02.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122389
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 15.03.2012 – III R 30/10
Dem Großen Senat des BFH wird gemäß § 11 Abs. 2 FGO folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Erzielt eine Prostituierte aus ihrer Tätigkeit gewerbliche oder sonstige Einkünfte?
Gründe
I.
1
Streitig ist, ob sog. Eigenprostitution zu sonstigen Einkünften oder zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führt.
2
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war seit dem Streitjahr (2006) als Prostituierte tätig und bot Dritten die Ausübung des Geschlechtsverkehrs gegen Entgelt in einer eigens dafür angemieteten Wohnung an. Ihre Betriebseinnahmen beliefen sich im Streitjahr einschließlich der Umsatzsteuer auf etwa 64.000 € und die Betriebsausgaben auf ca. 26.000 t€ (u.a. Werbekosten von knapp 8.000 €). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) behandelte den daraus erzielten Gewinn in Höhe von 38.115 € nicht --wie erklärt-- als sonstige Einkünfte, sondern als Einkünfte aus Gewerbebetrieb, und setzte den Gewerbesteuermessbetrag auf 152 € fest. Dasselbe geschah im Folgejahr, das Gegenstand des Verfahrens III R 31/10 ist, und in dem der Gewinn auf knapp 68.000 € anstieg.
3
Die Sprungklage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Klägerin Einkünfte i.S. von § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielt habe. Zur Begründung verwies es auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. Juni 1964 GrS 1/64 S (BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500), wonach aus "gewerbsmäßiger Unzucht" sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 3 EStG erzielt werden, und vom 4. Juni 1987 V R 9/79 (BFHE 150, 192, BStBl II 1987, 653, betr. Prostituierte als Unternehmerin i.S. des § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes). An diesen Entscheidungen sei trotz veränderter Umstände festzuhalten.
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Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Seit dem Urteil des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 habe sich die sittliche und rechtliche Beurteilung der Prostitution gewandelt. Dies werde insbesondere durch das Gesetzgebungsverfahren zur Regelung der rechtlichen Stellung der Prostituierten im Jahr 2001 dokumentiert. Eine im Rahmen der parlamentarischen Erörterung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) durchgeführte Umfrage habe ergeben, dass mehr als 70 % der Befragten zwischen 18 und 59 Jahren die Ansicht verträten, die Prostitution solle ein anerkannter Beruf mit Steuer- und Sozialversicherungspflicht sein. Die Berufsausübung der Prostituierten genieße Schutz durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
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Die Liberalisierung zeige sich auch in der Rechtsprechung der Obersten Bundesgerichte (Urteile des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 22. November 2001 III ZR 5/01, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2002, 361, betr. Sittenwidrigkeitseinwand gegen Entgeltzahlungsanspruch des Netzbetreibers für Verbindungen zu Telefonsex-Rufnummern; vom 8. November 2007 III ZR 102/07, NJW 2008, 140, betr. Telefonsex; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 6. November 2002 6 C 16/02, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2003, 603, betr. Gaststättenerlaubnis für Swinger-Club; BGH-Beschluss vom 7. Mai 2003 5 StR 536/02, Neue Zeitschrift für Strafrecht --NStZ-- 2003, 533, betr. Verletzteneigenschaft der Prostituierten durch Zuhälterei). Der BFH habe in seinem Urteil vom 23. Februar 2000 X R 142/95 (BFHE 191, 498, BStBl II 2000, 610, betr. Telefonsex als Gewerbebetrieb) die Beurteilung der Prostitution durch das Urteil in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 als möglicherweise überholt bezeichnet.
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Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8
Sie erwidert, der Gro ße Senat des BFH habe die Gewerblichkeit der Prostitution nicht wegen ihrer Sittenwidrigkeit abgelehnt, sondern wegen fehlender Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr; insoweit hätten sich aber die tatsächlichen Umstände der Ausübung der Prostitution seit 1964 nicht verändert. Die Prostitution werde weiterhin durch Sperrbezirksverordnungen auf der Grundlage des Art. 297 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und die §§ 119, 120 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) beschränkt. Der Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des ProstG vom 24. Januar 2007 (BTDrucks 16/4146) belege, dass das ProstG sein Ziel, die rechtliche und soziale Lage der Prostituierten zu verbessern, nur zu einem begrenzten Teil erreicht habe. In der gewerberechtlichen Praxis und Literatur sei auch nach Inkrafttreten des ProstG die Auffassung vertreten worden, dass die Prostitution weiterhin gewerbe- und gaststättenrechtlich als unsittlich und sozialwidrig einzuordnen und nicht als Gewerbe einzustufen sei. Gewerbeanzeigen von Prostituierten und Anträge auf Erteilung einer Reisegewerbekarte durch Prostituierte würden daher abgelehnt.
9
Die Revisionsbegründung unterscheide nicht zwischen der Eigenprostitution und der Fremdprostitution. Fremdprostitution werde von der BFH-Rechtsprechung seit jeher als gewerblich angesehen; das BFH-Urteil in BFHE 191, 498, BStBl II 2000, 610 habe diese schon vor dem Urteil des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 bestehende Unterscheidung lediglich fortgeführt.
II.
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Die Anrufung des Großen Senats des BFH erfolgt zur erneuten Klärung der im Streitfall entscheidungserheblichen Rechtsfrage, ob Prostituierte (sog. Eigenprostitution) Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen, da der vorlegende Senat aus den unter III. dargelegten Gründen beabsichtigt, von der Entscheidung des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 abzuweichen (§ 11 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich. Der Senat teilt die Auffassung des FA, dass die Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes --GewStG--) erzielt hat. Die Revision des FA wäre danach begründet, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Falls dagegen am Urteil des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 festzuhalten wäre, hätte die Klägerin sonstige Einkünfte i.S. von § 22 Nr. 3 EStG erzielt und die Revision wäre als unbegründet zurückzuweisen.
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2. Vor einer Abweichung von einer Entscheidung des Großen Senats des BFH ist die Rechtsfrage diesem stets erneut vorzulegen (Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 11 FGO Rz 44). Eine Anfrage (§ 11 Abs. 3 FGO) bei einem oder mehreren anderen Senaten kommt ebenso wenig in Betracht wie eine Anfrage beim Großen Senat, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhalte (Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 11 FGO Rz 10; Müller-Horn in Beermann/Gosch, FGO § 11 Rz 18; Dumke in Schwarz, FGO § 11 Rz 18). Der in § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO angesprochene "Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll", ist stets (nur) ein Fachsenat, nicht aber auch der Große Senat selbst.
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3. Die Sache kann dem Großen Senat des BFH erneut vorgelegt werden, weil sich in den fast 48 Jahren, die seit dem Urteil in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 vergangen sind, neue Gesichtspunkte ergeben haben, die bei der ursprünglichen Entscheidung nicht berücksichtigt werden konnten und eine andere Beurteilung der im Jahr 1964 entschiedenen Rechtsfrage rechtfertigen (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Januar 1971 GrS 4/70, BFHE 101, 13, BStBl II 1971, 207).
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a) Seit dem Urteil in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 hat sich die rechtliche Einordnung der Prostitution insbesondere durch das ProstG vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3983), das die Rechtsposition von Prostituierten verbessern, einen Zugang zu sozialen Sicherungssystemen schaffen und ihre Arbeitsbedingungen verbessern sollte, erheblich verändert.
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Verträge über die Vornahme sexueller Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt begründen nach § 1 Satz 1 ProstG eine rechtswirksame Forderung. Außer dem Erfüllungseinwand (§ 362 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) und der Einrede der Verjährung sind weitere Einwendungen und Einreden ausgeschlossen (§ 2 Satz 3 ProstG). Das Gleiche gilt, wenn sich eine Person, insbesondere im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, für die Erbringung derartiger Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt für eine bestimmte Zeitdauer bereithält (§ 1 Satz 2 ProstG). § 1 ProstG ist somit eine Ausnahmevorschrift zu § 138 Abs. 1 BGB (BGH-Beschluss vom 18. Januar 2011 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278). Die vor Inkrafttreten des ProstG ganz h.M., wonach das geschlechtliche Verhalten betreffende Verpflichtungsverträge sittenwidrig seien, ist daher gegenstandslos geworden (vgl. MünchKommBGB/Armbrüster, 5. Aufl., § 138 Rz 57). Durch § 3 ProstG wurden die Voraussetzungen für die Aufnahme von Prostituierten in die Sozialversicherungen geschaffen. Nach mittlerweile h.M. genießt die Prostitution auch den Schutz des Art. 12 GG (Mannssen, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, 6. Aufl., Art. 12 Rz 43; Wieland, in Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl., Art. 12 Rz 57; Renzikowski, Plädoyer für eine gewerberechtliche Reglementierung der Prostitution, Gewerbearchiv 2008, 432).
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Die gewandelte Beurteilung der Prostitution beschränkt sich im Übrigen nicht auf Deutschland; nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 20. November 2001 C-268/99, Jany u.a. (Slg. 2001, I-8615, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. C 3, 8) kann Prostitution europarechtlich unter die selbständig ausgeübten Erwerbstätigkeiten fallen.
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Das Urteil des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 stammt dagegen aus einer Zeit, in der das BVerwG die --damals nicht verbotene-- Prostitution als nach allgemeiner Anschauung gemeinschaftsschädlich bezeichnete, sie mit Berufsverbrechern gleichstellte und ausführte, eine solche Betätigung liege "von vorneherein außerhalb der Freiheitsverbürgung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG" (BVerwG-Urteil vom 4. November 1965 I C 6.63, BVerwGE 22, 286, betr. Ausübung der gewerbsmäßigen Astrologie).
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b) Geändert hat sich seit 1964 auch, dass die Interessen von Prostituierten durch Verbände wahrgenommen werden, z.B. durch den Arbeitskreis Prostitution (Fachbereich 13 Besondere Dienstleistungen) der ansonsten u.a. für den öffentlichen Dienst sowie Banken und Versicherungen zuständigen Gewerkschaft ver.di, die sich auf die arbeitsrechtliche Absicherung von Prostituierten konzentriert (http://besondere-dienste.hamburg.verdi.de/themen/arbeitsplatz_prostitution). Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. mit Sitz in Berlin fungiert als Arbeitgeberverband im Bereich der Prostitution. Berlin ist auch Sitz der u.a. mit öffentlichen Geldern finanzierten ersten deutschen Interessenvertretung und Selbsthilfeorganisation für Prostituierte Hydra e.V.
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c) Die Haltung der Bevölkerung gegenüber der Prostitution hat sich, worauf das FA zutreffend hingewiesen hat, in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls erheblich geändert. Dies wird im Übrigen auch dadurch bestätigt, dass seriöse Medien vielfach über Prostitution berichten und Prostituierte in Talk-Shows oder Reportagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auftreten.
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d) Die für die Beurteilung des in § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG enthaltenen Tatbestandsmerkmals der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erheblichen tatsächlichen Umstände haben sich ebenfalls geändert. Während der Große Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 noch davon ausging, dass Prostituierte sich nicht nach außen hin erkennbar am allgemeinen wirtschaftlichen Leben beteiligen, werden sexuelle Dienstleistungen seit mehreren Jahren in der Boulevardpresse und im Internet umfangreich und zum Teil mit detaillierten Leistungsbeschreibungen beworben, mitunter sogar mit Preisangaben. Dies führt nicht zu Protesten in der Öffentlichkeit und nur selten zu rechtlichen Sanktionen wegen des fortbestehenden Verbotes (§ 119 OWiG), die Gelegenheit zu sexuellen Handlungen in einer andere Personen belästigenden oder grob anstößigen Weise durch Verbreiten von Schriften oder das öffentliche Zugänglichmachen von Datenspeichern anzubieten (z.B. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Juni 2009 5 B 464/09, NJW 2009, 3179, betr. Werbung für ein Erotik-Portal auf einem Kleinlastwagen). "In Anbetracht eines gewandelten Verständnisses in der Bevölkerung, wonach die Prostitution überwiegend nicht mehr schlechthin als sittenwidrig angesehen wird, (könne) ... nicht davon ausgegangen werden, dass durch die in Rede stehende Werbung das körperliche oder seelische Wohlbefinden mehr als nur geringfügig beeinträchtigt worden" sei (BGH-Urteil vom 13. Juli 2006 I ZR 231/03, [...]).
III.
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Durch die Ausübung der Eigenprostitution werden nach Auffassung des vorlegenden Senats Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt.
22
Unter einem Gewerbebetrieb ist gemäß § 2 Abs. 1 GewStG, § 15 Abs. 2 EStG jede selbständige nachhaltige Tätigkeit zu verstehen, die mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, falls sie den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet und es sich nicht um die Ausübung von Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG) oder einer selbständigen Arbeit (§ 18 EStG) handelt.
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Demgegenüber erzielt nach § 22 Nr. 3 EStG sonstige Einkünfte, wer Leistungen erbringt, soweit diese weder zu anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften i.S. der Nrn. 1, 1a, 2 oder 4 des § 22 EStG gehören. Eine (sonstige) Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann; ausgenommen sind Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500; vom 18. Dezember 2001 IX R 74/98, BFH/NV 2002, 643, betr. Provisionen für Vermittlungstätigkeiten).
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1. Entwicklung der Rechtsprechung
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a) Der Große Senat des BFH hat in seinem Urteil in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 ausgeführt, eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr setze eine nach außen hin erkennbare Teilnahme am allgemeinen Güter- und Leistungsaustausch voraus; es müssten eigene Leistungen gegen Entgelt an den Markt gebracht werden. Bei der "gewerbsmäßigen Unzucht" handele es sich nicht um ein die planmäßige Bedarfsdeckung leistendes, sich am Wirtschaftsleben beteiligendes Unternehmen. Bereits Enno Becker habe in "Die Grundlagen der Einkommensteuer" (München 1940, S. 293) bezweifelt, ob Straßendirnen usw. einkommensteuerrechtlich ein Gewerbe betrieben. Der Reichsfinanzhof (RFH) habe eine Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr abgelehnt, weil die "gewerbsmäßige Unzucht" aus dem Rahmen dessen falle, was das EStG unter selbständiger Berufstätigkeit verstehe (RFH-Urteile vom 4. März 1931 VI A 16/31, RStBl 1931, 528; vom 8. April 1943 IV 33/43, Mrozek-Kartei, Einkommensteuergesetz 1938/39 § 22 Ziff. 3 Rechtsspruch 10). Dem habe sich der Oberste Finanzgerichtshof in dem nicht veröffentlichten Urteil vom 9. März 1948 IV 16/47 angeschlossen, weil die "gewerbsmäßige Unzucht" das Zerrbild eines Gewerbes darstelle.
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b) Die Rechtsprechung ist dem Urteil des Großen Senats des BFH zunächst gefolgt, ohne die Frage der Einkunftsart weiter zu problematisieren (z.B. BFH-Urteile vom 28. November 1969 VI R 128/68, BFHE 97, 378, BStBl II 1970, 185; vom 5. Dezember 1972 VIII R 91/70, BFHE 108, 103; Hessisches FG, Urteil vom 27. Juni 1968 III 34/67, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1969, 17).
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Einzelne FG widersprachen dem Urteil des Großen Senats des BFH, jedoch nicht, weil sie die Eigenprostitution für gewerblich hielten, sondern weil die Eigenprostitution nicht zu Einkünften im Sinne des EStG führe (z.B. FG Bremen, Urteil vom 5. April 1968 I 26/67, EFG 1968, 357, sowie das dem BFH-Urteil in BFHE 108, 103 vorangehende FG-Urteil).
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c) Die Rechtsprechung hat seit jeher zwischen selbständiger Eigenprostitution und als gewerblich eingestuften Tätigkeiten im wirtschaftlichen Zusammenhang mit Eigenprostitution unterschieden, d.h. einerseits der Ausübung des Geschlechtsverkehrs gegen Entgelt und andererseits Betätigungen, mit denen Dritte sexuelle Dienstleistungen organisieren und fördern (z.B. Senatsurteil vom 22. März 1963 III 173/60 U, BFHE 77, 15, BStBl III 1963, 322, und FG des Saarlandes, Urteil vom 30. September 1992 1 K 259/91, EFG 1993, 332, beide betr. Zimmervermietung an Prostituierte; vgl. auch die Nachweise im BFH-Urteil in BFHE 191, 498, BStBl II 2000, 610, unter II.3.). Im BFH-Urteil in BFHE 191, 498, BStBl II 2000, 610 wurde zudem Telefonsex nicht nur als Gewerbebetrieb eingestuft, sondern das Urteil des Großen Senats des BFH als möglicherweise überholt bezeichnet (zustimmend Weber-Grellet, Finanz-Rundschau 2000, 990, und Fischer, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2000, 1342).
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Für das Umsatzsteuerrecht hat der BFH mit Urteil in BFHE 150, 192, BStBl II 1987, 653 entschieden, dass durch die körperliche Hingabe gegen Entgelt eine sonstige Leistung im Rahmen eines Leistungsaustauschs bewirkt werde. Die Sittenwidrigkeit (§ 138, § 817 BGB) des der Leistung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts sei dabei ohne Bedeutung. Der vom RFH vertretenen Ansicht, nach der die Tätigkeit einer Prostituierten nicht auf eine wirtschaftliche Leistung gerichtet sei, werde nicht gefolgt. Diese Beurteilung sei unabhängig von einem etwaigen Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen zur Prostitution.
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2. Auffassung der Literatur
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In der Literatur wird ganz überwiegend die Ansicht vertreten, selbständig tätige Prostituierte erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb; das Urteil des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 sei spätestens durch das ProstG überholt (z.B. Fischer in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 22 Rz 69; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 31. Aufl., § 22 Rz 150 "Prostitution"; Blümich/Bode, § 15 EStG Rz 17, und Blümich/Stuhrmann, § 22 EStG Rz 168 "Gewerbsmäßige Prostitution"; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 15 EStG Rz 1059; Sarrazin in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2 Rz 259; Leisner, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 22 Rz D 179 "Geschlechtsverkehr"; Kemper, DStR 2005, 543; ohne klare Stellungnahme Lüsch in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 22 Rz 390 "Prostitution").
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3. Stellungnahme des vorlegenden Senats
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Die im Urteil in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 vertretene Auffassung des Großen Senats des BFH, selbständig tätige Prostituierte beteiligten sich nicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr, da sie nicht am allgemeinen Güter- und Leistungsaustausch teilnähmen und keine eigenen Leistungen gegen Entgelt an den Markt brächten, trifft jedenfalls seit Inkrafttreten des ProstG nicht mehr zu.
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a) Das Merkmal der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr überschneidet sich teilweise mit den Merkmalen der Nachhaltigkeit und der Gewinnerzielungsabsicht. Es ist Ausfluss der Markteinkommenstheorie und soll insbesondere bloße Vermögensumschichtungen innerhalb der privaten Vermögenssphäre aus den Einkünften heraushalten (Reiß in Kirchhof, a.a.O., § 15 Rz 28). Die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erfordert, dass sich der Steuerpflichtige mit seinen Leistungen an andere Marktteilnehmer wendet und seine Leistungen an andere Personen in deren Eigenschaft als Marktteilnehmer und nicht aus anderen Gründen erbringt (BFH-Urteile vom 6. Juni 1973 I R 203/71, BFHE 110, 22, BStBl II 1973, 727 --Einsammeln von Pfandflaschen nicht gewerblich--; vom 28. Juni 2001 IV R 10/00, BFHE 196, 84, BStBl II 2002, 338 --Stundenbuchhaltung für Betriebe von Angehörigen gewerblich--; BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 2007 XI B 193/06, BFH/NV 2007, 1887 --Ausführung von Geschäften des Arbeitgebers zu dessen Nachteil gegen Bestechungsgelder führt zu sonstigen Einkünften--; Blümich/Bode, § 15 EStG Rz 52). Die Tätigkeit ist grundsätzlich einer unbestimmten Zahl von Personen anzubieten (BFH-Urteil vom 28. Oktober 1993 IV R 66-67/91, BFHE 173, 313, BStBl II 1994, 463 --Grundstückshandel--).
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Eine Prostituierte, die --wie die Klägerin-- ihre sexuellen Leistungen in einer eigens dafür angemieteten Wohnung erbringt und diese bewirbt, erfüllt damit alle Merkmale einer gewerblichen Betätigung. Sie beteiligt sich insbesondere am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr; denn sie wendet sich mit ihrem Angebot an eine unbestimmte Zahl möglicher männlicher Kunden; ihre Tätigkeit dient der Gewinnerzielung und überschreitet den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung.
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b) Dieser Beurteilung stehen etwaige moralisch-ethische Einwände gegen die Prostitution nicht entgegen; denn eine gewerbliche Betätigung i.S. von § 15 Abs. 2 EStG kann sogar dann vorliegen, wenn das Handeln des Steuerpflichtigen --was auf Prostitution nicht zutrifft-- verboten ist oder als unsittlich angesehen wird. Dies folgt bereits aus § 40 der Abgabenordnung (Nachweise bei Schmidt/Wacker, EStG, 31. Aufl., § 15 Rz 45; HHR/Stapperfend, § 15 EStG Rz 1030).
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c) Für die Frage, ob Prostitution zu gewerblichen oder sonstigen Einkünften führt, ist unerheblich, ob und inwieweit ihre Ausübung örtlichen sowie Werbebeschränkungen unterliegt; denn zahlreiche andere, unzweifelhaft gewerbliche Betätigungen sind in ähnlicher Weise reglementiert, z.B. Industrie und Gewerbe durch das Bauordnungsrecht, die Pharmabranche durch die Apothekenpflicht von Arzneimitteln (§§ 43 ff. des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln) und Zigarettenhersteller durch die Einschränkung der Tabakwerbung (§ 21a des Vorläufigen Tabakgesetzes --LMG 1974--).