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  • 18.02.2019 · IWW-Abrufnummer 207248

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 22.11.2018 – 14 K 1629/18 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:

    Der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 23.4.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.5.2018 wird dahingehend geändert, dass die Erstattung von 2.782 € den Sonderausgabenabzug nicht mindert.

    Die Berechnung des Steuerbetrags wird dem Beklagten übertragen.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Revision wird zugelassen.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.
     
    1

    T a t b e s t a n d
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    Die Beteiligten streiten über die steuerliche Behandlung der Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen.
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    Die Kläger werden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin hatte in den Jahren 2010, 2011 und 2013 Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet. Nachdem sie verbeamtet worden war, beantragte sie im Jahr 2016 die Erstattung dieser Beiträge gemäß § 210 Abs. 1a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Mit Bescheid vom 24.3.2017 erstattete die Deutsche Rentenversicherung Bund einen Betrag von 2.781,26 €.
    4

    Dabei wurden für die Jahre 2010 und 2011 exakt die geleisteten Beiträge zurückerstattet. Für das Jahr 2013 übersteigt der Erstattungsbetrag die laut Lohnsteuerbescheinigung geleisteten Arbeitnehmerbeiträge um etwa 17 €.
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    Im Einkommensteuerbescheid vom 23.4.2018 berücksichtigte der Beklagte den Erstattungsbetrag als Minderung der Altersvorsorgeaufwendungen. Der Sonderausgabenabzug wurde entsprechend dem für 2017 abzugsfähigen Anteil um 84 % von 2.782 €, also um 2.336 € reduziert.
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    Hiergegen legten die Kläger unter dem 26.4.2018 Einspruch ein. Sie machten geltend, bei der Zahlung handele es sich nicht um negative Sonderausgaben, sondern um eine nach § 3 Nr. 3 lit. b) des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreie Leistung. Es könne sich schon deshalb nicht um eine echte Erstattung aus gezahlten Beiträgen handeln, weil der von der Rentenversicherung geleistete Betrag die tatsächlich gezahlten Arbeitnehmerbeiträge übersteige.
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    Selbst wenn man von negativen Sonderausgaben ausginge, seien diese nicht im Streitjahr zu verrechnen, sondern in den Jahren der ursprünglichen Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge. Es handele sich um ein rückwirkendes Ereignis. Wegen der Entwicklung der anteiligen Abziehbarkeit von Sonderausgaben führe die Verrechnung im Jahr 2017 dazu, dass nunmehr ein höherer Betrag versteuert würde, als seinerzeit überhaupt abzugsfähig gewesen sei.
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    Mit Einspruchsentscheidung vom 23.5.2018 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Erstattung sei nach § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG zu verrechnen. Zwar habe die Klägerin im Streitjahr keine Altersvorsorgeaufwendungen mehr getätigt, eine Verrechnung sei jedoch mit den Altersvorsorgeaufwendungen des Klägers vorzunehmen. Die zusammenveranlagten Ehegatten seien als ein Steuerpflichtiger zu behandeln. Unerheblich sei, dass die Beitragsrückerstattung nach § 3 Nr. 3 lit. b) EStG steuerfrei sei.
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    Hiergegen richtet sich die Klage vom 13.6.2018, mit der die Kläger ihren Vortrag aus der Einspruchsbegründung wiederholen und vertiefen. Die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 3 lit. b) EStG setze systematisch voraus, dass es sich bei der Erstattung um eine steuerbare Einnahme handele. Die Zahlung könne aber nicht gleichzeitig Einnahme und zurückgezahlte Sonderausgabe sein. Selbst wenn die Zahlung genau den ursprünglich geleisteten Beiträgen entsprochen hätte, handele es sich um eine Leistung der Rentenversicherung, die nach § 3 Nr. 3 lit. b) EStG steuerfrei bleiben solle. Andernfalls wäre die Vorschrift überflüssig. Hilfsweise sei ein Rücktrag in die Altjahre erforderlich, um eine Überkompensation zu vermeiden.
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    Die Kläger beantragen,
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    den Einkommensteuerbescheid 2017 vom 23.4.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.5.2018 dahingehend zu ändern, dass die Erstattung von 2.782 € den Sonderausgabenabzug nicht mindert.
    12

    Der Beklagte beantragt,
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                  die Klage abzuweisen.
    14

    Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, die Berücksichtigung von Sonderausgaben setze eine endgültige wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen voraus. Hieran fehle es, wenn zunächst gezahlte Sonderausgaben später erstattet würden. Dabei komme es nach dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19.1.2010 (X B 32/09) nicht darauf an, ob sich die erstatteten Beträge im Veranlagungszeitraum ihrer Verausgabung tatsächlich steuermindernd ausgewirkt hätten.
    15

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
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    E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
    17

    Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
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    Der Beklagte hat die Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge zu Unrecht mit den geleisteten Altersvorsorgebeiträgen der Kläger verrechnet. Es handelt sich um eine steuerbare, aber steuerfreie Einnahme (I. und II.). Diese Einordnung steht einer Behandlung als sogenannte negative Sonderausgabe entgegen (III.).
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    I. Die Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge ist als steuerbare Einnahme i.S.d. § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a) aa) EStG zu qualifizieren.
    20

    1. Das Einkommensteuergesetz kennt keine Definition steuerbarer Einnahmen. Das Gesetz folgt vielmehr einem pragmatischen Ansatz und zählt steuerbare Vorgänge in den Einkunftsarten abschließend auf (vgl. Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 8 Rz. 49 ff.). Damit ist steuerbar, was unter eine der Einkunftsarten fällt.
    21

    Die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen gehört zu den sonstigen Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a) aa) EStG. Die Vorschrift erfasst „Leibrenten und andere Leistungen, die aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, der landwirtschaftlichen Alterskasse, den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und aus Rentenversicherungen im Sinne des § 10 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b erbracht werden, soweit sie jeweils der Besteuerung unterliegen“.
    22

    Die Beitragserstattung ist als „andere Leistung“ in diesem Sinne zu verstehen. Der Begriff der „anderen Leistung“ ist denkbar weit und erfasst alle Leistungen unabhängig davon, ob sie als Rente oder als einmalige Leistung ausgezahlt werden (vgl. Weber-Grellet, in Schmidt, 37. Aufl. 2018, § 22 Rz. 88 EStG). Auch § 3 Nr. 3 lit. c) EStG ordnet die hier in Rede stehende Beitragserstattung nach § 210 SGB VI dem Oberbegriff der „Leistung“ zu.
    23

    2. Dass es sich bei der Erstattung um eine steuerbare Einnahme handelt, lässt sich auch aus der Regelung des § 3 Nr. 3 lit. b) EStG ableiten. Demnach sind u.a. „Beitragserstattungen an den Versicherten nach den §§ 210 und 286d des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch“ steuerfrei. Die Vorschrift ist explizit auf die hier in Rede stehende Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen zugeschnitten. Eine Steuerfreistellung setzt die Steuerbarkeit rechtslogisch voraus. Da sich die Steuerfreistellung ausdrücklich auch auf Erstattungen nach § 210 SGB VI bezieht, liefe sie leer, wenn man diese Erstattungen nicht als Einnahmen qualifizieren würde. Eine Auslegung, die dazu führt, dass eine Vorschrift leerläuft, verbietet sich in der Regel (vgl. Drüen, in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 306a, Mai 2015). Auch im Streitfall sind keine Gründe ersichtlich, die eine solche, vom Wortlaut des § 3 Nr. 3 lit. b) EStG abweichende Auslegung rechtfertigen könnten. Zwar sind die gesetzgeberischen Motive für die Steuerfreistellung nicht klar. Die Regelung erfasste ursprünglich Kapitalabfindungen für gesetzliche Renten- oder Pensionsansprüche (zur Rechtsentwicklung Levedag, in: Schmidt, 37. Aufl. 2018, § 3 EStG Rn. 23). Sie wurde mit dem Jahressteuergesetz 2007 – vorgeblich „klarstellend“ (BT-Drucksache 16/3368, S. 16) – in die heutige Fassung gebracht und damit de facto insoweit erweitert, als nun die hier in Rede stehende Beitragserstattung als gesetzlich steuerfrei eingestuft ist. Im ursprünglichen Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes war eine Änderung des § 3 Nr. 3 EStG nicht vorgesehen, sie wurde erst durch den Finanzausschuss in den Gesetzgebungsprozess eingebracht (vgl. BT-Drucksache 16/3325, S. 5). Jedoch kann der Regelung aufgrund ihres klaren Wortlauts entnommen werden, dass der Gesetzgeber die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen nach § 210 SGB VI als steuerbaren Vorgang qualifizieren wollte, für den eine Steuerbefreiung greift. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung würde widersprochen, wenn die Erstattung von vornherein als negative Sonderausgabe – und nicht als steuerbare Einnahme 1– verstanden würde.
    24

    3. Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, dass die Erstattung im Streitfall die geleisteten Arbeitnehmerbeiträge übersteigt.
    25

    a) Die Erstattung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Rentenversicherung ist der Höhe nach gemäß § 210 Abs. 1a, Abs. 3 Satz 1 SGB VI auf die geleisteten Arbeitnehmerbeiträge beschränkt. Es kann dahinstehen, warum die Erstattung für das Jahr 2013 den laut Lohnsteuerbescheinigung geleisteten Betrag der Klägerin um 17 € übersteigt. Der Senat geht mangels anderweitiger Erkenntnisse davon aus, dass es sich entweder um einen Fehler in der Lohnsteuerbescheinigung handelt oder aber ein Fehler der Rentenversicherung bei der Ermittlung der Erstattungshöhe vorliegt. Ein solcher Fehler nimmt der Zahlung jedenfalls nicht den Charakter einer Beitragserstattung. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem überschießenden Betrag um eine bewusste Leistungserhöhung im Sinne eines – von der Beitragserstattung abzugrenzenden – Ertragsanteils handelt. Davon gehen auch die Beteiligten nach ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend nicht aus.
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    b) Im Übrigen ist eine Aufteilung der Leistung in Erstattungs- und Ertragsanteil – wobei letzterer in den Fällen des § 210 SGB VI stets null betrüge – im Zuge des Übergangs zur nachgelagerten Besteuerung der Alterseinkünfte nicht mehr sachgerecht. Eine isolierte Besteuerung nur des Ertragsanteils einer Rentenleistung findet bei Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung nur im Rahmen der typisierten Prozentsätze statt, nach denen ein steigender Anteil der Beitragszahlungen zum Abzug zugelassen wird (§ 10 Abs. 3 Satz 4 ff. EStG) und ein steigender Anteil der Rentenleistungen (bei gleichbleibendem Rentenfreibetrag) der Besteuerung unterworfen wird (§ 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a) EStG). § 22 Nr. 1 EStG differenziert – jedenfalls im Rahmen der Basisvorsorge – nicht nach der konkreten Vorbelastung (vgl. Weber-Grellet, in Schmidt, 37. Aufl. 2018, § 22 Rz. 6 EStG). Damit ist die schlichte Feststellung, dass die Klägerin nur die Beiträge erstattet bekommen hat, die sie gezahlt hat, nicht ausreichend, um eine Steuerbarkeit zu verneinen. Denn im Zahlungsjahr wurden die Beiträge mit dem jeweiligen Prozentsatz steuermindernd berücksichtigt, so dass die hieraus resultierende Leistung – die Beitragsrückerstattung – auch mit dem den Freibetrag übersteigenden Teil steuerbar ist.
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    4. Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH. Die rechtliche Einordnung der Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen war bislang noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Soweit der BFH sich dahingehend geäußert hat, dass die Erstattung von Sonderausgaben nicht zu steuerbaren Einnahmen führe, betraf dies keine Erstattungen der Rentenversicherungsträger (vgl. etwa BFH, Urteil v. 21.7.2009 X R 32/07, juris Rz. 22 zu erstatteten Beiträgen einer Krankentagegeldversicherung). Der BFH hat im Zusammenhang mit Beitragserstattungen eines Versorgungswerks vielmehr ausdrücklich erwogen, ob diese als steuerbare Einkünfte oder als negative Sonderausgaben zu behandeln sind. Die Frage konnte jedoch offengelassen werden, da die Einnahmen jedenfalls nach § 3 Nr. 3 lit. c) EStG steuerfrei wären (BFH-Urteil v. 10.10.2017 X R 3/17, juris Rz. 16 ff.). Im Unterschied zum hiesigen Streitfall schied im dortigen Sachverhalt auch eine Verrechnung der Sonderausgaben im Streitjahr mangels entsprechender gezahlter Sonderausgaben aus, so dass der BFH die Frage letztlich offen lassen konnte.
    28

    II. Die steuerbare Einnahme ist gemäß § 3 Nr. 3 lit. b) EStG steuerfrei. Die Vorschrift erfasst ausdrücklich die Beitragserstattung nach § 210 SGB VI.
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    III. Eine Verrechnung des Erstattungsbetrages mit von den Klägern geleisteten Sonderausgaben ist vor diesem Hintergrund unzulässig. Es ist widersprüchlich, die Erstattung zugleich als steuerbare Einnahme und als negative Sonderausgabe einzustufen (so aber Ebner, HFR 2018, 444). Im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen der Einstufung als steuerbare Einnahme bzw. als negative Sonderausgabe (Steuerfreiheit bzw. Sonderausgabenverrechnung) ist eine eindeutige Einordnung erforderlich (vgl. BFH, Urteil v. 10.10.2017 X R 3/17, juris Rz. 16). Dabei kommt der Qualifikation als steuerbare Einnahme systematisch der Vorrang zu. Zudem wäre es auch hier unvereinbar mit der Wertung des § 3 Nr. 3 lit. b) EStG, eine steuerfreie Einnahme anzunehmen, aber der Beitragserstattung zugleich durch die Qualifikation als negative Sonderausgabe eine steuererhöhende Wirkung beizumessen.
    30

    IV. Die Berechnung der Steuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten auferlegt.
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    V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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    VI. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Es ist davon auszugehen, dass sich die hier aufgeworfenen Rechtsfragen – die höchstrichterlich noch nicht beantwortet wurden – in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle stellen.
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    VII. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.