26.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121853
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 30.01.2012 – 3 K 340/11
- Zum Begriff des Ereignisses i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
- Bei der Veräußerung eines Betriebs, Teilbetriebs oder MU-Anteils handelt es sich um ein einmaliges Ereignis.
- Hat sich der Veräußerer eines Betriebes verpflichtetet, den Erwerber von Schadensersatzforderungen wegen Gewährleistungen aus der Zeit vor der Betriebsveräußerung freizustellen, mindern Zahlungen des Veräußerers, die bei diesem anfallen, rückwirkend den Veräußerungsgewinn gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das gilt gleichermaßen für Prozesskosten und andere im Zusammenhang mit der Gewährleistung entstehende Aufwendungen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Schadensersatzleistungen rückwirkend bei der Ermittlung des Gewinnes aus der Veräußerung des Unternehmens der Kläger berücksichtigt werden können.
Die Kläger betrieben gemeinsam eine Ingenieur- und Architektengemeinschaft (im Folgenden: die Gemeinschaft), die freiwillig Bücher führte und regelmäßig Abschlüsse machte.
Mit notariell beurkundetem „Kaufvertrag über ein Ingenieur- und Architekturbüro” (im Folgenden: der Kaufvertrag) veräußerten die Kläger ihre Beteiligung an der Architektengemeinschaft mit Wirkung zum 4. Januar 2000 zu einem fixen Kaufpreis von 200.000 DM (§ 6 Abs. 1 des Kaufvertrages).
§ 3 Abs. 2 des Kaufvertrages lautet: „Mitübertragen werden ferner )– soweit rechtlich möglich – die zu diesem Zeitpunkt von den Verkäufern mit Dritten eingegangenen Verträge über die Erbringung von Ingenieur- und Architektenleistungen, soweit eine endgültige Abwicklung bis zum 04. Januar 2000 nicht stattgefunden hat (…). Die Käufer sind demgemäß verpflichtet, die Verkäufer von allen Verpflichtungen aus den von ihnen übernommenen Verträgen mit Wirkung ab dem 01. Januar 2000 freizustellen”.
In § 4 Abs. 1 des Kaufvertrages wurde vereinbart: „Die K äufer treten mit Wirkung vom 01. Januar 2000 in die von den Verkäufern mit Dritten begründeten Verträge über die Erbringung von Ingenieur- und Architektenleistungen ein (…)”.
§ 7 Abs. 2 des Kaufvertrages lautet: Bezüglich der von den Käufern zu übernehmenden Vertragsverhältnisse hinsichtlich der Erbringung von Ingenieur- und Architektenleistungen haften die Verkäufer für etwaige von ihnen zu vertretende Mängel, sofern diese auf Leistungen beruhen, die von den Verkäufern bis zum 3. Januar 2000 gegenüber den Auftraggebern erbracht wurden. Insofern haben die Kläger als Gesamtschuldner die Käufer von jeglicher Inanspruchnahme durch Dritte freizustellen”.
Der am 18. Mai 2001 erstellte Jahresabschluss der Gemeinschaft auf den 4. Januar 2000 ergab einen laufenden Verlust von 14.124 DM. In der zugleich auf den 4. Januar 2000 erstellten Bilanz zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns wurde lediglich eine Rückstellung für Abschluss und Prüfung (1.500 DM), eine Umsatzsteuerverbindlichkeit (5.026,16 DM) sowie eine kurzfristige sonstige Verbindlichkeit (wg. der vorzeitigen Kündigung eines Telefonvertrages) (582 DM) ausgewiesen. Der Veräußerungsgewinn wurde mit 221.998,30 DM ausgewiesen.
Der Einkünfte der Gemeinschaft für das Streitjahr wurden erklärungsgemäß durch Bescheid vom 27. Dezember 2001 festgestellt.
Am 24. Juni 2004 wurden gegen die Kläger wegen einer von dieser im Juni 1999 in Braunschweig erbrachten Architektenleistung Klage auf Zahlung von Schadensersatz erhoben.
Aufgrund eines Urteils des Oberlandesgerichts Celle vom 16. Juni 2005 wurde die Gemeinschaft zur Zahlung von Schadensersatz aus dem Architektenvertrag verurteilt.
Mit Schreiben vom 4. November 2005 beantragten die Kläger die Änderung des Feststellungsbescheides nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO), hilfsweise nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, und die Berücksichtigung des Schadensersatzes zunächst im Rahmen des laufenden Gewinnes bzw. Verlustes, später bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes.
Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vom 12. Februar 2009 verpflichtete sich die Stadt Braunschweig gegenüber den Klägern zur Beteiligung an den Schadensersatzleistungen an die Bauherrin in Höhe von 50%.
Insgesamt hatten die Kläger danach folgende Kosten in Höhe von insgesamt 134.909,34 DM (= 68.978,05 €) zu tragen, die sich wie folgt zusammensetzten:
Schadensersatzleistung | 50.000,00 € |
Rechtsanwaltskosten | 16.226,45 € |
Fahrtkosten | 1.551,60 € |
Sonstige Kosten (Telefon, Steuerberater etc.) | 1.200,00 € |
Nach erfolglosem Vorverfahren haben die Kläger Klage erhoben.
Sie sind der Auffassung, die Verurteilung zur Zahlung des Schadensersatzes stelle ein rückwirkendes Ereignis dar, weil bei der Bilanzerstellung am 18. Mai 2001 noch nicht mit einer Inanspruchnahme aus dem Architektenvertrag zu rechnen gewesen sei. Dieses sei verfahrensrechtlich nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu berücksichtigen und der Veräußerungsgewinn entsprechend zu mindern. Entsprechendes gelte für die aufgrund der Prozesse entstandenen Aufwendungen.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung für das Jahr 2000 vom 27. Dezember 2001 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 30. August 2011, einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 87.088,96 DM festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Meinung, dass die Inanspruchnahme zur Zahlung von Schadensersatz nicht zu einer rückwirkenden Änderung des Veräußerungsgewinnes führe. Im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung zum 4. Januar 2000 sei mit der Inanspruchnahme noch nicht zu rechnen gewesen, so dass es sich nicht lediglich um wertaufhellende Tatsachen handele. Nur diese dürften aber bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes berücksichtigt werden.
Das von der Klägerin angeführte BFH-Urteil vom 10. Februar 1994 (IV R 37/92, BStBl. II 1994, 564) könne nicht auf den Streitfall übertragen werden. Dort sei eine Schadensersatzforderung bereits vor einer Betriebsaufgabe geltend gemacht worden, habe aber als ungewisse Forderung nicht aktiviert werden dürfen.
Auch die Entscheidungen des Großen Senats des Bundesfinanzhofs seien im Streitfall nicht anwendbar. Der Große Senat habe nur solchen später eintretenden Umständen Bedeutung für die Berechnung des Veräußerungsgewinns beigemessen, die sich als Störungen der Abwicklung des Veräußerungsgeschäfts in dem Sinne darstellten, dass der Erwerber seine Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises nicht erfüllt. Nur dann liege eine Abweichung des tats ächlich erzielten Veräußerungspreises von dem beim Abschluss des Veräußerungsgeschäfts erwarteten und deshalb der Besteuerung zugrunde gelegten Preises vor.
Die Schadensersatzleistungen könnten damit lediglich als nachträgliche Betriebsausgaben berücksichtigt werden.
Die Beteiligten haben übereinstimmend einer Entscheidung durch den Berichterstatter (§ 79a Abs. 3, 4 der Finanzgerichtsordnung) zugestimmt.
Gründe
I. Die zulässige Klage ist begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid kann nach § 181 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO) i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dahingehend geändert werden, dass bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes der Klägerin die Inanspruchnahme zum Schadensersatz in Höhe von 134.909,34 DM mindernd zu berücksichtigen und dieser mit einem Betrag von 87.088,96 DM festzustellen ist.
1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Die Vorschrift gilt nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO für gesonderte Feststellungen entsprechend.
a. Im Streitfall liegt ein Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor.
„Ereignis” in diesem Sinne umfasst alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge. Dazu rechnen nicht nur solche mit ausschließlich rechtlichem Bezug, sondern auch tatsächliche Lebensvorgänge (BFH Großer Senat, Beschlüsse vom 19. Juli 1993 – GrS 1/92, BStBl. II 1993, 894 und GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897).
Die Inanspruchnahme zum Schadensersatz aufgrund eines vor der Betriebsveräußerung abgeschlossenen Architektenvertrages ist ein tatsächlicher Lebensvorgang und damit ein Ereignis im Sinne des § 175. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
b. Das Ereignis ist eingetreten.
Eintreten im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO bedeutet, dass sich der Vorgang ereignen muss, nachdem der Steueranspruch entstanden ist und bei Änderung eines Steuerbescheides, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn das Finanzamt – wie im Fall des § 173 Abs.1 AO – lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt oder wenn es den Sachverhalt lediglich anders würdigt (BFH Großer Senat, Beschlüsse vom 19. Juli 1993 – GrS 1/92, BStBl. II 1993, 894 und GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897).
Im Streitfall kam es erst nach Entstehung des Steueranspruchs (mit Ablauf des Kalenderjahres 2000) und nach Ergehen des entsprechenden Steuerbescheides (am 27. Dezember 2001) zu der zivilrechtlichen Streitigkeit, die in der Folge im Jahr 2005 zur Inanspruchnahme der Gesellschafter der Klägerin zum Schadensersatz führte.
c. Das eingetretene Ereignis hat auch steuerliche Wirkung für die Vergangenheit.
(1) Mit dieser Voraussetzung erfordert die Vorschrift nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht nur, dass das spätere Ereignis den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestaltet. Vielmehr muss sich die Änderung darüber hinaus steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet sich nach dem einschlägigen materiellen Recht (BFH Großer Senat, Beschlüsse vom 19. Juli 1993 – GrS 1/92, BStBl. II 1993, 894 und GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897).
(2) Maßgebende Vorschrift des materiellen Rechts ist im Streitfall § 16 Abs. 1, 2 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG). Nach dessen Abs.1 Satz 1 gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne, die bei der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erzielt werden. § 16 Abs. 2 EStG bestimmt als Veräußerungsgewinn den Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Betriebsvermögens übersteigt, der für den Zeitpunkt der Veräußerung zu ermitteln ist. Der Wert des Betriebsvermögens ist dabei nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG für den Zeitpunkt der Veräußerung nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG zu ermitteln.
Bei der Veräußerung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils handelt es sich um ein einmaliges, punktuelles Ereignis. Der Tatbestand der Betriebsveräußerung ist mit der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber verwirklicht. Der Veräußerungsgewinn ist wegen der Begünstigungen nach §§ 16 Abs. 4, 34 EStG auf diesem Zeitpunkt zu ermitteln (BFH Großer Senat, Beschluss vom 19. Juli 1993 – GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897). Kommt es zu einem Ereignis mit Auswirkung auf eine der drei den Veräußerungsgewinn bestimmenden Größen, also Veräußerungspreis, Veräußerungskosten oder Wert des Betriebsvermögens, so ist dies rückwirkend zu berücksichtigen.
Dabei entspricht es dem Zweck des § 16 Abs. 2 EStG, Umstände, die mit der Betriebsveräußerung im Zusammenhang stehen, wegen der Anwendung des Freibetrages nach § 16 Abs. 4 EStG und des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 EStG möglichst weitgehend bei der Ermittlung des auf den Veräußerungszeitpunkt zu ermittelnden Gewinnes zu berücksichtigen (vgl. BFH, Vorlagebeschluss vom 26. März 1991 - VIII R 315/84, BStBl. II 1992, 472).
(3) Die Inanspruchnahme der Kläger zu Schadensersatzleistungen führt zu einer Minderung des Wertes des Betriebsvermögens und ist rückwirkend in die Ermittlung des Veräußerungsgewinns einzubeziehen. Es handelt sich dabei zwar um einen wertbeeinflussenden Umstand. Dieser ist jedoch unabhängig von den allgemeinen handelsrechtlichen und einkommensteuerlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften zu berücksichtigen.
Obwohl der Große Senat ausführt, dass für den Wertansatz des veräußerten Betriebsvermögens – anders als für den des Veräußerungspreises – in § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG ausdrücklich ein fester zeitlicher Anknüpfungspunkt bestimmt ist (Beschluss vom 19. Juli 1993 – GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897), kommt er dennoch – ohne weitere Begründung d– zu der Auffassung, dass die gleichen Grundsätze, die für den Ansatz des Veräußerungspreises Anwendung finden, auch hinsichtlich der für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns maßgeblichen Höhe des Wertes des Betriebsvermögens gelten. Ergibt sich also aufgrund von Umständen, die nach der Veräußerung neu hinzutreten, dass der der Besteuerung zugrunde gelegte Wert des Betriebsvermögens zu hoch oder zu niedrig ist, so ist demnach dieser Wert mit Wirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung entsprechend zu korrigieren (Beschluss vom 19. Juli 1993 – GrS 1/92, BStBl. II 1993, 894).
Der Wert des Betriebsvermögens ist nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG für den Zeitpunkt der Veräußerung nach § 4 Abs. 1 oder nach § 5 EStG zu ermitteln. Die Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 oder § 5 bedeutet, dass grundsätzlich die allgemeinen handelsrechtlichen und einkommensteuerlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften anzuwenden sind. Daraus folgt, dass der Wert im Sinne des § 16 Abs. 2 EStG ein Buchwert ist, der grundsätzlich identisch ist mit dem Buchwert in der Schlussbilanz, also der Bilanz, die auf den Zeitpunkt der Veräußerung zu erstellen ist (vgl. BFH, Vorlagebeschluss vom 26. März 1991 - VIII R 315/84, BStBl. II 1992, 472).
Im Streitfall durfte – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – nach den allgemeinen handelsrechtlichen und einkommensteuerlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften in der Schluss- und entsprechend in der Veräußerungsbilanz keine Rückstellung für die Schadensersatzverpflichtung gebildet werden, denn danach sind nur diejenigen Umstände für die Rückstellungsbildung zu berücksichtigen, die am Bilanzstichtag vorgelegen haben und spätestens bis zum Tag der Bilanzerstellung erkennbar geworden sind (wertaufhellende Umstände). Umstände, die in der Folgezeit nach dem Abschlussstichtag eingetreten sind (wertbeeinflussende Umstände), sind hingegen wegen der Beachtung des Stichtagsprinzip nicht zu berücksichtigen (BFH-Urteil v. 19.11.2003 - I R 77/01, BFH/NV 2004, 271).
Der Große Senat hat jedoch ausgeführt, dass die Bestimmungen des § 16 Abs. 2 EStG als spezialgesetzliche Regelung über die Ermittlung des Veräußerungsgewinns Vorrang vor den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung haben (Beschluss vom 19. Juli 1993 – GrS 1/92, BStBl. II 1993, 894). Diese Spezialität beschränkt sich aber darauf, dass die nach diesen Grundsätzen bestehende zeitliche Grenze für die Ermittlung werterhellender Tatsachen, nämlich der Zeitpunkt der Bilanzaufstellung, nicht gilt. Erforderlich soll auch für die Gewinnermittlung nach § 16 Abs. 2 EStG sein, dass die werterhellenden Tatsachen bereits im Zeitpunkt der Betriebsübergabe vorhanden waren, da § 16 Abs. 2 EStG ausdrücklich die Verhältnisse im Veräußerungszeitpunkt für maßgeblich erklärt (vgl. BFH, Vorlagebeschluss vom 26. März 1991 - VIII R 315/84, BStBl. II 1992, 472). Eine Berücksichtigung der im Streitfall eingetretene Inanspruchnahme der Kläger für Gewährleistungsansprüche w äre damit allein nach § 16 Abs. 2 EStG nicht möglich, weil es sich nicht um einen wertaufhellenden, sondern um einen wertbeeinflussender Umstand handelt.
Allerdings wird darüber hinausgehend in dem Vorlagebeschluss des VIII. Senats des BFH, der zu der Entscheidung des Großen Senats geführt hat, klargestellt, dass über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gerade solche „später eingetretene Ereignisse, die den Wert des Betriebsvermögens beeinflussen”, also wertbeeinflussende Umstände, berücksichtigt werden können (vgl. BFH, Vorlagebeschluss vom 26. März 1991 - VIII R 315/84, BStBl. II 1992, 472). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist also sowohl gegenüber der Gewinnermittlungsvorschrift des § 16 Abs. 2 EStG als auch gegenüber den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung die speziellere Regelung.
Wäre im Streitfall die Inanspruchnahme der Kläger für den Schadensersatz bereits im Zeitpunkt der Veräußerung entstanden und bekannt gewesen, hätte insoweit eine Rückstellung gebildet werden müssen, die zu einer Verminderung des Wertes des Betriebsvermögens und damit des Veräußerungsgewinns geführt hätte.
(4) Im Streitfall wäre es darüber hinaus denkbar, die von den Klägern geleisteten Schadensersatzleistungen als nachträgliche Veräußerungskosten i.S.d. § 16 Abs. 2 EStG zu qualifizieren.
(a) Eine Änderung der Verhältnisse im Hinblick auf die Veräußerungskosten führt dann zu einer rückwirkenden Berücksichtigung im Rahmen der Ermittlung des Veräußerungsgewinns, wenn ein Veranlassungszusammenhang zwischen den getätigten Aufwendungen und der Betriebsveräußerung besteht. Ein solcher Veranlassungszusammenhang ist gegeben, wenn die Aufwendungen objektiv mit der Betriebsveräußerung zusammenhängen und subjektiv der Betriebsveräußerung zu dienen bestimmt sind (BFH-Urteil vom 6. März 2008 - IV R 72/05, BFH/NV 2008, 1311).
Im Streitfall liegt ein solcher Veranlassungszusammenhang zwischen der Schadensersatzverpflichtung der Kläger und der Betriebsveräußerung bereits deshalb vor, weil die entsprechende Freistellungsverpflichtung der Kläger gegenüber den Erwerbern ihres Unternehmens ausdrücklich in § 7 Abs. 2 des der Betriebsveräußerung zugrunde liegenden Kaufvertrages vorgesehen war. Die Kläger hatten sich dort gegenüber den Käufern verpflichtet, für etwaige von ihnen zu vertretende Mängel aufgrund von bis zum Zeitpunkt der Betriebsveräußerung erbrachten Leistungen zu haften. Der im Kaufvertrag geregelte Haftungsfall ist im Jahr 2005 eingetreten.
Der Sachverhalt des Streitfalls ist wirtschaftlich mit dem des BFH-Urteils (IV R 72/05, BFH/NV 2008, 1311) vergleichbar. Dort wurde der Veräußerer des Unternehmens nachträglich wegen einer Bürgschaft in Anspruch genommen, die er im Rahmen des Unternehmenskaufvertrages zugunsten des Erwerbers gewährt hatte. Im Ergebnis kann es für die steuerliche Behandlung einer nachträglichen Inanspruchnahme für aus dem veräußerten Unternehmen stammende Verbindlichkeiten keine Rolle spielen, ob der Verk äufer aufgrund dieser Verbindlichkeiten in Anspruch genommen wird, weil er eine Bürgschaft übernommen hat, weil er diese Verbindlichkeiten aufgrund einer Vertragsvereinbarung zurückbehalten hat oder weil er sich – wie im Streitfall – verpflichtet hat, die Erwerber des Unternehmens von Inanspruchnahmen freizustellen.
Die Veranlassung der Verpflichtung zur Zahlung des Schadensersatzanspruches durch die Betriebsveräußerung ergibt sich auch aus der Überlegung, dass sich die Freistellung des Erwerbers von den Gewährleistungsansprüchen aus der Vorveräußerungszeit auf den Kaufpreis für das veräußerte Unternehmen auswirkt. Ein Erwerber würde sich die Übernahme des Risikos von Inanspruchnahmen aus Gewährleistungsansprüchen kaufpreismindernd „vergüten” lassen.
(b) Zu den Veräußerungskosten rechnen auch vom Veräußerer getragene Anwalts- und Gerichtskosten bei Streitigkeiten über den Veräußerungsvorgang, den Veräußerungspreis und den Wert des veräußerten Betriebsvermögens (BFH-Urteile vom 8. Oktober 1997 - XI R 20/97, BFH/NV 1998, 701; vom 10. November 1988 IV R 70/86, BFH/NV 1990, 31).
Die im Zusammenhang mit den Prozessen um den Schadensersatz stehenden Kosten sind ebenfalls durch die Betriebsveräußerung veranlasst. Da sich die Kläger im Rahmen des Kaufvertrages gegenüber den Erwerbern verpflichtet haben, diese von evtl. Gewährleistungsansprüchen freizustellen und die Prozesskosten mit einer tatsächlich eingetretenen Inanspruchnahme im Zusammenhang stehen, besteht auch ein Veranlassungszusammenhang dieser Kosten mit der Betriebsveräußerung.
Neben dem geleisteten Schadensersatz in Höhe von 50.000 DM und den zu erstattenden Rechtsanwaltskosten in Höhe von 16.226,45 € sind damit auch die geltend gemachten Fahrtkosten in Höhe von 1.551,60 € sowie die sonstigen u.a. für Telefon, Kopien und Steuerberaterleistungen angefallenen Aufwendungen in Höhe von insgesamt 1.200 €, insgesamt also 68.978,05 € (=134.909,34 DM) zu berücksichtigen. Der ursprünglich festgestellte Veräußerungsgewinn in Höhe von 221.998,30 DM ermäßigt sich um diesen Betrag auf 87.088,96 DM.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung, die Entscheidung über die Zuziehung auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.