Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 20.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121205

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 07.12.2011 – 2 K 19/11

    1.Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 33 Abs. 1 EStG.



    2.Die Regelungen über die zumutbare Belastung sind verfassungsgemäß.



    3.Das gilt auch nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Abzugsfähigkeit von Krankenversicherungsbeiträgen (vgl. BVerfG Beschl. v. 13.2.2008 - 2 BvL 1/06, BVerfG 120, 125).


    Niedersächsisches Finanzgericht v. 07.12.2011

    2 K 19/11

    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten darüber, ob außergewöhnliche Belastungen lediglich mit dem über die zumutbare Belastung hinausgehenden Betrag zu berücksichtigen sind.

    Der Kläger, der mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wird, ist selbständig tätig. Im Streitjahr erzielte er aus der selbständigen Tätigkeit Einkünfte von rd. 200.000 €, zudem geringfügige Renteneinkünfte sowie Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften von 3.199 €. Der Kläger sowie seine Ehefrau erzielten zudem Kapitalerträge von rd. 8.000 € sowie die Ehefrau Werbungskostenüberschüsse aus Vermietung und Verpachtung von 12.399 €. Bei den außergewöhnlichen Belastungen machten der Kläger und seine Ehefrau Aufwendungen von 7.451 € geltend.

    Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer wirkten sich die Krankheitskosten indes nicht aus, da sie die zumutbare Belastung gem. § 33 Abs. 3 EStG (Gesamtbetrag der Einkünfte 192.937 € x 6 v.H. = 11.576 €) nicht überstiegen.

    Gegen die Anrechnung der zumutbaren Belastung wandte sich der Kläger im Einspruchsverfahren mit der Begründung, die Vorschrift des § 33 Abs. 3 EStG sei wegen Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip als verfassungswidrig anzusehen. Eine Entlastung ergebe sich nämlich in keinem Fall, bei niedrigen Einkommen fielen per se keine Steuern an, bei höheren Einkommen verhindere die Zumutbarkeitsschranke eine steuerliche Entlastung. Er begehrte zumindest den hälftigen Ansatz der geltend gemachten Aufwendungen.

    Gegen die abweisende Einspruchsentscheidung wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage und verweist darauf, dass er sich darüber bewusst sei, dass das BVerfG darüber befunden habe, dass eine zumutbare Eigenbelastung verfassungsgemäß sei. Die Vorschrift des § 33 Abs. 3 EStG sei indes so gestaltet, dass nahezu in keinem denkbaren Fall eine steuerliche Entlastung eintrete und sei deshalb aus dem Gesetz zu entfernen. Dies konkretisiert der Kläger dahingehend, dass allenfalls bei dem Personenkreis mit einem Gesamtbetrag der Einkünfte über 51.130 € davon ausgegangen werden könne, dass als außergewöhnliche Belastung anzuerkennende Aufwendungen in einer Höhe entstehen, die über die zumutbare Belastung hinausgehen. Allerdings sei anzunehmen, dass gerade bei den Beziehern höherer Einkommen Krankheitskosten mehrheitlich durch Versicherungen abgedeckt seien. Bei dieser Sachlage seien weder der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung noch der Grundsatz der Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip gewahrt.

    Im Fall des Klägers sei zu berücksichtigen, dass das Einkommen durch steuerliche Abgaben von nahezu 40 v.H. des zu versteuernden Einkommens belastet werde sowie darüber hinaus durch erhebliche Krankenkosten (einschließlich Versicherungen), die durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht ausgeglichen würden. Mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip habe dies nichts zu tun.

    Der Kläger beruft sich für seine Rechtsauffassung u.a. auf einen Aufsatz von Karrenbrock/Petrak in DStR 2011, 552ff, in dem die Autoren zu der Auffassung gelangen, Krankheitsaufwendungen seien unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BVerfG zur Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung im Rahmen einer Basisvorsorge, ohne Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung zu berücksichtigen.

    Der Kläger beantragt,

    den Bescheid über Einkommensteuer für 2008 vom 29. März 2010 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 14. Dezember 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Einkommensteuerbescheid unter Berücksichtigung weiterer Ausgaben in Höhe von 7.451 € zu erteilen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen

    mit der Begründung die Steuerfestsetzung entspreche der im Streitjahr geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes. Eine Gesetzesverwerfungskompetenz stehe der Finanzverwaltung indes nicht zu.

    Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 105 Abs. 3 FGO auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.



    Gründe
    I. Die Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Der Beklagte hat den Abzug von Krankheitsaufwendungen zu Recht vor dem Hintergrund versagt, dass die geltend gemachten Aufwendungen die zumutbare Belastung gem. § 33 Abs. 3 EStG nicht übersteigen.

    1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

    In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten – ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung – dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00 BStBl 2001 II S. 543 und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98 BStBl 1999 II S. 227 m.w.N.). Die Höhe der Krankheitskosten (7.451 €) und deren grundsätzliche Abzugsfähigkeit ist vorliegend unstreitig.

    2. Zutreffend hat der Beklagte die Aufwendungen gleichwohl im Ergebnis gem. § 33 Abs. 1, Abs. 3 EStG nicht berücksichtigt, weil die zumutbare Belastung im Fall des Klägers 11.576 € beträgt (Gesamtbetrag der Einkünfte 192.937 € x 6 v.H.).

    3. Die Regelungen über die zumutbare Belastung sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH sowie des BVerfG verfassungsgemäß.

    Der BFH hat wiederholt entschieden, dass gegen den Ansatz einer zumutbaren Belastung, wie ihn § 33 Abs. 3 EStG vorsieht, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (z.B. BFH-Urteil vom 15. November 1991, III R 30/88, BStBl II 1992, 179; BFH-Beschlüsse vom 8. Dezember 1999, III B 72/99, BFH/NV 2000, 704 und vom 10. Januar 2003 III B 26/02, BFH/NV 2003, 616). Diese Einschätzung hat das BVerfG geteilt. Soweit dem Steuerpflichtigen ein verfügbares Einkommen verbleibe, das über dem Regelsatz für das Existenzminimum liege, sei die Regelung verfassungsrechtlich unbedenklich ( BVerfG-Beschluss vom 29. Oktober 1987, 1 BvR 672/87 , Der Betrieb 1988, 368). Mit Beschlüssen vom 14. März 1997, 2 BvR 861/92 (Die Information über Steuer und Wirtschaft 1997, 543) sowie vom 30. Mai 2005, 2 BvR 923/03, nv, hat das BVerfG erneut Verfassungsbeschwerden, die sich gegen den Ansatz einer zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG gerichtet hatten, nicht zur Entscheidung angenommen.

    Vorliegend verbleibt dem Kläger auch unter Berücksichtigung der Krankheitskosten ein verfügbares Einkommen, das deutlich über dem Regelsatz für das Existenzminimum liegt.

    4. Auch nach Ergehen der Entscheidung des BVerfG zur Abzugsfähigkeit von Krankenversicherungsbeiträgen (BVerfG Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06BVerfGE 120, 125) hat der BFH keine verfassungsrechtlichen Bedenken an der Regelung über die zumutbare Belastung im Zusammenhang mit Krankheitskosten geäußert (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 26. März 2009 VI R 58/08, nv. juris; vom 30. Juni 2011 VI R 14/10 BFH/NV 2011, 1951).

    Aus der Entscheidung des BVerfG zur Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ergibt sich auch nach Auffassung des Senats gerade nicht, dass Krankheitskosten als Kosten der Existenzsicherung generell ohne Abzug einer zumutbaren Belastung abgezogen werden müssten. Indes stellt das BVerfG bei Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversorgung für die Steuerfreiheit des Existenzminimums ausdrücklich auf das Niveau der Sozialhilfe ab und weist darauf hin, dass der Sozialhilfeträger gem. § 32 SGB VIII regelmäßig zur Übernahme der Beiträge zur (gesetzlichen) Kranken- und Pflegeversicherung verpflichtet ist (vgl. BVerfG Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06BVerfGE 120, 125 unter D.II.3., 4.). Sofern Versorgungsleistungen direkt bereitgestellt werden, orientiere sich das sozialhilferechtliche Leistungsniveau gem. §§ 52, 61 SGB VIII ebenfalls im Wesentlichen an der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. BVerfG Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06BVerfGE 120, 125 unter D.IV.1.a;).

    Von der einer dem sozialhilferechtlichen Niveau entsprechenden Krankenversicherung nicht abgedeckte Krankheitskosten, die vorliegend allein im Streit stehen, werden indes von der Sozialhilfe ebenfalls nicht zusätzlich umfasst, so dass sie nicht unter die gebotene Freistellung des Existenzminimums fallen.

    Soweit in der Literatur dementgegen davon ausgegangen wird, dass die Kürzung einer zumutbaren Belastung bei den Krankheitskosten der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG widerspreche (vgl. z.B. Haupt in DStR 2010, 960, 963; Karrenbrock/Petrak in DStR 2011, 552 ff), vermag der Senat dem aus den eben genannten Gründen nicht zu folgen.

    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 33

    Karrierechancen

    Zu TaxTalents