26.11.2013 · IWW-Abrufnummer 140260
Finanzgericht Sachsen: Gerichtsbescheid vom 18.10.2013 – 8 K 1032/11 (Kg)
1. Die im Rahmen einer „Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung” bzw. eines „1 Euro-Jobs” verrichteten Arbeiten begründen
gem. § 16d Abs. 7 S. 2 SGB II kein Arbeitsverhältnis i. S. d. Arbeitsrechts und kein Beschäftigungsverh ältnis i. S. d. SGB
IV. Damit steht der 1 Euro-Job eines arbeitslosen Kindes dem Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG nicht entgegen.
2. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit von weniger als 15 Stunden wöchentlich schließt die Beschäftigungslosigkeit gem. §
138 Abs. 3 SGB III nicht aus und erhält den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG (vgl. Sächsisches FG v. 31.7.2013,
8 K 930/08).
3. Die 30 Wochenstunden umfassende, – mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung – sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
im Rahmen des § 16e SGB II ist hingegen als den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG ausschließende Beschäftigung
zu beurteilen.
4. Auch wenn das 30 Wochenstunden beinhaltende Beschäftigungsverhältnis nach § 16e SGB II darauf angelegt ist, dass das Kind
allgemeine handwerkliche Erfahrungen sammelt, die soziale Kompetenz des Kindes und sein Verantwortungsbewusstsein für sich
selbst zu stärken, liegt in Ermangelung der erforderlichen Berufszielorientierung keine Berufsausbildung i. S. d. § 32 Abs.
4 S. 1 Nr. 2 EStG vor.
5. Die Rückforderung gem. § 74 Abs. 1 EStG abgezweigten Kindergelds erfolgt beim als Leistungsempfänger anzusehenden Abzweigungsempfänger.
Im Namen des Volkes
GERICHTSBESCHEID
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 8. Senat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … sowie der Richter am Finanzgericht … und …
am 18.10.2013 gemäß § 90a Finanzgerichtsordnung für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Dem Kläger werden die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auferlegt.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine sog. Arbeitsgelegenheit – Entgeltvariante mit einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden ein Beschäftigungsverhältnis
im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) darstellt.
Auf Antrag des im Februar 1991 geborenen Klägers hatte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: die Beklagte) mit
Bescheiden vom 14.8.2009 Kindergeld der A. S. für den Kläger festgesetzt und dem Abzweigungsantrag des Klägers entsprochen.
In der Folge zahlte die Beklagte, u.a. auch im Streitzeitraum Dezember 2009 bis April 2010, Kindergeld an den Kläger. Die
Zahlungen erfolgten in Höhe von 170 EUR für Dezember 2009 und in Höhe von 184 EUR monatlich für Januar bis April 2010.
Der Kläger stand im Streitzeitraum im laufenden Bezug von Arbeitslosengeld II. In der Berufsberatung der zuständigen Agentur
für Arbeit war der Kläger im Streitzeitraum nicht gemeldet. Unter dem 30.11.2009 schloss der Kläger mit der ARGE S. eine Eingliederungsvereinbarung,
nach der er „eine Arbeitsgelegenheit mit Entgeltvariante gemäß § 16d Satz 1 SGB II” beim W.-Firma mit 30 Wochenstunden vom
1.12.2009 bis 31.8.2010 zu absolvieren hatte. Tatsächlich nahm der Kläger zum 1.12.2009 die Tätigkeit als befristete sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung mit einem Beschäftigungsumfang von 30 Wochenstunden auf. Der Kläger erhielt ausweislich der zur Kindergeldakte
gereichten Gehaltsabrechnungen ein Entgelt von 652,50 EUR (brutto) für Dezember 2009 und 2.092,50 EUR (brutto) für Januar
bis April 2010. Er war u.a. zum Bau von Vogelhäusern eingesetzt worden. Im Rahmen der Maßnahme sollten dem Kläger leichte
handwerkliche Kenntnisse vermittelt werden, es sollten Bewerbungsunterlagen erstellt und ein strukturierter Tagesablauf erlernt
werden. Die Beschäftigung endete vorzeitig mit Ablauf des 30.4.2010 durch Auflösungsvertrag.
In der Kindergeldakte der Beklagten (Bl. 633) findet sich ein am 9.7.2008 erstellter Vermerk eines nicht der Familienkasse
zugehörigen Mitarbeiters der Bundesagentur für Arbeit vom 9.7.2008 u.a. folgenden Inhalts:
„In der Summe aller Beeinträchtigungen ist Herr S. nicht nur vorübergehend wegen Art und Schwere dieser Beeinträchtigungen
in der teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gemindert. Eine Behinderung im Sinne des § 2(1) SGB IX liegt vor, ergehört zum
Personenkreis nach § 19 SGB III. Hilfen nach § 33 SGB IX sind erforderlich. Antrag wurde heute ausgehändigt”
Die Beigeladene reichte das bezeichnete Antragsformular am 10.7.2010 ausgefüllt bei der Agentur für Arbeit S. ein (Akte Rehabilitation).
Dort wurde ein ärztliches Gutachten vom 3.4.2008 beigefügt, welches eine angeborene verminderte Belastbarkeit der Haut des
Klägers, Heuschnupfen und eine Lungenerkrankung mit Luftnotanfällen als vermittlungs- und beratungsrelevante Gesundheitsstörung
ausweist. Nach Beurteilung der nach Aktenlage begutachtenden Ärztin war der Kläger zu vollschichtigen, gelegentlich mittelschweren
körperlichen Tätigkeiten in der Lage, die ggf. ständig sitzend, gehend oder stehend ausgeübt werden können. Weitere Begutachtungen
des Klägers im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit erfolgten nicht. Auch die Staatsanwaltschaft, der Jugendrichter und das
Jugendschöffengericht gaben im Zusammenhang mit gegen den Kläger geführten Verfahren keine Gutachten in Auftrag. Der Kläger
besitzt keinen sog. Behindertenausweis.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 17.8.2010 gegenüber A. S. die Festsetzung des Kindergeldes für die Zeit vom Dezember 2009
bis April 2010 auf, weil der Kläger eine Beschäftigung aufgenommen habe, die den Anspruch auf Kindergeld ausschließe. Mit
Erstattungsbescheid vom gleichen Tag stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger einen Erstattungsbetrag von 906 EUR fest. Am
13.9.2010 erhob der Kläger Einspruch. Zur Begründung trug er vor, er sei im Streitzeitraum einer durch die ARGE geförderten
Maßnahme nachgegangen. Dies sei keine versicherungspflichtige Tätigkeit, da sie keine Arbeitslosenversicherung enthalte. Die
Tätigkeit habe ihn nicht von der Vermittlung ausgeschlossen, sondern lediglich an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt. Er
sei weiterhin als Arbeitsuchender gemeldet gewesen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 15.6.2011 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte führte aus, die
Aufhebung der Kindergeldfestsetzung sei zutreffend. Ein jegliches Beschäftigungsverhältnis mit Ausnahme einer geringfügigen
Beschäftigung im Sinne des § 8a SGB IV schließe die Kindergeldberechtigung gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG aus. Eine solche
Beschäftigung habe hier vorgelegen. Erstattungspflichtig im Fall einer Abzweigung sei der Abzweigungsempfänger, hier der Kläger.
Der Kläger hat am 11.7.2011 Klage erhoben. Nach seiner Auffassung folge aus der Freigrenze für Einkünfte und Bezüge gemäß
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F., dass er – der weniger als 8.004 EUR im Jahr 2010 bezogen habe – Kindergeld erhalten m üsse.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die unter dem Zeichen A) ergangenen Bescheide der Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse Plauen vom 17.8.2010 über die Aufhebung
des Kindergeldes der A. S. für das Kind S. und über die Erstattung von 906 EUR in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.6.2011
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Arbeitsgelegenheit sei ein Beschäftigungsverhältnis, welches den Anspruch auf das Kindergeld ausschließe.
Weitere Berücksichtigungstatbestände lägen nicht vor. So habe es sich bei der Arbeitsgelegenheit weder um eine Berufsausbildung
gehandelt, noch sei ersichtlich, dass der Kläger aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage war, sich selbst zu unterhalten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf die von der Beklagten übersandte
Kindergeldakte (ein Band Bl. 450-668) und die Akte Rehabilitation (ein Band nicht paginiert, 15 Blätter) Bezug genommen. Die
Beteiligten wurden zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Entscheidungsgründe
I.
Der während des Verfahrens durch den Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit vom 18. April 2013 eingetretene
Zuständigkeitswechsel führt zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (vgl. BFH, Urteil vom 24.7.2013, XI R 24/12 [zit. nach
juris] m.w.N.).
II.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die angefochtenen Verwaltungsakte, die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Dezember 2009 bis April 2010 und
der Erstattungsbescheid, jeweils vom 17.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.6.2011 sind nicht gemäß § 100
Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
1.
Die Beklagte war gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG befugt, die Festsetzung des Kindergeldes der Beigeladenen für den Kläger für
die Zeit von Dezember 2009 bis April 2010 aufzuheben. Nach § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG ist, soweit Änderungen in den für den Kindergeldanspruch
erheblichen Verhältnissen eintreten, die Festsetzung des Kindergelds vom Zeitpunkt der Änderung aufzuheben oder zu ändern.
a) Mit der Aufnahme der „Arbeitsgelegenheit mit Entgeltvariante” durch den Kläger ist eine erhebliche Änderung in den für
den Kindergeldanspruch maßgeblichen Verhältnissen eingetreten, die diesen ausschließt.
Ein Kindergeldanspruch für Kinder, die f– wie der Kläger im Streitzeitraum – das 18. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht
21 Jahre alt sind, besteht gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG, wenn sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis
stehen und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet sind.
Der Kläger stand jedoch vom 1.12.2009 bis 30.4.2010 in einem Beschäftigungsverhältnis.
aa) Der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses ist demjenigen in § 138 Abs. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III;
entspricht § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F.) entlehnt. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG wurde durch das Zweite Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 mit Wirkung ab 1. Januar 2003 neu gefasst. Nach der vorherigen Gesetzesfassung
war Tatbestandsvoraussetzung, dass das volljährige Kind arbeitslos im Sinne des SGB III ist. Nunmehr genügt es, dass das noch
nicht 21 Jahre alte Kind nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einem Arbeitsamt im Inland als Arbeitsuchender
gemeldet ist. Die über die Beschäftigungslosigkeit hinausgehenden Merkmale der Arbeitslosigkeit im Sinn des SGB III – Eigenbemühungen
und Verfügbarkeit – brauchen nun nicht mehr nachgewiesen zu werden. Das Gesetz unterstellt durch die Meldung als Arbeitssuchender
typisierend, dass diese Voraussetzungen vorliegen (vgl. BFH, Urteil vom 19.6.2008, III R 68/05, BStBl II 2009, 1008 [1009]).
Beschäftigung im Sinne der § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG und § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV
die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Ein solches lag zwischen dem Kläger und dem W.-Firma vor.
aaa) Bei der „Arbeitsgelegenheit Entgeltvariante” handelt es sich nicht – wie in der Eingliederungsvereinbarung bezeichnet
– um eine Maßnahme nach § 16d Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift können erwerbsfähige Leistungsberechtigte zur Erhaltung
oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, die für eine Eingliederung in Arbeit erforderlich ist, in Arbeitsgelegenheiten
zugewiesen werden, wenn die Arbeiten zusätzlich sind, im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind. In den
Fällen des § 16d SGB II wird den Leistungsberechtigten zuzüglich zum Arbeitslosengeld II von der Agentur für Arbeit eine angemessene
Entschädigung für Mehraufwendungen gezahlt (§ 16d Abs. 7 Satz 1 SGB II). Die im Rahmen dieser „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung”
bzw. „1 EUR-Jobs” verrichteten Arbeiten begründen gemäß § 16d Abs. 7 Satz 2 SGB II kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts
und kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des SGB IV.
bbb) Demgegenüber ist der Kläger ausweislich der Gehaltsabrechnungen ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis
eingegangen. Die in der Eingliederungsvereinbarung verwandte Bezeichnung „Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante” betrifft
Arbeitsverhältnisse, die gemäß § 16e Abs. 1 SGB II durch Zuschüsse gefördert werden. Personen in einem solchermaßen bezuschussten
Arbeitsverhältnis sind – wie der Kläger ausweislich seiner Gehaltsabrechnungen – gemäß § 27 Abs. 3 Nr. 5 SGB III hinsichtlich
der Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei. Nicht nur das Fehlen einer § 16d Abs. 7 Satz 2 SGB II entsprechenden Sonderregelung
in § 16e SGB II sondern auch die gesonderte Freistellung von der Arbeitslosenversicherung nach § 27 Abs. 3 Nr. 5 SGB III zeigen,
dass für das nach § 16e SGB II geförderte Arbeitsverhältnis keine Besonderheiten hinsichtlich der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses
bestehen. Vielmehr setzt § 27 Abs. 3 Nr. 5 SGB III voraus, dass das nach § 16e SGB II geförderte Arbeitsverhältnis ein Beschäftigungsverhältnis
i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV darstellt und damit grundsätzlich die Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV begründet.
bb) Zwar schließt die Ausübung einer Erwerbstätigkeit von weniger als 15 Stunden wöchentlich die Beschäftigungslosigkeit gemäß
§ 138 Abs. 3 SGB III nicht aus und würde dem Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht entgegenstehen (vgl.
Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 31.7.2013, 8 K 930/08 [zit. nach juris]). Mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit
von 30 Stunden hatte das konkrete Beschäftigungsverhältnis des Klägers aber einen größeren Umfang.
b) Ein Kindergeldanspruch bestand auch nicht aus anderen Gründen. Insbesondere die Voraussetzungen der § 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 2 Buchst. a und Nr. 3 EStG liegen nicht vor.
aa) Das vom Kläger eingegangene Beschäftigungsverhältnis war keine Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst.
a EStG, weil es nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf diente. Soweit das Beschäftigungsverhältnis Bildungscharakter
trug, war es lediglich darauf angelegt, allgemeine handwerkliche Erfahrungen zu sammeln, die soziale Kompetenz des Klägers
und sein Verantwortungsbewusstsein für sich selbst zu stärken. Es mangelte dem Beschäftigungsverhältnis an der für die Berufsausbildung
i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erforderlichen Berufszielorientierung (vgl. zur Berufszielorientierung: BFH,
Urteil vom 9.6.1999, VI R 16/99, BStBl II 1999, 713 [714]; zu persönlichkeitsbildenden Maßnahmen: BFH, Urteil vom 24.6.2004,
III R 3/03, BStBl II 2006, 294 [296]).
bb) Der Kläger war nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande,
sich selbst zu unterhalten.
Allein der aus dem Jahr 2008 herrührende Hinweis eines Sachbearbeiters der Agentur für Arbeit auf § 19 SGB III und § 2 Abs.
1 SGB IX lässt nicht auf eine Ende 2009/Anfang 2010 bestehende körperliche, geistige oder seelische Behinderung des Klägers
schließen. Zudem zeigt das im sachlichen Zusammenhang mit dem Vermerk vom 9.7.2008 stehende ärztliche Gutachten vom 3.4.2008,
dass der Kläger trotz der damals vorhandenen körperlichen Beeinträchtigungen in seiner Erwerbsfähigkeit nicht erheblich gemindert
war. Einer weiteren Sachaufklärung hinsichtlich einer Behinderung des Klägers und ihrer Folgen bedarf es nicht. Eine Behinderung
ist nicht nach § 69 SGB IX festgestellt. Auch liegen keine sonstigen ärztlichen Stellungnahmen vor, die eine erhebliche Beeinträchtigung
der Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund körperlicher, geistiger oder seelischer Ursachen bekunden. Schließlich hat der Kläger
auf entsprechende Aufforderung zur Stellungnahme weder eine Behinderung noch die darauf beruhende Unfähigkeit, sich selbst
zu unterhalten, geschildert. Vor diesem Hintergrund kann das Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG
im Streitzeitraum ausgeschlossen werden.
c) Auf den vom Kläger benannten Einkommensgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. kommt es nicht an, weil es sich insoweit
nicht um einen gesonderten anspruchsbegründenden Tatbestand handelt. Die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. schließt
vielmehr bei Überschreitung der Freigrenze für das eigene Einkommen des Kindes für über 18-jährige Kinder den Kindergeldanspruch
aus, wenn ansonsten die Anspruchsvoraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG vorliegen.
2.
Die Beklagte war gemäß § 37 Abs. 2, § 218 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO) befugt, den Erstattungsanspruch festzusetzen.
Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, gegenüber dem Leistungsempfänger
einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages, wenn eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist
oder der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt. Der Rückforderungsanspruch richtet sich gegen den Leistungsempfänger.
Leistungsempfänger ist grundsätzlich derjenige, an den die Behörde den Rückforderungsbetrag willentlich gezahlt hat, wenn
dieser die Zahlung aus eigenem (erworbenem) Recht erhalten hat. In Fällen der Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG ist dies der
Abzweigungsempfänger, hier der Kläger (vgl. BFH, Urteil vom 24.8.2001, VI R 83/99, BStBl II 2002, 47 [48]).
Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 17.8.2010 zwischen den Beteiligten noch keine Streitigkeiten über
den Erstattungsanspruch i.S.d. § 218 Abs. 2 AO vorlagen, ist unerheblich, da solche Streitigkeiten zumindest im Einspruchsverfahren
zutage getreten sind und Gegenstand der Klage der Ausgangsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist (vgl. § 44 Abs.
2 FGO). Zudem kann ein Rückforderungsanspruch auch festgestellt werden, wenn der Steuerpflichtige diesen nicht bestritten
hat (vgl. Rüsken in: Klein, AO, 11. Aufl., § 218 Rn. 17a m.w.N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Es entsprach nicht der Billigkeit, dem Kläger oder der Staatskasse die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen gemäß § 138 Abs. 4 FGO aufzuerlegen.