Streitfall – um ein Grundstück bzw. um einen Grundstücksanteil, ergibt sich die Belastung vielfach aus dem Vorhandensein von Grundpfandrechten. Für den Umfang der Belastung ist dabei nicht der Buchwert solcher Grundpfandrechte maßgebend, sondern die Höhe der Forderungen, die durch die Grundpfandrechte abgesichert werden (vgl. Huber, a.a.O., § 1 Rn. 32, Rn. 39, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Für die Frage, ob der bei einer Verwertung des Grundstücks zu erwartende Erlös durch die Belastungen aufgezehrt würde, ist der Verkehrswert des Grundstücks maßgebend. Ist dieser Wert im Verfahren der zivilgerichtlichen Anfechtung nach § 13 AnfG streitig, muss durch das Gericht ein entsprechendes Sachverständigengutachten eingeholt werden (vgl. BGH-Urteil vom 18.03.1993 IX ZR 198/92 NJW 1993, 1796; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18.07.2007 7 U 59/05, JurBüro 2008, 48). Entsprechendes gilt nach Auffassung des erkennenden Senats, wenn – wie hier im Streitfall – die Anfechtung durch einen Duldungsbescheid der Finanzbehörde nach § 191 AO erfolgt ist und die Rechtmäßigkeit dieses Duldungsbescheids im finanzgerichtlichen Verfahren geklärt werden soll.
Der Gutachterausschuss beim Amt für Bodenmanagement … hat im Auftrag des Senats für das hier betroffene Grundstück zum Stichtag 13.03.2007 einen Verkehrswert von 265.000 EUR ermittelt. Dabei hat er, wie in dem Beweisbeschluss des Senats vorgegeben, auch Feststellungen getroffen zu dem Wohnungsrecht, das damals zu Gunsten des Herrn Z im Grundbuch eingetragen war. Hierfür hat er zu dem vorgenannten Stichtag einen Belastungswert von 63.000 EUR ermittelt.
Die Klägerin hat im Einspruchsverfahren zu den Forderungen, für deren Sicherung die Grundschulden eingetragen sind, einen Wert von etwa 133.000,00 EUR angegeben. Das Finanzamt hat diese Wertangabe in der angefochtenen Einspruchsentscheidung übernommen. Auch im gerichtlichen Verfahren sind die Beteiligten für die maßgebenden Darlehensvaluta von dem vorgenannten Wert ausgegangen. Der Berichterstatter des Senats hat den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 07.11.2011 (per Fax übermittelt am selben Tag) gebeten, zur Höhe der genannten Darlehensvaluta zahlenmäßig genau Auskünfte zu geben. Der Prozessbevollmächtigte hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt, wegen der Kürze der Zeit sei es nicht möglich gewesen, von der kreditgebenden Bank solche Auskünfte zu erhalten.
Der Senat unterstellt zu Gunsten der Klägerin, dass die bisherigen Angaben über die Höhe der Darlehensvaluta zum Stichtag 13.03.2007 in etwa den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Dass die Klägerin damals einen zu niedrigen Wert angegeben haben könnte, hält er für so gut wie ausgeschlossen. Des Weiteren hält er es für sehr unwahrscheinlich, dass die Darlehensvaluta sich in der Zeit vor Erlass der Einspruchsentscheidung – mit nachteiliger Wirkung für die Klägerin in dem vorliegenden Zusammenhang – deutlich verringert haben könnten.
Werden die Feststellungen des Gutachterausschusses über den Verkehrswert des Grundstücks und den Belastungswert des zu Gunsten von Herrn Z damals bestehenden Wohnungsrechts sowie die Wertangaben der Klägerin über die damalige Höhe der Darlehensvaluta in eine Vergleichsrechnung eingestellt, dann ergibt sich, dass das Grundstück damals nicht wertausschöpfend belastet war. Zieht man also von dem Verkehrswert in Höhe von 265.000,00 EUR den Wert des Wohnungsrechts in Höhe von 63.000,00 EUR sowie den Wert der Darlehensvaluta in Höhe von 133.000,00 EUR ab, dann verbleibt eine Differenz von 69.000,00 EUR.
e) Für die Frage, ob eine Gläubigerbenachteiligung vorliegt, kommt es – jedenfalls nach den im Streitfall gegebenen Umständen – auf den Zeitpunkt an, zu dem das Finanzamt über den Einspruch gegen den Duldungsbescheid abschließend entschieden hat. Maßgebend ist also das Datum der angefochtenen Einspruchsentscheidung, der 13.03.2007. Die Tatsache, dass bei Abschluss des Übergabevertrages, nämlich am ...06.2003, das Grundstück möglicherweise nicht wertausschöpfend belastet war, spielt insofern hier keine Rolle.
Der BGH stellt für die Frage, ob ein Fall der mittelbaren Gläubigerbenachteiligung vorliegt, in ständiger Rechtsprechung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung des Anfechtungsprozesses ab. Er sieht es insofern als ausreichend an, dass die angefochtene Rechtshandlung in dem vorgenannten Zeitpunkt die Möglichkeit des Gläubigers, sich aus dem Schuldnervermögen zu befriedigen, beeinträchtigt hat (vgl. Urteil vom 24.09.1996 IX ZR 190/95, NJW 1996, 3341 mit weiteren Nachweisen; hierzu auch: Huber, a.a.O., § 1 Rn. 41).
Demgegenüber hat das Oberlandesgericht (OLG) München in einem Fall, bei dem es um die Anfechtung gemäß § 4 AnfG für die Übertragung einer Immobilie durch den Schuldner an seinen Ehegatten ging, auf den Zeitpunkt der Übereignung abgestellt. Hierzu hat es ausgeführt: Grundsätzlich sei für die Frage der Gläubigerbenachteiligung der Zeitpunkt der anfechtbaren Rechtshandlung maßgebend. Dies gelte erst recht, wenn – wie in dem dortigen Urteilsfall – die wertausschöpfende Belastung erst nach Vollendung des Eigentumsübergangs vorgenommen werde. Ansonsten hätte es der Anfechtungsgegner in der Hand, durch nachträgliche Belastung der ihm übertragenen Sache die Anfechtungsmöglichkeit des Gläubigers entfallen zu lassen (Urteil vom 20.05.2003 23 U 4260/02, WM 2004, 1044).
Der erkennende Senat kann offen lassen, ob er – wie möglicherweise der Einzelrichter des 7. Senats in seinem Aussetzungsbeschluss – dem OLG München in dieser Allgemeinheit folgen könnte. Denn die vorstehenden Erwägungen sind für den hier vorliegenden Streitfall nicht einschlägig. Die Erwägungen, die der BGH für die Annahme einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung in dem dortigen Urteilsfall dargelegt hat, passen jedenfalls genau auf den im Streitfall gegebenen Sachverhalt. So führt der BGH aus: Maßgebend sei, ob die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für den Gläubiger günstiger wären, wenn der übertragene Vermögensgegenstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung noch zum Schuldnervermögen gehören würde. Deshalb seien Wertsteigerungen, die seit der Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung eingetreten seien, grundsätzlich zu Gunsten des Anfechtungsgläubigers zu berücksichtigen. Ebenso seien Wertsteigerungen, die infolge Wegfalls vorrangiger Belastungen eingetreten seien, zu Gunsten des Anfechtungsgläubigers grundsätzlich bis zum maßgebenden Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung zu berücksichtigen.
Dem Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung im (zivilgerichtlichen) Anfechtungsprozess nach § 13 AnfG entspricht im Verfahren der Einzelgläubigeranfechtung durch Duldungsbescheid nach § 191 AO der Zeitpunkt, zu dem das Finanzamt über den Einspruch gegen den Duldungsbescheid entscheidet. Dies ergibt sich aus verschiedenen Verfahrensgrundsätzen. Zum einen steht der Erlass eines Duldungsbescheids im Ermessen der Finanzbehörde. Die insoweit zu treffende Ermessensentscheidung genügt dabei nur dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn die Finanzbehörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt hat (Intemann in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 191 Rn. 37, Rn. 140). Zum anderen kann das Finanzgericht die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde gemäß § 102 FGO nur eingeschränkt überprüfen. Maßgebend hierfür ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung. Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an, die der Finanzbehörde zu diesem Zeitpunkt bekannt waren oder bekannt sein mussten (vgl. Pahlke in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 5 Rn. 38 ff. mit weiteren Nachweisen).
Die Verhältnisse im Streitfall decken sich mit den vorstehend genannten Erwägungen des BGH. Bei dem hier betroffenen Grundstück haben sich im Hinblick auf das Wohnungsrecht zu Gunsten des Herrn Z die für den Steuergläubiger relevanten Belastungen erheblich verringert. Der Wert des Wohnungsrechts betrug zum Zeitpunkt der Übergabe noch 130.000,00 EUR, bei Erlass der den Duldungsbescheid betreffenden Einspruchsentscheidung demgegenüber nur noch 63.000,00 EUR. Der Verkehrswert des Gesamtgrundstücks hat sich im Verhältnis dazu nur unerheblich verringert. Zum Zeitpunkt der Übergabe wären die Erfolgsaussichten für eine Vollstreckung in den Miteigentumsanteil des Herrn P deutlich geringer gewesen als zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung. Würde man nämlich von dem Verkehrswert in Höhe von 270.000,00 EUR den Wert des Wohnungsrechts in Höhe von 130.000,00 EUR sowie den Wert der Darlehensvaluta in Höhe von 133.000,00 EUR abziehen, dann verbliebe für den erstgenannten Zeitpunkt lediglich eine Differenz von 7.000,00 EUR.
f) Der Senat hat keinen Grund, an der Richtigkeit des von dem Gutachterausschuss zuletzt vorgelegten Gutachtens zu zweifeln. Die Einwendungen, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hierzu in der mündlichen Verhandlung noch erhoben hat, hält er für unbegründet.
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten waren bei der Ermittlung des Verkehrswerts die wertbestimmenden Merkmale, wie etwa der Marktanpassungsfaktor (§ 14 der Immobilienwertermittlungsverordnung, ImmoWertV), nicht auf den (früheren) Eigentumsanteil des Herrn P, sondern auf das gesamte Grundstück zu beziehen. Gegenstand der Verkehrswertermittlung ist nämlich nach § 1 Abs. 1 ImmoWertV das Grundstück als solches. Zwar können für grundstücksgleiche Rechte und Ähnliches nach § 1 Abs. 2 ImmoWertV auch Verkehrswerte festgestellt werden, nicht jedoch für die Anteile an einer so genannten Bruchteilsgemeinschaft im Sinne des § 741 BGB.
Der Gutachterausschuss hat den offenkundigen Fehler, der ihm bei der Erstellung des ersten Gutachtens unterlaufen war, richtig gestellt. Dabei hat er auch die notwendigen Folgerungen für die einzelnen Wertermittlungsfaktoren gezogen. Auf die diesbezüglichen Einwendungen des Prozessbevollmächtigten hat er das Gutachten in einzelnen Punkten, insbesondere zum Marktanpassungsfaktor und zum Liegenschaftszinssatz, näher erläutert und mit einschlägigen Literaturquellen belegt. Der Prozessbevollmächtigte hat durch den Senat ausreichend Gelegenheit erhalten, sich zu dem Gutachten und den diesbezüglichen Erläuterungen des Gutachterausschusses zu äußern. Letztendlich hat er an seinen ursprünglichen Einwendungen auch nicht mehr festgehalten.
g) Die Klägerin kann nicht mit dem Einwand gehört werden, eine Gläubigerbenachteiligung sei ausgeschlossen, weil das zu Gunsten der Eheleute P bestehende Wohnungsrecht zur Hälfte seines Wertes im Sinne einer wertausschöpfenden Belastung berücksichtigt werden müsse. Diesem Einwand stehen maßgebende Grundsätze der Gläubigeranfechtung entgegen.
Zunächst stellt die Tatsache, dass die Eheleute P sich in dem Übergabevertrag als Gesamtberechtigte ein Wohnungsrecht an dem Grundstück vorbehalten haben, für sich genommen schon eine Rechtshandlung dar, die die Merkmale einer Gläubigerbenachteiligung nach dem Anfechtungsgesetz erfüllt (vgl. zur Anwendung des Anfechtungsgesetzes in dem Fall, dass der Schuldner ein dingliches Recht am eigenen Grundstück bestellt: BFH-Urteil vom 30.03.2010 VII R 22/09, BStBl II 2011, 327). Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin zuletzt auch nicht mehr geltend gemacht, das Wohnungsrecht müsse insgesamt im Sinne einer wertausschöpfenden Belastung berücksichtigt werden.
An dem vorstehenden Ergebnis vermag die Klägerin nichts dadurch zu ändern, dass sie ihr Begehren auf Berücksichtigung des Wohnungsrechts mit dem Hinweis auf die Rechte ihrer Mutter, Frau P, nunmehr auf die Hälfte beschränkt. Eine solche Beschränkung ist schon deshalb nicht möglich, weil das Wohnungsrecht nicht teilbar ist und insofern nur einheitlich ausgeübt werden kann. Dies gilt auch dann, wenn das Wohnungsrecht – wie hier im Streitfall – zu Gunsten von mehreren Personen als Gesamtberechtigten eingeräumt worden ist. Denn bei einer Gesamtberechtigung an einem Wohnungsrecht kann von den Berechtigten jeder einzelne die Nutzung der Wohnung durch sich allein verlangen. Fällt das Wohnungsrecht für einen der Gesamtberechtigten weg, etwa durch Tod, ändert sich dadurch für den anderen Gesamtberechtigten nichts (vgl. BGH-Urteil vom 11.07.1996 IX ZR 81/94, NJW 1996, 3006).
Die Frau P zustehenden Rechte werden in ausreichendem Maße durch die Regeln des Zwangsvollstreckungsrechts gewährleistet. Frau P kann im Zwangsversteigerungsverfahren nämlich verlangen, dass zu ihren Gunsten das Wohnungsrecht gemäß § 44 Abs. 1 des Zwangsversteigerungsgesetzes (ZVG) in das geringste Gebot aufgenommen wird. Dieses Recht bliebe dann gemäß § 52 ZVG auch im Falle der Zuschlagserteilung bestehen. Die Frage, ob unter solchen Umständen eine Befriedigung des Steuergläubigers in wirtschaftlicher Hinsicht möglich erscheint, braucht im vorliegenden Anfechtungsverfahren nicht geprüft zu werden (vgl. zur Gläubigeranfechtung bei Bestellung eines Wohnungsrechts: BGH-Urteil vom 13.07.1991 IX ZR 81/94, NJW 1995, 2846).
h) Das Finanzamt hat bei Erlass des angefochtenen Duldungsbescheids das ihm eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Dabei hat es – entgegen dem Vorbringen der Klägerin – den für die Ermessensausübung maßgebenden Sachverhalt ausreichend ermittelt und in der Folge seine Ermessenserwägungen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet.
Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt („kann … in Anspruch genommen werden“), steht der Erlass eines Duldungsbescheids im Ermessen der Finanzbehörde. Die Finanzbehörde muss das Für und Wider der Inanspruchnahme des Duldungspflichtigen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles abwägen. Hierzu hat sie unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob die geplante Maßnahme für die Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist und auch nicht außer Verhältnis zum angestrebten Erfolg steht. Des Weiteren hat sie den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend zu ermitteln. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sämtliche Umstände des Einzelfalles lückenlos aufklären müsste. Die Ermittlung muss sich nur auf die Umstände erstrecken, die nach Sinn und Zweck der Ermessensvorschrift für die Ermessensausübung von Bedeutung sind (vgl. zum Vorstehenden: Pahlke in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 5 Rn. 33; Intemann in Pahlke/Koenig, § 191 Rn. 37 und Rn. 140; jeweils mit weiteren Nachweisen).
Die Sachverhaltsermittlung, auf deren Grundlage das Finanzamt die angefochtene Einspruchsentscheidung erlassen hat, genügt den vorstehend dargelegten Anforderungen. Insbesondere reicht es aus, dass das Finanzamt sich an den Wertangaben orientiert hat, die die Klägerin und ihre Eltern bei Abschluss des Übergabevertrages gegenüber dem Notar gemacht hatten. Für das Finanzamt bestand auch kein Anlass, den Verkehrswert des Grundstücks genau zu ermitteln. Vor Erlass der Einspruchsentscheidung hatte das Finanzamt nämlich den damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin darauf hingewiesen, dass seinerzeit der Wert des Grundstücks für Zwecke der Kostenberechnung mit 385.000,00 EUR beziffert worden sei und dass dieser Wert die bestehenden Verbindlichkeiten erheblich übersteige (Schreiben vom 27.06.2006). Der Bevollmächtigte der Klägerin hatte darauf nicht geantwortet. Das Finanzamt hat sodann in der Einspruchsentscheidung ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass bei Grundstücksübertragungsverträgen die Beteiligten über den Gegenstandswert häufiger Angaben machen würden, die unter dem tatsächlichen Verkehrswert lägen, und dass deshalb das hier betroffene Grundstück einen realisierbaren Wert von mindestens 260.000,00 EUR gehabt habe. Demzufolge hatte der genaue Verkehrswert des Grundstücks für das Finanzamt bei Erlass der Einspruchsentscheidung keine Bedeutung. Das Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung erschien damals ganz offensichtlich. Ein Anlass, den Verkehrswert genau zu ermitteln, hätte allenfalls dann bestanden, wenn der damalige Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin auf den Hinweis des Finanzamts irgendwelche Einwendungen in Bezug auf den tatsächlichen Verkehrswert des Grundstücks erhoben hätte. Die Tatsache, dass das Finanzamt in dem angefochtenen Duldungsbescheid keine Angaben über den Verkehrswert des Grundstücks gemacht hat, spielt im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle. Auch kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht hat, der tatsächliche Verkehrswert sei geringer als vom Finanzamt ursprünglich angenommen. Denn für die gerichtliche Überprüfung einer Ermessensentscheidung ist, wie bereits in dem vorstehenden Abschnitt e) dargelegt, regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Ermessensentscheidung abzustellen.
Anhaltspunkte dafür, dass das Finanzamt bei Erlass des Duldungsbescheids die Gesichtspunkte, die im Sinne eines „Für und Wider“ abzuwägen waren, nicht berücksichtigt hat, sind nicht erkennbar. So hat das Finanzamt in dem Duldungsbescheid ausgeführt: Der Steuergläubiger sei durch den Vollzug der Grundstücksübergabe benachteiligt. Es bestehe der gesetzliche Auftrag, die Begleichung der fälligen Steuerforderungen sicherzustellen. Das hier betroffene Grundstück sei der einzige Vermögensgegenstand, in den vollstreckt werden könne. Aus alldem wird nicht ersichtlich, dass das Finanzamt zur Realisierung der Steueransprüche im Vergleich zu dem angefochtenen Duldungsbescheid eine gleich geeignete und weniger belastende Alternative gehabt hätte. Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass angesichts der hier betroffenen Vermögensverhältnisse der Erlass eines Duldungsbescheids als Maßnahme der Steuerbeitreibung in einem völlig unangemessenen Missverhältnis zu dem angestrebten Erfolg bestanden haben könnte.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.