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  • 06.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193087

    Finanzgericht München: Urteil vom 19.01.2015 – 6 K 806/14

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FG München

    19.01.2015 - 6 K 806/14

    In der Streitsache

    wegen Einkommensteuer 2012

    hat der 6. Senat des Finanzgerichts München ohne mündliche Verhandlung am 19. Januar 2015
    für Recht erkannt:

    Tenor:

    1.
    Dem Finanzamt wird aufgegeben, den Einkommensteuerbescheid 2012 vom .... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ....... dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von ....... € und bei den Einkünften der Klägerin weitere Werbungskosten in Höhe von ....... € berücksichtigt werden. Das Ergebnis der Neuberechnung ist den Klägern unverzüglich formlos mitzuteilen. Nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Einkommensteuerbescheid 2012 mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.
    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    2.
    ...

    3.
    ...

    4.

    Die Revision wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    Beide Kläger sind Angestellte des Postbetriebs P. Die Klägerin war im Streitjahr 2012 vollbeschäftigt, der Kläger arbeitete 31 Stunden pro Woche. Am Morgen fuhr der Kläger um 6.15 Uhr von der Wohnung zum ca. 10,7 Km entfernten Zustellstützpunkt der P in X. Die Klägerin fuhr denselben Weg um ca. 6.45 Uhr. Dort mussten beide Kläger zunächst die auszutragende Post sortieren, wofür sie etwa 1 bis 1,5 Stunden benötigten. Danach waren sie damit beschäftigt, die sortierte Post in ihrem Bereich auszutragen. Nach Abschluss der Zustelltätigkeit kehrten beide Kläger zum Zustellstützpunkt X zurück, um dort die Abrechnung zu erledigen. Dies erforderte ca. 15 Minuten tägliche Arbeitszeit. Anschließend traten die Kläger die Heimfahrt zum Wohnort an. Die Arbeitszeiten endeten an Tagen mit schwacher Arbeitsauslastung um ca. 14.21 Uhr bzw. um ca. 15.14 Uhr, an Tagen mit durchschnittlicher Arbeitsauslastung um ca. 14.22 Uhr bzw. um 15.48 Uhr und an Tagen mit hohem Postanfall um ca. 14.40 Uhr bzw. um ca. 16.17 Uhr.

    Nach eigenen Angaben benutzte die Klägerin einen privaten PKW, der Kläger einen Bus des öffentlichen Nahverkehrs. Im Einkommensteuerbescheid 2012 vom ...... berücksichtigte der Beklagte, das Finanzamt (FA), bei den Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin eine Entfernungspauschale in Höhe von ..... und beim Kläger in Höhe von .... . Zur Begründung führte das FA aus, ein Postbote habe eine regelmäßige Arbeitsstätte im Zustellstützpunkt.

    Hiergegen richtet sich die Klage. Die Kläger machen weiter geltend, nach der im Streitjahr 2012 geltenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei eine regelmäßige Arbeitsstätte im Zustellstützpunkt zu verneinen. Die Sortier- und Abrechnungstätigkeit im Zustellstützpunkt würden der Vor- und Nachbereitung der Postverteilung außerhalb des Stützpunkts dienen. Das Verteilen der Post im Zustellbezirk sei die Haupttätigkeit, so dass der qualitative und auch der quantitative Schwerpunkt der Tätigkeit außerhalb des Zustellstützpunkts liege. Auch sei der Zustellbezirk keine weiträumige Arbeitsstätte. Aus diesem Grund seien die Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen mit 0,30 € pro tatsächlich gefahrenen Kilometer anzusetzen. Ferner seien die Pauschbeträge für Verpflegungsmehr-aufwand - berechnet aus den Zeiten der Abwesenheit von der privaten Wohnung - zu gewähren. Mit letzterem Schriftsatz haben die Kläger ihren ursprünglich gestellten Antrag eingeschränkt.

    II.

    Die Klage ist überwiegend begründet.

    1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erwerbsaufwendungen sind grundsätzlich auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings sind die Aufwendungen dafür nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nur begrenzt nach Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten zu berücksichtigen.

    Regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne dieser die beruflichen Mobilitätskosten nur eingeschränkt berücksichtigenden Regelung ist nach der neueren Rechtsprechung des BFH nur der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb, Zweigbetrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, denen der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht (BFH-Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BStBl II 2012, 38; vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, BStBl II 2013, 234, und vom 28. März 2012 VI R 48/11, BStBl II 2012, 926).

    Eine Arbeitsstätte ist allerdings nicht jeder beliebige Tätigkeitsort, sondern der Ort, an dem der Arbeitnehmer typischerweise seine Arbeitsleistung im Schwerpunkt zu erbringen hat. Insoweit ist entscheidend, wo sich der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers befindet. Dort liegt die eine regelmäßige Arbeitsstätte, die ein Arbeitnehmer nur haben kann. Dieser Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen einer wie auch immer gearteten Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat, sowie nach dem konkreten Gewicht dieser dort verrichteten Tätigkeit (BFH-Urteile vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503 und VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936, [BFH 19.01.2012 - VI R 32/11] sowie vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BStBl II 2012, 38, VI R 36/10, BStBl II 2012, 36 [BFH 09.06.2011 - VI R 36/10] und VI R 58/09, BStBl II 2012, 34 [BFH 09.06.2011 - VI R 58/09]).

    Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen dauerhaften betrieblichen Einrichtung tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor, weil der Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und auch dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit (Tätigkeitsmittelpunkt) entfernt tätig wird oder weil er schon über keinen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt für seine berufliche Tätigkeit verfügt, sondern nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird. Übt ein Telearbeiter im häuslichen Arbeitszimmer und im Büro des Arbeitgebers qualitativ gleichwertige Tätigkeiten aus, ist der Mittelpunkt der Tätigkeiten dort, wo der Telearbeiter zeitlich überwiegend tätig ist (vgl. BFH vom 23. Mai 2006 VI R 21/03, BStBl II 2006, 600).

    Die Verwaltung hat sich der Rechtsprechung des BFH mit der Maßgabe angeschlossen, dass ein Steuerpflichtiger, der - abweichend von bestimmten Vermutungen - geltend macht, keine regelmäßige Arbeitsstätte aufzusuchen, dies anhand des inhaltlichen qualitativen Schwerpunktes der beruflichen Tätigkeit nachzuweisen oder glaubhaft zu machen hat (Schreiben des Bundesministers der Finanzen -BMF- vom 15. Dezember 2011, BStBl I 2012, 57).

    2. Nach diesen Grundsätzen haben die Kläger unter Würdigung aller erkennbaren tatsächlichen Umstände keine regelmäßige Arbeitsstätte.

    a) Weder die Zustellbereiche, in denen die Kläger konkret die Post verteilen noch das gesamte Verteilgebiet, das vom Zustellstützpunkt aus mit Post versorgt wird, sind eine großräumige Betriebsstätte.

    Nach ständiger Rechtsprechung des VI. Senats des BFH ist eine regelmäßige Arbeitsstätte eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers. Stadtgebiete sind danach keine großräumige Arbeitsstätte, da es sich nicht um ein Gelände des Arbeitgebers handelt (vgl. Schmidt/Drenseck § 9 EStG Rz. 116, 117 m.w.N.). Im Streitfall kann nichts anderes gelten. Soweit der BFH entschieden hat, dass ein Lotsrevier einer Lotsenbrüderschaft als weiträumige Betriebsstätte anzusehen ist, ergibt sich nichts anderes (vgl. Urteil des BFH vom 29. April 2014 VIII R 33/10, BStBl II 2014, 777). Das Urteil beruht auf der Besonderheit, dass der räumliche Bereich eines Lotsreviers durch eine normative Regelung, die Allgemeine Lotsverordnung, festgelegt wird. Eine solche normative Regelung fehlt im Streitfall. Entscheidet sich ein privater Arbeitgeber, seine Angestellten von einer Betriebsstätte aus zum Kunden zu schicken, kann dies keinen Einfluss auf die steuerrechtliche Größe der Betriebsstätte des Arbeitgebers haben.

    b) Ein ortsgebundener Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit befindet sich auch nicht im Zustellstützpunkt.

    Die Sortierarbeiten der Kläger im Zustellstützpunkt dienen dem Zweck, dem jeweiligen Zusteller die richtige Post zuzuordnen. Zusammen mit der jeweiligen Abrechnung am Abend ist damit ein qualitativer Schwerpunkt der Tätigkeiten im Zustellstützpunkt zu verneinen. Das Sortieren und Zuordnen der Post ist für den Gesamterfolg des Postversands vom Absender bis zum Empfänger von gleicher Bedeutung wie die nachfolgende Verteilung im Zustellbezirk. Mit jedem dieser Arbeitsschritte wird zu verteilende Post näher zum Kunden befördert. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Sortieren im Zustellstützpunkt von der Art der Tätigkeit her schwerer als die anschließende Verteilung im Zustellbezirk ist. Da beide Kläger zeitlich überwiegend außerhalb des Zustellbezirks arbeiten, ist ein Schwerpunkt der Tätigkeiten im Zustellstützpunkt zu verneinen.

    Rechtsfolge ist, dass die Regelungen zur Entfernungspauschale nicht zur Anwendung kommen. Die Klägerin kann ihre Fahrkosten pro tatsächlich gefahrenen Kilometer abziehen.

    3. Die beantragten Verpflegungsmehraufwandspauschalen sind zu gewähren.

    Nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG dürfen Mehraufwendungen für Verpflegung grundsätzlich nicht als Werbungskosten abgezogen werden. Eine Ausnahme gilt, wenn der Steuerpflichtige vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten betrieblichen Tätigkeit entfernt betrieblich tätig wird. Bei einer län-gerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte beschränkt sich der pauschale Abzug auf die ersten drei Monate (§ 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 5 EStG).

    Hiernach stehen den Klägern die Pauschalen wegen einer mehr als achtstündigen Abwesenheit von der Wohnung zu. Da der Zustellstützpunkt aus den oben genannten Gründen nicht als Mittelpunkt der Tätigkeiten der Kläger anzusehen ist, ist die Abwesenheitszeit von der Wohnung ausschlaggebend. Die Dreimonatsfrist beschränkt der Abzug nicht. Zwar ist der Zustellstützpunkt als Tätigkeitsstätte anzusehen, indes werden die Kläger an allen Arbeitstagen außerhalb dieser ortsfesten Einrichtung tätig.

    Der abweichenden Ansicht des FG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 19. November 2014 3 K 3087/14, [...], die mit verfassungsrechtlichen Erwägungen (z.B. gleichheitswidrige Bevorzugung von Arbeitnehmern, die regelmäßig einen bestimmten Arbeitsort anfahren und ihn nach gewisser Arbeitszeit regelmäßig wieder verlassen im Vergleich zu Arbeitnehmern, die regelmäßig ganztägig an einem Arbeitsort tätig sind) begründet ist, schließt sich der Senat nicht an. Einerseits ist der Sachverhalt nicht vergleichbar, andererseits sind nach der Rechtsprechung des BFH noch verbleibende Ungereimtheiten durch das Pauschalierungsrecht des Gesetzgebers abgedeckt.

    4. Die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen ist im Wesentlichen nicht zu beanstanden ...... .

    5. Die Revision wird wegen Divergenz zum Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. November 2014 3 K 3087/14, [...], zugelassen. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat ausgeführt, dass es die für eine Streifenpolizistin entwickelten Grundsätze auf Postzusteller übertragen will. Bei einer solchen Betrachtungsweise wäre eine regelmäßige Tätigkeitsstätte im Zustellbezirk zu bejahen.

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG