Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 30.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211383

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 23.05.2019 – 4 K 4259/17

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Berlin-Brandenburg

    Urteil v. 23.05.2019


    In dem Rechtsstreit
    des Herrn A...,
    Kläger,
    Bevollmächtigter:
    gegen
    das Finanzamt,
    Beklagter,

    wegen Einkommensteuer 2016

    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 4. Senat - ohne mündliche Verhandlung am 23. Mai 2019 durch
    den Richter am Finanzgericht ... als Vorsitzender,
    den Richter am Finanzgericht ... und
    den Richter am Finanzgericht ...
    sowie die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Herr ...

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

    Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Jahres 2016 (Streitjahr).

    Der in C... wohnende Kläger bezog im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er ist seit dem 1. Dezember 2015 als Müllwerker für die B...-betriebe tätig und seit diesem Zeitpunkt im Betriebshof der B...-betriebe in der D...-straße in C... eingesetzt. Auf die mit der B...-betriebe am 30. Oktober 2015 bzw. 2. November 2016 abgeschlossenen Arbeitsverträge wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

    Der Kläger fährt arbeitstäglich, so auch im Streitjahr, als einer von zwei sog. Läufern neben dem Kraftfahrer auf dem Lkw mit, der die Mülltonnen der Kunden entleert. Der Beginn des Arbeitstags des Klägers gestaltet sich wie folgt:

    Der Kläger kleidet sich morgens auf dem Betriebshof der B...-betriebe in der D...-straße zunächst um und hört sich die Ansage der Einsatzleitung an. Danach geht er in den sog. Tourenraum und holt das Tourenbuch, die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel ab. Dann geht der Kläger zum Fahrzeug runter und kontrolliert mit zwei anderen Kollegen die Beleuchtung des Müllfahrzeugs. Der Kraftfahrer sitzt zumeist im Fahrzeug und betätigt die Blinker. Der Kläger oder sein Kollegen schauen, ob der Blinker funktioniert, und laufen um das Fahrzeug herum und kontrollieren die Beleuchtung.

    In seiner für 2016 eingereichten Einkommensteuererklärung machte der Kläger als Werbungskosten u. a. Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen aufgrund einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden an 225 Tagen in Höhe von insgesamt 2.700 € geltend (225 Tage x 12 €). Der Beklagte folgte insoweit nicht der Einkommensteuererklärung, weil er die Auffassung vertrat, dass keine beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit von mindestens acht Stunden gegeben sei, und erließ dementsprechend am 11. April 2017 den Einkommensteuerbescheid für 2016 ohne Ansatz der in Höhe von 2.700 € geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen.

    Der Kläger erhob gegen den Einkommensteuerbescheid für 2016 Einspruch und trug vor, dass er unter Berücksichtigung des ab dem 1. Januar 2014 geltenden Reisekostenrechts keine erste Tätigkeitsstätte habe. Vielmehr werde er nur auswärts tätig. Bei dem fraglichen Ort, an dem er das Müllfahrzeug abhole, handele es sich um einen Sammelpunkt. Somit sei die Abwesenheit von der Wohnung maßgebend. Da seine, des Klägers, tägliche Arbeitszeit 7,8 Stunden betrage, habe im Streitjahr eine mehr als achtstündige Abwesenheit von der Wohnung vorgelegen.
    Der Beklagte reagierte mit Schreiben vom 11. Mai 2017. Er wies darauf hin, dass die B...-betriebe nach seinen Erkenntnissen eine sog. erste Tätigkeitsstätte für die Arbeitnehmer festlege. Sofern dies nicht zutreffe, sollte der Kläger eine Arbeitgeberbescheinigung vorlegen, aus welcher hervorgehe, dass organisatorisch keine erste Tätigkeitsstätte für ihn festgelegt worden sei. Zudem sollte aus der Bescheinigung hervorgehen, welchen Tätigkeiten der Kläger am Betriebshof nachkomme und dass er arbeitstäglich über acht Stunden auswärts tätig sei. Weiter führte der Beklagte in dem Schreiben aus, dass aus den von dem Kläger erklärten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ersichtlich sei, dass er arbeitstäglich den Betriebssitz in der D...-straße in C... aufsuche. Dort seien regelmäßig bestimmte Arbeiten zu verrichten (z. B. Fahrzeugpflege, Rücksprachen, Waschen und Umkleiden), weshalb diese Betriebsstelle zur ersten Tätigkeitsstätte werde.

    Der Kläger antwortete mit einem Schreiben vom 6. Juni 2017 und wies darauf hin, dass er im Betriebshof, wo er das Fahrzeug abhole, keine qualitativen Arbeiten verrichte. Auch eine quantitative Prüfung ergebe keine Zuordnung. Ein Schreiben der B...-betriebe an die Mitarbeiter sei nicht bekannt. Sofern ein solches Schreiben existieren sollte, sei die Rechtsabteilung der B...-betriebe hinsichtlich des steuerlichen Begriffs des Sammelpunkts wohl einer Fehleinschätzung unterlegen. Er, der Kläger, werde sich mit der entsprechenden Abteilung der B...-betriebe in Verbindung setzen, um den Sachverhalt aufzuklären.

    Mit Schreiben vom 4. August 2017 trug der Kläger vor, dass ihm die Abteilung "Personal Recht" der B...-betriebe mitgeteilt habe, dass ohne weitere Prüfung für alle Mitarbeiter eine erste Tätigkeitsstätte unterstellt werde. Dies führe für ihn bzw. seine Berufsgruppe zu einem falschen Ergebnis. Er, der Kläger, bleibe dabei, dass am Betriebshof, wo er das Fahrzeug abhole, keine qualitativen Arbeiten durchgeführt worden seien und dass auch eine quantitative Prüfung keine Zuordnung ergebe.

    In der den Kläger betreffenden, dem Gericht vorliegenden Lohnsteuer-Arbeitnehmer-Akte des Beklagten (dort Blatt 6) befindet sich die Kopie der ersten Seite eines Schreibens der B...-betriebe an eine nur mit Vornamen bezeichnete Person vom 2. Mai 2016. Auf dem Schreiben ist handschriftlich das Wort "Muster" vermerkt. Das Schreiben betrifft einen Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung zum Verpflegungsmehraufwand. In dem Schreiben führt die B...-betriebe u. a. das Folgende aus:

    " [...] Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen wurden Sie einer sog. ,ersten Tätigkeitsstätte' zugeordnet. [...] Ihre ,erste Tätigkeitsstätte' im Sinne des Einkommensteuergesetzes ist Ihr Betriebshof/Ihre Regionalstelle E...-straße, C..., dem Sie/der Sie zugeordnet sind und auf dem/der Sie arbeitstäglich Ihre Arbeit aufnehmen und beenden. [...]"

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie des vorstehend genannten Schreibens verwiesen.

    Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 16. August 2017 - einem Mittwoch - wies der Beklagte den Einspruch des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 als unbegründet zurück. Er war der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 9 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorliegen. Wie der Kläger mit seinem Schreiben vom 4. August 2017 bestätigt habe, nehme die B...-betriebe eine Zuordnung der Arbeitnehmer zu einer Tätigkeitsstätte vor. Die erste Tätigkeitsstätte des Klägers sei der Betriebshof in der D...-straße in C.... Dort müsse er sich umkleiden, das Fahrzeug abholen und eine Fahrzeugkontrolle durchführen. Dass dieses ganz geringe Tätigwerden an der Tätigkeitsstätte nicht den qualitativen Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit darstelle, sei wegen der Zuordnung durch den Arbeitgeber unerheblich.

    Für die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen sei daher erforderlich, dass der Kläger im Streitjahr außerhalb seiner Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte mehr als acht Stunden beruflich tätig geworden sei. Laut seines eigenen Vortrags habe der Kläger den Betriebshof jeweils um 6.15 Uhr verlassen und sei zu diesem um 14.00 Uhr zurückgekehrt. Somit liege nur eine Abwesenheit von etwa 7,8 Stunden vor, so dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 4a EStG nicht erfüllt seien.

    Gegen die Einspruchsentscheidung vom 16. August 2017 hat der Kläger am 21. September 2017 Klage erhoben. Er begehrt weiterhin Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von insgesamt 2.700 € für 225 Arbeitstage wegen einer mehr als achtstündigen Abwesenheit. Der Arbeitstag gestalte sich nach seinen Angaben wie folgt:

    Abfahrt von der Wohnung    5.00 Uhr      
    Ankunft Betriebshof - Umkleiden, Fahrzeugkontrolle    5.30 Uhr      
    Abfahrt Betriebshof    6.15 Uhr      
    Rückkehr zum Betriebshof    14.00 Uhr      
    Abfahrt zur Wohnung    14.30 Uhr      
    Ankunft in der Wohnung    15.00 Uhr     

    Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger aus, dass ihn sei Arbeitgeber zwar aus organisatorischen Gründen angewiesen habe, morgens am Betriebshof in der D...-straße in C... zu erscheinen. Dies sei jedoch nicht als Deklaration seiner ersten Tätigkeitsstätte zu verstehen. Vielmehr stelle dieser festgelegte Ort, an dem er das Müllfahrzeug abhole, einen Sammelpunkt i. S. des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 24. Oktober 2014 dar (Aktenzeichen [Az.]: IV C 5-S 2353/14/10002, FMNR4d2000014, Bundessteuerblatt [BStBl] I 2014, 1412, Randziffer [Rz.] 37). Das Umkleiden und die Fahrzeugkontrolle würden diesen Ort nicht zu einer ersten Tätigkeitsstätte machen. Vergleichbar sei dies mit der Tätigkeit eines Kraftfahrers, der das Fahrzeug nur aus organisatorischen Gründen an einem vorgegebenen Ort abhole und sich dort lediglich umkleide und die Fahrtroute des Tages entgegennehme. Im Übrigen habe der Bundesfinanzhof (BFH) mit seinem Urteil vom 6. Februar 2014 (Az.: VI R 34/13) für die alte Rechtslage entschieden, dass ein Müllwerker schwerpunktmäßig auf einem Fahrzeug und damit auswärts tätig sei.

    Für das Jahr 2014 habe sein, des Klägers, Prozessbevollmächtigter von der B...-betriebe für einen anderen Arbeitnehmer eine Bescheinigung hinsichtlich des Vorliegens eines Sammelpunktes angefordert. Auf das in Kopie vorgelegte Antwortschreiben der B...-betriebe vom 5. Mai 2015 werde wegen der Einzelheiten verwiesen. Die B...-betriebe habe in dem Schreiben bestätigt, dass der Arbeitnehmer in der "Regionalstelle D...-straße [...] eingesetzt" werde. Das sei lediglich als organisatorische Zuordnung zu verstehen. Ansonsten habe die B...-betriebe bestätigt, dass keinerlei Prüfung vorgenommen worden sei.

    Neben diesem Klageverfahren habe sein, des Klägers, Prozessbevollmächtigter mit dem Leiter der Personalabteilung Recht der B...-betriebe, einem Herrn F..., Schriftverkehr geführt. Dieser habe bestätigt, dass die B...-betriebe zur Vereinheitlichung im Unternehmen für alle Beschäftigten arbeitsrechtlich eine erste Tätigkeitsstätte festgelegt habe, und erläutert, dass nach seiner Ansicht auch Arbeiten von geringem Umfang oder untergeordneter Natur ausreichend seien, um die Beschäftigten arbeitsrechtlich einer ersten Tätigkeitsstätte zuzuordnen. Mit der "Zwischenvariante" des Sammelpunkts habe die B...-betriebe sich nicht auseinandergesetzt. Er, der Kläger, halte die (arbeitsrechtliche) Auffassung der B...-betriebe für falsch, denn es sei im vorliegenden Verfahren nach den Tatsachen zu entscheiden. Im Übrigen habe die B...-betriebe nach der Kenntnis seines, des Klägers, Prozessvertreters, der viele Kraftfahrer der B...-betriebe vertrete, niemanden schriftlich einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet.

    Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

    den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 11. April 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. August 2017 mit der Maßgabe zu ändern, dass die erklärten Mehraufwendungen für Verpflegung bei einer Auswärtstätigkeit in Höhe von 2.700 € bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als weitere Werbungskosten berücksichtigt werden.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung nimmt er auf seine Einspruchsentscheidung Bezug. Der Beklagte weist ergänzend darauf hin, dass die Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte gemäß § 9 Abs. 4 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausführenden Absprachen und Weisungen bestimmt werde. Sofern der Arbeitnehmer an der vom Arbeitgeber festgelegten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang tätig werde, handele es sich um eine Zuordnung i. S. des § 9 Abs. 4 EStG. Auf die Qualität des Tätigwerdens komme es nicht an.

    Der Arbeitgeber des Klägers, die B...-betriebe, habe der Finanzbehörde allgemein mitgeteilt, dass alle Mitarbeiter arbeitsrechtlich einer ersten Tätigkeitsstätte wie z. B. einem Betriebshof zugeordnet worden seien. Auch der Kläger habe bestätigt, dass er dem Betriebshof in der D...-straße zugeordnet worden sei. Dort habe er sich umzukleiden, das Fahrzeug abzuholen und zu pflegen. Ggf. seien vor Ort noch Tourenplanungen, organisatorische Besprechungen (sog. "Frühabsprachen") und Rückfragen mit der Einsatzleitung durchzuführen. Somit werde der Kläger - zumindest in geringem Umfang - am Betriebshof der B...-betriebe in der D...-straße tätig, der die erste Tätigkeitsstätte des Klägers darstelle.

    Daher könne es sich bei diesem Ort gerade nicht um einen Sammelpunkt i. S. des BMF-Schreibens vom 24. Oktober 2014 handeln.

    Aus dem vom Kläger aufgestellten Tagesablauf sei zu erkennen, dass die tägliche Abwesenheit von der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte 7,75 Stunden und damit nicht mehr als acht Stunden betrage, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Verpflegungspauschalen nicht erfüllt seien. Auf die Abwesenheit von der Wohnung alleine komme es nicht an.

    Am 20. Mai 2019 hat ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden. Wegen der Einzelheiten des Termins wird auf die Terminsniederschrift verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer solchen verzichtet haben, § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).

    I. Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zu Recht den Abzug von Mehraufwendungen für die Verpflegung des Klägers abgelehnt, denn nach dem Gesamtbild des Verfahrens steht fest, dass der Kläger im Streitjahr an den 225 geltend gemachten Tagen nicht für jeweils mehr als acht Stunden ununterbrochen von seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte in der Regionalstelle der B...-betriebe in der D...-straße in C... abwesend war.

    1. Wird der Steuerpflichtige vorübergehend außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist nach § 9 Abs. 4a Satz 2 Nr. 3 EStG für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist, eine Pauschale von 12 € zur Abgeltung der Mehraufwendungen des Arbeitnehmers für Verpflegung anzusetzen.

    a) Erste Tätigkeitsstätte ist nach § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt (§ 9 Abs. 4 Satz 2 EStG). Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses, oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG).

    Das Konzept der ersten Tätigkeitsstätte nach dem ab 2014 geltenden Recht unterscheidet sich insoweit von der bis einschließlich 2013 maßgeblichen "regelmäßigen Arbeitsstätte" (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der Fassung vom 8. Oktober 2009, Bundesgesetzblatt [BGBl] I 2009, 3366), als sich nach der Neuregelung die - je Dienstverhältnis einzige, § 9 Abs. 4 Satz 5 EStG - erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand von arbeits- bzw. dienst-rechtlichen Festlegungen bestimmt (§ 9 Abs. 4 EStG; vgl. auch Bundestags-Drucksache [BT-Drucks.] 17/10774, Seite [S.] 15).

    Als Folge dieser Neuregelung ist die zur Ermittlung der "regelmäßigen Arbeitsstätte" alten Rechts nach der Rechtsprechung des BFH erforderliche Prüfung, an welcher Arbeitsstätte der nach qualitativen Merkmalen zu bestimmende Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers liegt, obsolet geworden (siehe hierzu im Einzelnen Niedersächsisches Finanzgericht [FG], Urteil vom 24. April 2017 2 K 168/16, Entscheidungen der FG [EFG] 2017, 980, m. w. N.; BMF-Schreiben vom 24. Oktober 2014 IV C 5-S 2353/14/10002, FMNR4d2000014, BStBl I 2014, 1412). Nach § 9 Abs. 4 EStG in der ab 2014 geltenden Fassung tritt nunmehr bei Vorliegen einer dauerhaften arbeits- oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer betrieblichen Einrichtung das konkrete Gewicht der an dieser Einrichtung ausgeübten Tätigkeit zugunsten der arbeitgeberseitigen Zuordnung in den Hintergrund. Nur wenn der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte kraft dauerhafter Zuordnung im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG hat, ist auf die in § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG genannten quantitativen Merkmale abzustellen.

    Zu der Frage, welche Anforderungen an die Tätigkeit des Arbeitnehmers im Falle seiner Zuordnung zu einer ortsfesten, betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zu stellen sind, um eine erste Tätigkeitsstätte zu begründen, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten:

    aa) Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeits- oder dienstrechtlich dauerhaft zugeordnet, ist es nach der Gesetzesbegründung unerheblich, in welchem Umfang er seine berufliche Tätigkeit an dieser oder auch anderen Tätigkeitsstätten ausübt. Hierdurch sollte nach dem Willen des Gesetzgebers das Auseinanderfallen der arbeits- oder dienstrechtlichen von der steuerrechtlichen Einordnung bestimmter Zahlungen als Reisekosten verringert werden (BT-Drucks. 17/10774, S. 15).

    bb) Die Finanzverwaltung lässt die Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einer betrieblichen Einrichtung allein aus tarifrechtlichen, mitbestimmungsrechtlichen oder organisatorischen Gründen (z. B. Personalaktenführung), ohne dass der Arbeitnehmer in dieser Einrichtung überhaupt tätig werden soll, nicht als Zuordnung im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG ausreichen (vgl. BMF-Schreiben vom 24. Oktober 2014 IV C 5-S 2353/14/10002, FMNR4d2000014, BStBl I 2014, 1412, Rz. 6 f.). Sofern der Arbeitnehmer aber in einer vom Arbeitgeber festgelegten Tätigkeitsstätte zumindest in ganz geringem Umfang tätig werden soll, z. B. in Form von Hilfs- und Nebentätigkeiten (Abgeben von Auftragsbestätigungen, Stundenzettel, Krank- und Urlaubsmeldung etc.), kann der Arbeitgeber nach Auffassung der Finanzverwaltung den Arbeitnehmer zu dieser Tätigkeitsstätte zuordnen, selbst wenn für die Zuordnung letztlich tarifrechtliche, mitbestimmungsrechtliche oder organisatorische Gründe ausschlaggebend sind. Auf die Qualität des Tätigwerdens soll es dabei nicht ankommen (BMF-Schreiben vom 24. Oktober 2014 IV C 5-S 2353/14/10002, FMNR4d2000014, BStBl I 2014, 1412, Rz. 6).

    cc) Die bisherige finanzgerichtliche Rechtsprechung zum seit 2014 geltenden Recht stellt - soweit ersichtlich - etwas höhere Anforderungen als die Finanzverwaltung an die Tätigkeit des Arbeitnehmers im Falle seiner Zuordnung zu einer ortsfesten, betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers. So lässt es das Niedersächsische FG (Urteil vom 24. April 2017 2 K 168/16, Entscheidungen der FG [EFG] 2017, 980), das über die Klage eines im Streifendienst tätigen Polizisten zu entscheiden hatte, genügen, dass der Polizeibeamte an der Dienststelle untergeordnete und wenig Zeit beanspruchende Tätigkeiten vornimmt, wie die Übernahme des Streifenfahrzeugs, die Teilnahme an Einsatzbesprechungen oder Schreibarbeiten.

    Das FG Baden-Württemberg (Urteil vom 23. Juli 2018 10 K 1935/17, EFG 2019, 530), das über die Klage eines Gerichtsvollziehers zu entscheiden hatte, hielt es für ausreichend, dass der Gerichtsvollzieher regelmäßig vier- bis fünfmal pro Woche seine Vollstreckungsaufträge - welche die Grundlage seiner eigentlichen Berufstätigkeit darstellen - bzw. seine Eingänge bei der Verteilungsstelle des Amtsgerichts, an der für jeden Gerichtsvollzieher ein Abholfach eingerichtet ist, abholt oder auf eigene Verantwortung von einem Boten abholen lässt.

    Das FG Hamburg (Urteil vom 13. Oktober 2016 6 K 20/16, EFG 2017, 27) fordert, dass der Arbeitnehmer an der Tätigkeitsstätte überhaupt tätig wird. Dem Hessischen FG (Urteil vom 23. Februar 2017 1 K 1824/15, EFG 2017, 823) genügt bereits ein geringer Umfang der Tätigkeit. Beide Gerichte mussten über die Frage, ob geringfügige Hilfstätigkeiten wie die Abgabe von Krankmeldungen o. Ä. ausreichend wären, jedoch nicht entscheiden.

    dd) Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist es hingegen erforderlich, dass der Arbeitnehmer an der betrieblichen Einrichtung seine eigentliche berufliche Tätigkeit ausübt. Danach würden rein organisatorische Tätigkeiten wie die Abgabe von Krankmeldungen oder geringe Tätigkeiten nicht genügen (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/Körperschaftsteuergesetz [KStG], 291. Lieferung 04.2019, § 9 EStG Rz. 546, m. w. N.; Niermann, Der Betrieb [DB] 2013, 1015; Thürmer in Blümich, EStG/KStG/Gewerbesteuergesetz, 135. Aufl. 2017, § 9 EStG Rz. 550).

    b) Unter Berücksichtigung der vorstehend geschilderten Auffassungen und nach umfassender Würdigung des Vortrags der Beteiligten sowie des Akteninhalts steht für den Senat fest, dass für den Kläger im Streitjahr am Betriebshof der B...-betriebe in der D...-straße in C... kraft Zuordnung durch den Arbeitgeber eine erste Tätigkeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG bestand - dazu unter aa) - und dass der Kläger an dieser Tätigkeitsstätte eine hinreichende Tätigkeit ausgeübt hat - dazu unter bb). Damit ist die erste Tätigkeitsstätte maßgeblich für die Ermittlung und den Abzug von Aufwendungen für auswärtige Tätigkeiten, was im vorliegenden Fall dazu führt, dass Mehraufwendungen des Klägers für Verpflegung nicht zu berücksichtigen sind.

    aa) Die B...-betriebe hat nach dem eigenen Vortrag des Klägers für alle Mitarbeiter eine erste Tätigkeitsstätte festgelegt und somit auch für den Kläger. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen des Beklagten. Der Kläger muss sich, so sein weiterer Vortrag, an jedem Arbeitstag am Betriebshof in der D...-straße in C... einfinden. Damit steht für den Senat fest, dass die B...-betriebe als Arbeitgeber des Klägers für diesen den Betriebshof in der D...straße in C... als erste Tätigkeitsstätte festgelegt hat. Diese Würdigung steht mit der Gesetzbegründung in Einklang. Denn der Gesetzgeber trug mit § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG dem arbeitsrechtlichen Direktionsrecht des Arbeitgebers steuerlich Rechnung (BT-Drucks. 17/10774, S. 15).

    Der Senat hat insoweit keine grundsätzlichen Bedenken. Bedenken könnten in dem Fall bestehen, in denen der Arbeitnehmer an dem vom Arbeitgeber festgelegten Ort regelmäßig nur vorübergehend tätig wird, da der Arbeitnehmer in einem solchen Fall nicht die Möglichkeit hat, seine Kosten gering zu halten (vgl. Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 291. Lieferung 04.2019, § 9 EStG Rz. 546). Dies ist hier aber gerade nicht der Fall, da der Kläger langfristig der Tätigkeitsstätte in der D...-straße zugeordnet ist. Zwar hat der Kläger seine Tätigkeit bei der B...-betriebe erst einen Monat vor Beginn des Streitjahres aufgenommen. Aus dem Vortrag der Beteiligten und aus den Akten ist jedoch ersichtlich, dass er seit diesem Zeitpunkt auf dem Betriebshof der B...-betriebe - also dauerhaft - eingesetzt wurde und auch weiterhin eingesetzt wird.

    bb) Darüber hinaus wird der Kläger am Betriebshof in der D...-straße nach der Überzeugung des Senats in hinreichendem Umfang tatsächlich tätig. Denn der Kläger erscheint dort morgens regelmäßig und hört sich nach dem Umkleiden zunächst die Ansage der Einsatzleitung an. Danach geht er in den sog. Tourenraum und holt das Tourenbuch, die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel ab. Dann sucht der Kläger das Müllfahrzeug auf und kontrolliert mit zwei anderen Kollegen die Beleuchtung des Fahrzeugs.

    Insoweit ist der vorliegende Fall nach der Überzeugung des Senats vergleichbar mit dem vom FG Baden-Württemberg (Urteil vom 23. Juli 2018 10 K 1935/17, EFG 2019, 530) entschiedenen Fall. Dort hatte es das FG ausreichen lassen, dass ein Gerichtsvollzieher regelmäßig vier- bis fünfmal pro Woche seine Vollstreckungsaufträge - welche die Grundlage seiner eigentlichen Berufstätigkeit darstellen - bzw. seine Eingänge bei der Verteilungsstelle des Amtsgerichts, an der für jeden Gerichtsvollzieher ein Abholfach eingerichtet ist, abholt oder auf eigene Verantwortung von einem Boten abholen lässt. Auch im vorliegenden Fall nimmt der Kläger den Gegenstand entgegen, der die Grundlage seiner eigentlichen Berufstätigkeit darstellt, nämlich das Müllfahrzeug, und kontrolliert es sogar noch. Diese Tätigkeiten am Betriebshof weist einen ergänzenden bzw. vorbereitenden Charakter in Bezug auf die täglichen Fahrten mit dem Müllfahrzeug auf und erschöpfen sich nicht in rein organisatorischen Erledigungen wie etwa der Abgabe von Stunden- oder Krankenzetteln. Deshalb kann hier die Frage dahinstehen, ob die letztgenannten Hilfstätigkeiten für die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte ausreichend wären (so auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 24. April 2017 2 K 168/16, EFG 2017, 980).

    Im Übrigen folgt aus den quantitativen Anforderungen, die § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG an die Tätigkeit an einer betrieblichen Einrichtung stellt, wenn keine arbeitgeberseitige Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Tätigkeitsstätte besteht, dass - im Umkehrschluss - bei Vorhandensein einer solchen dienst- bzw. arbeitsrechtlichen Zuordnung eben nicht der Schwerpunkt der Tätigkeit anhand quantitativer Merkmale maßgeblich sein soll.

    Die Grenze ist nach Ansicht des Senats in jedem Fall dort zu ziehen, wo ein Arbeitnehmer an einer betrieblichen Einrichtung, der er (z. B. aus rein organisatorischen Gründen) zugeordnet ist, schlicht nicht tätig wird und eine "Tätigkeitsstätte" damit schon begrifflich nicht vorliegt (so auch z. B. FG Hamburg, Urteil vom 13. Oktober 2016 6 K 20/16, EFG 2017, 27; Niedersächsisches FG, Urteil vom 24. April 2017 2 K 168/16, EFG 2017, 980).

    Dieser Fall ist hier aber unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen gerade nicht gegeben.

    Der Senat folgt somit nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung, nach der erforderlich sein soll, dass der Arbeitnehmer an der betrieblichen Einrichtung seine eigentliche berufliche Tätigkeit ausübt (vgl. insoweit Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/Körperschaftsteuergesetz [KStG], 291. Lieferung 04.2019, § 9 EStG Rz. 546, m. w. N.; Niermann, Der Betrieb [DB] 2013, 1015; Thürmer in Blümich, EStG/KStG/Gewerbesteuergesetz, 135. Aufl. 2017, § 9 EStG Rz. 550). Denn diese Auffassung widerspricht nach der Überzeugung des Senats der Intention des Gesetzgebers, der auf das (arbeitsrechtliche) Direktionsrecht des Arbeitgebers abstellen wollte. Dem Umstand, dass der Begriff der Tätigkeitsstätte den Begriff der Tätigkeit beinhaltet, was nach dem Wortlaut der Norm ein - zumindest geringes - Tätigwerden erfordert, trägt der Senat, ähnlich wie die genannten anderen FG, dadurch Rechnung, dass ein Tätigwerden des Arbeitnehmers an der Tätigkeitsstätte in geringem Umfang - was hier der Fall ist - gefordert wird.

    2. Unstrittig war der Kläger im Streitjahr an den 225 geltend gemachten Tagen nicht für jeweils mehr als acht Stunden ununterbrochen von seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte in der Regionalstelle der B...-betriebe in der D...-straße in C... abwesend, denn nach seinem eigenen und unwidersprochenen Vortrag war er täglich nur zwischen 6.15 Uhr und 14.00 Uhr nicht am Betriebshof anwesend. Dies sind 7,75 Stunden und damit nicht mehr als acht Stunden, wie von § 9 Abs. 4a Satz 2 Nr. 3 EStG gefordert.

    3. Schließlich können der Klägerseite auch nicht die Ausführungen im BMF-Schreiben vom 24. Oktober 2014 (Az.: IV C 5-S 2353/14/10002, FMNR4d2000014, BStBl I 2014, 1412, Rz. 37) zum "Sammelpunkt" zum Erfolg verhelfen. Denn diese Ausführungen könnten nur dann maßgeblich sein, wenn keine erste Tätigkeitsstätte vorgelegen hätte. Diese lag aber - wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht - gerade vor.

    II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    III. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Die Anforderungen, die an eine erste Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 EStG zu stellen sind, sind höchstrichterlich noch nicht geklärt.

    RechtsgebieteEStG 2009, EStG VZ 2016Vorschriften§ 9 Abs. 4 S. 1 EStG 2009 vom 20.02.2013, § 9 Abs. 4a S. 2 Nr. 3 EStG 2009, § 9 Abs. 4 S. 4 EStG 2009 vom 25.07.2014, § 9 Abs. 4 S 2 EStG 2009 vom 20.02.2013, § 9 Abs. 4 S. 3 EStG 2009 vom 20.02.2013, EStG VZ 2016

    Karrierechancen

    Zu TaxTalents