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  • 01.06.2023 · IWW-Abrufnummer 235556

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 27.04.2023 – 7 K 759/21 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster


    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

    1
    T a t b e s t a n d

    2
    Streitig ist, ob Aufwendungen für sog. „Essen auf Rädern“ als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind.

    3
    Der Kläger und seine zwischenzeitlich verstorbene Ehefrau, deren Alleinerbe er ist, wurden im Streitjahr 2019 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt (§§°26, 26b des Einkommensteuergesetzes ‒ EStG ‒). Sie erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte. Beide Eheleute wiesen im Streitjahr einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit Merkzeichen G auf. Bei dem Kläger war der Pflegegrad 2 festgestellt. Bei seiner Ehefrau war ebenfalls zunächst der Pflegegrad 2 festgestellt bzw. ab Oktober 2019 der Pflegegrad 3.

    4
    In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 beantragten der Kläger und seine Ehefrau die Berücksichtigung eines Betrages in Höhe von insgesamt 7.908,13 € als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG. Hierin enthalten war u.a. ein Betrag in Höhe von 1.541,05 € für die Lieferung von Mittagessen, sog. „Essen auf Rädern“, ab Mai 2019 durch die X GmbH & Co. KG bzw. den D e.V. Hierbei handelte es sich um Mahlzeiten wie z.B. „Rindergulasch mit buntem Möhrengemüse“, „Panierte Alaska-Seelachshappen“ oder „Wirsing-Möhren-Eintopf““ (vgl. beispielhaft Rechnung vom 01.07.2019). Die Preise pro Mittagessen/Person inklusive Lieferung beliefen sich ausweislich der in den Akten des Beklagten befindlichen Rechnungen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, im Wesentlichen auf Beträge zwischen 7,00°€ und 8,90 €. In den Rechnungen war jeweils nur dieser Gesamtbetrag für Essen und Lieferung ohne Aufteilung ausgewiesen.

    5
    Mit Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019 vom 17.07.2020 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau die Einkommensteuer auf 318,00 € fest. Die geltend gemachten Aufwendungen für das sog. „Essen auf Rädern“ berücksichtigte er nicht bei den außergewöhnlichen Belastungen. Der Bescheid erging nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

    6
    Der Kläger und seine Ehefrau legten gegen den Bescheid ‒ u.a. aufgrund der Nichtberücksichtigung der Aufwendungen für die Essenslieferungen ‒ Einspruch ein. Sie verwiesen insoweit auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 15.07.2011, Az. 14 K 1226/10 E.

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    Daraufhin erließ der Beklagte am 28.10.2020 einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019. Aufgrund hier nicht streitgegenständlicher Punkte setzte er die Einkommensteuer gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau auf nunmehr 464,00 € fest. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.

    8
    Am 18.11.2020 verstarb die Ehefrau des Klägers. Mit nochmals geändertem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019 vom 21.01.2021 setzte der Beklagte die Einkommensteuer gegenüber dem Kläger auf nunmehr 206,00 € fest. Die Aufwendungen für das sog. „Essen auf Rädern“ berücksichtigte er weiterhin nicht als außergewöhnliche Belastungen. Die berücksichtigten und im Übrigen unstreitigen außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 4.620 € überstiegen die zumutbare Belastung von 1.592 €, so dass ein Betrag in Höhe von 3.028 € zum Abzug kam. Daneben berücksichtigte der Beklagte einen Behindertenpauschbetrag von 2.840 € für beide Eheleute zusammen.

    9
    Mit Einspruchsentscheidung vom 17.02.2021, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wies der Beklagte den insoweit aufrechterhaltenen Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass §°33°EStG den Abzug zwangsläufiger Mehraufwendungen für denjenigen existenznotwendigen Grundbedarf gewährleiste, der sich wegen seiner Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung durch allgemeine Freibeträge entziehe. Voraussetzung für eine Berücksichtigung nach § 33 EStG sei, dass nicht nur die Aufwendungen ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen lägen, sondern dass auch das die Aufwendungen auslösende Ereignis außergewöhnlich sei. Typische Vorgänge der Lebensführung fielen damit aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG heraus. Heute sei es aber sicherlich den typischen Vorgängen der Lebensführung zuzuordnen, Essen nach Hause zu bestellen; dieses geschehe aus Alters- oder Krankheitsgründen oder werde auch anderen Lebensumständen geschuldet. Es handele sich dabei nicht um größere Aufwendungen, als sie der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse, gleichen Familienstandes und gleichen Alters erwachsen. Die streitgegenständlichen Aufwendungen entfielen im Wesentlichen auf die gelieferte Mahlzeit an sich; die Zubereitung und Lieferung lösten üblicherweise nur einen geringen Kostenfaktor aus. Deshalb sei davon auszugehen, dass das gelieferte Essen zu einem Gegenwert führe, der die eigenen Kosten insoweit reduziere. Im Übrigen könnten Aufwendungen für Nahrung nicht als außergewöhnlich angesehen werden. So seien etwa Aufwendungen für Diätverpflegung nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Allgemein gehörten Kosten für die Verpflegung zu den üblichen Aufwendungen für die Lebensführung, gleichgültig, in welcher Höhe sie tatsächlich anfielen. Unterschiede der Lebenshaltungskosten, z.B. in Ballungsgebieten und ländlichen Gemeinden, seien grundsätzlich unbeachtlich. So gelte selbst bei der Heimunterbringung, dass im Rahmen des § 33 EStG nur die Mehrkosten für Unterkunft und Verpflegung, die gegenüber Aufwendungen bei normaler Lebensführung entstehen, eine außergewöhnliche Belastung darstellten. Gleichzeitig ersparte Aufwendungen minderten die außergewöhnliche Belastung. In Abgrenzung zu den Lebenshaltungskosten erwüchsen Krankheitskosten einem Steuerpflichtigen regelmäßig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen könne. Sie gehörten aber nur dann zu den nach § 33 EStG zu berücksichtigenden Aufwendungen, wenn sie zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt würden, die Krankheit erträglicher zu machen.

    10
    Mit der hiergegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren, einen Abzug der Aufwendungen für die Essenslieferungen als außergewöhnliche Belastungen zu erreichen, weiter. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen darauf, dass der Bezug von sog. „Essen auf Rädern“ aufgrund der Krankheitssituation zwangsläufig und somit außergewöhnlich sei. Denn eine eigene Essensversorgung sei nicht mehr gegeben bzw. unfallfrei möglich. Gerade Krankheiten brächten im Alter viele außergewöhnliche Aufwendungen mit sich und seien eben nicht bei der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleich. Beim Kostenfaktor „Essen auf Rädern“ handele es sich um eine Mischkalkulation aus der Zubereitung und Lieferung; diese seien als Gesamtkosten zu betrachten. Im laufenden Klageverfahren hat der Kläger noch eine weitere Rechnung der X GmbH & Co. KG vom 31.12.2019 für sog. „Essen auf Rädern“ über einen Betrag von 291,00 € vorgelegt.

    11
    Der Kläger beantragt,

    12
    den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019, zuletzt geändert am 21.01.2021, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.02.2021 dahingehend zu ändern, dass ein Betrag in Höhe von 1.832,05 € zusätzlich als außergewöhnliche Belastungen abgezogen wird.

    13
    Der Beklagte beantragt,

    14
    die Klage abzuweisen.

    15
    Ergänzend zu seinen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung weist er darauf hin, dass nicht davon auszugehen sei, dass dem Kläger größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse erwachsen seien; denn eine Vielzahl von Menschen verausgabe berufsbedingt Aufwendungen in zumindest ähnlicher Höhe für eine auswärtige Mittagsverpflegung. Eltern, deren Kinder und Jugendliche über Mittag an einem Betreuungsangebot der Kindertagesstätte, Schule oder einer ähnlichen Einrichtung teilnehmen, würden ebenso entsprechende Kosten tragen. Auch eine Vielzahl älterer, gesunder und kranker oder in der Alltagskompetenz eingeschränkter Menschen nutze die Dienste der Essenslieferung. Aufwendungen für Nahrung seien mit dem steuerfrei belassenen Grundfreibetrag abgegolten; es handele sich um Kosten der Lebensführung, wie sie grundsätzlich von allen Steuerbürgern getragen würden. Eine Berücksichtigung der in der nachträglich vorgelegten Rechnung vom 31.12.2019 ausgewiesenen Kosten scheide im Übrigen wohl schon wegen § 11 EStG aus.

    16
    Der Kläger und der Beklagte haben mit Schreiben vom 26.04.2021 bzw. 10.11.2022 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

    17
    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegte Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

    18
    E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

    19
    A. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‒ FGO ‒).

    20
    B. Die Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019, zuletzt geändert am 21.01.2021, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.02.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat es zu Recht ablehnt, Aufwendungen für sog. „Essen auf Rädern“ als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

    21
    Aufwendungen für sog. „Essen auf Rädern“ sind keine außergewöhnlichen Belastungen.

    22
    I. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird nach § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Abs. 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Gemäß §°33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

    23
    II. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

    24
    Zwar mag es zutreffend sein, dass der Kläger und seine zwischenzeitlich verstorbene Ehefrau krankheitsbedingt auf die streitgegenständlichen Lieferungen von Mittagessen angewiesen waren. Allgemein sind Aufwendungen jedoch nicht außergewöhnlich und zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG, wenn sie nicht unmittelbar zur Heilung aufgewendet werden, sondern als Folgekosten gelegentlich einer Krankheit entstehen. Die grundsätzliche Berücksichtigung derartiger mittelbarer Kosten einer Erkrankung würde zu einer nicht vertretbaren steuerlichen Berücksichtigung von Kosten der Lebenshaltung führen, die mit dem Sinn und Zweck des § 33 EStG nicht vereinbar wäre. Bei der Beurteilung, ob Lebenshaltungskosten über § 33 EStG ausnahmsweise steuerlich berücksichtigt werden können, ist ‒ nicht zuletzt wegen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ‒ ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. Bundesfinanzhof -BFH- Urteil vom 16.05.1975 VI R 132/72, BStBl II 1975, 536, m.w.N.).

    25
    Nach ständiger Rechtsprechung des BFH zählen die Kosten für Verpflegung, gleichgültig, in welcher Höhe sie tatsächlich anfallen, zu den üblichen Aufwendungen für die Lebensführung, welche nicht nach § 33 Abs. 1 EStG abziehbar sind (vgl. etwa BFH-Urteil vom 04.11.2021 VI R 48/18, BFH/NV 2022, 120, m.w.N.). Dies gilt ebenso für krankheitsbedingt höhere Verpflegungsaufwendungen, wie sich auch aus der gesetzlichen Regelung des § 33 Abs.°2 Satz 3 EStG ergibt. Hiernach können Aufwendungen, die durch Diätverpflegung entstehen, nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Diese Regelung ist verfassungsgemäß (vgl. BFH-Beschluss vom 09.10.2003 III B 139/02, BFH/NV 2004, 187; Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Nichtannahmebeschluss vom 21.04.2005 2 BvR 2100/03, StE 2005, 322). Dies muss umso mehr für „normale“ Verpflegung wie die im Streitfall gelieferten Mittagessen gelten, welche im Übrigen nach Auffassung des erkennenden Senats preislich im eher üblichen Bereich liegen.

    26
    Nichts anderes kann für den vom Kläger begehrten Abzug der ‒ in den Rechnungsbeträgen enthaltenen, aber nicht separat ausgewiesenen ‒ Lieferkosten gelten. Denn zum einen ist die Inanspruchnahme von Essens-Lieferdiensten mittlerweile in der gesamten Bevölkerung weit verbreitet. Schon vor diesem Hintergrund sind auch diese Kosten nach Überzeugung des erkennenden Senats der allgemeinen Lebensführung zuzuordnen und nicht nach § 33 Abs. 1 EStG abzugsfähig. Zum anderen ist die Zubereitung von Mahlzeiten als Verrichtung des täglichen Lebens vom Behindertenpauschbetrag nach § 33b Abs. 1 Satz 1 EStG Satz 1 abgegolten (vgl. Schüler-Täsch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 33b EStG, Anm. 23 m.w.N.).

    27
    Soweit sich der Kläger auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 15.07.2011 (Az. 14 K 1226/10 E, EFG 2012, 126) beruft, folgt auch hieraus keine andere Wertung. Denn das Finanzgericht Münster hat in dem dortigen Urteil ausdrücklich offen gelassen, ob Aufwendungen für sog. „Essen auf Rädern“ als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG zu berücksichtigen sind.

    28
    C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    29
    D. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Es handelt sich um die Anwendung feststehender Rechtsgrundsätze auf den Einzelfall.