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  • 29.08.2014 · IWW-Abrufnummer 142556

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 28.07.2014 – 3 V 226/14

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Az.: 3 V 226/14

    Beschwerde zugelassen, nicht eingelegt

    I.

    Die Beteiligten streiten darüber, ob der bestandskräftig gewordene Einkommensteuerbescheid 2012 vom 2. August 2013 nach § 129 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO) wegen einer offenbaren Unrichtigkeit berichtigt werden durfte.

    Die Antragsteller sind verheiratet und wurden für Zwecke der Einkommensbesteuerung des Streitjahres zusammen veranlagt. Im Jahr 2013 übermittelten sie ihre Einkommensteuererklärung in elektronischer Form via Elster und übersandten außerdem die komprimierte Steuererklärung an das Finanzamt. In der Steuererklärung gab der Antragsteller bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit – zutreffend – einen Bruttoarbeitslohn von 41.046,- € sowie einbehaltene Lohnsteuer i.H.v. 4.605,96 € an.

    Ebenso übermittelte der Arbeitgeber des Antragstellers dem Finanzamt eine elektronische Lohnsteuerbescheinigung via Elster Lohn I und teilte – versehentlich unzutreffend – einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 27.364,- € und Lohnsteuer in Höhe von 3.070,62 € mit.

    Das Finanzamt erließ am 2. August 2013 einen Einkommensteuerbescheid gegenüber den Antragstellern und legte dabei die fehlerhaften Daten des Arbeitsgebers zugrunde.

    Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei dem Arbeitgeber des Antragstellers stellte das Finanzamt fest, dass die Daten des Antragstellers falsch an das Finanzamt übermittelt worden waren. Es erließt daher am 31. Oktober 2013 einen nach § 129 AO geänderten Bescheid mit den richtigen höheren Daten.
    Nach erfolglosem Vorverfahren haben die Antragsteller Klage erhoben und die Aussetzung der Vollziehung beantragt.

    Sie sind der Auffassung, eine Änderung des Bescheides sei nicht mehr möglich gewesen. Insbesondere könne sich das Finanzamt nicht auf § 129 AO berufen, da eine hierfür erforderliche offenbare Unrichtigkeit nicht vorliege. Die Besteuerungsgrundlagen seien im Rahmen der Elster-Steuererklärung vollständig und zutreffend erklärt worden. Das Finanzamt habe diese Werte aber nicht übernommen und stattdessen die fehlerhaften Angaben des Arbeitgebers für die Festsetzung herangezogen. Der Fehler sei durch die bewusste Eingabe des falschen niedrigen Arbeitslohns zustande gekommen. Es liege somit nicht mehr nur ein mechanisches Versehen vor, so dass eine Änderung nach § 129 AO ausscheide.

    Die Antragssteller beantragen,
    die Vollziehung des Änderungsbescheides vom 30.10.2013 auszusetzen.

    Der Antragsgegner beantragt,
    den Antrag abzulehnen.

    Er ist der Auffassung, dass es sich bei der fehlerhaften Übertragung der Lohndaten um eine ähnlich offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO handele. Der Bearbeiter habe bei der Bearbeitung nicht bemerkt, dass die Übermittlung fehlerhaft gewesen sei. Entsprechend der Entscheidung des FG Münster (v. 24. Februar 2011 – 11 K 4239/07 E, EFG 2011, 1220) habe auch kein Anlass bestanden, die Divergenz zwischen den Angaben zu überprüfen.

    II.

    1. Der Antrag ist begründet.

    Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

    a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben.

    b) Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

    Voraussetzung für die Berichtigung ist zunächst grundsätzlich, dass der Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Eine Unrichtigkeit ist dabei offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Das Tatbestandsmerkmal "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" setzt voraus, dass die Unrichtigkeit einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich ist, d.h. dass es sich um einen "mechanischen" Fehler handelt, der ebenso "mechanisch", also ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden kann.

    Eine offenbare Unrichtigkeit kann zwar auch dann vorliegen, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d.h. für das Finanzamt erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt. Ist jedoch die mehr als theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums gegeben, liegt keine offenbare Unrichtigkeit vor. Auch eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter - ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht - jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen. Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. z.B. BFH-Urteil v. 27.5.2009 – X R 47/08, BStBl II 2009, 946).

    Im Streitfall handelt es bei der Übernahme der fehlerhaft übertragenen Lohnsteuerdaten weder um einen Schreibfehler, Rechenfehler noch um einen ähnlich offenbaren Fehler.

    Die Antragsteller haben den Arbeitslohn des Antragstellers vollständig und richtig im Rahmen ihrer Elster-Steuererklärung an das Finanzamt übermittelt. Ebenfalls wurden dem Finanzamt die unzutreffenden Lohndaten von dem Arbeitgeber des Antragstellers via Elster Lohn I übermittelt. Nach den Feststellungen des erkennenden Senats werden die elektronisch übermittelten Elster-Daten durch Eingabe der entsprechenden Telenummer von dem Bearbeiter des Finanzamts abgerufen. Es erfolgt sodann mit dem Aufruf der Erklärungsdaten eine erste maschinelle Probeberechnung. Im Rahmen der Probeberechnung werden die elektronisch vorliegenden und dem Steuerfall zugeordneten Daten, u.a. die via Elster Lohn I übermittelten Lohnsteuerdaten, mit den Erklärungsdaten des Steuerpflichtigen maschinell abgeglichen. Weichen die Daten voneinander ab, wird dem Bearbeiter ein Bearbeitungshinweis ausgegeben. Bei einer Divergenz der via Elster und Elster Lohn I übermittelten Daten kommt es zu dem Hinweis (RHW 50253): „Bei [dem Steuerpflichtigen] weichen die Daten der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung von den erklärten Werten ab (Sb 47, Sb 52). Bitte prüfen“. Die Hinweisbearbeitung erfolgt sodann im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens des Bearbeiters. Für die Steuerfestsetzung legt die Software regelmäßig die Elster Lohn I-Daten des Arbeitgebers zugrunde.

    Im Streitfall wurden dem Sachbearbeiter des Finanzamts bei der Bearbeitung der Steuererklärung der Antragsteller demnach sowohl die Daten des Arbeitgebers als auch die des Steuerpflichtigen zur Kenntnis gebracht und sogar ein ausdrücklicher Hinweis auf deren Divergenz angezeigt. Nach Auffassung des erkennenden Senats bestand damit unzweifelhaft ein Grund für den Bearbeiter, die fehlende Stimmigkeit der Daten zu überprüfen. Der Auffassung des FG Münster (Urteil v. 24. Februar 2011 – 11 K 4239/07 E, EFG 2011, 1220), wonach in einem entsprechenden Fall für eine Überprüfung der Divergenz kein Anlass bestanden hätte und somit eine Änderung nach § 129 AO möglich gewesen sei, folgt der erkennende Senat nicht.
    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (im Folgenden: FGO).

    3. Die Beschwerde war nach §§ 128 Abs. 3 Satz 2, 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Außerdem weicht der erkennende Senat mit seiner Entscheidung von dem Urteil des FG Münster (v. 24. Februar 2011 – 11 K 4239/07 E, EFG 2011, 1220) ab, so dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert.