16.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220551
Arbeitsgericht Iserlohn: Beschluss vom 08.09.2020 – 2 BVGa 5/20
1. Ein Anspruch auf Zurverfügungstellung eines Kostenvorschusses im Hinblick auf eine Betriebsversammlung für externe Räumlichkeiten besteht nur dann, wenn ermessensfehlerfrei durch den Betriebsrat eine Entscheidung dahingehend getroffen worden ist, dass eine Betriebsversammlung gemäß § 42 Abs. 1 BetrVG als Präsenzveranstaltung durchzuführen ist. Gemäß der aus Anlass der COVID-19-Pandemie geschaffenen Sonderregelung nach § 129 Abs. 3 BetrVG kann eine Betriebsversammlung mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können.
2. Bei der Entscheidung, ob vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie eine Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung oder mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt wird, ist zu prüfen, ob die Entscheidung für das eine oder das andere Format ermessensfehlerfrei getroffen worden ist. Hierbei ist zum einen zu prüfen, ob die Durchführung einer Präsenzveranstaltung ordnungsbehördlich zulässig ist und zum anderen eine umfassende Abwägung der unterschiedlichen Interessen durchzuführen.
3. Bei einer Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung muss für die überwiegende Mehrheit der dem Betrieb angehörenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenigstens die Möglichkeit bestehen, an der Betriebsversammlung teilzunehmen und ihre Rechte darin auszuüben.
4. Erhebliche Gründe des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Patientinnen und Patienten einer Klinik und der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren können gegen die Durchführung einer Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung sprechen, so dass der Betriebsrat auf die Durchführung der Betriebsversammlung mittels audiovisueller Einrichtungen als milderes Mittel zu verweisen ist.
5. Es ist Aufgabe des Betriebsrats die konkrete Durchführung der Betriebsversammlung zu planen.
Tenor:
Gründe
Der Betriebsrat begehrt zuletzt die Zurverfügungstellung eines Auslagenvorschusses für die Ausrichtung und Durchführung einer Betriebsversammlung im dritten Quartal des Jahres 2020 in einer betriebsexternen Räumlichkeit eines Dritten.
Der Arbeitgeber ist Träger der Sportklinik I in M, bei der es sich um eine orthopädische und unfallchirurgische Spezialklinik handelt, wobei der wesentliche Tätigkeitsschwerpunkt bei Gelenkoperationen liegt. Laut Vortrag des neunköpfigen Betriebsrat sind in dem Betrieb rund 340 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt und laut Vortrag des Arbeitgebers ca. 360 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Im Kalenderjahr 2020 fand bisher vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie noch keine Betriebsversammlung im Betrieb statt.
Mit Schreiben vom 18.6.2020 teilte der Betriebsrat dem Vorstand des Arbeitgebers mit, dass man beabsichtige, am 30.6.2020 eine Betriebsversammlung abzuhalten. Insoweit wird in dem Schreiben vom 18.6.2020 folgendes ausgeführt:
"Sehr geehrter Herr C,
der Betriebsrat möchte zum 30.6.2020 eine Betriebsversammlung abhalten. Da wir zurzeit keine Räumlichkeiten haben, die mit ausreichenden Corona Abstand durchgeführt werden können, haben wir die Schützenhalle am P in M gemietet. Dort passen gut ca. 170 MA rein. Wir bitten um die Kostenübernahme und legen den Kostenvoranschlag bei. Wir erwarten Ihre Zusage so schnell wie möglich, jedoch spätestens bis zum 22.6.2020.
Mit freundlichen Grüßen
Betriebsrat
i.V. N.J
BR-Vorsitzende"
Laut Kostenvoranschlag der Schützenhalle Betriebsgesellschaft UG belaufen sich die Kosten für die Durchführung einer Betriebsversammlung in der Schützenhalle am P in M auf insgesamt 2800 € netto (vergleiche die zur Gerichtsakte gereichte Kopie der E-Mail der Schützenhalle Betriebsgesellschaft UG vom 17.6.2020, Bl. 13 der Akte).
Mit Schreiben vom 23.6.2020 teilte der Arbeitgeber mit, dass er die Durchführung einer Betriebsversammlung in geschlossenen Räumen in Anbetracht der COVID-19-Pandemie für absolut unvertretbar halte. Zudem wird in dem Schreiben am Ende folgendes mitgeteilt:
"(...)
Gerne stehen wir Ihnen für einen konstruktiven Austauschs darüber zur Verfügung, wie kurzfristig eine Betriebsversammlung ohne Gefahr für die Mitarbeiter und den Betrieb stattfinden kann. Im Zusammenhang regen wir auch an, über die neuen digitalen Möglichkeiten zu Durchführung einer Betriebsversammlung, die § 129 BetrVG aus Anlass der COVID-19-Pandemie bietet, nachzudenken."
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie des Schreibens des Arbeitgebers vom 23.6.2020 Bezug genommen (Bl. 14-15 der Akte).
Im Betrieb des Arbeitgebers existiert ein Arbeitsschutzausschuss, in dem nicht nur interne, sondern auch externe Fachkräfte mitbeteiligt sind. Mitbeteiligte dieses Ausschusses ist auch die Betriebsratsvorsitzende. Der Arbeitsschutzausschuss tagte am 24.6.2020 und sprach sich in dieser Sitzung einstimmig gegen Großveranstaltungen, einschließlich Betriebsversammlungen der "Mitarbeiter in unserem Hause" aus (vgl. Bl. 62 der Akte).
Da das Gesundheitsamt des Märkischen Kreises unter dem Eindruck eines damaligen Ausbruchsgeschehens in den Nachbarlandkreisen, u.a. im Hinblick auf die Masseninfektionen in einer Fleischfabrik der Tönnies-Unternehmensgruppe, von der Durchführung der Betriebsversammlung in der Schützenhalle am P in M abriet, verzichtete der Betriebsrat letztlich auf die Durchführung einer Betriebsversammlung im zweiten Quartal des Jahres 2020.
Im Hinblick auf eine erneute Anfrage des Betriebsrats beim Märkischen Kreis hinsichtlich der Durchführung einer Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung teilte der zuständige Amtsarzt des Märkischen Kreises mit, dass der Durchführung einer Präsenzveranstaltung zwar keine formalen Hinderungsgründe aus der Coronaschutzverordnung NRW entgegenstehen würden. Zugleich wurde aber empfohlen, zu Gunsten alternativer Medienformate auf die Vor-Ort-Präsenz zu verzichten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die als Ausdruck zur Gerichtsakte gereichte E-Mail vom 3.8.2020 Bezug genommen (Bl. 16 der Akte).
Nach dieser Mitteilung forderte der Betriebsrat den Arbeitgeber mit Schreiben vom 6.8.2020 zur verbindlichen Übernahme der Kosten für die Durchführung der Betriebsversammlung in der Schützenhalle am P M i.H.v. 2800 € netto auf (vergleiche die zur Gerichtsakte gereichte Kopie des Schreibens vom 6.8.2020, Bl. 17 der Akte). Mit Schreiben vom 13.8.2020 teilte der Arbeitgeber mit, dass er die Durchführung einer entsprechenden Betriebsversammlung zumindest derzeit weiterhin nicht für vertretbar halte und derzeit auch keine Zusicherung der Kostenübernahme erteilen könne (vergleiche die zur Gerichtsakte gereichte Kopie des Schreibens vom 13.8.2020, Bl. 18-19 der Akte). Hierauf reagierte der Betriebsrat mit Schreiben vom 4.8.2020 und bat den Arbeitgeber darum, bis zum 21.08.2020 ein Konzept im Hinblick auf die Durchführung einer Betriebsversammlung auf digitalem Wege vorzulegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie des Schreibens des Betriebsrats vom 4.8.2020 Bezug genommen (Bl. 20-21 der Akte). Der Arbeitgeber teilte mit E-Mail vom 27.8.2020 (vgl. den zur Gerichtsakte gereichten Ausdruck, Bl. 22 der Akte) mit, dass er dem Betriebsrat ein gesamtes Konzept für die digitale Durchführung der geplanten Betriebsversammlung schon vor dem Hintergrund, dass es sich um eine Veranstaltung des Betriebsrats handele, schlecht an die Hand geben könne. Für einen weiteren Austausch über die betrieblichen digitalen Möglichkeiten stehe der Arbeitgeber weiterhin gern zur Verfügung. Es könnten selbstverständlich jederzeit die im Betrieb vorhandenen technischen Möglichkeiten über Microsoft Teams und alternativ über das Videokonferenzsystem Zoom genutzt werden.
Mit seiner am 31.08.2020 beim Arbeitsgericht Iserlohn eingegangenen Antragsschrift begehrt der Betriebsrat die Übernahme der Kosten im Hinblick auf die Durchführung einer Betriebsversammlung in der Schützenhalle am P in M im dritten Quartal des Jahres 2020 in Höhe von 2.800 € netto.
Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren hinsichtlich der Übernahme der Kosten für die Ausrichtung und Durchführung einer Betriebsversammlung im dritten Quartal des Jahres 2020 in der Schützenhalle am P in M zulässig und begründet sei. Der Verfügungsanspruch folge daraus, dass der Arbeitgeber gemäß § 40 BetrVG auch die Kosten zur Abhaltung der Betriebsversammlung zu tragen habe. Die Betriebsversammlung könnte unter Beachtung der Coronaschutzverordnung NRW in der Schützenhalle sicher durchgeführt werden. Eine Präsenzveranstaltung habe immer Vorrang vor der digitalen Durchführung. Nur dann, wenn das tatsächliche Zusammenkommen von Beschäftigten unmöglich sei, könnten Betriebsversammlung mittels Video-Konferenzsystemen oder über das Internet stattfinden. Die Durchführung der Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung sei in jeder Hinsicht zumutbar und durchführbar. Schließlich bestünde auch ein Verfügungsgrund, weil es dem Betriebsrat nicht zumutbar sei, das Ergebnis einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren oder später im Instanzenzug abzuwarten.
Ursprünglich hat der Betriebsrat einen Antrag gerichtet auf eine Kostenübernahme gestellt. Nachdem das Gericht im Kammertermin am 08.09.2020 darauf hingewiesen hat, dass der Anspruch auf Abgabe einer Kostenübernahmeerklärung von den Kosten für die Veranstaltung einer Betriebsversammlung nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden könne, weil es sich bei einer Kostenübernahmeerklärung um eine Willenserklärung handelt, die nur durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung gemäß § 894 S. 1 ZPO ersetzt werden kann, hat der Betriebsrat die Antragsstellung entsprechend angepasst.
Der Betriebsrat beantragt zuletzt,
dem Arbeitgeber aufzugeben, dem Betriebsrat einen Auslagenvorschuss in Höhe von 2.800,00 Euro netto für die Ausrichtung und Durchführung einer Betriebsversammlung im dritten Quartal des Jahres 2020 in der Schützenhalle am P, S straße 6, 5XXXX M zur Verfügung zu stellen.
Der Arbeitgeber beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Der Arbeitgeber ist der Auffassung, dass es ernsthaft im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Patientinnen und Patienten und der Bevölkerung und zur sicheren Aufrechterhaltung des Klinikbetriebs nur richtig sein könne, die Betriebsversammlung audiovisuell durchzuführen
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze und ihre Anlagen sowie die Terminsprotokolle ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren ist zulässig, jedoch unbegründet.
1.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren ist zulässig.
a)
Das Beschlussverfahren ist hier die gebotene Verfahrensart (§§ 2 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 80 ff. ArbGG; 87 Abs. 1 BetrVG). Auch im Beschlussverfahren ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung zulässig (§ 85 Abs. 2 S. 1 ArbGG).
b)
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Iserlohn als Gericht der Hauptsache folgt aus § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG, § 937 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 82 Abs. 2 S. 1 ArbGG.
c)
Der Betriebsrat besitzt die erforderliche Antragsbefugnis, da er die Verletzung in seinem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG geltend macht und eine solche Verletzung auch möglich erscheint.
d)
Ob dem Betriebsrat der als das besondere Rechtsschutzbedürfnis beim einstweiligen Rechtsschutz bezeichnete Verfügungsgrund (vgl. Walker, Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozess und im arbeitsgerichtlichen Verfahren, 1993, Rz 208) zusteht, ist nach Auffassung der Kammer nicht im Rahmen der Zulässigkeit, sondern bei der Frage der Begründetheit des Antrags zu beurteilen. Zwar mag die Ausgestaltung des Verfügungsgrundes als besonderes Rechtsschutzinteresse für seine Einordnung als Zulässigkeitsvoraussetzung bewertet werden (Walker, a.a.O., Rz 209 m.w.N.). Ebenso mag der Wortlaut der §§ 935, 940 ZPO, in denen es ausdrücklich heißt "Einstweilige Verfügungen ... sind zulässig" dafür sprechen. Gegen diese Ansicht lässt sich jedoch einwenden, dass die in den §§ 917 f, 935, 940 ZPO genannten Dringlichkeitsvoraussetzungen für den Erlass von Eilanordnungen nicht verfahrensrechtlicher, sondern materieller Art sind. Unter welchen materiellen Voraussetzungen eine Eilanordnung ergehen darf, ist aber eine Frage der Begründetheit des Gesuchs (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. April 2006 - 7 Sa 29/06)..
2.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, da kein Verfügungsanspruch besteht.
Nach § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG, §§ 935, 938 Abs. 1 ZPO kann das Gericht im Wege der einstweilige Verfügung nach freiem Ermessen bestimmen, welche Anordnungen zur Erreichung des begehrten Zwecks erforderlich sind. Ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG, § 920 Abs. 2, § 936 ZPO).
Es fehlt bereits an dem zum Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsanspruch. Der Betriebsrat hat gegenüber dem Arbeitgeber keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung eines Kostenvorschusses hinsichtlich der Abhaltung einer Betriebsversammlung in der Schützenhall am P in M.
a)
Zwar ist der Arbeitgeber im Grundsatz verpflichtet, die zur Abhaltung der Betriebsversammlung geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls auch die Kosten für externe Räumlichkeiten zu übernehmen (vgl. etwa Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 30. Aufl. 2020, BetrVG § 40 Rn. 113).
Ein Anspruch auf Zurverfügungstellung eines Kostenvorschusses für externe Räumlichkeiten besteht allerdings nur dann, wenn ermessensfehlerfrei eine Entscheidung dahingehend getroffen worden ist, dass eine Betriebsversammlung gemäß § 42 Abs. 1 BetrVG als Präsenzveranstaltung durchzuführen ist. Gemäß der aus Anlass der COVID-19-Pandemie geschaffenen Sonderregelung nach § 129 Abs. 3 BetrVG kann eine Betriebsversammlung mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Bereits aus dem Wortlaut der Norm folgt, dass im Grundsatz ein Auswahlermessen ("kann") hinsichtlich des Versammlungsformats besteht. Die neue Möglichkeit der Durchführung einer virtuellen Betriebsversammlung ist keine zweitrangige, nur als subsidiäre mögliche, sondern eine zu Präsenzveranstaltung gleichrangig hinzutretende (vgl. Klumpp/Holler, Die "virtuelle Betriebsversammlung" nach § 129 Abs. 3 BetrVG, BB 2020, 1272). Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf den Wortlaut des Gesetzes ausdrücklich nur die Einschränkung aufgenommen, dass bei der Durchführung der Betriebsversammlung mittels audiovisueller Einrichtungen sichergestellt sein müsse, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Weitere Einschränkungen dahingehend, dass z.B. Voraussetzung sei, dass kein geeigneter Raum für die Durchführung einer Präsenzveranstaltung zur Verfügung stehe oder dass eine konkrete Gesundheitsgefährdung vorliegen müsse, enthält die gesetzliche Regelung nicht.
Bei der Entscheidung, ob vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie eine Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung oder mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt wird, ist zu prüfen, ob die Entscheidung für das eine oder das andere Format ermessensfehlerfrei getroffen worden ist. Hierbei ist zum einen zu prüfen, ob die Durchführung einer Präsenzveranstaltung ordnungsbehördlich zulässig ist und zum anderen eine umfassende Abwägung der unterschiedlichen Interessen durchzuführen.
b)
In Anwendung dieser Maßstäbe kann zunächst dahinstehen, inwieweit die Durchführung der vom Betriebsrat geplanten Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung in der Schützenhalle am P in M ordnungsbehördlich zulässig ist. Insoweit ist seitens des Landrats des Märkischen Kreises mitgeteilt worden, dass hinsichtlich der Durchführung einer Präsenzveranstaltung im Grundsatz aus der Coronaschutzverordnung NRW keine formalen Bedenken entgegenstehen würden.
Der Betriebsrat hat allerdings ermessensfehlerhaft eine Entscheidung dahingehend getroffen, die Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung durchzuführen.
aa)
Das von dem Betriebsrat entworfene Konzept der Durchführung einer Betriebsversammlung mit max. 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmern leidet bereits an gravierenden Mängeln. Gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 BetrVG besteht die Betriebsversammlung aus den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Betriebs. Da in dem Betrieb des Arbeitgebers mindestens 340 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (nach dem Vortrag der Arbeitgeberin sogar ca. 360 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) beschäftigt sind, ist das vom Betriebsrat angedachte Konzept der Durchführung einer Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung mit max. 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in erheblichem Maße ungeeignet. Hierbei könnte im günstigsten Fall also nur 50 % der Belegschaft die Möglichkeit geboten werden, an der entsprechenden Betriebsversammlung teilzunehmen. Für die Beschlussfähigkeit der Betriebsversammlung ist zwar eine Mindestanzahl von Teilnehmern nicht vorgeschrieben. Die Betriebsversammlung ist daher, sofern sie ordnungsmäßig einberufen ist, auch dann beschlussfähig, wenn nur wenige Arbeitnehmer des Betriebs teilnehmen (Richardi BetrVG/Annuß § 45 Rn. 30). Es muss aber für die überwiegende Mehrheit der dem Betrieb angehörenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenigstens die Möglichkeit bestehen, an der Betriebsversammlung teilzunehmen und ihre Rechte darin auszuüben (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 30. Aufl. 2020, BetrVG § 42 Rn. 39; LAG Saarland, Urteil vom 21. Dezember 1960 - Ta 6/58). Von einer solchen überwiegenden Mehrheit kann bei einer maximal möglichen Anwesenheit von 50 % der Belegschaft unter Berücksichtigung der vom Betriebsrat dargelegten Zahlenwerte nicht ausgegangen werden.
bb)
Darüber hinaus hätte bei einem ermessensfehlerfreien Gebrauch im konkreten Fall die Entscheidung auch nicht zu Gunsten der Durchführung einer Präsenzveranstaltung ausfallen dürfen.
Der Betriebsrat hat sich hinsichtlich der Durchführung einer Präsenzveranstaltung zwar ein Hygienekonzept überlegt. Zugleich moniert er aber, dass der Arbeitgeber ihm kein Konzept hinsichtlich der Durchführung einer Betriebsversammlung mittels audiovisueller Einrichtungen vorgelegt habe. Insoweit ist es zunächst einmal Aufgabe des Betriebsrats die konkrete Durchführung der Betriebsversammlung zu planen. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat insoweit angeboten, die technischen Möglichkeiten bereitzustellen, nämlich die Nutzung von Videokonferenzsystemen, namentlich die von der Microsoft Corporation entwickelte Plattform "Microsoft Teams" oder alternativ das Videokonferenzsystem der Zoom Video Communications Inc.. Laut Herstellerangaben können beispielsweise mit dem Produkt "Zooms Meeting" bis zu 1000 Teilnehmer an einem entsprechenden Meeting teilnehmen (https://support.zoom.us/hc/de/articles/115005474943-Meeting-und-Webinar-im-Vergleich, abgerufen am 08.09.2020). Hierbei hätte die gesamte Belegschaft des Betriebs die Möglichkeit der Teilnahme an einer entsprechenden Betriebsversammlung mittels audiovisueller Einrichtungen und nicht bloß max. 50 % der Belegschaft. Insoweit hat der Arbeitgeber im Kammertermin auch angeboten, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nicht über die technischen Möglichkeiten verfügen, d.h. beispielsweise nicht im Besitz eines Smartphones sind, entsprechend ausgestattet werden, um eine Teilnahme zu ermöglichen. Dementsprechend wäre die Durchführung einer Betriebsversammlung mittels audiovisueller Einrichtungen vorliegend im Grundsatz ein geeignetes Mittel. Da der Betriebsrat nicht im Ansatz irgendwelche innerbetrieblichen Gründe, die die Durchführung einer Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltungen zwingend erforderlich erscheinen lassen könnten, dargelegt hat und auf der anderen Seite erhebliche Gründe des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Patientinnen und Patienten der Klinik und der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren gegen die Durchführung einer Präsenzveranstaltung sprechen, ist der Betriebsrat seitens des Arbeitgebers zu Recht auf die Durchführung der Betriebsversammlung mittels audiovisueller Einrichtungen als milderes Mittel zu verweisen. Das vom Betriebsrat ausgearbeitete Hygienekonzept mag zwar das Infektionsrisiko reduzieren können, hebt es aber nicht auf. Ob ein Hygienekonzept gut gewesen ist oder nicht, kann man letztlich erst bei einem Ausbruchsfall erkennen. Unabhängig von dem Hygienekonzept könnte es allerdings bereits bei der Teilnahme einer einzigen nachweislich mit dem Virus SARS-CoV-2 infizierten Person zunächst zu einer behördlich angeordneten Quarantäne aller anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Betriebsversammlung kommen. Dies würde auf Seiten des Arbeitgebers insbesondere bei einer regen Teilnahme zu einem massiven Personalausfall und entsprechenden massiven organisatorischen Schwierigkeiten im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Klinikbetriebs führen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber nicht über ein entsprechendes Personal verfügt, was er aus anderen Kliniken abziehen könnte. Im Übrigen ist der Virus SARS-CoV-2 auch deshalb so gefährlich, weil eine bereits infizierte Person, die zunächst keine Symptome zeigt, bereits ansteckend sein kann. Dadurch kann sich der Virus unbemerkt ausbreiten. Entsprechend könnten sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer während der Betriebsversammlung auch unbemerkt infizieren und später andere Menschen anstecken, was auch zu einer erheblichen Gefährdung in der Bevölkerung führen kann. Bei einer Anzahl von 170 Personen in Innenräumlichkeiten besteht eine entsprechend große Gefahr, die auch durch ein sehr gutes Hygienekonzept nicht vollumfänglich beseitigt werden kann. Demgegenüber sind vom Betriebsrat keine tragfähigen Argumente dafür angeführt worden, warum eine Betriebsversammlung nicht mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden könnte.