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  • 12.05.2016 · IWW-Abrufnummer 185815

    Bayerisches Landesamt für Steuern: Verfügung vom 26.01.2016 – S 0622.1.1-20/6 St 42


    Verfügung betr. Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO (sog. Zwangsruhe)


    Vom 26. Januar 2016 (StEd S. 91)

    LfSt Bayern S 0622.1.1-20/6 St42

    1. Allgemeines
    Ist die Steuer nicht vorläufig nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder Nr. 4 AO festgesetzt, tritt insoweit „Zwangsruhe” kraft Gesetzes (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO) ein, wenn ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht (insbesondere BFH) wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer (anderen) Rechtsfrage anhängig ist und der Einspruch hierauf gestützt wird. Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) werden von der Vorschrift des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht erfasst.

    Der Umstand allein, dass ein Musterverfahren i. S. d. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO anhängig ist, reicht nicht zum Eintritt der Zwangsruhe aus. Der Steuerpflichtige muss nicht nur Einspruch eingelegt, er muss seinen Einspruch auch auf das anhängige Musterverfahren gestützt haben (AEAO zu § 363 Nr. 2).

    Wird festgestellt, dass in einer größeren Zahl von Fällen Einsprüche wegen eines Musterverfahrens eingelegt wurden, ist dies dem AO-Referat des LfSt Bayern anzuzeigen.

    2. Überprüfung, ob Zwangsruhe eingetreten ist
    Zur Prüfung der Frage, ob die anhängige Rechtsfrage für das Einspruchsverfahren von Bedeutung sein kann, muss der Einspruchsführer die strittige Rechtsfrage (wenn möglich unter Angabe von Gericht und Aktenzeichen) benennen.

    Die Überprüfung, ob tatsächlich ein Musterverfahren i. S. d. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO anhängig ist, sollte regelmäßig im Rahmen der Erfassung des Einspruchs in DB-Rb durchgeführt werden. Auf der Registerkarte „Ruhensmanagement” sind im Bereich „Rechtsfragen BFH/BVerfG” sämtliche für die Finanzämter relevanten anhängigen Rechtsfragen zu Revisionsverfahren (BFH) bzw. zu Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollverfahren (BVerfG) einsehbar und können als Ruhensgrund zum jeweiligen Rechtsbehelf in DB-Rb erfasst werden. Ebenso sind alle Steuerverfahren vor dem EuGH hinterlegt, wenn ein deutsches Gericht die Rechtsfrage dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt hat. Wurde die Rechtsfrage als Massenruhensgrund1 eingestuft, ist der Ruhensgrund in DB-Rb in der Auswahlliste „Massenverfahren” enthalten. Beruft sich ein Einspruchsführer auf ein in DB-Rb (noch) nicht auswählbares Musterverfahren, ist der Ruhensgrund auf der Registerkarte „Ruhensmanagement” bei den „freien Ruhensgründen” zu erfassen. Die Liste der in DB-Rb zur Auswahl bereitgestellten Rechtsfragen wird grundsätzlich 14-tägig aktualisiert.

    Lässt sich anhand der in DB-Rb enthaltenen Liste der anhängigen Rechtsfragen (noch) nicht feststellen, dass das vom Einspruchsführer angeführte Musterverfahren i. S. d. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO tatsächlich anhängig ist, kann zur Überprüfung eine Abfrage in „juris” vorgenommen werden. Ggf. ist vom Einspruchsführer ein Nachweis über die die Anhängigkeit (z. B. Benennung der Fundstelle in der Fachliteratur) zu verlangen.

    3. Umfang der Zwangsruhe und deren Speicherung in DB-Rb
    Die Zwangsruhe umfasst nicht den gesamten Einspruch, sondern lediglich die Punkte, für die die Voraussetzungen der Verfahrensruhe erfüllt sind (vgl. AEAO zu § 363 Nr. 3).

    Zur Vereinheitlichung der Speicherung der Verfahrensruhe in DB-Rb ist der Bearbeitungsstatus „Ruhen des Verfahrens” wie folgt zu setzen:

    In den vorgelagerten Stellen:
    Wird der Einspruch ausschließlich mit Punkten begründet, die zu einer Zwangsruhe führen (z. B. ausschließlich mit Massenruhensgründen bzw. mit vor dem BFH/BVerfG/EuGH anhängigen Rechtsfragen), ist der Einspruch von Anfang an mit dem Status „Ruhen des Verfahrens” zu speichern und der Haken bei „Einspruch wird ausschließlich mit Gründen der Registerkarte Ruhensmanagement begründet” zu setzen. Ansonsten ist der Status „In Bearbeitung” zu vergeben.

    In den Rechtsbehelfsstellen:
    Der Einspruch ist erst dann mit dem Status „Ruhen des Verfahrens” zu versehen, wenn die Punkte, die keine Zwangsruhe auslösen, bearbeitet sind (vgl. auch Tz. 4). Zudem ist der Haken bei „Einspruch wird ausschließlich mit Gründen der Registerkarte Ruhensmanagement begründet” zu setzen, wenn der übrige Einspruchsvortrag durch Teil-Abhilfebescheid, Teil-Einspruchsentscheidung bzw. Reduzierung der Einspruchsbegründung erledigt ist.

    Sind sämtliche Massenruhensgründe bzw. Rechtsfragen vor dem BFH/BVerfG maschinell mit einem Erledigungskennzeichen versehen worden, wird der Einspruch von DB-Rb vom Status „Ruhen des Verfahrens” in den Status „In Bearbeitung” umgespeichert2 . Eine Prüfung durch den Sachbearbeiter, ob der gesetzte Status „Ruhen des Verfahrens” noch berechtigt ist, ist daher nicht erforderlich, soweit im Bereich der „freien Ruhensgründe” keine Eintragungen vorgenommen wurden.

    Die Berechtigung der Verfahrensruhe wegen freier Ruhensgründe ist personell zu überwachen Sämtliche Einsprüche, für die Eintragungen bei den „freien Ruhensgründen” vorgenommen wurden, können mit der Standard-Abfrage „Fälle mit freien Ruhensgründen” aufgefunden werden.

    4. Erteilung von Teil-Abhilfebescheiden und Teil-Einspruchsentscheidungen
    Umfasst die Verfahrensruhe nicht den gesamten Einspruch (vgl. Tz. 3), ist der Einspruch hinsichtlich der Punkte, die nicht zum Ruhen geführt haben, weiter zu bearbeiten und diesbezüglich ein Teil-Abhilfebescheid oder, nach entsprechender Ermessensausübung, eine Teil-Einspruchsentscheidung (vgl. AEAO zu § 367 Nr. 6.1 und Nr. 6.2) zu erteilen. Gegen die Teil-Einspruchsentscheidung ist zur Weiterverfolgung des Rechtsbehelfs bezüglich des entschiedenen Teils Klage einzulegen; der Teil-Abhilfebescheid wird zum Gegenstand des ruhenden Einspruchsverfahrens (§ 365 Abs. 3 AO).

    Während der laufenden Klagefrist gestellte Anträge nach § 172 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO auf Änderung der Teil-Einspruchsentscheidung zur Berücksichtigung von weiteren Ruhensgründen sind als unzulässig abzulehnen. Durch eine Einspruchsentscheidung kann zwar ein Steuerbescheid aufgehoben oder geändert werden, die Einspruchsentscheidung (auch eine Teil-Einspruchsentscheidung) ist aber selbst kein Steuerbescheid (und auch kein einem Steuerbescheid gleichgestellter Verwaltungsakt). Die Sätze 2 und 3 in § 172 Abs. 1 AO ermöglichen die Korrektur eines Steuerbescheids, der Gegenstand eines Rechtsbehelfsverfahrens war oder ist, nicht aber eine (isolierte) Aufhebung/Änderung/Ergänzung einer Einspruchsentscheidung.

    Soweit im Veranlagungsbereich bereits bei Einspruchseinlegung der Antrag auf Ruhen des Verfahrens gestellt wird, ist die Überprüfung, ob ein Teil-Abhilfebescheid erlassen werden kann, noch von der Veranlagungsstelle vorzunehmen. Nach Erlass des Teil-Abhilfebescheids ist der Einspruch an die Rechtsbehelfsstelle abzugeben, soweit dieser nicht als Massenrechtsbehelf zu behandeln ist.

    Kommt der Erlass eines Teil-Abhilfebescheids nicht in Betracht, ist der Einspruch ungeachtet der „Drei-Monatsfrist”3 an die Rechtsbehelfsstelle abzugeben, soweit es sich um keinen Massenrechtsbehelf handelt. Vor der Abgabe des Einspruchs an die Rechtsbehelfsstelle hat die Veranlagungsstelle überschlägig noch zu prüfen, ob die angegebenen Ruhensgründe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO im Einzelfall einschlägig sein können. Ist dies nicht der Fall, ist der Einspruchsführer darauf hinzuweisen und zur Rücknahme des Einspruchs aufzufordern.

    5. Hinweis auf nicht eingetretene Zwangsruhe
    Kann vom Einspruchsführer der Nachweis über die Anhängigkeit eines Musterverfahrens nicht erbracht werden bzw. kommt es nach Auffassung des Finanzamts nicht auf den Ausgang dieses Verfahrens an, ist der Einspruchsführer unter Angabe der maßgeblichen Gründe zu informieren und zur Rücknahme aufzufordern. Des Weiteren ist er darauf hinzuweisen, dass die Rechtswidrigkeit der Ablehnung nur durch Klage gegen die Einspruchsentscheidung geltend gemacht werden kann (vgl. § 363 Abs. 3 AO). Wird trotz des Hinweises Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags eingelegt, ist dieser als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann mit der Hauptsacheentscheidung verbunden werden.

    6. Hinweis auf eingetretene Zwangsruhe
    Ist eine Zwangsruhe kraft Gesetzes eingetreten, muss dies dem Einspruchsführer nicht mitgeteilt werden. Der Einspruchsführer kann aus dem Stillschweigen des Finanzamts schließen, dass das Einspruchsverfahren ruht. Es kann der Fall sein, dass sich ein Einspruchsführer nicht auf ein Musterverfahren beruft, obwohl ein solches Verfahren anhängig ist. Gleichwohl kann das Finanzamt ein Interesse am Ruhen des Verfahrens haben. Es empfiehlt sich in solchen Fällen, den Einspruchsführer anzuschreiben und ihn auf die Sachlage sowie darauf hinzuweisen, dass das Finanzamt – sofern sich der Einspruchsführer nicht gegenteilig äußert – davon ausgeht, dass er mit dem Ruhen des Verfahrens einverstanden ist.

    7. Ende der Zwangsruhe
    Mit dem rechtskräftigen Abschluss des Gerichtsverfahrens, auf das sich der Einspruchsführer gestützt hat, entfallen die Voraussetzungen für eine Zwangsruhe. Diese endet insoweit „automatisch” (vgl. BFH-Urteil vom 23. 1. 2013 X R 32/08, BStBl. II S. 423). Eine Fortsetzungsmitteilung an den Einspruchsführer ist bei automatischer Beendigung der Verfahrensruhe nicht erforderlich (AEAO zu § 363 Nr. 2). Eine an ein beendetes Revisionsverfahren sich ggf. anschließende Verfassungsbeschwerde ist als außerordentlicher Rechtsbehelf ein anderes Verfahren und verlängert die Zwangsruhe nicht (BFH-Urteil vom 23. 1. 2013 X R 32/08, BStBl. II S. 423) bzw. lässt sie wieder aufleben. Wird die Anhängigkeit einer Verfassungsbeschwerde erst nachträglich bekannt, wird das in DB-Rb ggf. bereits gesetzte Erledigungskennzeichen („BFH”) nachträglich maschinell wieder entfernt.

    Die Zwangsruhe kann auch durch die nachträgliche Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks beendet werden, ohne dass es vorher einer Fortsetzungsmitteilung bzw. eines Hinweises nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO bedarf, da sich durch den Vorläufigkeitsvermerk lediglich die verfahrenstaktische Lage, nicht aber die verfahrensrechtliche Position des Einspruchsführers verschlechtert (BFH-Urteil vom 23. 1. 2013 X R 32/08, BStBl. II S. 423).

    Ein Einspruchsverfahren, das die Voraussetzungen für ein Ruhen nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO erfüllt, ist fortzusetzen, wenn der Einspruchsführer dies beantragt oder das Finanzamt dies dem Einspruchsführer mitteilt (sog. Fortsetzungsmitteilung). Dies gilt für alle Fälle der Verfahrensruhe gem. § 363 Abs. 2 AO (vgl. AEAO zu § 363, Nr. 3 Satz 2 und BFH-Beschluss vom 6. 7. 1999 IV B 14/99, BFH/NV S. 1587). Der Antrag des Einspruchsführers auf Beendigung der Verfahrensruhe bedarf keiner Begründung. Er hat unmittelbar verfahrensgestaltende Wirkung, indem er das Ruhen des Verfahrens beendet.

    Teilt die Finanzbehörde nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO die Fortsetzung eines ruhenden Einspruchsverfahrens mit, soll sie vor Erlass einer Einspruchsentscheidung den Beteiligten Gelegenheit geben, sich erneut zu äußern (vgl. AEAO zu § 363, Nr. 3 Satz 1). Die Fortsetzungsmitteilung ist stets zu begründen (BFH-Urteil vom 26. 9. 2006 X R 39/05, BFH/NV 2007 S. 296). Zugleich ist darauf hinzuweisen, dass Einwendungen hiergegen nur durch Klage gegen die noch zu erlassende Einspruchsentscheidung vorgebracht werden können (§ 363 Abs. 3 AO).

    Hinweis:
    Die bisherige Karte 1 (Kontroll-Nr. 12/2014)[4] ist auszureihen.