03.01.2020 · IWW-Abrufnummer 213351
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 24.10.2019 – 15 K 1700/19 Kg
Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich des Revisionsverfahrens
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G r ü n d e :
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Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum von Februar 2016 bis März 2018.
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Der Kläger ist der Vater des am 12.08.1994 geborenen Sohnes, der nach dem Abitur am 01.08.20013 eine Ausbildung zum Bankkaufmann begonnen hatte und diese am 15.01.2016 erfolgreich abschloss. Bereits im August 2015 hatte sich der Sohn über Weiterbildungswege informiert, insbesondere zum Sparkassenbetriebswirt und zum Bankbetriebswirt. Am 01.09.2016, dem nächstmöglichen Zeitpunkt, begann der Sohn ein Studium zum Bankbetriebswirt (Bachelor of Arts in Business Administration). Während des auf sieben Semester angelegten Studiums nahm er wöchentlich zwei- bis dreimal abends von 18:00 bis 21:15 Uhr sowie samstagsvormittags an Studienveranstaltungen teil. Die nach der Prüfung zum Bankkaufmann aufgenommene Vollzeittätigkeit bei einer Sparkasse setzte er während des Studiums fort. Die Abschlussprüfung legte das Kind erfolgreich im Juni 2018 ab.
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Den im Juli 2017 gestellten Antrag des Klägers, rückwirkend ab 01.02.2016 Kindergeld festzusetzen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.07.2017 ab, weil der Sohno seine Ausbildung am 15.01.2016 beendet habe. Der gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung vom 22.03.2018 erhobenen Klage gab der hiesige Senat mit Gerichtsbescheid vom 29.08.2018 (15 K 1377/18 Kg) statt. Die Prüfung zum Bankkaufmann habe die Erstausbildung nicht verbraucht, sondern stelle einen integrativen Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs dar; daher schließe auch die Erwerbstätigkeit den Kindergeldanspruch nicht aus.
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Auf die Revision der Beklagten hob der Bundesfinanzhof ‒BFH- mit Urteil vom 21.03.2019 III R 56/18 die Entscheidung des hiesigen Senats auf und verwies die Sache an das Finanzgericht ‒FG- zurück. Das FG habe nicht auf der Grundlage der (zwischenzeitlich modifizierten) Grundsätze gewürdigt, ob sich die Berufstätigkeit als Bankkaufmann oder das Studium als Hauptsache darstellten.
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Im 2. Rechtsgang verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zwar habe der Sohn einen unbefristeten Arbeitsvertrag gehabt und sei parallel zum Studium vollzeitbeschäftigt gewesen. Jedoch habe der Arbeitgeber die Erlaubnis erteilt, an Donnerstagen den Arbeitsplatz früher (17:00 Uhr) zu verlassen, habe einen einwöchigen Sonderurlaub sowie zwei weitere Sonderurlaubstage pro Semester gewährt, um dem Studenten die Teilnahme an Vorlesungen von monatlich 30 ‒ 45 Stunden zu ermöglichen. Insgesamt habe der Sohn für das Studium wöchentlich 34 Stunden aufgewandt (9,5 Stunden Präsenz, 4,5 Stunden Fahrzeit, 21 Stunden Vor- und Nacharbeit) ‒ mithin annähernde gleich viel wie für den Arbeitgeber. Zudem sei die Berufstätigkeit Voraussetzung zur Aufnahme des Studiums und zugleich zum Bestreiten des Lebensunterhalts. Mit der parallelen Tätigkeit habe der Sohn zudem die schon zu Schulzeiten angestrebte bestmögliche Qualifikation im Berufsziel des Bankbetriebswirts erreichen wollen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 25.07.2017 und der Einspruchsentscheidung vom 22.03.2018 zu verpflichten, für das Kind ab Februar 2016 bis März 2018 (Monat der Einspruchsentscheidung) Kindergeld in gesetzlicher Höhe festzusetzen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte stellt darauf ab, dass es sich um ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis im ehemaligen Ausbildungsbetrieb handele, das Studium „berufsbegleitend“ durchgeführt werde und es sich um ein Teilzeitstudium handele. Die Erwerbstätigkeit stelle die „Hauptsache“ dar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
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Die Klage ist unbegründet.
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Der angefochtene Ablehnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 101 Satz 1 FGO; die Beklagte hat den Kindergeldanspruch für den Streitzeitraum zu Recht verneint.
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Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes ‒EStG- besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das ‒ wie der Sohn des Klägers ‒ das 21., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wenn dieses für einen Beruf ausgebildet wird.
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In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Be-rufsausbildung oder eines Erststudiums nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstä-tigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentli-cher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäfti-gungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind inso-weit unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
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Liegen ‒ wie in der Konstellation des Streitfalls ‒ mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese dann eine einheitliche Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht wer-den kann. In einem solchen Fall muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat. Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsab-schnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, der-selbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (s. zu weiteren Nachweisen statt vieler: BFH-Urteil vom 11.12.2018 III R 26/18, BFH/NV 2019, 465).
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Zu der zwischen den Beteiligten kontroversen Frage, ob ein Kind eine erstmalige Be-rufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen hat, wenn es ‒ wie der Sohn des Klägers als Bankkaufmann ‒ bereits über einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss verfügt, hat sich in jüngerer Zeit der BFH in einer Reihe von Entscheidungen verhalten und dabei seine bisherigen Rechtsgrundsätze fortentwickelt und präzisiert (s. dazu statt vieler BFH-Urteil vom 11.12.2018 III R 26/18, BFH/NV 2019, 465).
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Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Aus-bildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbil-dungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Be-rufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiter-bildung und / oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Ne-bensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu ent-scheiden, für die vor allem die nachfolgenden Kriterien von Bedeutung sind.
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a) Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, indem es etwa ein zeitlich unbefristetes oder auf jedenfalls mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer re-gelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit eingeht. Ist das Beschäftigungsverhältnis dagegen bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsabschnitts befristet oder überschreitet die regelmäßige Wochenarbeitszeit die 20-Stundengrenze allenfalls geringfügig, kann dies für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen, die noch Teil einer einheitlichen Erstausbildung ist. Für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung kommt es auch darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen zueinander stehen. Da die Summe aus Arbeits- und Ausbildungszeit nicht selten über 40 Wochenstunden liegen wird, kann allein eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von über 20 Stunden noch nicht den Aus-schlag geben.
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b) Weiter ist von Bedeutung, ob das Kind mit der nach Erlangung des ersten Abschlus-ses aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifika-tion nutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Denn ein solcher Sachverhalt spricht dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der beruflichen Weiterbildung oder Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienen. Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre oder handelt es sich bei der Erwerbs-tätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit, kann das für eine im Vor-dergrund stehende Berufsausbildung sprechen.
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c) Darüber hinaus ist in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, inwieweit die Arbeitstä-tigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungs-abschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist und die Beschäfti-gung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt wird. Wird etwa eine Teilzeittätigkeit von regelmäßig 22 Wochenstunden so verteilt, dass sie sich dem jeweiligen Ausbildungsplan anpasst, ist das ein Indiz für eine im Vor-dergrund stehende Ausbildung. Gleiches gilt, wenn das Kind etwa während des Semes-ters maximal 20 Wochenstunden arbeitet, durch eine während der Semesterferien er-höhte Wochenstundenzahl aber auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 20 Wochenstunden kommt. Arbeitet das Kind dagegen annähernd vollzeitig und werden die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt, deutet dies darauf hin, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur "neben der Berufstätig-keit" durchgeführt werden. Schließlich kann von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind.
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Vorliegend ist von einer i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG schädlichen Erwerbstätigkeit nach Abschluss der ersten Berufsausbildung auszugehen, weil nach den dargelegten Maßgaben keine einheitliche mehraktige Berufsausbildung vorliegt. Die vom Sohn des Klägers aufgenommene Berufstätigkeit als Bankkaufmann tritt unter den Umständen des Streitfalls gerade nicht in den Hintergrund, sondern stellt die Hauptsache dar, während die weiteren Ausbildungsmaßnahmen als eine auf Weiterbildung und Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete „Nebensache“ i. S. der BFH-Grundsätze anzusehen sind.
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Der Sohn hat neben dem Studium unbeschadet der Ausbildungszeiten eine Vollzeitbe-schäftigung ausgeübt, was der Berufstätigkeit in gewisser Weise bereits eine das Ge-samtverhältnis prägende Bedeutung verleiht, weil die Bildungsmaßnahme im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt. Das Arbeitsverhältnis war unbefristet und wurde mit 39 Wochenstunden vollschichtig ausgeübt; eine Teilzeittätigkeit lt. BFH hätte bei etwa 22 oder max. 26 Stunden gelegen. Demgegenüber war das Studium als berufsbegleitend ausgestaltet, somit begrenzt auf zwei bis drei Abende und / oder Wochenenden; an Vorlesungszeiten ergaben sich wöchentlich knapp 11 Stunden. Selbst bei Einbeziehung von nennenswerten Zeiten für Vor- und Nachbereitungen ergibt sich nach Aktenlage auch zeitlich gesehen jedenfalls ein Übergewicht der Berufstätigkeit.
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Zudem stand zwar der Studiengang in einem gewissen sachlichen Zusammenhang zur ausgeübten Berufstätigkeit des Sohnes. Indes war die Berufstätigkeit nicht oder jeden-falls nicht derart auf die Studieninhalte abgestimmt, dass ihr infolgedessen eine speziel-le dienende Funktion für das Studium zugekommen wäre. Allein der Umstand, dass der Sohn donnerstags um 17:00 Uhr den Arbeitsplatz verlassen durfte und einige wenige Sonderurlaubstage pro Semester hatte, reicht hier nach den lt. BFH a.a.O. anzulegenden Maßstäben nicht aus.
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Das Übergewicht der Berufstätigkeit des Sohnes gegenüber dem Studium wird im Rahmen der Gesamtabwägung noch dadurch verstärkt, dass er mit der Aufnahme sei-ner beruflichen Tätigkeit gerade seine (Berufs-)Ausbildung zur Grundlage der Erwerbs-tätigkeit gemacht und damit seine berufliche Qualifikation am Markt verwertet hat - und zwar auf der Grundlage eines unbefristeten Arbeitsvertrags. Dass sich das Durchlaufen des Studiengangs als für die weitere Entwicklung und das weitere Fortkommen bei der Sparkasse nützlich oder sogar erforderlich darstellt, ändert nichts daran, dass die Aus-bildungsmaßnahmen der beruflichen Weiterbildung bzw. Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienten.
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Dass die Berufstätigkeit eine Voraussetzung für die Aufnahme des Studiums war und zugleich dem Bestreiten des Lebensunterhalts diente, ist ‒ wie den Gründen etwa des BFH-Urteils vom 11.12.2018 III R 47/17, juris, zu entnehmen ist - als solches kein entscheidungserhebliches Kriterium.
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Unbeschadet des kindergeldrechtlichen Monatsprinzips kommt zu der Frage der mehr-aktigen Berufsausbildung nur eine Gesamtbetrachtung der Bildungsmaßnahme in Be-tracht ‒ mit der Folge, dass auch der Zeitraum nach Bestehen der Prüfung zum Bankkaufmann (Januar 2016) bis zum Studienbeginn im September 2016, in dem der Sohn intern bei der Sparkasse eingesetzt war, nicht isoliert einer anderen Beurteilung zugeführt werden kann.
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Schließlich kann ein Anspruch auf Kindergeld nicht allein deshalb zugesprochen wer-den, weil anderen Kindergeldberechtigten in einer vergleichbaren Situation ein solcher durch die Familienkasse zuerkannt worden sei. Ein solches Recht auf rechtwidrige Kin-dergeldgewährung lässt sich insbesondere nicht aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes herleiten.
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(zum Vorstehenden insgesamt s. auch Urteil des FG Münster vom 12.07.2019 4 K 787/18 Kg, juris). Soweit das FG Münster mit ‒ dem klägerseits zitierten ‒ Urteil vom 14.05.2018 13 K 1161/17 (noch) andere Grundsätze angewandt hatte, sind diese mit der neuen BFH-Rechtsprechung überholt; das FG-Urteil wurde vom BFH aufgehoben (Urteil vom 21.03.2019 III R 40/18, BFH/NV 2019, 1089).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nach Maßgabe des § 115 Abs. 2 FGO im Streitfall nicht zuzulassen, da die Rechtsgrundsätze für die Annahme einer einheitlichen mehraktigen Berufsausbildung durch den BFH soweit prä-zisiert sind, dass die hiesige Entscheidung lediglich in deren Anwendung auf den Ein-zelfall ergeht.