11.05.2020 · IWW-Abrufnummer 215555
Finanzgericht Sachsen: Beschluss vom 01.04.2020 – 4 V 212/20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen
Beschluss vom 01.04.2020
Az.: 4 V 212/20
In dem Finanzrechtsstreit
Frau
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigte/r:
gegen
Finanzamt
- Antragsgegner -
wegen Erlass einer einstweiligen Anordnung (Antrag nach 146 a Abs. 2 S. 2 AO vom 23.12.2019) hat der 4. Senat am 01.04.2020 beschlossen:
Tenor:
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Antragstellerin vorläufig von der Belegausgabepflicht nach § 146a Abs. 2 Satz 1 AO zu befreien, bleibt ohne Erfolg.
Zwar ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig. Die erstrebte Befreiung von der Belegausgabepflicht nach § 146a Abs. 2 Satz 2 AO ist ein pflichtendispensierender Verwaltungsakt. Der Anspruch auf Befreiung kann nach Ablehnung des entsprechenden Antrags und nach erfolglosem Einspruchsverfahren in der Hauptsache mit der Verpflichtungsklage verfolgt werden. Dementsprechend ist einstweiliger Rechtsschutz nicht durch einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO), sondern im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erlangen, § 114 Abs. 5 FGO.
Ein derartiger finanzgerichtlicher Antrag,
das Finanzamt zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig von der Belegausgabepflicht nach § 146a Abs. 2 Satz 1 AO zu befreien,
ist in der Sache jedoch unbegründet, weil die Antragstellerin bereits einen Anordnungsanspruch nicht substantiiert dargelegt und mit präsenten Beweismitteln glaubhaft gemacht hat:
§ 146a Abs. 2 Satz 2 AO sieht eine Möglichkeit der Befreiung von der seit dem 01.01.2020 geltenden Belegausgabepflicht (§ 146a Abs. 2 Satz 1 AO) bei Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen (Massengeschäft) vor. Dies trifft im Grundsatz auf die Antragstellerin zu, die auf dem Hauptbahnhof Y eine Verkaufsfiliale der Bäckerei X als deren Kommissionärin betreibt und nach ihrem unwidersprochenen Vorbringen eine Vielzahl geringwertiger Waren (Backwaren, Kaffee) überwiegend an Reisende vertreibt.
Allein dies reicht jedoch entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht für die Befreiung von der Belegausgabepflicht aus. Denn eine Befreiung steht gemäß § 146a Abs. 2 Satz 2 AO im pflichtgemäßem Ermessen der Finanzbehörde (§ 5 AO), wobei die Pflicht zur Belegausgabe dem betroffenen Unternehmer nach § 148 AO unzumutbar sein muss. Aufgrund des Verweises auf § 148 AO durch § 146a Abs. 2 Satz 1 AO gelten dessen inhaltliche und formale Maßgaben (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, § 146a AO Rn. 13). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers besteht die Möglichkeit einer Befreiung von der Belegausgabepflicht "unter den Voraussetzungen des § 148 AO" (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 14.12.2016, BT-Drs. 18/10667, S. 27). Danach setzt die Befreiung zusätzlich voraus, dass die Einhaltung der durch § 146a Abs. 2 Satz 1 AO auferlegten Belegausgabepflicht Härten mit sich bringt und die Besteuerung durch die Erleichterung nicht beeinträchtigt wird.
Folglich liegt der Befreiung eine Ermessensentscheidung zugrunde, bei der alle Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des § 148 AO zu würdigen sind (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, § 146a AO Rn. 13; Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 146a Rn. 29 unter Bezugnahme auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Finanzausschusses vom 14.12.2016, BT-Drs. 18/10667, Seite 27). Nach dieser Maßgabe kann im Einzelfall die Zumutbarkeitsgrenze bei Barverkäufen erreicht sein, wenn die Belegausgabe den Betriebsablauf wesentlich verzögern oder erschweren würde. Typischerweise sind Einzelhändler erfasst mit relativ einfacher Betriebsorganisation, die in schneller Folge eine Vielzahl eher kleinpreisiger Produkte in jeweils geringen Mengen gegen Barzahlung verkaufen (so explizit z.B. für Bäckereien, Eisdielen, Verkaufsstände für Obst und Gemüse, Tipke/Kruse, AO/FGO, § 146a AO Rn. 13; Märtens in Gosch, § 146a AO Rz. 39). Somit kommt für den Betrieb der Antragstellerin im Grundsatz eine Befreiung von der Belegausgabepflicht in Betracht.
Jedoch kann der Senat im vorliegenden Eilverfahren mangels substantiierten Tatsachenvortrags nicht abschließend beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 148 AO im Falle der Antragstellerin erfüllt sind. Denn eine Härte i.S. des § 148 setzt eine Pflicht von einigem Gewicht voraus, deren Erfüllung dem Steuerpflichtigen nicht nur lästig sein darf, weil die Belastungen grundsätzlich alle Steuerpflichtigen in gleicher Weise treffen. Bloße Erschwerungen des Betriebsablaufs oder Kostennachteile reichen nicht aus. Vielmehr muss die Pflicht für den Steuerpflichtigen im konkreten Einzelfall unzumutbar sein (vgl. zu den Einzelheiten Tipke/Kruse, AO/FGO, § 148 Rn. 3 m.w.N.). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Erfüllung der jeweiligen gesetzlichen Pflichten zumutbar ist (vgl. Schwarz/Pahlke, AO, § 148 Rn. 1 und 9).
Ob und aufgrund welcher konkreter Umstände der Antragstellerin die ihr auferlegte Pflicht zur Belegausgabe (§ 146a Abs. 2 Satz 1 AO) unzumutbar im hier dargestellten Rechtssinne sein sollte, hat sie nicht substantiiert vorgetragen und auch nicht durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht.
Für sich allein nicht ausreichend ist jedenfalls, wie bereits erörtert, der Umstand, dass die Antragstellerin Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen verkauft. Ebenfalls nicht näher substantiiert, sondern nur pauschal behauptet hat die Antragstellerin, die große Vielzahl an Verkaufsvorgängen verzögere sich durch die Belegausgabepflicht und die Entsorgung der von der Kundschaft abgelehnten Belege. Gleiches gilt für das Vorbringen, die zeitliche Verzögerung jedes einzelnen Verkaufsvorgangs durch die Belegausgabepflicht führe im Ergebnis dazu, "dass nicht immer alle KundInnen rechtzeitig bedient werden können und darum einzelne KundInnen vorzeitig den Verkaufsstand verlassen", womit "konkrete, allerdings nicht exakt bezifferbare Umsatzeinbußen verbunden" seien (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 25.02.2020). Zwar könnte eine durch die Belegausgabe entstehende Umsatzbeeinträchtigung, weil eine Warteschlange entstehen oder sich verlängern würde, die Unzumutbarkeit der Belegausgabe grundsätzlich begründen (vgl. Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 146a Rn. 30). Freilich wird dies angesichts der Pflicht zur Verwendung eines modernen Aufzeichnungssystems nur ausnahmsweise der Fall sein (vgl. Klein a.a.O. Rn. 30), und bedürfte jedenfalls einer genauen und substantiierten Darlegung der genauen Abläufe im Betrieb der Antragstellerin und des Ausmaßes der Beeinträchtigungen, woran es hier aber vollständig fehlt.
Auch ansonsten ist nichts für eine Unzumutbarkeit der Belegausgabe auf Seiten der Antragstellerin ersichtlich. Maßgeblich hierfür ist auch, dass die Belegausgabepflicht nach § 146a Abs. 2 Satz 1 AO seit dem 01.01.2020 nicht nur die Antragstellerin trifft, sondern in gleicher Weise eine unbestimmte Vielzahl anderer Steuerpflichtiger, die sich in einer vergleichbaren Lage wie die Antragstellerin befinden und in gleicher Weise mit der Belegausgabepflicht belastet sind. Die mit der Belegausgabepflicht unzweifelhaft verbundenen Erschwerungen des Betriebsablaufs betreffen alle Steuerpflichtigen gleichermaßen, die - wie die Antragstellerin - ein Aufzeichnungssystem i.S. von § 146a Abs. 1 Satz 1 AO einsetzen. Sie sind vom Gesetzgeber bewusst und "sehenden Auges" in Kauf genommen worden, um das mit der Maßnahme verfolgte Ziel einer "verstärkten Transparenz" zu erreichen (zu diesem Ziel vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 14.12.2016, BT-Drs. 18/10667, Seite 26). Über Sinn oder Unsinn der gesetzlichen Regelung hat der Senat nicht zu befinden.
Im Übrigen hat die Antragstellerin auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin infolge der Belegausgabepflicht in eine wirtschaftliche Notlage geraten würde, die geeignet wäre, die erforderliche Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung glaubhaft zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.