04.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235064
Bundesfinanzhof: Urteil vom 15.02.2023 – VI R 7/21
Für ein Hausnotrufsystem, das im Notfall lediglich den Kontakt zu einer 24–Stunden-Servicezentrale herstellt, die soweit erforderlich Dritte verständigt, kann die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 EStG nicht in Anspruch genommen werden (Abgrenzung vom Senatsurteil vom 03.09.2015 – VI R 18/14, BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272).
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 14.10.2020 ‒ 2 K 323/20 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
I.
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine im Jahr 1933 geborene Rentnerin. Im Streitjahr (2018) nahm sie Leistungen der ... GmbH für ein Hausnotrufsystem in Anspruch und zahlte dafür 288 €. Dabei buchte sie das Paket Standard mit Gerätebereitstellung und 24‒Stunden-Servicezentrale. Nicht gebucht hatte sie u.a. den Sofort-Helfer-Einsatz an ihrer Wohnadresse sowie die Pflege- und Grundversorgung.
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Die Einkommensteuer für das Streitjahr setzte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) erklärungsgemäß fest. Die Klägerin legte Einspruch ein und beantragte für ihre Aufwendungen für das Hausnotrufsystem eine Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Einspruch blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) gab der daraufhin erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2021, 217 veröffentlichten Gründen statt.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
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Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG kommt in Bezug auf die Aufwendungen der Klägerin für das Hausnotrufsystem nicht in Betracht.
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1. Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 EStG ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 %, höchstens 4.000 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht Dienstleistungen nach § 35a Abs. 3 EStG sind. Gemäß § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG muss die Dienstleistung in einem in der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht werden.
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a) Der Begriff "haushaltsnahe Dienstleistung" ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Nach der Rechtsprechung des Senats müssen die Leistungen eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung aufweisen bzw. damit im Zusammenhang stehen. Dazu gehören hauswirtschaftliche Verrichtungen, die gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt werden und in regelmäßigen Abständen anfallen (Senatsurteile vom 13.07.2011 ‒ VI R 61/10, BFHE 234, 391, BStBl II 2012, 232, Rz 9, und vom 13.05.2020 ‒ VI R 4/18, BFHE 269, 272, BStBl II 2021, 669, Rz 17).
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b) Dabei kann nach dem räumlich-funktionalen Haushaltsbegriff des erkennenden Senats (hierzu Senatsurteil vom 21.02.2018 ‒ VI R 18/16, BFHE 261, 42, BStBl II 2018, 641, Rz 14 f., für Handwerkerleistungen) auch die Inanspruchnahme von Diensten, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem, beispielsweise öffentlichem Grund geleistet werden, als haushaltsnahe Dienstleistung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG begünstigt sein. Es muss sich hierbei allerdings auch insoweit um Tätigkeiten handeln, die ansonsten üblicherweise von Familienmitgliedern erbracht und in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen (Senatsurteil in BFHE 269, 272, BStBl II 2021, 669, Rz 18).
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aa) Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG sind Leistungen, die außerhalb des Haushalts erbracht werden, nicht begünstigt, auch wenn sie für den Haushalt erbracht werden. Insoweit kommt es auf die tatsächliche Erbringung der Leistung an (Senatsurteil in BFHE 269, 272, BStBl II 2021, 669, Rz 26).
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bb) Ob der Leistungserfolg im Haushalt erzielt wird, ist daher grundsätzlich unerheblich; auf den zivilrechtlichen Leistungsort kommt es insoweit deshalb ebenfalls nicht an. Ein bloßes Abstellen auf den Leistungserfolg würde zu einer rein funktionalen Betrachtungsweise führen, die vom Wortlaut des Gesetzes nicht mehr gedeckt ist und auch nicht dem räumlich-funktionalen Verständnis des erkennenden Senats entspricht. Die räumlich-funktionale Verbindung zum Haushalt kann nicht allein dadurch begründet werden, dass sich die Leistung auf einen Haushaltsgegenstand bezieht (s. Senatsurteil in BFHE 269, 272, BStBl II 2021, 669, Rz 27, für Handwerkerleistungen).
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2. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze kommt eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG für die von der Klägerin getragenen Aufwendungen für das Hausnotrufsystem vorliegend nicht in Betracht.
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a) Zwar liegt den Aufwendungen für das Hausnotrufsystem eine haushaltsnahe Dienstleistung zugrunde. Wie auch im vom Senat mit Urteil vom 03.09.2015 ‒ VI R 18/14 (BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272) entschiedenen Fall wird durch das Hausnotrufsystem sichergestellt, dass die Klägerin, wenn sie sich im räumlichen Bereich ihres Haushalts aufhält, im Bedarfsfall Hilfe rufen kann. Eine solche Rufbereitschaft leisten typischerweise in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebende Familien- oder sonstige Haushaltsangehörige (Senatsurteil in BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272, Rz 16). Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
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b) Die Dienstleistung wird entgegen der Ansicht der Klägerin und anders als in dem der Entscheidung in BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272 zugrunde liegenden Sachverhalt jedoch nicht im Haushalt der Klägerin erbracht.
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Vorliegend zahlt die Klägerin nicht nur für die Bereitstellung der erforderlichen Technik, mittels derer der Kontakt zu der Einsatzzentrale ausgelöst wird, sondern im Wesentlichen für das Bereithalten des Personals für die Entgegennahme eines eventuellen Notrufs (die Rufbereitschaft) und —je nach Situation— anschließender Kontaktierung von Angehörigen, Nachbarn, eines vorhandenen Bereitschaftsdienstes, des Hausarztes, Pflege- oder Rettungsdienstes. Die wesentliche Dienstleistung ist mithin die Bearbeitung von eingehenden Alarmen und die Verständigung von Bezugspersonen, des Hausarztes, Pflegedienstes etc. per Telefon und nicht —wie das FG meint— das Rufen des Notdienstes durch die Klägerin selbst.
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Wie das FA zu Recht ausführt, wird diese maßgebende Dienstleistung nicht in der Wohnung des Steuerpflichtigen und damit nicht in dessen Haushalt erbracht (ebenso Schmidt/Krüger, EStG, 41. Aufl., § 35a Rz 21; Wackerbeck, EFG 2021, 219; Geserich, Der Betrieb 2017, 152, 154; s.a. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.09.2017 ‒ 7 K 7128/17, EFG 2018, 40, und FG Hamburg, Urteil vom 20.01.2009 ‒ 3 K 245/08, jeweils zu auswärtig untergebrachten Notrufzentralen in Form von Alarmüberwachungsleistungen, sowie Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 09.11.2016 ‒ IV C 8‒S 2296‒b/07/10003:008, BStBl I 2016, 1213, Rz 11).
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Bei einem reinen Hausnotrufsystem im privaten Haushalt —wie im Streitfall— wird auch keine unmittelbare Direkthilfe in Form eines Sofort-Helfer-Einsatzes in der Wohnung des Steuerpflichtigen geschuldet, sondern ggf. als eigenständige Leistung Dritter vermittelt. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von demjenigen, der der Entscheidung in BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272 zugrunde lag. Dort hatten die im Bereich des Betreuten Wohnens beschäftigten Pfleger jeweils einen sog. Piepser bei sich, der den Notruf sofort an sie weiterleitete. Geschuldet war dort entsprechend auch die Notfall-Soforthilfe im Haushalt durch das auf diese Weise verständigte Pflegepersonal.
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c) Mangels Leistungserbringung im Haushalt scheidet auch eine Steuerermäßigung für in Anspruch genommene Pflege- und Betreuungsleistung i.S. des § 35a Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 EStG aus.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.