12.05.2017 · IWW-Abrufnummer 193850
Oberfinanzdirektion Karlsruhe: Verfügung vom 16.03.2017 – S 130.1/669 - St 217
Verfügung betr. Besteuerung von Leistungen von öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule der schweizerischen Altersvorsorge an aktive oder ehemals Bedienstete im Schweizer öffentlichen Dienst; Verständigungsvereinbarung zur Auslegung von Art. 19 DBA-Schweiz
Vom 16. März 2017
OFD Karlsruhe S 130.1/669-St 217
Zur einheitlichen Anwendung und Auslegung des Artikels 19 des deutsch-schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 27. Oktober 2010 (BGBl. 2011 II S. 1092) haben die zuständigen Behörden, gestützt auf Art. 26 Abs. 3 DBA, am 21. Dezember 2016 die nachstehende Konsultationsvereinbarung abgeschlossen:
„Konsultationsvereinbarung zur Auslegung von Art. 19 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (DBA)
Gestützt auf Art. 26 Abs. 3 des DBA haben die zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vereinbart: Zur Beilegung des bestehenden Qualifikationskonfliktes zwischen den Vertragsstaaten bei der Besteuerung von Vergütungen von Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule der schweizerischen Altersvorsorge (Pensionskassen, Stiftungen oder Freizügigkeitskonten) an aktive oder ehemals Bedienstete im Schweizer öffentlichen Dienst gilt bis zur Anwendung einer im Rahmen der laufenden Revisionsverhandlungen angestrebten Änderung des DBA die folgende Vereinbarung: Danach gelten Vergütungen, einschließlich wiederkehrende oder einmalige Zahlungen von Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule der schweizerischen Altersvorsorge an aktive oder ehemals Bedienstete im Schweizer öffentlichen Dienst als aus einem „Sondervermögen” nach Art. 19 Abs. 1 des DBA gewährt. Nach Art. 19 Abs. 5 des DBA hat der Ansässigkeitsstaat des Empfängers vorrangig das Besteuerungsrecht für vorgenannte Vergütungen, einschließlich Ruhegehälter, wenn der Vergütungsempfänger aktiver oder ehemaliger Grenzgänger nach Art. 15 a des DBA ist. Der Kassenstaat hat den Steuerabzug nach Art. 15 a Abs. 1 des DBA zu beschränken. Hierfür ist der Vorsorgeeinrichtung der 2. Säule vor erstmaligem Zufluss einer wiederkehrenden Leistung eine weitere Ansässigkeitsbescheinigung i. S. d. Randziffer 44 des Einführungsschreibens zur Neuregelung der Grenzgängerbesteuerung (BMF-Schreiben vom 19. 9. 1994, BStBl. I S. 683[1] ) vorzulegen, die analog einem Arbeitgeberwechsel nach Randziffer 7 des Einführungsschreibens zur Neuregelung der Grenzgängerbesteuerung beim örtlichen zuständigen Finanzamt zu beantragen ist. Anstelle des Arbeitgebers ist in der Ansässigkeitsbescheinigung auf die leistende Vorsorgeeinrichtung der 2. Säule hinzuweisen. Bei Kapitalleistungen ist die Grenzgängereigenschaft im dafür vorgesehenen amtlichen Rückerstattungsformular zu bescheinigen. Lag während der aktiven Tätigkeitsphase vor Leistungsbezug nur teilweise die Grenzgängereigenschaft vor, ist darauf abzustellen, ob der Vergütungsempfänger innerhalb der letzten fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume seiner aktiven Tätigkeit in der Schweiz überwiegend (mindestens 50 Prozent) als Grenzgänger anzusehen war. Zeiträume der Arbeitsfreistellung unter Fortzahlung der Bezüge oder Lohnersatzleistungen sind hierbei nicht zu berücksichtigen. Das zuständige Finanzamt stellt die beantragte Ansässigkeitsbescheinigung i. S. d. Randziffer 44 des Einführungsschreibens zur Neuregelung der Grenzgängerbesteuerung aus, sofern die überwiegende Grenzgängereigenschaft in der relevanten Periode vorgelegen hat. Es bleibt der schweizerischen Steuerverwaltung unbenommen, die Ansässigkeitsbescheinigung zu überprüfen und entsprechende Nachweise zu verlangen. Diese Vereinbarung ist auf alle offenen Fälle anzuwenden. Die vorstehenden Vorschriften über die Prüfung der überwiegenden Grenzgängereigenschaft gelten nicht, soweit der Vorsorgeeinrichtung der 2. Säule bereits eine Ansässigkeitsbescheinigung nach Randziffer 44 des Einführungsschreibens zur Neuregelung der Grenzgängerbesteuerung vorliegt.”
Die Verständigungsvereinbarung wurde im BStBl. 2017 I S. 31 veröffentlicht.
Zur Anwendung der Verständigungsvereinbarung weise ich auf Folgendes hin: Die vorgenannte Verständigungsvereinbarung gilt für alle Leistungen, die von einer Vorsorgeeinrichtung des öffentlichen Diensts gezahlt werden, sowohl laufende Zahlungen als auch Einmalzahlungen. Es kommt hierbei nicht darauf an, ob der Leistungsempfänger noch aktiv im Berufsleben tätig oder bereits im Ruhestand ist.
Zur Klarstellung der Vereinbarung folgende Beispiele:
Beispiel 1:
A erhält seit Januar 01 eine Pension der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes) und verzieht zum April 01 von der Schweiz nach Deutschland. Während der aktiven Tätigkeitsphase war A im öffentlichen Dienst tätig und hatte ausschließlich in der Schweiz gewohnt.
Lösung:
Nach Art. 19 Abs. 1 DBA-Schweiz hat die Schweiz auch nach Zuzug in Deutschland das Besteuerungsrecht für die Pensionskassenleistungen. In Deutschland sind die Einkünfte unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes von der inländischen Besteuerung freizustellen.
Beispiel 2:
B erhält ab Juni 06 von der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes) eine Pension wegen Eintritts in den Ruhestand. In der aktiven Tätigkeitsphase pendelte B täglich von Lörrach (Wohnsitz) nach Basel (Arbeitsort) und erfüllte die Grenzgängereigenschaft.
Lösung:
Grundsätzlich hätte auch hier die Schweiz das Besteuerungsrecht für die Pensionskassenleistungen, da die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 DBA-Schweiz erfüllt sind. Jedoch greift im vorliegenden Fall die Ausnahmeregelung (Grenzgängervorbehalt) des Art. 19 Abs. 5 DBA-Schweiz, weil B während der Jahre 01–05 überwiegend als Grenzgänger beschäftigt war. Deutschland hat das Besteuerungsrecht für die Pensionskassenleistung; die Schweiz hat ein eingeschränktes Quellenbesteuerungsrecht auf 4,5 % der Bruttovergütung.
Beispiel 3:
C erhält ab Oktober 07 von der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes) eine Pension wegen Eintritts in den Ruhestand. In der aktiven Tätigkeitsphase pendelte C täglich von Lörrach (Wohnsitz) nach Basel (Arbeitsort). Wegen Dienstreisen in die USA hatte C in den Kalenderjahren 02 und 03 mehr als 60 Nichtrückkehrtage inne. Für diese Jahre wurde sein Lohn regulär nach Art. 19 DBA-Schweiz besteuert. In den Kalenderjahren 04 bis 06 erfüllt er wiederum die Grenzgängereigenschaft.
Lösung:
Zur Prüfung des Besteuerungsrechts ist der Zeitraum 02 bis 06 zu betrachten (die fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume der aktiven Tätigkeit in der Schweiz vor Leistungsbezug). C war in dem Zeitraum 02 bis 06 überwiegend (drei von fünf Jahren) als Grenzgänger beschäftigt. Wie im Beispiel 2 hat Deutschland das Besteuerungsrecht nach Art. 19 Abs. 5 i. V. mit Art. 15 a DBA-Schweiz.
Beispiel 4:
D war in den Jahren 01 bis 11 als Grenzgänger im öffentlichen Dienst in der Schweiz beschäftigt und pendelte täglich von Lörrach (Wohnsitz) nach Basel (Arbeitsort). Im Jahr 12 nimmt er eine neue Tätigkeit in Freiburg auf und behält seinen Wohnsitz in Lörrach bei. Im Jahr 26 geht er in den Ruhestand. D bezieht neben der deutschen Rente auch Leistungen aus der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes).
Lösung:
Zur Prüfung des Besteuerungsrechts ist der Zeitraum 07 bis 11 zu betrachten (die fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume der aktiven Tätigkeit in der Schweiz vor Leistungsbezug). D war in dem Zeitraum 07 bis 11 ausschließlich als Grenzgänger beschäftigt. Wie im Beispiel 2 hat Deutschland das Besteuerungsrecht nach Art. 19 Abs. 5 i. V. mit Art. 15 a DBA-Schweiz.
Beispiel 5:
E war in den Jahren 01 bis 12 als Grenzgänger von Lörrach (Wohnsitz) nach Basel (Arbeitsort) tätig. Im Jahr 13 hat er sein 60. Lebensjahr erreicht und möchte seine Arbeitszeit reduzieren. Daher arbeitet er in den Jahren 13 bis 17 Teilzeit mit 50 %. Die Gehaltslücke wird mit einer Überbrückungsrente der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes) aufgefangen. Im Jahr 18 ist E endgültig im Ruhestand.
Lösung:
Zur Prüfung des Besteuerungsrechts im Zeitraum 13 bis 17 kommt es bei der Besteuerung der Pensionskassenleistung darauf an, wie der Lohn der aktiven Tätigkeit besteuert wird. E ist in diesem Zeitraum Grenzgänger, also wird auch die Pensionskassenzahlung in Form der Überbrückungsrente nach Art. 19 Abs. 5 DBA-Schweiz besteuert. Aber auch für die Pensionskassenleistungen ab Ruhestandseintritt im Jahr 18 hat Deutschland das Besteuerungsrecht nach Art. 19 Abs. 5 DBA-Schweiz, da E stets Grenzgänger war.
Neben der Zuweisung des Besteuerungsrechts sind auch bei der nationalen Besteuerung einige Besonderheiten zu beachten. Bei der einkommensteuerlichen Behandlung der Leistungen aus Schweizer Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule ist zwischen Leistungen aus dem Obligatorium und dem Überobligatorium zu unterscheiden (Zweiteilungsgrundsatz; vgl. hierzu BMF-Schreiben vom 27. 7. 2016, BStBl. I S. 759[2] ).
Dies gilt grds. in allen offenen Fällen. Bei Leistungen aus öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule ist der Zweiteilungsgrundsatz allerdings erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2015 zu berücksichtigen. In den Veranlagungszeiträumen 2005 bis 2014 sind die Grundsätze der Verfügung OFD Karlsruhe vom 3. 9. 2007, aktualisiert am 17. 1. 2014, S 2255 – St 133, zu beachten.
Wird nach der vorstehenden Vereinbarung das Besteuerungsrecht der Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule der Schweiz zugewiesen, so werden diese Einkünfte im Inland von der Besteuerung unter Anwendung des Progressionsvorbehalts nach § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG freigestellt. Eine in der Schweiz erhobene Quellensteuer kann daher bei der inländischen Steuerfestsetzung weder berücksichtigt noch angerechnet werden.
Wird das Besteuerungsrecht der Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule hingegen nach Art. 19 Abs. 5 i. V. mit Art. 15 a DBA-Schweiz Deutschland zugeordnet, ist die in der Schweiz erhobene Quellensteuer i. H. von max. 4,5 % nach § 36 EStG anzurechnen. Bei Einführung des Art. 15 a DBA-Schweiz wurde in der Denkschrift zum Protokoll (BT-Drucksache 12/5195) festgehalten, dass die Schweizer Abzugsteuer bei einem Grenzgänger wie deutsche Abzugsbeträge auf die Einkommensteuer angerechnet wird. Nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG (durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer) kann eine Anrechnung der Schweizer Steuer nur insoweit stattfinden, als auch die darauf entfallenden Einkünfte bei der Veranlagung erfasst sind. Als erfasst in diesem Sinne gelten auch Einkünfte, die steuerbar und steuerfrei sind. Nach den nationalen Vorschriften nicht steuerbare Einkünfte gelten nicht als bei einer Veranlagung erfasst. Daher ist auch bei der Quellensteueranrechnung zwischen Obligatorium und Überobligatorium zu unterscheiden bzw. der Schweizer Steuerbetrag anteilig zu splitten. Bei der Anrechnung nach § 36 EStG ist zu beachten:
1)Laufende Zahlungen von Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule:
a)Obligatorium (Säule 2 a):
Leistungen aus dem Obligatorium, die als Leibrenten erbracht werden, sind als Einkünfte nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit dem maßgebenden Besteuerungsanteil anzusetzen
Steueranrechnung: max. 4,5 % des gesamten Obligatoriums.
Hat der Steuerpflichtige vor 2005 für mindestens zehn Jahre Beiträge oberhalb der jeweils gültigen Beitragsbemessungsgrenze geleistet, wird die auf diese Beiträge entfallende Rente auf Antrag nur mit dem Ertragsanteil nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG besteuert (sog. Öffnungsklausel).
Steueranrechnung: max. 4,5 % des zu besteuernden Ertragsanteils.
b)Überobligatorium (Säule 2 b)
Leistungen aus dem Überobligatorium, die als Leibrenten erbracht werden, sind nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG mit dem maßgebenden Ertragsanteil anzusetzen.
Steueranrechnung: max. 4,5 % des zu besteuernden Ertragsanteils.
2)Einmalzahlungen
a)Obligatorium (Säule 2 a)
Leistungen aus dem Obligatorium in Form von Kapitalabfindungen stellen andere Leistungen i. S. v. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG dar. Sie sind mit dem maßgebenden Besteuerungsanteil der Besteuerung zu unterwerfen.
Auf Antrag unterliegt der Teil der Kapitalabfindung, für den die Voraussetzungen zur Anwendung der Öffnungsklausel erfüllt sind (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG), nicht der Besteuerung. Der darüber hinausgehende Teil der Kapitalabfindung ist nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG zu besteuern.
Steueranrechnung: max. 4,5 % des zu besteuernden Obligatoriums; soweit ein Anteil wegen der Öffnungsklausel nicht besteuert wird, kann insoweit auch keine Quellensteueranrechnung erfolgen.
Kapitalabfindungen können als Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 EStG ermäßigt besteuert werden, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind.
In den Veranlagungszeiträumen 2005 und 2006 werden Kapitalabfindungen gemäß § 3 Nr. 3 EStG in der bis 2006 geltenden Fassung steuerfrei gestellt, wenn ein bestehender Rentenanspruch abgefunden wird. Das ist der Fall, wenn der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Bezugs der Kapitalabfindung das gesetzliche Rentenalter in der Schweiz bereits erreicht hatte. Insbesondere Leistungen für Wohneigentum und Freizügigkeitsleistungen sind daher im Regelfall nicht nach § 3 Nr. 3 EStG in der bis 2006 geltenden Fassung steuerfrei.
o b)Überobligatorium (Säule 2 b)
Die Besteuerung von Leistungen in Form von Kapitalabfindungen richtet sich nach den allgemeinen Regelungen zur Besteuerung von Versicherungsverträgen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der jeweils anzuwendenden Fassung.
Steueranrechnung: max. 4,5 % auf die steuerbaren Erträge.
Ist die anzurechnende Steuer personell ermittelt worden, so stellt sich die Frage, welche Eintragungen sowohl für die Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule als auch für die anzurechnende Steuer zu erfolgen haben. Die Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule werden regulär über die Kennzahlen der Anlagen R und KAP erfasst. Da die Anlage AUS keine Steueranrechnung nach § 36 EStG vorsieht, ist die Schweizer Abzugsteuer in den Kennzahlen zur Anlage N-Gre („In der Schweiz erhobene Abzugsteuer”) zu erfassen. Wegen programmtechnischer Hinweise ist der steuerpflichtige Arbeitslohn ggf. mit null Euro/CHF zu erfassen. Da es sich hierbei um eine Behelfslösung handelt, sind die Eintragungen zur Quellensteuer in der Einkommensteuerakte deutlich zu dokumentieren.
Diese Verfügung ergeht nicht in Papierform. Es erfolgt eine Einstellung in die JURIS-Datenbank bzw. in FAIR/IStR/Verfügungen und FAIR/IStR/Grenzgänger-CH.
Die Verfügung OFD Karlsruhe vom 28. 11. 2003 S 1301 A – St 334/CH[3] ist insoweit überholt und nicht mehr anzuwenden.
OFD Karlsruhe S 130.1/669-St 217
Zur einheitlichen Anwendung und Auslegung des Artikels 19 des deutsch-schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 27. Oktober 2010 (BGBl. 2011 II S. 1092) haben die zuständigen Behörden, gestützt auf Art. 26 Abs. 3 DBA, am 21. Dezember 2016 die nachstehende Konsultationsvereinbarung abgeschlossen:
„Konsultationsvereinbarung zur Auslegung von Art. 19 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (DBA)
Gestützt auf Art. 26 Abs. 3 des DBA haben die zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vereinbart: Zur Beilegung des bestehenden Qualifikationskonfliktes zwischen den Vertragsstaaten bei der Besteuerung von Vergütungen von Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule der schweizerischen Altersvorsorge (Pensionskassen, Stiftungen oder Freizügigkeitskonten) an aktive oder ehemals Bedienstete im Schweizer öffentlichen Dienst gilt bis zur Anwendung einer im Rahmen der laufenden Revisionsverhandlungen angestrebten Änderung des DBA die folgende Vereinbarung: Danach gelten Vergütungen, einschließlich wiederkehrende oder einmalige Zahlungen von Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule der schweizerischen Altersvorsorge an aktive oder ehemals Bedienstete im Schweizer öffentlichen Dienst als aus einem „Sondervermögen” nach Art. 19 Abs. 1 des DBA gewährt. Nach Art. 19 Abs. 5 des DBA hat der Ansässigkeitsstaat des Empfängers vorrangig das Besteuerungsrecht für vorgenannte Vergütungen, einschließlich Ruhegehälter, wenn der Vergütungsempfänger aktiver oder ehemaliger Grenzgänger nach Art. 15 a des DBA ist. Der Kassenstaat hat den Steuerabzug nach Art. 15 a Abs. 1 des DBA zu beschränken. Hierfür ist der Vorsorgeeinrichtung der 2. Säule vor erstmaligem Zufluss einer wiederkehrenden Leistung eine weitere Ansässigkeitsbescheinigung i. S. d. Randziffer 44 des Einführungsschreibens zur Neuregelung der Grenzgängerbesteuerung (BMF-Schreiben vom 19. 9. 1994, BStBl. I S. 683[1] ) vorzulegen, die analog einem Arbeitgeberwechsel nach Randziffer 7 des Einführungsschreibens zur Neuregelung der Grenzgängerbesteuerung beim örtlichen zuständigen Finanzamt zu beantragen ist. Anstelle des Arbeitgebers ist in der Ansässigkeitsbescheinigung auf die leistende Vorsorgeeinrichtung der 2. Säule hinzuweisen. Bei Kapitalleistungen ist die Grenzgängereigenschaft im dafür vorgesehenen amtlichen Rückerstattungsformular zu bescheinigen. Lag während der aktiven Tätigkeitsphase vor Leistungsbezug nur teilweise die Grenzgängereigenschaft vor, ist darauf abzustellen, ob der Vergütungsempfänger innerhalb der letzten fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume seiner aktiven Tätigkeit in der Schweiz überwiegend (mindestens 50 Prozent) als Grenzgänger anzusehen war. Zeiträume der Arbeitsfreistellung unter Fortzahlung der Bezüge oder Lohnersatzleistungen sind hierbei nicht zu berücksichtigen. Das zuständige Finanzamt stellt die beantragte Ansässigkeitsbescheinigung i. S. d. Randziffer 44 des Einführungsschreibens zur Neuregelung der Grenzgängerbesteuerung aus, sofern die überwiegende Grenzgängereigenschaft in der relevanten Periode vorgelegen hat. Es bleibt der schweizerischen Steuerverwaltung unbenommen, die Ansässigkeitsbescheinigung zu überprüfen und entsprechende Nachweise zu verlangen. Diese Vereinbarung ist auf alle offenen Fälle anzuwenden. Die vorstehenden Vorschriften über die Prüfung der überwiegenden Grenzgängereigenschaft gelten nicht, soweit der Vorsorgeeinrichtung der 2. Säule bereits eine Ansässigkeitsbescheinigung nach Randziffer 44 des Einführungsschreibens zur Neuregelung der Grenzgängerbesteuerung vorliegt.”
Die Verständigungsvereinbarung wurde im BStBl. 2017 I S. 31 veröffentlicht.
Zur Anwendung der Verständigungsvereinbarung weise ich auf Folgendes hin: Die vorgenannte Verständigungsvereinbarung gilt für alle Leistungen, die von einer Vorsorgeeinrichtung des öffentlichen Diensts gezahlt werden, sowohl laufende Zahlungen als auch Einmalzahlungen. Es kommt hierbei nicht darauf an, ob der Leistungsempfänger noch aktiv im Berufsleben tätig oder bereits im Ruhestand ist.
Zur Klarstellung der Vereinbarung folgende Beispiele:
Beispiel 1:
A erhält seit Januar 01 eine Pension der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes) und verzieht zum April 01 von der Schweiz nach Deutschland. Während der aktiven Tätigkeitsphase war A im öffentlichen Dienst tätig und hatte ausschließlich in der Schweiz gewohnt.
Lösung:
Nach Art. 19 Abs. 1 DBA-Schweiz hat die Schweiz auch nach Zuzug in Deutschland das Besteuerungsrecht für die Pensionskassenleistungen. In Deutschland sind die Einkünfte unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes von der inländischen Besteuerung freizustellen.
Beispiel 2:
B erhält ab Juni 06 von der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes) eine Pension wegen Eintritts in den Ruhestand. In der aktiven Tätigkeitsphase pendelte B täglich von Lörrach (Wohnsitz) nach Basel (Arbeitsort) und erfüllte die Grenzgängereigenschaft.
Lösung:
Grundsätzlich hätte auch hier die Schweiz das Besteuerungsrecht für die Pensionskassenleistungen, da die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 DBA-Schweiz erfüllt sind. Jedoch greift im vorliegenden Fall die Ausnahmeregelung (Grenzgängervorbehalt) des Art. 19 Abs. 5 DBA-Schweiz, weil B während der Jahre 01–05 überwiegend als Grenzgänger beschäftigt war. Deutschland hat das Besteuerungsrecht für die Pensionskassenleistung; die Schweiz hat ein eingeschränktes Quellenbesteuerungsrecht auf 4,5 % der Bruttovergütung.
Beispiel 3:
C erhält ab Oktober 07 von der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes) eine Pension wegen Eintritts in den Ruhestand. In der aktiven Tätigkeitsphase pendelte C täglich von Lörrach (Wohnsitz) nach Basel (Arbeitsort). Wegen Dienstreisen in die USA hatte C in den Kalenderjahren 02 und 03 mehr als 60 Nichtrückkehrtage inne. Für diese Jahre wurde sein Lohn regulär nach Art. 19 DBA-Schweiz besteuert. In den Kalenderjahren 04 bis 06 erfüllt er wiederum die Grenzgängereigenschaft.
Lösung:
Zur Prüfung des Besteuerungsrechts ist der Zeitraum 02 bis 06 zu betrachten (die fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume der aktiven Tätigkeit in der Schweiz vor Leistungsbezug). C war in dem Zeitraum 02 bis 06 überwiegend (drei von fünf Jahren) als Grenzgänger beschäftigt. Wie im Beispiel 2 hat Deutschland das Besteuerungsrecht nach Art. 19 Abs. 5 i. V. mit Art. 15 a DBA-Schweiz.
Beispiel 4:
D war in den Jahren 01 bis 11 als Grenzgänger im öffentlichen Dienst in der Schweiz beschäftigt und pendelte täglich von Lörrach (Wohnsitz) nach Basel (Arbeitsort). Im Jahr 12 nimmt er eine neue Tätigkeit in Freiburg auf und behält seinen Wohnsitz in Lörrach bei. Im Jahr 26 geht er in den Ruhestand. D bezieht neben der deutschen Rente auch Leistungen aus der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes).
Lösung:
Zur Prüfung des Besteuerungsrechts ist der Zeitraum 07 bis 11 zu betrachten (die fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume der aktiven Tätigkeit in der Schweiz vor Leistungsbezug). D war in dem Zeitraum 07 bis 11 ausschließlich als Grenzgänger beschäftigt. Wie im Beispiel 2 hat Deutschland das Besteuerungsrecht nach Art. 19 Abs. 5 i. V. mit Art. 15 a DBA-Schweiz.
Beispiel 5:
E war in den Jahren 01 bis 12 als Grenzgänger von Lörrach (Wohnsitz) nach Basel (Arbeitsort) tätig. Im Jahr 13 hat er sein 60. Lebensjahr erreicht und möchte seine Arbeitszeit reduzieren. Daher arbeitet er in den Jahren 13 bis 17 Teilzeit mit 50 %. Die Gehaltslücke wird mit einer Überbrückungsrente der Pensionskasse Publica (Pensionskasse des Bundes) aufgefangen. Im Jahr 18 ist E endgültig im Ruhestand.
Lösung:
Zur Prüfung des Besteuerungsrechts im Zeitraum 13 bis 17 kommt es bei der Besteuerung der Pensionskassenleistung darauf an, wie der Lohn der aktiven Tätigkeit besteuert wird. E ist in diesem Zeitraum Grenzgänger, also wird auch die Pensionskassenzahlung in Form der Überbrückungsrente nach Art. 19 Abs. 5 DBA-Schweiz besteuert. Aber auch für die Pensionskassenleistungen ab Ruhestandseintritt im Jahr 18 hat Deutschland das Besteuerungsrecht nach Art. 19 Abs. 5 DBA-Schweiz, da E stets Grenzgänger war.
Neben der Zuweisung des Besteuerungsrechts sind auch bei der nationalen Besteuerung einige Besonderheiten zu beachten. Bei der einkommensteuerlichen Behandlung der Leistungen aus Schweizer Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule ist zwischen Leistungen aus dem Obligatorium und dem Überobligatorium zu unterscheiden (Zweiteilungsgrundsatz; vgl. hierzu BMF-Schreiben vom 27. 7. 2016, BStBl. I S. 759[2] ).
Dies gilt grds. in allen offenen Fällen. Bei Leistungen aus öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule ist der Zweiteilungsgrundsatz allerdings erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2015 zu berücksichtigen. In den Veranlagungszeiträumen 2005 bis 2014 sind die Grundsätze der Verfügung OFD Karlsruhe vom 3. 9. 2007, aktualisiert am 17. 1. 2014, S 2255 – St 133, zu beachten.
Wird nach der vorstehenden Vereinbarung das Besteuerungsrecht der Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule der Schweiz zugewiesen, so werden diese Einkünfte im Inland von der Besteuerung unter Anwendung des Progressionsvorbehalts nach § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG freigestellt. Eine in der Schweiz erhobene Quellensteuer kann daher bei der inländischen Steuerfestsetzung weder berücksichtigt noch angerechnet werden.
Wird das Besteuerungsrecht der Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule hingegen nach Art. 19 Abs. 5 i. V. mit Art. 15 a DBA-Schweiz Deutschland zugeordnet, ist die in der Schweiz erhobene Quellensteuer i. H. von max. 4,5 % nach § 36 EStG anzurechnen. Bei Einführung des Art. 15 a DBA-Schweiz wurde in der Denkschrift zum Protokoll (BT-Drucksache 12/5195) festgehalten, dass die Schweizer Abzugsteuer bei einem Grenzgänger wie deutsche Abzugsbeträge auf die Einkommensteuer angerechnet wird. Nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG (durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer) kann eine Anrechnung der Schweizer Steuer nur insoweit stattfinden, als auch die darauf entfallenden Einkünfte bei der Veranlagung erfasst sind. Als erfasst in diesem Sinne gelten auch Einkünfte, die steuerbar und steuerfrei sind. Nach den nationalen Vorschriften nicht steuerbare Einkünfte gelten nicht als bei einer Veranlagung erfasst. Daher ist auch bei der Quellensteueranrechnung zwischen Obligatorium und Überobligatorium zu unterscheiden bzw. der Schweizer Steuerbetrag anteilig zu splitten. Bei der Anrechnung nach § 36 EStG ist zu beachten:
1)Laufende Zahlungen von Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule:
a)Obligatorium (Säule 2 a):
Leistungen aus dem Obligatorium, die als Leibrenten erbracht werden, sind als Einkünfte nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit dem maßgebenden Besteuerungsanteil anzusetzen
Steueranrechnung: max. 4,5 % des gesamten Obligatoriums.
Hat der Steuerpflichtige vor 2005 für mindestens zehn Jahre Beiträge oberhalb der jeweils gültigen Beitragsbemessungsgrenze geleistet, wird die auf diese Beiträge entfallende Rente auf Antrag nur mit dem Ertragsanteil nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG besteuert (sog. Öffnungsklausel).
Steueranrechnung: max. 4,5 % des zu besteuernden Ertragsanteils.
b)Überobligatorium (Säule 2 b)
Leistungen aus dem Überobligatorium, die als Leibrenten erbracht werden, sind nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG mit dem maßgebenden Ertragsanteil anzusetzen.
Steueranrechnung: max. 4,5 % des zu besteuernden Ertragsanteils.
2)Einmalzahlungen
a)Obligatorium (Säule 2 a)
Leistungen aus dem Obligatorium in Form von Kapitalabfindungen stellen andere Leistungen i. S. v. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG dar. Sie sind mit dem maßgebenden Besteuerungsanteil der Besteuerung zu unterwerfen.
Auf Antrag unterliegt der Teil der Kapitalabfindung, für den die Voraussetzungen zur Anwendung der Öffnungsklausel erfüllt sind (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG), nicht der Besteuerung. Der darüber hinausgehende Teil der Kapitalabfindung ist nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG zu besteuern.
Steueranrechnung: max. 4,5 % des zu besteuernden Obligatoriums; soweit ein Anteil wegen der Öffnungsklausel nicht besteuert wird, kann insoweit auch keine Quellensteueranrechnung erfolgen.
Kapitalabfindungen können als Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 EStG ermäßigt besteuert werden, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind.
In den Veranlagungszeiträumen 2005 und 2006 werden Kapitalabfindungen gemäß § 3 Nr. 3 EStG in der bis 2006 geltenden Fassung steuerfrei gestellt, wenn ein bestehender Rentenanspruch abgefunden wird. Das ist der Fall, wenn der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Bezugs der Kapitalabfindung das gesetzliche Rentenalter in der Schweiz bereits erreicht hatte. Insbesondere Leistungen für Wohneigentum und Freizügigkeitsleistungen sind daher im Regelfall nicht nach § 3 Nr. 3 EStG in der bis 2006 geltenden Fassung steuerfrei.
o b)Überobligatorium (Säule 2 b)
Die Besteuerung von Leistungen in Form von Kapitalabfindungen richtet sich nach den allgemeinen Regelungen zur Besteuerung von Versicherungsverträgen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der jeweils anzuwendenden Fassung.
Steueranrechnung: max. 4,5 % auf die steuerbaren Erträge.
Ist die anzurechnende Steuer personell ermittelt worden, so stellt sich die Frage, welche Eintragungen sowohl für die Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule als auch für die anzurechnende Steuer zu erfolgen haben. Die Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule werden regulär über die Kennzahlen der Anlagen R und KAP erfasst. Da die Anlage AUS keine Steueranrechnung nach § 36 EStG vorsieht, ist die Schweizer Abzugsteuer in den Kennzahlen zur Anlage N-Gre („In der Schweiz erhobene Abzugsteuer”) zu erfassen. Wegen programmtechnischer Hinweise ist der steuerpflichtige Arbeitslohn ggf. mit null Euro/CHF zu erfassen. Da es sich hierbei um eine Behelfslösung handelt, sind die Eintragungen zur Quellensteuer in der Einkommensteuerakte deutlich zu dokumentieren.
Diese Verfügung ergeht nicht in Papierform. Es erfolgt eine Einstellung in die JURIS-Datenbank bzw. in FAIR/IStR/Verfügungen und FAIR/IStR/Grenzgänger-CH.
Die Verfügung OFD Karlsruhe vom 28. 11. 2003 S 1301 A – St 334/CH[3] ist insoweit überholt und nicht mehr anzuwenden.