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  • 13.12.2016 · IWW-Abrufnummer 190574

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 19.10.2016 – 7 K 407/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FG Baden-Württemberg

    19.10.2016 - 7 K 407/16

    In dem Finanzrechtsstreit
    Kläger
    - Kläger -
    prozessbevollmächtigt:
    gegen
    Y AG
    - Familienkasse -
    - Beklagte -
    prozessbevollmächtigt:

    wegen Kindergeld

    hat der 7. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg in der Sitzung vom 19. Oktober 2016 durch
    Präsident des Finanzgerichts
    Richter am Finanzgericht
    Richterin am Finanzgericht
    Ehrenamtlichen Richter
    Ehrenamtliche Richterin

    für Recht erkannt:
    Tenor:

    1) Der Bescheid der Beklagten vom 3. November 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2016 wird aufgehoben und Kindergeld für den Monat August 2015 festgesetzt.
    2) Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
    3) Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
    4) Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Monat August 2015 sowie die Rückforderung des bereits ausgezahlten Kindergeldes i.H.v. 188 €.

    Der Kläger beantragte für seine Tochter T, geboren am xx.xx. 1994, für deren 3-jährige Ausbildung zur staatlich anerkannten Heilerziehungspflegerin die Gewährung von Kindergeld. Ausweislich der sich in den Akten befindlichen Unterlagen begann der Schul- und Praxisvertrag zum 1. September 2012 und endete am 31. August 2015; in dem Vertrag war festgehalten, dass die Ausbildung den Schulgesetzen der Länder unterstehe und das Berufsbildungsgesetz (BBiG) auf die Ausbildung keine Anwendung finde (Bl. 1-3 der Sachakte).

    T bestand am 20. Juli 2015 die staatliche Abschlussprüfung (Bl. 4 der Sachakte). Gemäß Bestätigungen der Schule vom 24. Juli 2015 und vom 28. August 2015 beendete sie die Ausbildung am 31. August 2015 (Bl. 5 und 14 der Sachakte). Die Beklagte bewilligte zunächst antragsgemäß die Zahlung von Kindergeld. Nachdem sie jedoch Kenntnis über die bestandene Abschlussprüfung der Klägertochter erlangte, hob sie mit Bescheid vom 3. November 2015 die Kindergeldfestsetzung ab dem 1. August 2015 auf und forderte Kindergeld i.H.v. 188 € zurück (Bl. 6 der Sachakte).

    Gegen diesen Bescheid legte der Kläger form- und fristgerecht Einspruch ein. Die Ausbildung sei gemäß der Bestätigung der Schule erst am 31. August 2015 beendet worden. T habe ferner - gemäß einer dem Einspruch beigefügten Anlage (Bl. 8 der Sachakte) - im August 2015 noch eine Ausbildungsvergütung erhalten. Auch das Ausbildungszeugnis der A vom 31. August 2015 (Bl. 11 und 12 der Sachakte) bescheinige eine Ausbildung vom 1. September 2012 bis 31. August 2015. Der Kläger legte im Einspruchsverfahren ferner eine Urkunde des Landes Baden-Württemberg vom 21. September 2015 vor, nach der T mit Wirkung vom 1. September 2015 die Erlaubnis erteilt wurde, die Berufsbezeichnung "staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin" zu führen (Bl. 15 der Sachakte).

    Mit Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2016 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Berücksichtigung des Kindes ende, wenn ein Ausbildungsstand erreicht sei, der das Kind zur Berufsausbildung nach dem angestrebten Berufsziel befähige. Werde die vorgeschriebene Abschlussprüfung vor Ablauf der vertragsmäßigen Ausbildungszeit bestanden, ende das Ausbildungsverhältnis bereits mit Bestehen der Abschlussprüfung. T habe die Prüfung am 20. Juli 2015 bestanden; der erfolgreiche Abschluss sei ihr im Juli 2015 mitgeteilt worden. Die Bescheinigung der Fachschule bestätige dagegen lediglich das ursprüngliche, vertragsmäßige Ende der Berufsausbildung.

    Tatsächlich sei die Ausbildungszeit jedoch mit Ablauf des 31. Juli 2015 beendet worden, weshalb die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab August 2015 aufgehoben worden sei.

    Gegen diese Einspruchsentscheidung hat der Kläger Klage erhoben. Sowohl der Schul- und Praxisvertrag, die Bescheinigung der Schule als auch das Ausbildungszeugnis bestätigten ausdrücklich das Ende der Ausbildung zum 31. August 2015; dem entspreche auch die vorgelegte Bescheinigung über die bezahlte Ausbildungsvergütung für den Monat August 2015. T sei verpflichtet gewesen, ihre praktische Tätigkeit gegenüber der Praxisstelle der A bis zum Vertragsablauf zu erbringen. Zum Nachweis fügte sie einen Dienstplan der Tochter für den Monat August (Bl. 62 der Finanzgerichtsakte), eine Urlaubsübersicht (Bl. 63 der Finanzgerichtsakte) sowie eine Meldebescheinigung zur Sozialversicherung (Bl. 64 der Finanzgerichtsakte) bei; auch aus diesen Unterlagen ergebe sich klar und deutlich, dass das Ausbildungsverhältnis erst mit Ablauf des 31. August 2015 geendet habe. Vor diesem Hintergrund handle es sich um eine Abweichung der gesetzlichen Regelung des § 21 Abs. 2 BBiG; vorliegend sei zwischen den Vertragsparteien ein konkretes Beendigungsdatum verbindlich und wirksam vereinbart worden. Eine Ausbildung dauere so lange an, bis der oder die Auszubildende das Berufsziel erreicht habe. Nur dann, wenn das Berufsziel mit Bestehen der Prüfung erreicht sei, sei von einer Beendigung der Ausbildung auszugehen. Zielsetzung des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei, die kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Eltern während der Ausbildung des Kindes zu berücksichtigen. Diese Voraussetzung sei im Monat August 2015 noch gegeben.

    Der Kläger beantragt,

    den Bescheid der Beklagten vom 3. November 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2016 aufzuheben und Kindergeld für den Monat August 2015 festzusetzen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie trägt zur Begründung vor, dass das Ausbildungsverhältnis bereits mit Bestehen der Abschlussprüfung, spätestens jedoch mit Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses ende, und verweist auf die Regelung des § 21 Abs. 2 BBiG. Die Tatsache, dass das Ausbildungsverhältnis über den Zeitpunkt der Abschlussprüfung andauere, führe nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht zu einem Kindergeldanspruch. Es sei auch nicht entscheidungserheblich, dass die Tochter des Klägers für August 2015 noch eine Ausbildungsvergütung erhalten habe. Diese Sichtweise ergebe sich auch aus der "Dienstanweisung Kindergeld" (DA-KG) des Bundeszentralamtes für Steuern, A 14.10. Eine Ausnahme nach dem dort genannten Abs. 7, wonach bei Berufsausbildungen nach dem Krankenpflegegesetz, dem Altenpflegegesetz und dem Hebammengesetz die gesetzlich vorgeschriebene Ausbildungsdauer auch dann zugrundezulegen sei, wenn die Abschlussprüfung tatsächlich früher abgelegt werde, liege nicht vor. Die Ausbildung der Tochter des Klägers falle nicht unter die explizit genannten Ausnahmetatbestände.

    Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Sachakte der Beklagten Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

    Die zulässige Klage ist begründet.

    Gemäß § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Berufsausbildung ist jede ernstlich betriebene Vorbereitung auf einen künftigen Beruf. Sie beginnt mit der tatsächlichen Aufnahme der ersten berufsspezifischen Bildungsmaßnahme und endet, wenn das Kind einen Ausbildungsstand erreicht hat, der es zur Berufsausübung nach dem angestrebten Berufsziel befähigt.

    Nach der (auch seitens der Beklagten zitierten) Rechtsprechung des BFH (BFH-Entscheidungen vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, BStBl II 2000, 473; und vom 28. Januar 2010 III B 165/09, BFH/NV 2010, 876) ist das Berufsziel in der Regel mit Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse erreicht. Im ersten entschiedenen Fall nahm das sich in einem Universitätsstudium befindliche Kind nach Ablegung der letzten Prüfungsleistung, aber noch vor Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses, eine Vollzeiterwerbstätigkeit auf. Der BFH wertete dies als Ende der Berufsausbildung, da zum einen das Kind dadurch bereits in den aufgrund der Ausbildung angestrebten Beruf eingetreten sei und zum anderen die Belastung der Eltern in Form eines erhöhten Unterhaltsbedarfs während der Ausbildungszeit durch die Vollzeiterwerbstätigkeit beendet gewesen wäre. Im zweiten Fall erhielt das Kind nach bestandener Abschlussprüfung keine Ausbildungsvergütung mehr, sondern wurde nach dem normalen Tarif bezahlt; die praktische Ausbildung war demzufolge mit der Abschlussprüfung beendet. Beide Fälle sind nach Auffassung des erkennenden Senats mit dem Streitfall jedoch nicht vergleichbar.

    Im vorliegenden Fall wurde der Schul- und Praxisvertrag für den Zeitraum vom 1. September 2012 bis 31. August 2015 geschlossen. Die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin erfolgte gemäß dem Vertrag aufgrund § 3 Abs. 2 des Privatschulgesetzes Baden-Württemberg in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Januar 1990, geändert durch Gesetz vom 13. November 1995 in Verbindung mit der Verordnung der Landesregierung über die Fachschulen des Fachbereichs Sozialwesen der Fachrichtungen Jugend- und Heimerziehung, Heilerziehungspflege und Heilpädagogik vom 13. Juli 2004 (APrOJuHeErz). Nach § 2 Abs. 2 dieser Verordnung dauert die Fachschulausbildung 3 Jahre und endet mit einer staatlichen Prüfung; ein mögliches früheres Ende kann der Verordnung nicht entnommen werden. Gemäß der Bescheinigung der Fachschule sowie dem Ausbildungszeugnis der A endete die Ausbildung am 31. August 2015. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen erhielt die Tochter des Klägers ferner für den Monat August 2015 genau wie in den Monaten zuvor eine Ausbildungsvergütung in gleicher Höhe. Sie war für diesen Monat als Auszubildende versichert und ausweislich einer Bestätigung der A, X, als Auszubildende bis 31. August 2015 dort beschäftigt; sie war laut Dienstplan für Früh-, Mittel-, Spät- und Wochenenddienste eingeplant und nahm an einzelnen Tagen Urlaub. Sie war ferner gemäß der Bescheinigung des Regierungspräsidiums des Landes Baden-Württemberg erst ab dem 1. September 2015 befugt, die Berufsbezeichnung "staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin" zu führen. Das Berufsbildungsgesetz, welches in § 21 Abs. 2 ein Ende der Ausbildung bereits mit Bekanntgabe des Ergebnisses durch den Prüfungsausschuss vorsieht, fand gemäß dem geschlossenen Ausbildungsvertrag ausdrücklich keine Anwendung. Anders als in den seitens des BFH entschiedenen Fällen war die Tochter des Klägers bis Ende August 2015 verpflichtet, ihrer Ausbildungsstelle - gegen Gewährung einer entsprechenden Ausbildungsvergütung - zur Verfügung zu stehen. Im Gegensatz zu den Fällen mit Universitätsstudium und anschließender Vollzeittätigkeit stand T im Monat August 2015 dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung; sie war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht berechtigt, ihre Berufsbezeichnung zu führen; die Erlaubnis hierzu bestand ausweislich der Bestätigung des Regierungspräsidiums erst ab 1. September 2015. Soweit die Beklagte gemäß ihrer internen Dienstanweisung Ausnahmen von der vorzeitigen Beendigung der Ausbildungszeit durch Ablegen einer Prüfung nur für die Berufsausbildungen zum Gesundheits- und (Kinder-) Krankenpfleger nach dem Krankenpflegegesetz, zum Altenpfleger nach dem Altenpflegegesetz sowie zur Hebamme und zum Entbindungspfleger nach dem Hebammengesetz zulässt, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, weshalb (explizit nur) für diese Bereiche die gesetzlich vorgeschriebene Ausbildungsdauer auch dann maßgebend ist, wenn die Prüfung tatsächlich früher abgelegt wird, vorliegend jedoch trotz gleich gelagerten Sachverhalts eine Kindergeldfestsetzung bis zum Ende der (bereits gemäß Landesverordnung festgelegten) 3-jährigen Ausbildung verwehrt wird. Darüber hinaus weist der erkennende Senats darauf hin, dass auch der Sinn und Zweck der Festsetzung von Kindergeld, nämlich die kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Eltern während der Ausbildungszeit des Kindes zu berücksichtigen, für den Monat August 2015 noch gegeben ist, da die Tochter des Klägers in diesem Monat (noch) nicht dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern (zwingend) dem Ausbildungsbetrieb gegen Gewährung (lediglich) der Ausbildungsvergütung zur Verfügung stand.

    Nach alledem war der Klage stattzugeben.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1, Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

    Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 1. Alt. FGO zugelassen.

    Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 28. Januar 2010 III B 165/09, BFH/NV 2010, 876 ausdrücklich offengelassen, ob die Berufsausbildung trotz einer vorgezogenen Abschlussprüfung fortdauert, wenn die praktische Ausbildung bis zum Ende der vorgesehenen Ausbildungszeit fortgesetzt wird. Die im vorliegenden Fall relevante Fragestellung ist daher bislang höchstrichterlich nicht entschieden. Ferner weicht der erkennende Senat von der Entscheidung des Finanzgerichts Köln vom 16. Februar 2006 2 K 6686/03, EFG 2008, 142 ab, welches ein Ende der Ausbildung bereits mit Aushändigung des Abschlusszeugnisses annahm. Die Revision wurde durch das Gericht damals zugelassen; das Verfahren vor dem BFH wurde jedoch durch Erledigung der Hauptsache beendet.