02.08.2013 · IWW-Abrufnummer 133006
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 13.06.2013 – 2 K 458/13 (Kg)
1. Bis zum 31.12.2011 gehörte der Unterhaltsanspruch eines volljährigen verheirateten Kinds gegenüber seinem Ehegatten zu
den kindrgeldrechtlich maßgeblichen Einkünften und Bezügen.
2. Ab dem 1.1.2012 ist der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes nicht mehr zu berücksichtigen; die Eltern können daher
ab 2012 auch dann Kindergeld für ein verheiratetes Kind erhalten, wenn das Kind seinen Bedarf deckende Unterhaltsansprüche
gegen seinen Ehegatten hat (Anschluss an FG Münster v. 30.11.2012, 4 K 1569/12 Kg; gegen DA 31.2.2 FamEStG).
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 2. Senat unter Mitwirkung von … und der ehrenamtlichen Richterinnen und ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung
vom 13. Juni 2013 für Recht erkannt:
1. Der Bescheid über die Aufhebung des Kindergeldes vom 18. Januar 2013 und die Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2013
werden dahingehend geändert, dass der Klägerin für ihren Sohn X Kindergeld für Februar 2013 bewilligt wird.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist für die Klägerin hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die
Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin Kindergeld zu versagen ist, weil der Sohn einen Unterhaltsanspruch gegenüber seiner Ehefrau
hat.
Die Klägerin ist die Mutter des am 3. April 1990 geborenen X , der sich seit dem 1. Oktober 2008 in Erstausbildung befindet.
Die Ehefrau des Sohnes erzielte seit Januar 2013 ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von rd. EUR 3.300. Die Beklagte hob
am 18. Januar 2013 die Bewilligung des Kindergeldes ab Februar 2013 auf, da aufgrund der Einkünfte der Ehefrau keine Unterhaltssituation
für die Klägerin vorliege. Den dagegen eingelegten Einspruch wies sie am 25. Februar 2013 zurück.
Die Klägerin bringt vor, die Einkünfte der Ehefrau des Sohnes seien für die Bewilligung von Kindergeld unbeachtlich.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über die Aufhebung des Kindergeldes vom 18. Januar 2013 und die Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2013 dahingehend
abzuändern, dass ihr für ihren Sohn X Kindergeld für Februar 2013 bewilligt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bringt vor, der Bundesfinanzhof habe in seiner Rechtsprechung daran festgehalten, dass ein Kindergeldanspruch
für ein verheiratetes Kind weiterhin eine Unterhaltssituation der Eltern erfordere.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze und die zu Gericht gereichte
Behördenakte Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die Ablehnung der beantragten Kindergeldfestsetzung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz
1 FGO). Die Klägerin hat für Februar 2013 einen Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Kindergeld gemäß §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
a EStG sind erfüllt, da der Sohn der Klägerin das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und er sich in Ausbildung befindet.
Weitere Voraussetzungen enthält das Gesetz nicht. Der Unterhaltsanspruch des Sohnes gegenüber seiner Ehefrau nach §§ 1608
Satz 1, 1360, 1360a BGB, der bis zum 31. Dezember 2011 zu den maßgeblichen Einkünften und Bezügen gehörte (Beschluss des Bundesfinanzhofs
vom 22. Dezember 2011, III R 8/08, BStBl. II 2012, 340), ist nicht zu berücksichtigen, da die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in
der bis zum 31. Dezember 2011 gültigen Fassung (EStG a.F.) enthaltene Regelung zum 1. Januar 2012 entfallen ist (Art. 1 Nr.
17 a), Art. 18 Abs. 1 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1. November 2011, BGBl. I 2011, S. 2131 ff.).
Die Einkünfte der Ehefrau des Sohnes sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Unterhaltssituation der Klägerin
zu berücksichtigen. Nach der älteren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu § 32 EStG, in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden
Fassung, setzte der Anspruch auf Kindergeld eine „typische Unterhaltssituation” voraus. Nach diesem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal
war ein Kindergeldanspruch nicht gegeben, wenn ein Kind verheiratet war und – wie im vorliegenden Fall aufgrund der hinreichenden
Einkünfte des Ehepartners – kein sog. „Mangelfall” vorlag (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. April 2007, III R 65/06, BStBl.
II 2008, 756) oder das Kind einer Vollzeitbeschäftigung nachging (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. Juli 2006, III R 78/04,
BFH/NV 2006, 2248). Das Erfordernis des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der „typischen Unterhaltssituation” hat der Bundesfinanzhofs
nachfolgend für die Fälle der Vollzeitbeschäftigung ausdrücklich mit der Begründung aufgegeben, dass eine typische Unterhaltssituation
kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Berücksichtigungstatbestände sei (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17. Juni 2010,
III R 34/09, BStBl. II 2010, 982). Die Frage, ob ein Kind typischerweise nicht auf Unterhaltsleistungen seiner Eltern angewiesen
ist, sei nach der gesetzlichen Regelung erst im Rahmen der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
a.F.) zu prüfen. Da seit dem 1. Januar 2012 die Einkünfte und Bezüge des Kindes jedoch nicht mehr zu berücksichtigen sind
und bereits unter diesem Gesichtspunkt eine typische Unterhaltssituation nicht erforderlich ist, können auch den Bedarf des
Kindes deckende Unterhaltsansprüche gegenüber dem Ehegatten einem Kindergeldanspruch nicht entgegenstehen. Der Senat folgt
damit der Ansicht des Finanzgerichtes Münster (Urteil vom 30. November 2012, 4 K 1569/12 Kg, EFG 2013, 298).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155
FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO). Zudem widerspricht die Entscheidung einer
bundesweit geltenden Verwaltungsanweisung (DA 31.2.2 FamEStG), die auch nach dem Urteil des Finanzgerichts Münster vom 30.
November 2012 (a.a.O.) nicht geändert wurde.