09.11.2017 · IWW-Abrufnummer 197546
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 25.07.2016 – 6 K 1130/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg
Urt. v. 25.07.2016
Az.: 6 K 1130/12
In dem Finanzrechtsstreit
xxx
wegen Einkommensteuer 1997 und 1998
hat der 6. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2016 durch
Richter am Finanzgericht XXX als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Die KIäger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute, die in den Streitjahren 1997 und 1998 neben Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ausschließlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt haben. Sie entrichteten folgende Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung (in DM):
Der Gesamtbetrag der Einkünfte beträgt 124.976 DM (1997) bzw. 124.709 DM (1998). Die Vorsorgeaufwendungen ließ der Beklagte in den Einkommensteuerbescheiden für 1997 vom 18. August 1999 und für 1998 vom 21. Dezember 1999 jeweils nur mit dem gesetzlichen Höchstbetrag zum Abzug als Sonderausgaben zu. Die Bescheide ergingen nach § 165 Abgabenordnung 1977 (AO) vorläufig in einzelnen - im vorliegenden Verfahren jedoch nicht streitbefangenen - Punkten.
Die Kläger begehrten im Einspruchsverfahren, den Ausgang des beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Revisionsverfahrens IV R 90/99 abzuwarten, in dem es darum gehe, ob Vorsorgeaufwendungen zum Existenzminimum hinzuzurechnen seien. Im Übrigen beanstandeten sie die Steuerfestsetzungen in den Bescheiden nicht.
Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2000 zurück, weil das Revisionsverfahren die Frage der Gleichbehandlung von Selbständigen mit Arbeitnehmern betreffe, die Kläger aber keine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielten.
Mit der daraufhin am Montag, den 13. Juni 2000 bei der beklagten Behörde angebrachten Klage machten die KIäger erstmals geltend, die angefochtenen Einkommensteuerbescheide seien durch die Finanzbehörde um einen Vorläufigkeitsvermerk "im Hinblick auf die Anwendung des § 32c EStG" zu ergänzen, damit sich etwaige Nachbesserungen des Gesetzgebers auch für sie noch auswirken könnten.
Mit Senatsbeschluss vom 9. März 2004 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
In Erweiterung der Klage begehrten die KIäger mit Schriftsatz vom 15. März 2004, die angefochtenen Bescheide - entsprechend den aktuellen Verwaltungsanweisungen - zusätzlich auch hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen nachträglich für vorläufig zu erklären.
Im Übrigen beanstandeten sie, dass der Beklagte "die gesetzliche Verfahrensruhe" mit der Einspruchsentscheidung beendet und damit § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht beachtet habe. Vor Ergehen der Einspruchsentscheidung seien - außer dem Verfahren 2 BvL 2/99 und neben dem Verfahren bei dem BFH IV 90/99 - noch weitere Revisionsverfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des beschränkten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen anhängig gewesen, deren abschlägige Entscheidung nunmehr vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den Verfahren 2 BvR 274/03 und 2 BvR 912/03 zur Prüfung stehe. Dies rechtfertige die Aufhebung der Einspruchsentscheidung, hilfsweise die Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens nach § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO).
In der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2004 erklärte der Beklagte die Bescheide hinsichtlich des beschränkten Abzugs der Vorsorgeaufwendungen für vorläufig.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 30. März 2004 ab. Zur Frage des beschränkten Abzugs der Vorsorgeaufwendungen fehle den Klägern bereits das Rechtsschutzbedürfnis, nachdem die Bescheide insoweit nunmehr für vorläufig erklärt seien. Soweit § 32c Einkommensteuergesetz (EStG) streitig sei, könne das beim BVerfG anhängige Verfahren 2 BvL 2/99 für die Kläger keine Bedeutung haben; selbst wenn das BVerfG die Regelung des § 32c EStG für verfassungswidrig halten sollte, sei es so gut wie ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber rückwirkend eine allgemeine Tarifsenkung vornehmen werde, in deren Genuss auch die Kläger kommen könnten.
Das Urteil wurde mit Beschluss des BFH vom 23. Dezember 2005 XI B 98/04, BFH/NV 2006, 952 aufgehoben und an das FG zurückverwiesen, da die Klage im Streitpunkt des beschränkten Abzugs der Vorsorgeaufwendungen nicht mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig hätte abgewiesen werden dürfen. Die vorgenommene Übertragung auf den Einzelrichter sei nicht zu beanstanden.
Nach der Zurückverweisung des Verfahrens wurde dieses unter dem Aktenzeichen 4 K 53/06 fortgeführt und mit Beschluss vom 14. Juli 2006 gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG in den Verfahren 2 BvR 274/03 und 2 BvR 912/03 "zur Frage des beschränkten Vorsorgeaufwands" ausgesetzt.
Nachdem die beiden Verfassungsbeschwerden durch Beschlüsse des BVerfG vom 25. Februar 2008 nicht zur Entscheidung angenommen worden waren, wurde die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das beim BVerfG anhängige Verfahren 2 BvR 2299/04 zunächst aufrecht erhalten.
Dieses Verfahren wurde durch Beschluss vom 25. September 2009 erledigt.
Am 8. Dezember 2009 erließ der Beklagte geänderte Bescheide für die Streitjahre, die hinsichtlich der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des deutschen Bundestags vorläufig ergingen.
Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2010 stimmte der Beklagte einer weiteren Verfahrensruhe im Hinblick auf die beim BVerfG gegen die Urteile des BFH vom 11. September 2008 (VI R 63/04, VI R 13/06) erhobenen Verfassungsbeschwerden anhängigen Verfahren betreffend die Berücksichtigung von Aufwendungen in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigungen der Abgeordneten (2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08) zu.
Nachdem das BVerfG mit Beschluss vom 26. Juli 2010 die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen hatte, beantragte der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. November 2010, das Verfahren fortzuführen.
Sodann beantragte der Klägervertreter in den Schriftsätzen vom 13. Dezember 2010 (Bl. 122 d.A.), 26. April 2011 (Bl. 139 d.A.) sowie 4. August 2011 (Bl. 153 d.A.), auf die Bezug genommen wird, weitere Verfahrensaussetzungen, mit denen der Beklagte jeweils nicht einverstanden war.
Mit Verfügung vom 28. März 2012 wurde das Verfahren unter dem Az 6 K 1130/12 wieder aufgenommen.
Die Kläger begehrten nunmehr, die o.g. Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung als Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 EStG in unbeschränkter Höhe als Sonderausgaben abzuziehen bzw. - bzgl. der Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung - hilfsweise im Rahmen eines negativen Progressionsvorbehalts gemäß § 32b Abs. 1 EStG zu berücksichtigen.
Diesbezüglich beantragten die Kläger, das Verfahren gemäß § 74 FGO im Hinblick auf das vor dem BVerfG anhängige Verfahren Az.: 2 BvR 498/12 auszusetzen.
In der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2014 rügte der Klägervertreter die nicht vorschriftmäßige Besetzung des Gerichts und begehrte die Rückübertragung auf den Senat gemäß § 6 Abs. 3 FGO wegen besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art bzw. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung unter Hinweis auf beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren Az 2 BvR 288/10 (Beschränkte Abziehbarkeit von Altersvorsorgeaufwendungen verfassungsgemäß ? - Endgültige Ausgestaltung der Berücksichtigung der Aufwendungen - Prinzip der intertemporalen Korrespondenz - Rechtscharakter der Altervorsorgeaufwendungen - Zuweisung zu den Sonderausgaben - Höchstbeträge - Einbeziehung der Arbeitgeberanteile - Finanzierbarkeit der Neuregelung - Fehlende Korrespondenz in der Übergangszeit - Belastung bei Rentenbezug ab 2039 - Verbot der Doppelbesteuerung erst bei Rentenbezug rügbar - Höchstbetrag für sonstige Vorsorgeaufwendungen bei Mitversicherten; vorgehend BFH-Urteil vom 18. November 2009 X R 34/07, BStBl II 2010, 414), 2 BvR 289/10, 2 BvR 290/10, 2 BvR 323/10 sowie 2 BvR 598/12 (Abzug von Beiträgen zur Krankenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung; vorgehend BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BStBl II 2012, 325).
Der Antrag auf Rückübertragung des Rechtsstreits auf den Senat wurde mit Beschluss vom 24. September 2014 abgelehnt.
Am 15. Oktober 2014 erließ der Beklagte geänderte Bescheide für die Streitjahre, die hinsichtlich der Berücksichtigung von Beiträgen zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts vorläufig ergingen.
Im Hinblick auf die folgenden, vor dem BVerfG anhängigen Verfahren
- 2 BvR 598/12 (Abzug von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung; vorgehend BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BStBl II 2012, 325)
- 2 BvR 288/10 (Beschränkte Abziehbarkeit von Altersvorsorgeaufwendungen verfassungsgemäß? - Endgültige Ausgestaltung der Berücksichtigung der Aufwendungen - Prinzip der intertemporalen Korrespondenz - Rechtscharakter der Altersvorsorgeaufwendungen und Zuweisung zu den Sonderausgaben - Höchstbeträge - Belastung bei Rentenbezug ab 2039 - Verbot der Doppelbesteuerung erst bei Rentenbezug rügbar; vorgehend BFH-Urteil vom 18. November 2009 X R 34/07, BStBl II 2010, 414) sowie
- 2 BvR 289/10 (Ist die unzureichende Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bis 31.12.2009 hinzunehmen?; vorgehend BFH-Urteil vom 18. November 2009 X R 6/08, BStBl II 2010, 282)
beantragten die Kläger nunmehr, das Verfahren auszusetzen.
Der Antrag wurde mit Beschluss vom 2. September 2015 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger wurde mit Beschluss des BFH vom 11. Mai 2016 X B 168/15 als unbegründet zurückgewiesen.
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren 2 BvR 290/10 sowie 2 BvR 323/10 in den Beschlüssen vom 14. Juni 2016 nicht zur Entscheidung an.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid für 1997 über Einkommensteuer vom 15. Oktober 2014 dahingehend abzuändern, dass als Sonderausgaben anstatt wie bisher 7.830 DM ein Betrag in Höhe von 28.095 DM abgezogen wird,
den Bescheid für 1998 über Einkommensteuer vom 15. Oktober 2014 dahingehend abzuändern, dass als Sonderausgaben anstatt wie bisher ein Betrag von 7.830 DM nunmehr ein Betrag in Höhe von 27.982 DM abgezogen wird,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom Beklagten vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschrift über den Verhandlungstermin vom 25. Juli 2016 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Dass der Beklagte die Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung gemäß § 10 Abs. 3 EStG i.d.F. der Streitjahre lediglich im Rahmen der Höchstbeträge mit 7.830 DM berücksichtigt hat, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten und ist verfassungsgemäß.
1. Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung
Das BVerfG hat mit Beschluss vom 25. Februar 2008 2 BvR 274/03 entschieden, einer Verfassungsbeschwerde, mit der in Streitjahren vor 2005 die unbeschränkte Abziehbarkeit von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung begehrt wird, fehle vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG zur Rentenbesteuerung (BVerfGE 105, 73 [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99]) und der Neuregelung der Besteuerung der Altersbezüge durch das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz - AltEinkG) vom 5. Juli 2004 (BGBl I S. 1427) die hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Das Gericht geht weiter mit dem BFH davon aus, dass eine Neuregelung zur Effektuierung des subjektiven Nettoprinzips, nach welchem indisponible Aufwendungen des Steuerpflichtigen die Steuerbemessungsgrundlage mindern müssen, von dem Regelungsauftrag und der Weitergeltungsanordnung im Urteil des BVerfG vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618 [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99]) umfasst ist (BFH-Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, Rn. 32, BFH/NV 2005, 513 [BFH 21.07.2004 - X R 72/01]). Das BVerfG hatte mit Beschlüssen vom 20. August 1997 1 BvR 1300/89 (HFR 1997, 937) und in HFR 1998, 397 die ständige Rechtsprechung des BFH (z.B. Entscheidungen vom 27. Juni 1996 IV R 4/84, BFHE 181, 31; in BFH/NV 1999, 163) bestätigt, dass Vorsorgeaufwendungen nur im Rahmen der Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG abziehbar sind. Das BVerfG hat in seinem Urteil in BVerfGE 105, 73, [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99] BStBl II 2002, 618 [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99] den Gesetzgeber zum Tätigwerden bis zum 1. Januar 2005 verpflichtet. Diese Entscheidung spricht in ihrem 3. Leitsatz von der "gebotenen Neuregelung der Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung" und ihrer Abstimmung auf die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen. Unter D. II. der Entscheidungsgründe schließt es das BVerfG aus, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, "die Rechtslage rückwirkend, bezogen auf das Veranlagungsjahr 1996, zu bereinigen".
Ein rückwirkender Abbau der Vergünstigungen bei der Besteuerung von Sozialversicherungsrenten komme aus Verfassungsgründen von vornherein nicht in Betracht. Hieraus ist zu folgern, dass der Gesetzgeber für Veranlagungszeiträume vor 2005 zu einer "Nachbesserung" des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet ist (BFH-Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, Rn. 34, BFH/NV 2005, 513 [BFH 21.07.2004 - X R 72/01]).
2. Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Kranken-/Pflegeversicherung
Die verfassungsrechtlichen Fragen hinsichtlich der begrenzten Abziehbarkeit von Beiträgen zu Krankenversicherungen sind durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 120, 125 [BVerfG 13.02.2008 - 2 BvL 1/06] geklärt. Danach war der Gesetzgeber verpflichtet, mit Wirkung zum 1. Januar 2010 eine Neuregelung zu schaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt blieben sowohl die für das seinerzeitige Streitjahr 1997 beanstandete Fassung des § 10 Abs. 3 EStG als auch sämtliche Nachfolgeregelungen weiter anwendbar (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 125, [BVerfG 13.02.2008 - 2 BvL 1/06] unter Nr. 2 des Tenors sowie unter E.II.2. der Gründe). In späteren Entscheidungen haben sowohl das BVerfG (Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvR 1220/04, 410/05, BVerfGE 120, 169, unter B.II.) als auch der BFH (Beschluss vom 26. November 2008 X R 20/04, BFH/NV 2009, 382, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 9. Juli 2009 2 BvR 92/09; Beschluss vom 11. Dezember 2008 X B 179/08, BFH/NV 2009, 573, unter 2.b bb, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 14. September 2010 2 BvR 329/09) hinsichtlich der Beiträge zur Krankenversicherung die weitere Anwendbarkeit des § 10 Abs. 3 EStG in seinen bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2009 geltenden Fassungen bestätigt (BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, [BFH 16.11.2011 - X R 15/09] Rn. 13).
Diese Weitergeltungsanordnung ist für das Gericht bindend, weil sie mit Gesetzeskraft versehen ist (§ 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG--; vgl. hierzu ausführlich BFH-Beschluss vom 24. November 2010 II B 9/10, BFH/NV 2011, 441, unter 1.a, mit zahlreichen weiteren Nachweisen); sie ist ihrerseits weder verfassungswidrig noch verstößt sie gegen Regelungen der EMRK (BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, [BFH 16.11.2011 - X R 15/09] Rn. 14).
Daran ändert auch die vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Begründung der Verfassungsbeschwerde im Verfahren Az 2 BvR 289/10 nichts. Im Beschluss vom 11. Mai 2016 X B 168/15 erachtet der BFH die Verfassungsbeschwerde im Verfahren Az 2 BvR 289/10 als "offensichtlich aussichtslos".
3. Hinsichtlich der Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit (heute: Beiträge zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit) ist weder ein Sonderausgabenabzug in voller Höhe noch eine Berücksichtigung im Wege des negativen Progressionsvorbehalts verfassungsrechtlich geboten. Das Gericht verweist auf die überzeugenden Ausführungen im BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, [BFH 16.11.2011 - X R 15/09] Rn. 28 - 39.
Entgegen den Ausführungen in der Begründung zur Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 598/12 verstößt § 10 Abs. 3 EStG i.d.F. der Streitjahre nicht gegen das subjektive Nettoprinzip. Nach der vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes, mithin im Streitfall geltenden Rechtslage konnte bei verheirateten Arbeitnehmern mit einem Bruttolohn von jährlich bis etwa 24.000 Euro die gesamten Sozialversicherungsbeiträge vollständig als Sonderausgaben abgezogen werden, da die geltenden Höchstbeträge nach § 10 Abs. 3 EStG und der nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfreie Arbeitgeberanteil ein entsprechendes Abzugsvolumen eröffneten (BT-Drucksache 15/2150, S. 35; vgl. auch Beschluss des BVerfG vom 14. Juni 2016 2 BvR 290/10, Rn. 73).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Kläger haben die Kosten des gesamten Verfahrens incl. des Beschwerdeverfahrens zu tragen (Gräber/Ratschow, FGO, § 135 Rn. 3).
Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 FGO im Hinblick auf die beim BFH ruhenden Verfahren Az X R 38-41/09 zugelassen.
Urt. v. 25.07.2016
Az.: 6 K 1130/12
In dem Finanzrechtsstreit
xxx
wegen Einkommensteuer 1997 und 1998
hat der 6. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2016 durch
Richter am Finanzgericht XXX als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Die KIäger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute, die in den Streitjahren 1997 und 1998 neben Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ausschließlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt haben. Sie entrichteten folgende Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung (in DM):
1997 | 1998 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kläger | Klägerin | Kläger | Klägerin | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Arbeitslosen~ | 2.429,47 | 1.495,85 | 2.534,87 | 1.478,30 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Renten~ | 7.587,45 | 4.671,64 | 7.916,59 | 4.616,83 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kranken~ | 4.797,00 | 3.524,63 | 4.634,92 | 3.519,70 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Pflege~ | 627,31 | 368,21 | 606,11 | 363,89 |
Der Gesamtbetrag der Einkünfte beträgt 124.976 DM (1997) bzw. 124.709 DM (1998). Die Vorsorgeaufwendungen ließ der Beklagte in den Einkommensteuerbescheiden für 1997 vom 18. August 1999 und für 1998 vom 21. Dezember 1999 jeweils nur mit dem gesetzlichen Höchstbetrag zum Abzug als Sonderausgaben zu. Die Bescheide ergingen nach § 165 Abgabenordnung 1977 (AO) vorläufig in einzelnen - im vorliegenden Verfahren jedoch nicht streitbefangenen - Punkten.
Die Kläger begehrten im Einspruchsverfahren, den Ausgang des beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Revisionsverfahrens IV R 90/99 abzuwarten, in dem es darum gehe, ob Vorsorgeaufwendungen zum Existenzminimum hinzuzurechnen seien. Im Übrigen beanstandeten sie die Steuerfestsetzungen in den Bescheiden nicht.
Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2000 zurück, weil das Revisionsverfahren die Frage der Gleichbehandlung von Selbständigen mit Arbeitnehmern betreffe, die Kläger aber keine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielten.
Mit der daraufhin am Montag, den 13. Juni 2000 bei der beklagten Behörde angebrachten Klage machten die KIäger erstmals geltend, die angefochtenen Einkommensteuerbescheide seien durch die Finanzbehörde um einen Vorläufigkeitsvermerk "im Hinblick auf die Anwendung des § 32c EStG" zu ergänzen, damit sich etwaige Nachbesserungen des Gesetzgebers auch für sie noch auswirken könnten.
Mit Senatsbeschluss vom 9. März 2004 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
In Erweiterung der Klage begehrten die KIäger mit Schriftsatz vom 15. März 2004, die angefochtenen Bescheide - entsprechend den aktuellen Verwaltungsanweisungen - zusätzlich auch hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen nachträglich für vorläufig zu erklären.
Im Übrigen beanstandeten sie, dass der Beklagte "die gesetzliche Verfahrensruhe" mit der Einspruchsentscheidung beendet und damit § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht beachtet habe. Vor Ergehen der Einspruchsentscheidung seien - außer dem Verfahren 2 BvL 2/99 und neben dem Verfahren bei dem BFH IV 90/99 - noch weitere Revisionsverfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des beschränkten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen anhängig gewesen, deren abschlägige Entscheidung nunmehr vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den Verfahren 2 BvR 274/03 und 2 BvR 912/03 zur Prüfung stehe. Dies rechtfertige die Aufhebung der Einspruchsentscheidung, hilfsweise die Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens nach § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO).
In der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2004 erklärte der Beklagte die Bescheide hinsichtlich des beschränkten Abzugs der Vorsorgeaufwendungen für vorläufig.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 30. März 2004 ab. Zur Frage des beschränkten Abzugs der Vorsorgeaufwendungen fehle den Klägern bereits das Rechtsschutzbedürfnis, nachdem die Bescheide insoweit nunmehr für vorläufig erklärt seien. Soweit § 32c Einkommensteuergesetz (EStG) streitig sei, könne das beim BVerfG anhängige Verfahren 2 BvL 2/99 für die Kläger keine Bedeutung haben; selbst wenn das BVerfG die Regelung des § 32c EStG für verfassungswidrig halten sollte, sei es so gut wie ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber rückwirkend eine allgemeine Tarifsenkung vornehmen werde, in deren Genuss auch die Kläger kommen könnten.
Das Urteil wurde mit Beschluss des BFH vom 23. Dezember 2005 XI B 98/04, BFH/NV 2006, 952 aufgehoben und an das FG zurückverwiesen, da die Klage im Streitpunkt des beschränkten Abzugs der Vorsorgeaufwendungen nicht mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig hätte abgewiesen werden dürfen. Die vorgenommene Übertragung auf den Einzelrichter sei nicht zu beanstanden.
Nach der Zurückverweisung des Verfahrens wurde dieses unter dem Aktenzeichen 4 K 53/06 fortgeführt und mit Beschluss vom 14. Juli 2006 gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG in den Verfahren 2 BvR 274/03 und 2 BvR 912/03 "zur Frage des beschränkten Vorsorgeaufwands" ausgesetzt.
Nachdem die beiden Verfassungsbeschwerden durch Beschlüsse des BVerfG vom 25. Februar 2008 nicht zur Entscheidung angenommen worden waren, wurde die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das beim BVerfG anhängige Verfahren 2 BvR 2299/04 zunächst aufrecht erhalten.
Dieses Verfahren wurde durch Beschluss vom 25. September 2009 erledigt.
Am 8. Dezember 2009 erließ der Beklagte geänderte Bescheide für die Streitjahre, die hinsichtlich der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des deutschen Bundestags vorläufig ergingen.
Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2010 stimmte der Beklagte einer weiteren Verfahrensruhe im Hinblick auf die beim BVerfG gegen die Urteile des BFH vom 11. September 2008 (VI R 63/04, VI R 13/06) erhobenen Verfassungsbeschwerden anhängigen Verfahren betreffend die Berücksichtigung von Aufwendungen in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigungen der Abgeordneten (2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08) zu.
Nachdem das BVerfG mit Beschluss vom 26. Juli 2010 die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen hatte, beantragte der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. November 2010, das Verfahren fortzuführen.
Sodann beantragte der Klägervertreter in den Schriftsätzen vom 13. Dezember 2010 (Bl. 122 d.A.), 26. April 2011 (Bl. 139 d.A.) sowie 4. August 2011 (Bl. 153 d.A.), auf die Bezug genommen wird, weitere Verfahrensaussetzungen, mit denen der Beklagte jeweils nicht einverstanden war.
Mit Verfügung vom 28. März 2012 wurde das Verfahren unter dem Az 6 K 1130/12 wieder aufgenommen.
Die Kläger begehrten nunmehr, die o.g. Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung als Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 EStG in unbeschränkter Höhe als Sonderausgaben abzuziehen bzw. - bzgl. der Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung - hilfsweise im Rahmen eines negativen Progressionsvorbehalts gemäß § 32b Abs. 1 EStG zu berücksichtigen.
Diesbezüglich beantragten die Kläger, das Verfahren gemäß § 74 FGO im Hinblick auf das vor dem BVerfG anhängige Verfahren Az.: 2 BvR 498/12 auszusetzen.
In der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2014 rügte der Klägervertreter die nicht vorschriftmäßige Besetzung des Gerichts und begehrte die Rückübertragung auf den Senat gemäß § 6 Abs. 3 FGO wegen besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art bzw. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung unter Hinweis auf beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren Az 2 BvR 288/10 (Beschränkte Abziehbarkeit von Altersvorsorgeaufwendungen verfassungsgemäß ? - Endgültige Ausgestaltung der Berücksichtigung der Aufwendungen - Prinzip der intertemporalen Korrespondenz - Rechtscharakter der Altervorsorgeaufwendungen - Zuweisung zu den Sonderausgaben - Höchstbeträge - Einbeziehung der Arbeitgeberanteile - Finanzierbarkeit der Neuregelung - Fehlende Korrespondenz in der Übergangszeit - Belastung bei Rentenbezug ab 2039 - Verbot der Doppelbesteuerung erst bei Rentenbezug rügbar - Höchstbetrag für sonstige Vorsorgeaufwendungen bei Mitversicherten; vorgehend BFH-Urteil vom 18. November 2009 X R 34/07, BStBl II 2010, 414), 2 BvR 289/10, 2 BvR 290/10, 2 BvR 323/10 sowie 2 BvR 598/12 (Abzug von Beiträgen zur Krankenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung; vorgehend BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BStBl II 2012, 325).
Der Antrag auf Rückübertragung des Rechtsstreits auf den Senat wurde mit Beschluss vom 24. September 2014 abgelehnt.
Am 15. Oktober 2014 erließ der Beklagte geänderte Bescheide für die Streitjahre, die hinsichtlich der Berücksichtigung von Beiträgen zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts vorläufig ergingen.
Im Hinblick auf die folgenden, vor dem BVerfG anhängigen Verfahren
- 2 BvR 598/12 (Abzug von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung; vorgehend BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BStBl II 2012, 325)
- 2 BvR 288/10 (Beschränkte Abziehbarkeit von Altersvorsorgeaufwendungen verfassungsgemäß? - Endgültige Ausgestaltung der Berücksichtigung der Aufwendungen - Prinzip der intertemporalen Korrespondenz - Rechtscharakter der Altersvorsorgeaufwendungen und Zuweisung zu den Sonderausgaben - Höchstbeträge - Belastung bei Rentenbezug ab 2039 - Verbot der Doppelbesteuerung erst bei Rentenbezug rügbar; vorgehend BFH-Urteil vom 18. November 2009 X R 34/07, BStBl II 2010, 414) sowie
- 2 BvR 289/10 (Ist die unzureichende Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bis 31.12.2009 hinzunehmen?; vorgehend BFH-Urteil vom 18. November 2009 X R 6/08, BStBl II 2010, 282)
beantragten die Kläger nunmehr, das Verfahren auszusetzen.
Der Antrag wurde mit Beschluss vom 2. September 2015 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger wurde mit Beschluss des BFH vom 11. Mai 2016 X B 168/15 als unbegründet zurückgewiesen.
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren 2 BvR 290/10 sowie 2 BvR 323/10 in den Beschlüssen vom 14. Juni 2016 nicht zur Entscheidung an.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid für 1997 über Einkommensteuer vom 15. Oktober 2014 dahingehend abzuändern, dass als Sonderausgaben anstatt wie bisher 7.830 DM ein Betrag in Höhe von 28.095 DM abgezogen wird,
den Bescheid für 1998 über Einkommensteuer vom 15. Oktober 2014 dahingehend abzuändern, dass als Sonderausgaben anstatt wie bisher ein Betrag von 7.830 DM nunmehr ein Betrag in Höhe von 27.982 DM abgezogen wird,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom Beklagten vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschrift über den Verhandlungstermin vom 25. Juli 2016 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Dass der Beklagte die Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung gemäß § 10 Abs. 3 EStG i.d.F. der Streitjahre lediglich im Rahmen der Höchstbeträge mit 7.830 DM berücksichtigt hat, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten und ist verfassungsgemäß.
1. Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung
Das BVerfG hat mit Beschluss vom 25. Februar 2008 2 BvR 274/03 entschieden, einer Verfassungsbeschwerde, mit der in Streitjahren vor 2005 die unbeschränkte Abziehbarkeit von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung begehrt wird, fehle vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG zur Rentenbesteuerung (BVerfGE 105, 73 [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99]) und der Neuregelung der Besteuerung der Altersbezüge durch das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz - AltEinkG) vom 5. Juli 2004 (BGBl I S. 1427) die hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Das Gericht geht weiter mit dem BFH davon aus, dass eine Neuregelung zur Effektuierung des subjektiven Nettoprinzips, nach welchem indisponible Aufwendungen des Steuerpflichtigen die Steuerbemessungsgrundlage mindern müssen, von dem Regelungsauftrag und der Weitergeltungsanordnung im Urteil des BVerfG vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618 [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99]) umfasst ist (BFH-Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, Rn. 32, BFH/NV 2005, 513 [BFH 21.07.2004 - X R 72/01]). Das BVerfG hatte mit Beschlüssen vom 20. August 1997 1 BvR 1300/89 (HFR 1997, 937) und in HFR 1998, 397 die ständige Rechtsprechung des BFH (z.B. Entscheidungen vom 27. Juni 1996 IV R 4/84, BFHE 181, 31; in BFH/NV 1999, 163) bestätigt, dass Vorsorgeaufwendungen nur im Rahmen der Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG abziehbar sind. Das BVerfG hat in seinem Urteil in BVerfGE 105, 73, [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99] BStBl II 2002, 618 [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99] den Gesetzgeber zum Tätigwerden bis zum 1. Januar 2005 verpflichtet. Diese Entscheidung spricht in ihrem 3. Leitsatz von der "gebotenen Neuregelung der Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung" und ihrer Abstimmung auf die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen. Unter D. II. der Entscheidungsgründe schließt es das BVerfG aus, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, "die Rechtslage rückwirkend, bezogen auf das Veranlagungsjahr 1996, zu bereinigen".
Ein rückwirkender Abbau der Vergünstigungen bei der Besteuerung von Sozialversicherungsrenten komme aus Verfassungsgründen von vornherein nicht in Betracht. Hieraus ist zu folgern, dass der Gesetzgeber für Veranlagungszeiträume vor 2005 zu einer "Nachbesserung" des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet ist (BFH-Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, Rn. 34, BFH/NV 2005, 513 [BFH 21.07.2004 - X R 72/01]).
2. Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Kranken-/Pflegeversicherung
Die verfassungsrechtlichen Fragen hinsichtlich der begrenzten Abziehbarkeit von Beiträgen zu Krankenversicherungen sind durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 120, 125 [BVerfG 13.02.2008 - 2 BvL 1/06] geklärt. Danach war der Gesetzgeber verpflichtet, mit Wirkung zum 1. Januar 2010 eine Neuregelung zu schaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt blieben sowohl die für das seinerzeitige Streitjahr 1997 beanstandete Fassung des § 10 Abs. 3 EStG als auch sämtliche Nachfolgeregelungen weiter anwendbar (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 125, [BVerfG 13.02.2008 - 2 BvL 1/06] unter Nr. 2 des Tenors sowie unter E.II.2. der Gründe). In späteren Entscheidungen haben sowohl das BVerfG (Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvR 1220/04, 410/05, BVerfGE 120, 169, unter B.II.) als auch der BFH (Beschluss vom 26. November 2008 X R 20/04, BFH/NV 2009, 382, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 9. Juli 2009 2 BvR 92/09; Beschluss vom 11. Dezember 2008 X B 179/08, BFH/NV 2009, 573, unter 2.b bb, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 14. September 2010 2 BvR 329/09) hinsichtlich der Beiträge zur Krankenversicherung die weitere Anwendbarkeit des § 10 Abs. 3 EStG in seinen bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2009 geltenden Fassungen bestätigt (BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, [BFH 16.11.2011 - X R 15/09] Rn. 13).
Diese Weitergeltungsanordnung ist für das Gericht bindend, weil sie mit Gesetzeskraft versehen ist (§ 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG--; vgl. hierzu ausführlich BFH-Beschluss vom 24. November 2010 II B 9/10, BFH/NV 2011, 441, unter 1.a, mit zahlreichen weiteren Nachweisen); sie ist ihrerseits weder verfassungswidrig noch verstößt sie gegen Regelungen der EMRK (BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, [BFH 16.11.2011 - X R 15/09] Rn. 14).
Daran ändert auch die vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Begründung der Verfassungsbeschwerde im Verfahren Az 2 BvR 289/10 nichts. Im Beschluss vom 11. Mai 2016 X B 168/15 erachtet der BFH die Verfassungsbeschwerde im Verfahren Az 2 BvR 289/10 als "offensichtlich aussichtslos".
3. Hinsichtlich der Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit (heute: Beiträge zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit) ist weder ein Sonderausgabenabzug in voller Höhe noch eine Berücksichtigung im Wege des negativen Progressionsvorbehalts verfassungsrechtlich geboten. Das Gericht verweist auf die überzeugenden Ausführungen im BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, [BFH 16.11.2011 - X R 15/09] Rn. 28 - 39.
Entgegen den Ausführungen in der Begründung zur Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 598/12 verstößt § 10 Abs. 3 EStG i.d.F. der Streitjahre nicht gegen das subjektive Nettoprinzip. Nach der vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes, mithin im Streitfall geltenden Rechtslage konnte bei verheirateten Arbeitnehmern mit einem Bruttolohn von jährlich bis etwa 24.000 Euro die gesamten Sozialversicherungsbeiträge vollständig als Sonderausgaben abgezogen werden, da die geltenden Höchstbeträge nach § 10 Abs. 3 EStG und der nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfreie Arbeitgeberanteil ein entsprechendes Abzugsvolumen eröffneten (BT-Drucksache 15/2150, S. 35; vgl. auch Beschluss des BVerfG vom 14. Juni 2016 2 BvR 290/10, Rn. 73).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Kläger haben die Kosten des gesamten Verfahrens incl. des Beschwerdeverfahrens zu tragen (Gräber/Ratschow, FGO, § 135 Rn. 3).
Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 FGO im Hinblick auf die beim BFH ruhenden Verfahren Az X R 38-41/09 zugelassen.