01.08.2024 · IWW-Abrufnummer 242987
Finanzgericht Köln: Urteil vom 24.04.2024 – 3 K 910/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
Tenor:
Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2020 und der Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2020, beide vom 24.05.2022, sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 02.05.2023 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin im Jahr 2020 im Rahmen des von ihr betriebenen Abstrich-/Testzentrums für den Erregernachweis des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Corona-Virus) Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit oder solche aus Gewerbebetrieb erzielt.
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Die Klägerin betrieb im Streitjahr in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) in Z ein Abstrich-/Testzentrum (Testzentrum) für den Erregernachweis des Corona-Virus. Gesellschafter der Klägerin waren zu gleichen Teilen zum einen in einer weiteren Gesellschaft bürgerlichen Rechts die in Z niedergelassenen Allgemeinmediziner Y und Y1 (Y GbR) sowie die in Z niedergelassene Fachärztin für Laboratoriumsmedizin Frau X.
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Der Betrieb des Testzentrums erfolgte außerhalb der originären Praxisräumlichkeiten der Gesellschafter auf einem Grundstück des ...anbieters W eG in Z, einer Genossenschaft zur Herstellung einer .... Die beteiligten Ärzte nahmen die Abstriche im Testzentrum selbst vor. Erforderliche Laborleistungen wurden ausgelagert.
5
Das Testzentrum wurde auf Wunsch des Gesundheitsamtes des Kreises Z in Betrieb genommen, um das Infektionsgeschehen in den Arztpraxen positiv zu beeinflussen, da erkrankte Personen durch die beteiligten Ärzte im Freien getestet werden konnten und nicht mehr die Arztpraxen aufsuchen mussten.
6
Das Abstrichzentrum war zulassungsrechtlich eine Zweigstelle der Praxen der Gesellschafter. Die Leistungen wurden über die Ziffern 92240 und 88240 zur GOÄ (Gebührenordnung der Ärzte) gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KV Nordrhein) abgerechnet.
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Aus dem Betrieb des Testzentrums erklärte die Klägerin für das Streitjahr Einkünfte aus selbstständiger Arbeit i.S.v. § 18 EStG i.H.v. ... €.
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Dieser Erklärung folgte der Beklagte im erstmaligen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte der Klägerin für das Streitjahr vom 04.01.2022.
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Auf der Grundlage der Betriebsprüfungsanordnung vom 22.02.2022 wurde ab März 2022 bei der Klägerin eine Außenprüfung betreffend die Gewerbesteuer, die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen sowie die Umsatzsteuer für das Streitjahr 2020 vorgenommen.
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Im Rahmen des Berichts über die Betriebsprüfung bei der Klägerin vom 12.05.2022 gelangte die Betriebsprüfung zu der Rechtsauffassung, dass die Klägerin keine Einkünfte aus selbstständiger Arbeit nach § 18 EStG durch den Betrieb des Testzentrums erziele, sondern gewerbliche Einkünfte nach § 15 EStG.
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Hierbei stellte die Betriebsprüfung im Wesentlichen darauf ab, dass im Allgemeinen die Testung von Bürgern auf einen direkten Erregernachweis des Corona-Virus ausschließlich dann als Tätigkeit im Sinne des § 18 EStG zu qualifizieren sei, wenn medizinisch freiberufliche tätige Personen diese Testung in ihren Praxisräumen durchführten, in denen sie auch sonst ihrer freiberuflichen Tätigkeit nachgingen. Sofern die Testung außerhalb des originären Praxisbetriebes durchgeführt werde, betätigten sie sich nicht mehr freiberuflich, sondern gewerblich im Sinne des § 15 EStG.
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Diesbezüglich komme im Streitfall hinzu, dass die Durchführung der Tests im Rahmen einer eigens hierfür gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts ‒ der Klägerin ‒ erfolge, d. h. die Testung rechtlich gesehen nicht etwa durch die Y GbR oder das Einzelunternehmen von Frau X durchgeführt werde. Die Tätigkeit der Klägerin stehe in keinem Zusammenhang mit der originären medizinischen Tätigkeit der beiden Allgemeinmediziner und der Laboratoriumsmedizinerin.
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Auch wenn das Testzentrum nur in Betrieb genommen worden sei, um das Infektionsgeschehen innerhalb der Z Arztpraxen positiv zu beeinflussen, ändere dies nichts an der Tatsache, dass es sich insgesamt um eine Tätigkeit handele, die von der jeweiligen originären Arzttätigkeit der Beteiligten losgelöst sei. Es habe sich um eine davon unabhängige Tätigkeit gehandelt, für deren Ausübung auch keine berufliche Qualifikation erforderlich sei. Auch für die zusätzlichen Serviceleistungen wie z.B. die telefonische Mitteilung der Testergebnisse oder eine Beratung hinsichtlich der geltenden Quarantäneregelungen sei keine berufliche Qualifikation erforderlich.
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Auch wenn die Qualität der durchgeführten Testungen im Vergleich zu den von Nichtmedizinern bzw. Laien durchgeführten Tests höher sein sollte, handele es sich dennoch vom Grunde her um dieselbe Tätigkeit.
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Die Tatsache, dass die Testung auf einen bestimmten Personenkreis, wie die von einem Hausarzt überwiesenen oder vom Gesundheitsamt zur Testung verpflichtete Personen, beschränkt sei, rechtfertige keine anderweitige Beurteilung. Zwar sei der zu testende Personenkreis damit auf erkrankte Personen begrenzt, dennoch handele es sich bei der Vornahme von Abstrichen außerhalb der üblichen Praxisräume nicht um ein Produkt der originären Arzttätigkeit.
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Eine Qualifizierung der Einkünfte als solche nach § 18 EStG könne auch nicht damit begründet werden, dass die Abrechnung der Leistungen durch die KV Nordrhein übernommen worden sei und unter der jeweiligen Arztnummer erfolgt sei. Ausweislich eines Merkblatts der KV Nordrhein vom 18.11.2021 hätten nämlich neben den niedergelassenen Vertragsärzten auch Nichtmitglieder der KV Nordrhein Leistungen mit dieser abrechnen können. Zu diesen Nichtmitgliedern zählten unter anderen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 der Testverordnung (TestV), die von den Stellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes als weitere Leistungserbringer beauftragten Dritten, das heißt kommerziell betriebene Testzentren.
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Die Einkünfte aus dem Betrieb solcher Testzentren seien als Einkünfte nach § 15 EStG zu qualifizieren. Der Abrechnung der Leistungen über die KV Nordrhein könne somit keine Bedeutung beigemessen werden.
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Auch die Benennung der Tätigkeit auf Seiten der KV Nordrhein als „Zweitpraxis“ sowie die im Vertrag vorgenommenen Bezeichnung als ärztliche Leistung ändere nichts daran, dass insoweit Einkünfte aus § 15 EStG anzunehmen seien. Denn wie eine Leistung seitens des Vertragspartners bezeichnet werde, sei nicht ausschlaggebend für die steuerliche Beurteilung.
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Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung der Betriebsprüfung änderte der Beklagte mit auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestütztem Bescheid vom 24.05.2022 die erstmalige gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen dahingehend, dass insoweit Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. ... € festgestellt wurden.
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Ebenfalls mit Datum vom 24.05.2022 erließ der Beklagte einen erstmaligen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag und setzte diesen unter Berücksichtigung eines Gewinns aus Gewerbebetrieb i.H.v. ...€ auf ... € fest.
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Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und machte dabei geltend, dass sie der Auffassung sei, dass es sich insoweit um freiberufliche Einkünfte handele. Die Leistungen seien in der Praxis (Zweitpraxis) der beteiligten Ärzte ausgeführt worden. Diese Vorgehensweise sei von der KV Nordrhein gewünscht worden, da dabei die Patienten mit dem Auto hätten vorfahren können, ohne die geforderten Hygienemaßnahmen zu beeinträchtigen. Es sei insoweit streng nach Kassenarztrecht verfahren, behandelt und abgerechnet worden. In der Praxis (Zweitpraxis) sei die Leistung nur von Ärzten erbracht worden, die als Ärzte über eine entsprechende kassenärztliche Zulassung verfügt hätten. Abgerechnet worden sei nach dem EBM bzw. der GOÄ.
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Ein Vergleich mit kommerziellen Abstrichen von Apotheken oder sonstigen Gewerbetreibenden sei nicht möglich, da diese Unternehmen die geforderten Merkmale nicht erfüllen könnten. Dazu seien nur zugelassene Ärzte in der Lage.
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In der Kombination der hausärztlichen sowie der labormedizinischen Expertise habe die Klägerin die Diagnosekapazität in der Fläche auf Wunsch des Gesundheitsamtes des Kreises Z zu Beginn der Pandemie aufgebaut und das Test- und Abstrichzentrum betrieben.
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Es sei unstreitig, dass ausschließlich Ärzte die Abstriche im Testzentrum der Klägerin vorgenommen hätten. Es komme auch nicht darauf an, dass dieselbe Tätigkeit im Testzentrum sowohl von den Gesellschaftern als Ärzte ausgeführt worden sei und von ihren Hilfspersonen, die keine Approbation als Ärzte besäßen, hätte ausgeführt werden können. Denn tatsächlich hätten die Hilfsperson keine Abstriche vorgenommen.
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Die streitgegenständliche Tätigkeit der Klägerin sei Bestandteil einer fachüblichen ärztlichen Diagnostik.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 02.05.2023 wurde der Einspruch der Klägerin vom Beklagten als unbegründet zurückgewiesen.
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Zur Begründung dieser Entscheidung stützte sich der Beklagte im Wesentlichen auf die bereits von der Betriebsprüfung vertretene Rechtsauffassung und führte ergänzend aus, durch die Gründung der Klägerin hätten die Gesellschafter ein selbstständiges gewerbesteuerliches Rechtssubjekt geschaffen. Die Tätigkeit der Gesellschafter der Klägerin müsse daher im Rahmen dieses Steuersubjekts isoliert betrachtet werden. Im Rahmen des Betriebs der Klägerin seien ihre Gesellschafter nur auf dem Gebiet der Durchführung von Abstrichen und Testungen in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Corona-Virus tätig geworden und damit nicht in Ausübung ihres Berufs als Ärzte. Die Tätigkeit der Klägerin stehe daher in keinem Zusammenhang mit der originären medizinischen Tätigkeit der beiden Allgemeinmediziner bzw. der Laboratoriumsmedizinerin. Die Ausübung des ärztlichen Berufs setze gemäß § 2 Abs. 5 Bundesärzteordnung (BÄO) die Ausübung der Heilkunde unter der Bezeichnung Arzt oder Ärztin voraus. Die Berufsbezeichnung Arzt oder Ärztin dürfe gemäß § 2 BÄO nur führen, wer als Arzt approbiert oder nach besonderen Vorschriften zur Ausübung des ärztlichen Berufs befugt sei. Voraussetzung für die Erteilung der Approbation sei gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 BÄO u.a., dass nach einem an bestimmte Voraussetzungen geknüpften Studium der Medizin an einer wissenschaftlichen Hochschule die ärztliche Prüfung bestanden werde. Diese Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass eine Tätigkeit, für deren Ausübung mindestens eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt oder erforderlich sei, nicht die Ausübung eines ärztlichen Berufs darstellen könne und somit auch nicht unter den Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu subsumieren sei.
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So verhalte es sich mit dem Betrieb eines Testzentrums bzw. mit der Vornahme von Abstrichen und Testungen in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Corona-Virus im Rahmen eines von der Arztpraxis getrennten Abstrich- und Testzentrums. Abstriche und Testungen in derartigen Abstrich- und Testzentren hätten auch Personen vornehmen dürfen, die zwar entsprechend geschult worden seien, nicht jedoch zuvor ein Studium der Medizin an einer wissenschaftlichen Hochschule mit anschließender ärztlicher Abschlussprüfung absolvieren mussten. Der erfolgreiche Abschluss eines entsprechenden Studiums mit der Folge, die Berufsbezeichnung Arzt oder Ärztin tragen zu dürfen, sei somit für die Tätigkeit in einem Testzentrum nicht erforderlich. Infolgedessen könne es sich bei dieser Tätigkeit nicht um die Ausübung des ärztlichen Berufs handeln.
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Es sei mithin unerheblich, dass die Abstriche ausschließlich von den beteiligten Ärzten genommen worden seien, da die Tätigkeit der Klägerin für sich zu betrachten sei und diese keinen ärztlichen Beruf oder eine mit der Tätigkeit eines Arztes vergleichbare Tätigkeit ausübe.
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Im Rahmen ihrer hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, dass eine Personengesellschaft keinen Gewerbebetrieb unterhalte, sondern freiberuflich im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG tätig sei, wenn ihre Gesellschafter in ihrer Verbundenheit selbstständig und nachhaltig mit Gewinnerzielungsabsicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnähmen und auch alle Gesellschafter als freiberufliche Mitunternehmer zu qualifizieren seien. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Freiberuflichkeit könnten dabei nicht von der Gesellschaft selbst erfüllt werden, sondern müssten in der Person der Gesellschafter gegeben sein.
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Im Streitfall verwirklichten alle beteiligten Personen als Gesellschafter der Klägerin in ihrer Person die Zulassung zu einem Katalogberuf i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Sie seien approbierte Ärzte. Die Ausübung der Tätigkeit in der Klägerin in Form der Testung auf das Corona-Virus stelle eine Heilbehandlung dar, da es sich um die Erbringung diagnostischer Maßnahmen handele. Die Klägerin und ihre Gesellschafter seien daher im Kernbereich des Berufsbildes eines Katalogberufs tätig.
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Unerheblich sei dabei, dass die für die Klägerin ausgeübte Tätigkeit außerhalb der Praxisräumlichkeiten der Gesellschafter vollzogen worden sei. Für das Gesetz sei der Ort der ausgeübten Tätigkeit kein entscheidungserhebliches Kriterium.
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Unerheblich sei auch, dass die Rechts- und Wirtschaftsordnung akzeptiere, dass die hier betroffene Tätigkeit ‒ das Abnehmen der Abstriche sowie deren labordiagnostische Aufbereitung ‒ auch von Leistungserbringern vorgenommen werden könne, die nicht als Ärzte approbiert seien. Denn § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nominiere keinen Vorbehaltskatalog, nach dem freiberufliche Tätigkeiten nur dann vorliegen könnten, wenn sie ausschließlich von Angehörigen von Katalogberufen oder katalogähnlichen Berufen erbracht würden. Einkünfte aus Tätigkeiten, die nach der Verkehrsanschauung zu den typischen Tätigkeiten eines Berufsbildes gehörten und von Personen erbracht würden, die die vom Gesetz erforderliche berufliche Qualifizierung verwirklichten, seien nach der Regelung des § 18 EStG, insbesondere nach dem Wortlaut dieser Vorschrift, qualifiziert, das heißt nicht als gewerbliche Einkünfte zu qualifizieren.
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Diese Einkünfte würden erst dann zu gewerblichen Einkünften, wenn die ausgeübte Tätigkeit trotz Qualifizierung als berufstypische Tätigkeit nicht durch einen Angehörigen eines Katalogberufs ausgeführt werde. Eine solche Situation liege im Streitfall nicht vor.
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Was zur Berufstätigkeit eines Arztes gehöre und was damit zu den von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfassten Leistungen gehöre, werde weit ausgelegt. Umfasst seien nicht nur unmittelbar gegenüber den Patienten erbrachte Leistungen, sondern auch labormedizinische Leistungen und therapeutische Gutachten und Atteste (auch für Gerichte, Behörden, Versicherungsträger, Arbeitgeber und Arzneimittelunternehmen). Hierbei könne es sich um Diagnosen, die Beseitigung von Leiden oder Krankheiten, um Prophylaxe, um die Erforschung von Krankheiten oder um pathologische Untersuchungen handeln.
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Nach dieser weiten Auslegung gehöre auch die Vornahme von Testungen auf das Corona-Virus, die nach der Corona-Virus Testverordnung i.V.m. der Allgemeinverfügung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW vom 30.12.2020 ausgebracht würden, zu den berufstypischen Leistungen von Ärzten. Auf ein gegebenenfalls geringer ausgeprägtes bzw. angelegtes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient komme es vorliegend nicht an. Denn Ärzte dienten nach § 1 Abs. 1 BÄO nicht nur der Gesundheit des einzelnen Menschen, sondern auch der des gesamten Volkes. Dieser letzte Aspekt trete bei der Bejahung einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite, § 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG), so wie es in der Corona-Pandemie der Fall gewesen sei, in den Fokus der Betrachtung und Qualifizierung ärztlicher Leistungen. Derartige ärztliche Leistungen seien in diesen Situationen weniger von individueller als von systemischer Medizin geprägt. Dass Gesetzgeber und Gesellschaft in diesem Fall derartige Leistungen den ärztlichen Leistungen zuordneten, ergebe sich nachvollziehbar aus der Testverordnung sowie der genannten Allgemeinverfügung.
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Nach der Allgemeinverfügung dürften Testungen in Testzentren (diese dienten der Durchführung von PoC-Antigentestungen) nur nach ärztlicher Einweisung und Schulung vorgenommen werden. Point-of-Care-Testing im Sinne von patientennaher Sofort- und patientennaher Labordiagnostik sei nichts Anderes als medizinische Diagnostik, die, wie oben dargestellt, eine berufstypische Leistung von Ärzten darstelle. Da diese ärztliche Leistung im Rahmen der notwendigen systemischen Medizin auf die Versorgung großer Bevölkerungsgruppen und nicht des einzelnen Patienten ausgerichtet sei, bedürfe es des Einsatzes von angewiesenem und geschultem Personal, um die ärztliche Leistung vervielfachen zu können. Es bleibe aber ärztliche Leistung, die im Streitfall sogar von den Ärzten selbst ausgebracht und nach der GOÄ abgerechnet worden sei.
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Soweit der Beklagte zuletzt behaupte, der Gesellschafter der „Obergesellschaft“, der Y GbR, Herr Y sei in der „Untergesellschaft“, also der Klägerin, überhaupt nicht tätig geworden, so sei dies unzutreffend.
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Die Gesellschafterin der Klägerin Frau X hat hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung den Original-Laptop für die Praxisabrechnungen der Klägerin vorgelegt. Aus diesem Laptop ist ersichtlich, dass die Leistungen der einzelnen Gesellschafter der Klägerin jeweils mit Namenskürzel abgerechnet wurden. Anhand dieser Aufstellung ist ersichtlich, in welchem Umfang die betreffenden Gesellschafter für die Klägerin Testungen erbracht haben.
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Dabei wurde mit den Beteiligten übereinstimmend festgestellt, dass aus den in diesem Laptop aufgerufenen Aufstellungen Leistungen des Seniorgesellschafters, Herrn Y, in einem Umfang zwischen 5% und 10 % ersichtlich sind.
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Die Gesellschafterin der Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung weiterhin dargelegt, dass gelegentlich auch ihr Sohn, seinerzeit Medizinstudent, ihr bei den Testungen geholfen habe. Es sei versucht worden, den Seniorgesellschafter wegen seines fortgeschrittenen Alters und dem damit verbundenen erhöhten Infektionsrisiko nicht allzu häufig für Testungen im Rahmen der Klägerin einzusetzen. Ganz überwiegend sei Herr Y1 tätig gewesen. Gelegentlich habe Frau X ihm gesagt, er solle mal einen Tag Pause machen. An solchen Tagen habe sie dann unter Mithilfe ihres Sohnes die Testungen durchgeführt. Der Sohn habe zu keinem Zeitpunkt allein Testungen vorgenommen.
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Die Gesellschafterin der Klägerin Frau X hat des Weiteren im Termin zur mündlichen Verhandlung auf Befragen dargelegt, dass sowohl bei den Testungen als auch bei der telefonischen Mitteilung der Testergebnisse auch medizinische Fragen, was bei Auftreten von Symptomen im Einzelnen zu veranlassen sei, erörtert worden seien.
43
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
44
Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2020 und den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2020, beide vom 24.05.2022, sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 02.05.2023 aufzuheben,
46
die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären,
47
hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
50
Er weist darauf hin, dass die Klägerin verkenne, dass Testungen von jeder Person, die eine entsprechende Schulung erhalten habe, durchgeführt werden dürften und die allgemeine Auffassung der Gesellschaft die ausschließliche Vornahme von Testungen ohne weitere Untersuchungshandlungen in Testzentrum folglich nicht als ärztliche Tätigkeit einordne und diese somit nicht dem Berufsbild des Arztes zurechne. Die Argumentation der Klägerin, es sei unerheblich, dass die Rechts- und Wirtschaftsordnung akzeptiere, dass die hier betroffene Tätigkeit auch von Leistungserbringern vorgenommen werden könne, die nicht als Ärzte approbiert seien, gehe somit fehl. Die Durchführung von Testungen sei keine dem Arztberuf vorbehaltene oder in besonderer Weise charakterisierende Tätigkeit. Nach der allgemeinen Verkehrsanschauung sei der Betrieb eines Corona-Testzentrum somit als Gewerbebetrieb i.S.v. § 15 EStG anzusehen.
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Im Rahmen der Tätigkeit eines Arztes werde die Testung lediglich dann durchgeführt, sofern diese auch tatsächlich als Teil einer ärztlichen Behandlung erfolge. Dies könne z.B. dann gegeben sein, wenn ein Patient mit möglicherweise krankheitsbedingten Beschwerden bei seinem Hausarzt vorstellig werde, der Hausarzt den Patienten untersuche und im Rahmen dieser Untersuchung eine Testung durchführe. In diesem Fall sei die Durchführung der Testung ein nicht trennbarer Teil der Diagnostik und auch das hierfür gezahlte Entgelt als Betriebseinnahme der Gesamtleistung bei den Einkünften aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu berücksichtigen.
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Werde die Testung jedoch unabhängig von einer ärztlichen Behandlung ‒ für alle Personen, also auch Nichtpatienten ‒ im Rahmen eines Testzentrums angeboten, handele es sich nicht um Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Der reine Abstrich ohne Hinzutreten weiterer Untersuchungshandlungen sei keine ärztliche Tätigkeit, da es sich um einen rein technischen Vorgang handele, der keine ärztliche Fachkenntnis voraussetze. Hinzukomme, dass das für die ärztliche Tätigkeit typischerweise vorhandene Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt bei der reinen Vornahme von Abstrichen in einem Testzentrum fehle. Dabei sei auch unerheblich, dass das Testzentrum bei der Kassenärztlichen Vereinigung als Zweitpraxis geführt werde und die Abstriche im Streitfall von Personen vorgenommen würden, die als Ärzte approbiert seien. Für die Frage, ob die Arbeit des Testzentrums zu freiberuflichen Einkünften führe, komme es nicht schlechthin auf die Aus- und Vorbildung sowie die Berufsbezeichnung des Steuerpflichtigen an, sondern auf die Art der von ihm ausgeübten Tätigkeit.
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Maßgebend sei somit ausschließlich, ob die Vornahme von Testungen im Rahmen eines Testzentrums die Merkmale eines Katalogberufs des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erfülle bzw. diesem ähnlich sei. Der Betrieb eines Testzentrums werde bei den Katalogberufen nicht aufgeführt und sei somit nicht als Katalogberuf anzusehen.
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Er sei auch keinem dieser Berufe ähnlich. Ein ähnlicher Beruf liegen nach der Rechtsprechung des BFH vor, wenn er in wesentlichen Punkten mit einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Katalogberufen verglichen werden könne. Dazu gehöre die Vergleichbarkeit sowohl der Ausbildung als auch der ausgeübten beruflichen Tätigkeit. Die Ähnlichkeit mit einem Heilberuf bestimme sich in der Regel nach dem Berufsbild des Heilpraktikers. Der Tätigkeit eines Heilpraktikers sei die ausgeübte Tätigkeit ähnlich, wenn sie der Ausübung der Heilkunde diene und die Ausbildung als mehrjährige theoretische und praktische Ausbildung auf Grund eines bundeseinheitlichen Berufsgesetzes absolviert werde. Die Tätigkeit „Durchführung von Testungen“ erfordere keine mehrjährige theoretische und praktische Ausbildung, sodass eine Vergleichbarkeit diesbezüglich nicht gegeben sei. Sie diene auch nicht der Heilkunde. Heilkunde sei die Wissenschaft vom gesunden und kranken Funktionszustand des menschlichen, tierischen und pflanzlichen Organismus, insbesondere von den Ursachen und Erscheinungsformen von Krankheiten, deren Erkennung und Behandlung sowie deren Verhütung. Die Durchführung von Testungen stelle sich nicht als die zuvor genannte Wissenschaft dar, da bei dieser Tätigkeit lediglich Teststäbchen in Nase und oder Rachen geführt würden, das Teststäbchen danach in ein Röhrchen mit Flüssigkeit gesteckt und im Anschluss diese Flüssigkeit auf einen Teststreifen getröpfelt werde. Wissenschaftliche Kenntnisse würden bei dieser Betätigung nicht angewendet. Der Betrieb eines Testzentrums sei somit auch nicht mit einem der Katalogberufe vergleichbar.
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Dass für umsatzsteuerliche Zwecke auch die Durchführung von Testungen in Testzentren aus Billigkeitsgründen der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG unterworfen worden sei, sei für die ertragsteuerliche Beurteilung und damit für die Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb und freiberuflicher Tätigkeit unerheblich.
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Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass der Begriff der berufstypischen Leistungen von Ärzten weit ausgelegt werde, übersehe die Klägerin jedoch, dass die Durchführung von Testungen kein Teil der jeweiligen originären Arzttätigkeit sei, im Rahmen derer die Testung auch von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG mit abgedeckt werden könne. Denn die Testungen würden nicht im Rahmen der täglichen Hausarzt-/Laborarzttätigkeit, sondern im Rahmen einer eigenständigen Tätigkeit der Klägerin durchgeführt. Die Tätigkeit sei vielmehr losgelöst von der jeweiligen originären Arzttätigkeit zu beurteilen.
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Keinen Einfluss auf die Qualifizierung der Einkünfte habe dabei, dass das Testzentrum von Ärzten betrieben werde, denn allein die Ausbildung in einem Katalogberuf sei nicht ausreichend, um jede der Tätigkeiten eines Steuerpflichtigen auch als solche des Katalogberufs einzustufen. Gleichzeitig genüge es nicht, wenn ein Steuerpflichtiger eine Tätigkeit ausübe, die auch von Angehörigen des Katalogberufs ausgeübt werde und dort im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu Einkünften aus selbständiger Tätigkeit führe.
58
Entscheidend sei hier somit, ob die konkret ausgeübte Tätigkeit für sich betrachtet die Voraussetzungen eines Katalogberufs oder einer einem Katalogberuf ähnlichen Tätigkeit erfülle. Dabei sei zu beachten, dass die ausgeübte Tätigkeit nicht bloß einen kleinen Ausschnitt aus dem Katalogberuf erfassen dürfe. Vielmehr sei es erforderlich, dass die ausgeübte Tätigkeit auch im vergleichbaren Katalogberuf wesentlicher Bestandteil der Tätigkeit sei. Insgesamt sei dabei jedoch immer auch zu beachten, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung berufstypisch nur solche Tätigkeiten sein könnten, die dem Katalogberuf vorbehalten seien.
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Soweit die Klägerin darauf hinweise, ärztliche Leistungen seien in der Corona-Pandemie weniger von individueller Medizin als von systemischer Medizin mit dem Ziel der Versorgung großer Bevölkerungsgruppen und nicht des einzelnen Patienten geprägt worden, so führe auch dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Eine derartige „Massen- oder Fließbandarbeit“ sei den freien Berufen im Allgemeinen und insbesondere dem Arztberuf und somit der ärztlichen Tätigkeit jedoch wesensfremd. Ein Arzt sei dazu verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und insbesondere sein Handeln in den Dienst des Lebens und der Gesundheit seiner Patienten zu stellen. Dies verlange, dass er sich des einzelnen Patienten mit der gebotenen Sorgfalt annehme und ein geeignetes Therapiekonzept auf Grundlage einer gründlichen ärztlichen Untersuchung bzw. Anamnese erstelle und durchführe. Dies erfolge bei der Durchführung von Testungen in Testzentren gerade nicht.
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Im Übrigen sei festgestellt worden, dass der Gesellschafter der „Obergesellschaft“, der Y GbR, Herr Y in der „Untergesellschaft“, also der Klägerin, überhaupt nicht tätig geworden sei. Dies ergebe sich aus der Korrespondenz der Klägerin mit dem Justitiar des V aus Mai 2022. Sei jedoch eine Personengesellschaft (Obergesellschaft) an einer anderen Personengesellschaft (Untergesellschaft) beteiligt, dann entfalte die Untergesellschaft nur dann eine freiberufliche Tätigkeit, wenn nicht nur die unmittelbar an der Untergesellschaft beteiligten Gesellschafter, sondern auch die über die Untergesellschaft mittelbar beteiligten Gesellschafter durch ihre Mitarbeit in der Untergesellschaft die Merkmale eines freien Berufs erfüllten. Dies sei im Streitfall nicht gegeben.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet.
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Zu Unrecht ist der Beklagte davon ausgegangen, dass es sich bei den von der Klägerin im Streitjahr erzielten Einkünften um solche aus Gewerbebetrieb handelt. Vielmehr hat die Klägerin insoweit Einkünfte aus freiberuflicher ‒ ärztlicher ‒ Tätigkeit erzielt.
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Die angegriffenen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlage sowie über den Gewerbesteuermessbetrag sind daher rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
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I. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG gehört zu den freiberuflichen Tätigkeiten u.a. auch die selbstständige Berufstätigkeit der Ärzte
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Der Tätigkeit als Arzt im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG werden nur berufstypische Tätigkeiten zugeordnet. Die berufstypischen Tätigkeiten und damit das für diese Tätigkeiten jeweils relevante Berufsbild wird im Bereich der medizinischen Berufe vor allem durch die Anforderungen der Berufsordnungen gekennzeichnet, die die Qualität und Länge der erforderlichen Ausbildung sowie die allgemein- und berufsrechtliche Ausgestaltung bestimmen. Daneben kommt aber auch dem Charakter des ärztlichen Berufs, so wie er insbesondere durch die Verkehrsanschauung geprägt wird, und der Stellung und Bedeutung des Berufs im Sozialgefüge eine maßgebliche Bedeutung zu (vgl. Levedag in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, Stand März 2024, § 18 Rn. 151).
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So übt einen Heilberuf nach der allgemeinen Verkehrsanschauung derjenige aus, dessen heilkundliche Tätigkeit der Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen dient. Dazu gehören auch Leistungen der vorbeugenden Gesundheitspflege, die Erstellung von Gutachten sowie die medizinische Forschung (vgl. Wernsmann/Meickmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Stand April 2024, Rn. B 136/137).
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Für die freiberufliche Einkünfteerzielung muss sich die konkret betrachtete Tätigkeit im Rahmen der berufstypischen Tätigkeiten bewegen. Denn insoweit kommt es für die Abgrenzung zwischen gewerblichen oder freiberuflichen Einkünften nicht schlechthin auf die Aus- und Vorbildung und die Berufsbezeichnung an, sondern auf die Art der ausgeübten Tätigkeit (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21.03.1995 XI R 85/93, BStBl. II 1995, 732; vgl. zudem Levedag in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, Stand März 2024, § 18 Rn. 151, 154, 160).
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Durch den Verzicht auf eine gesetzliche Definition der freiberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gewinnt die Verkehrsanschauung bei der Bestimmung der freien Berufe maßgebliche Bedeutung. Auf diese Weise ist das Gesetz für Fortentwicklungen herkömmlicher Berufsinhalte sowie für neue Berufe offen. Im Vordergrund steht die eigenverantwortliche, auf hoher persönlicher Qualifikation beruhende Tätigkeit, für die berufs- und standesrechtliche Regelwerke maßgeblich sind (vgl. Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 13. Auflage 2024, § 18 Rn. 8).
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Zur Abgrenzung der freien Berufe von einem Gewerbebetrieb ist nach der Verkehrsauffassung zu prüfen, ob die für selbstständige Berufe kennzeichnende persönliche Qualifikation und die typischen Berufsinhalte vorliegen. Die konkrete Berufsausübung eines Freiberuflers muss im Übrigen dem Leitbild und dem Charakter der freiberuflichen Tätigkeit entsprechen. Für die Abgrenzung der gewerblichen von der freiberuflichen Tätigkeit genügt es mithin nicht, dass ein Steuerpflichtiger einer Berufsgruppe im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG angehört, die Tätigkeit mit dem Berufsbild eines Katalogberufs nach den berufsrechtlichen Vorschriften vereinbar ist oder die Berufsbezeichnung eine freiberufliche Tätigkeit nahelegt. Vielmehr muss die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit (Kern- oder Vorbehaltstätigkeit) dem Bild eines einzelnen Katalogberufs entsprechen. Liegen einzelne Leistungen außerhalb der nach der Verkehrsanschauung zu bestimmenden für den Freiberufler typischen Berufsinhalte, kommen insoweit oder auch insgesamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Betracht. Die dann eintretende Infektion der an sich freiberuflichen Tätigkeit führt im Einzelfall insgesamt zu gewerblichen Einkünften. Hiernach erzielt ein Angehörige der sogenannten Katalogberufe nur dann Einkünfte im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn es sich um eine berufstypische Tätigkeit handelt (vgl. Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 13. Auflage 2024, § 18 Rn. 39).
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Die Ausübung bestimmter Heilberufe unterliegt § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, sofern es sich mithin um eine berufstypische Tätigkeit handelt. Demgegenüber ist von gewerblichen Einkünften auszugehen, soweit berufsuntypische Aktivitäten entfaltet werden, die über die dem eigentlichen Heilbereich dienenden Hilfsgeschäfte hinausgehen oder Betriebsmittel eingesetzt werden, die nicht als notwendige Hilfsmittel für die eigene ärztliche Berufstätigkeit anzusehen sind (vgl. Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 13. Auflage 2024, § 18 Rn. 55/56). So sind z.B. als berufsuntypische Aktivitäten solche Tätigkeiten anzusehen, die im Wesentlichen Elemente des Handels aufweisen wie bei dem Verkauf von Arzneimitteln, Kontaktlinsen und Hörgeräten, Prothesen und vergleichbaren Hilfsmitteln an Personen, die nicht zu den eigenen Patienten gehören, ebenso Tätigkeiten, die einen betriebswirtschaftlichen Charakter aufweisen, wie die Wirtschafts- und Organisationsberatung durch einen Krankenhausberater oder die eine mehr betriebstechnische Struktur haben, wie die Beratung zur Vermeidung von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen durch einen betrieblichen Sicherheitsbeauftragten (vgl. Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 13. Auflage 2024, § 18 Rn. 56, Levedag in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, Stand März 2024, § 18 Rn. 167 ff., Wernsmann/Meickmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Stand April 2024, Rn. B 142, 144).
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II. Im Streitfall handelt es sich bei der von den Gesellschaftern der Klägerin als approbierte Ärzte durchgeführten Corona-Tests im Wege des Nasen- und/oder Rachenabstrichs um eine diagnostische Vorfeldmaßnahme, die als berufstypische Maßnahme im weitesten Sinne der Feststellung einer Erkrankung dient und damit der heilkundlichen Tätigkeit eines Arztes im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG entspricht.
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1. Seitens des Beklagten wird demgegenüber in Zweifel gezogen, dass die relativ einfache und wenig aufwendige Testung durch die Vornahme eines Abstrichs im Rachen- und/oder Nasenbereich eine Tätigkeit darstellt, die als eine berufstypische heilkundliche Tätigkeit angesehen werden kann. Dabei ist dem Beklagten grundsätzlich dahingehend Recht zu geben, dass die Abnahme eines solchen Abstrichs aufgrund der Einfachheit ihrer Durchführung und Technik sowie der dabei eingesetzten Mittel keine Maßnahme darstellt, die als solche bereits nach der Verkehrsanschauung, so wie diese jedenfalls bis zum Beginn der Pandemie bestanden hat, als eigentliche und wesensprägende ärztliche Tätigkeit anzusehen gewesen sein mag.
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a) Als grundsätzlich berufsuntypische Maßnahme kann sie aber gleichwohl nicht eingeordnet werden. Denn im Umfeld der ärztlichen Tätigkeit gibt es eine Fülle von Hilfstätigkeiten, wie z.B. das Messen des Blutdrucks und von Fieber, das Anlegen von Verbänden und dergleichen, die nicht nur von Ärzten und von medizinisch geschultem Personal wie Krankenschwestern oder Arzthelferinnen erbracht werden können, sondern auch vom Patienten selbst mit zumeist gleichem Erfolg. Lässt sich aber eine wenig anspruchsvolle, einfache Tätigkeit noch im weitesten Sinne dem medizinischen Umfeld zuordnen, hier als Vorbereitungsmaßnahme für die Gewinnung von „Material“ aus den Schleimhäuten der Atemwege zur Durchführung von Laboruntersuchungen in Gestalt der RT-PCR-Tests, so kann es sich dabei nicht um eine schlechthin berufsuntypische ärztliche Tätigkeit handeln. Es handelt sich dann vielmehr um Hilfstätigkeiten und Vorfeldmaßnahmen der Diagnostik, die als solche zwar keine umfassende ärztliche Ausbildung erfordern, auch von nichtärztlichem medizinischen Personal und sogar von gänzlichen Laien erbracht werden können, die aber nicht allein wegen dieser Einfachheit ihres inhaltlichen und strukturellen Charakters als berufsuntypisch angesehen werden können.
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b) Vergleicht man die von den Gesellschaftern der Klägerin als approbierte Ärzte vorgenommenen Abstriche mit denjenigen Betätigungen, die aufgrund ihres berufsfremden Charakters die Schwelle zur gewerblichen Betätigung überschreiten, so wird der letztlich ausschlaggebende Unterschied deutlich. Der Verkauf von Arzneimitteln, Kontaktlinsen, Hörgeräten und anderen Hilfsmitteln stellt eine originäre Handelstätigkeit dar, die der heilkundlichen Tätigkeit des Arztes völlig fremd ist. Ebenso wenig weist die Wirtschafts- und Organisationsberatung eines Krankenhausberaters im Hinblick auf ihre betriebswirtschaftliche Ausrichtung einen ausreichenden Bezug zur berufstypischen Zielsetzung ärztlicher Tätigkeit auf. Dies gilt im Übrigen auch für einen Sicherheitsbeauftragten, der Betriebe und Unternehmen im Hinblick auf technische ‒ und nicht medizinische ‒ Maßnahmen zur Arbeitssicherheit, also zur Verhinderung von Ursachen für Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen, berät. Gerade diese Beispielsfälle einer gewerblichen Betätigung durch approbierte Ärzte zeigen, dass letztendlich entscheidend ist, welchen sachlichen und inhaltlichen Bezug die zu betrachtende Tätigkeit zur berufstypisch heilkundlich ausgerichteten Tätigkeit des Arztes noch aufweist. Und dabei vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die Vornahme der streitbefangenen Abstriche als solche ‒ so schlicht und einfach ihre Ausführung im Hinblick auf Schulung, Technik und Material auch sein mag ‒ den gegenständlichen Bereich der ‒ weit vorgelagerten ‒ Diagnostik verlässt und die Schwelle zur gewerblichen Betätigung überschreitet.
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c) Ebenso wenig vermag der Senat dem Beklagten zu folgen, dass zusätzliche Serviceleistungen der Klägerin wie die telefonische Mitteilung des Testergebnisses oder die Beratung hinsichtlich Quarantäneregelungen ‒ unabhängig wie umfangreich solche Leistungen gewesen sein mögen ‒ insoweit keine Bedeutung haben. In Verbindung mit dem von der Gesellschafterin der Klägerin Frau X im Termin zur mündlichen Verhandlung dargestellten Hygienekonzept und der Angabe, es seien sowohl bei der Testung als auch bei der Mitteilung des Testergebnisses auch medizinische Fragen erörtert worden, wird hier vielmehr nach Auffassung des Senats ein Gesamtpaket von Leistungen der Klägerin erkennbar, die einen eindeutigen Bezug zu den berufstypischen ärztlichen Leistungen aufweisen.
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d) Soweit der Beklagte weiterhin darauf abstellt, dass selbst dann, wenn die Qualität der durchgeführten Testungen im Vergleich zu den von Nichtmedizinern bzw. Laien durchgeführten Test höher sein sollte ‒ was Frau X im Übrigen im Termin zur mündlichen Verhandlung näher dargelegt hat ‒, es sich dennoch um dieselbe Tätigkeit handelt, so verkennt der Beklagte auch insoweit, dass gerade die Beauftragung von Berufsträgern, d. h. von approbierten Ärzten insbesondere im Anfangsstadium der Pandemie ein höheres Maß an Sicherheit und Gesundheitsvorsorge für die gesamte Bevölkerung garantieren konnte. Zwar hat sich in der Folgezeit herausgestellt, dass auch die privatwirtschaftlich organisierten Testzentren nach entsprechender Schulung und Einweisung die notwendigen Qualitäts- und Hygieneanforderungen erfüllen konnten. Nur konnten in der Anfangszeit der Pandemie das Gesundheitsamt sowie die behandelnden Ärzte hiervon gerade nicht uneingeschränkt ausgehen.
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Gerade die Überweisung eines Personenkreises mit Verdachtsmomenten auf eine Infektion mit Corona durch das Gesundheitsamt oder durch die behandelnden niedergelassenen Ärzte machte es vielmehr erforderlich, professionell tätige Berufsträger mit ausreichenden Hygienemaßnahmen und ausreichender Erfahrung bei der Vornahme fachgerechter Abstriche zu beauftragen.
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2. Nimmt man die Ausgangssituation des Streitjahres 2020 hinzu, also den Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland, als die durch den Corona-Virus verursachte konkrete pandemische Gefährdungslage überhaupt noch nicht überschaubar war und die Vornahme von Abstrichen für PCR-Tests noch der einzige Weg darstellte, um individuelle Infektionen zu erkennen und die gesellschaftliche Ausbreitung des Virus zu messen, so wird erkennbar, dass nach der allgemeinen Verkehrsanschauung das von approbierten Ärzten betriebene Abstrich- und Testzentrum als Teil einer originären ärztlichen Betätigung im Bereich der Diagnostik anzusehen gewesen ist. Dies umso mehr, als sowohl das örtliche Gesundheitsamt als auch die örtlichen Arztpraxen das von der Klägerin betriebene, ausgelagerte Testzentrum als wichtige Maßnahme ansahen, zur Vermeidung einer weiteren Ausbreitung des Corona-Virus potentiell infizierte Personen außerhalb der Arztpraxen testen zu lassen.
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Wenn der Beklagte demgegenüber darauf verweist, dass die betreffenden Abstriche auch von nichtmedizinischem Personal nach kurzer Schulung durchgeführt werden konnten, so übersieht er dabei, dass die sogenannten Antigen-Schnelltests erst im März 2021 in die Teststrategie einbezogen wurden und erst ab etwa April 2021 verstärkt privatwirtschaftlich organisierte Testzentren mit medizinisch geschultem Personal diese Schnelltests im Rahmen von mobilen und stationären Testzentren vornahmen, bevor dann nach und nach die Selbsttests zum Standard der Vorsorge wurden.
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Dem Beklagten ist zwar einzuräumen, dass es über die Zeit der Pandemie hinweg zu einer gewissen „Verwässerung“ der heilkundlich basierten und diagnostisch motivierten Testungsmaßnahmen insofern gekommen ist, als nach und nach eine Verlagerung der Abstriche und Testungen aus der rein ärztlichen Sphäre in die privatwirtschaftlich organisierten Abstrich- und Testzentren stattgefunden hat, eine Entwicklung, die ihren Abschluss schließlich darin fand, dass sich die Bürger jederzeit zu Hause und ganz privat mit Hilfe von Antigen-Schnelltests selber testen konnten. Diese Entwicklung war zudem von dem Bestreben geprägt, es jedem Bürger jederzeit vor der Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb seines eigenen Haushalts im privaten (Einkäufe, Familientreffen, Gastronomie- und Kulturbesuche, Behörden- und Arztbesuche, Krankenhaus- und Altenheimbesuche) oder im beruflichen Bereich zu ermöglichen, sich auf eine Infektion hin zu testen, um eine weitere Verbreitung des Virus zu unterbinden. Doch vermag der Senat nicht zu erkennen, dass mit dieser Entwicklung zugleich die Vornahme der Abstriche und Tests durch approbierte Ärzte ihren Charakter als heilkundliche Tätigkeit verloren und sich in eine gewerbliche Betätigung verwandelt hat.
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In Anbetracht der Gesamtumstände des Jahres 2020 mit der etwa ab dem Monat März beginnenden und sich schnell verschärfenden pandemischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland und der Notwendigkeit, in immer größerem Umfang Testungen vorzunehmen, hat das Gericht keine Zweifel, dass unter Berücksichtigung der sich den besonderen Gegebenheiten anpassenden Verkehrsanschauung davon auszugehen ist, dass auch die Vornahme einfacher Abstriche als heilkundliche diagnostische Tätigkeit anzusehen gewesen ist. So standen die Gesundheitsbehörden sowie die ärztlichen Berufsträger im Frühjahr 2020 vor dem Problem, nicht zu wissen, welche Ausmaße die Pandemie im Einzelnen annehmen würde, ganz zu schweigen von der Frage, wie erkrankte Personen wirkungsvoll zu behandeln waren. Die Gesundheitsbehörden und die ärztlichen Berufsträger standen zu diesem Zeitpunkt insbesondere vor der Frage, auf welchem Wege man eine Bevölkerung von knapp 85 Millionen Menschen schnell und zuverlässig testen konnte, ohne das Gesundheitssystem völlig zu überlasten und ohne dass potentiell Infizierte den Erreger auf viele Mitmenschen übertragen konnten. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es mit einer einmaligen Testung ja nicht getan war, sondern dass vielmehr jede zunächst einmal negativ getestete Person nach weiteren Kontakten mit ihrem Mitmenschen im privaten oder beruflichen Umfeld erneut infiziert worden sein konnte und erneut als potentieller Überträger des Corona-Virus in Betracht kam.
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So bestand jedenfalls im Streitjahr 2020 nach Beginn und der immer stärkeren Ausbreitung der Pandemie ein ganz erhebliches Bedürfnis dafür, dass sach- und fachgerechte und mithin aussagekräftige Abstriche und Testungen auf eine Infektion mit dem Corona- Virus durch ärztliches Personal bzw. durch ärztliche Berufsträger vorgenommen wurden und dabei insbesondere auch darauf geachtet wurde, dass es dabei nicht zu weiteren Infektionen kam. So hat auch die Gesellschafterin der Klägerin darauf hingewiesen, welch aufwendiges Hygienekonzept beim Betrieb des Abstrichzentrums durch die Gesellschafter der Klägerin beachtet werden musste.
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3. Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass der Umstand, dass die Gesellschafter der Klägerin das von ihnen betriebene Abstrichzentrum im Rahmen einer eigenständigen und für diese Tätigkeit gegründeten Gesellschaft durchgeführt haben, dazu führt, dass eine gewerbliche Tätigkeit gegeben ist, mithin ein selbständiges gewerbesteuerliches Rechtssubjekt entstanden ist.
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a) Abgesehen von der Frage, dass es schon etwas befremdlich wirkt, dass eine berufstypische ärztliche Tätigkeit, so sie denn im Rahmen einer herkömmlichen ärztlichen Praxis ausgeführt wird, ihre Rechtsnatur dann verändern soll, wenn sie nunmehr im Rahmen einer eigenständig hierfür gegründeten und ausschließlich für diese Tätigkeit in Betrieb gesetzten Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausgeübt wird, steht der Senat auf dem Standpunkt, dass nicht die Rechtsform, in dem die betreffende Tätigkeit von den Berufsträgern ausgeübt wird, für die einkommensteuerliche Qualifikation ausschlaggebend sein kann. Insofern muss vielmehr der sachliche Gegenstand dieser Tätigkeit entscheidend sein. Soweit diese einen ausreichenden Bezug zur berufstypischen ärztlichen Tätigkeit aufweist und dem Leitbild der freiberuflichen Tätigkeit entspricht, kann der Umstand, dass diese mit einem berufstypisch heilkundlichen Inhalt ausgestattete Tätigkeit nicht im Rahmen einer ärztlichen Praxis vollzogen wird, sondern im Rahmen einer Ausgliederung und mithin einer hierfür eigenständig errichteten Gesellschaft, nicht ausschlaggebend für die Beurteilung der Frage sein, ob es sich um freiberufliche oder gewerbliche Tätigkeiten handelt.
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Von daher kann der Argumentation des Beklagten, innerhalb der Klägerin seien deshalb keine ärztlichen Leistungen erbracht worden, sondern nur Leistungen, die weder eine heilberufliche Ausbildung voraussetzten noch als berufstypische ärztliche Tätigkeit anzusehen seien, nicht gefolgt werden. Aufgrund des Umstands, dass die Abstriche als ‒ wenn auch weit vorgelagerte ‒ Vorstufe ärztlicher Diagnostik anzusehen sind, hat auch die Tätigkeit der Klägerin insgesamt nicht den Charakter einer gewerblichen Betätigung gewonnen.
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b) Der Beklagte hat auch darauf verwiesen, dass der Unterschied gerade darin bestehe, dass die Gesellschafter der Klägerin in dem Abstrich- und Testzentrum gerade nicht ihre eigenen Patienten testeten oder behandelten, sondern alle Personen, die einen Test machen wollten oder mussten. Die Klägerin sei damit unabhängig und völlig losgelöst von einer ärztlichen Behandlung tätig geworden, sondern habe auch von Nichtpatienten Proben genommen. Der reine Abstrich ohne Hinzutreten weiterer Untersuchungshandlungen sei jedoch keine ärztliche Tätigkeit, da es sich um einen reinen technischen Vorgang handele, der ohne jegliche heilkundliche Vor- und Fachkenntnisse vorgenommen werden könne und während der Pandemie auch tatsächlich in großem Umfang von nichtärztlichen Teststellen praktiziert worden sei.
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Demgegenüber vernachlässigt der Beklagte jedoch die bereits dargestellte Ausnahmesituation zu Beginn der Pandemie und im gesamten Streitjahr 2020. Bei der auf Wunsch des Gesundheitsamtes erfolgten Auslagerung der Abstriche und Testungen aus den Arztpraxen und der Durchführung durch approbierte Ärzte ging es um die Eindämmung des Infektionsgeschehens. Dass dabei kein Vertrauensverhältnis zwischen den Gesellschaftern der Klägerin und den Testpersonen aufgebaut werden konnte, ist dieser Ausnahmesituation geschuldet gewesen, spricht hingegen nicht gegen eine berufstypische Betätigung der Gesellschafter der Klägerin. Abgesehen davon weiß der Senat aus eigener Erfahrung, dass in dieser Zeit auch Ärzte nur für diesen Abstrich und den sich daran anschließenden Untersuchungsbefund in ihren Praxen aufgesucht wurden, ohne dass hieran ein engeres bzw. intensiveres Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient geknüpft wurde.
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c) Bei den Gesellschaftern der Klägerin handelt es sich um Berufsträger, d. h. also um approbierte Ärzte, die bei der Vornahme der Abstriche und Testungen auf einer zugegebenermaßen relativ niedrigen und recht einfach ausgestalteten Vorstufe des diagnostischen Gesamtprozesses zur Feststellung einer Infektion mit dem Corona-Virus eingeschaltet waren. Auch wenn diese dem eigentlichen Analyseprozess zur Infektionsfeststellung weit vorgelagerte Tätigkeit losgelöst von der jeweiligen originären Arzttätigkeit der Gesellschafter der Klägerin gewesen sein mag, so entfernt sie sich jedoch nicht in einem derartigen Ausmaß von der berufstypischen Betätigung im Bereich der Diagnostik, dass damit die Schwelle zur gewerblichen Betätigung überschritten werden würde.
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Im Gegenteil geht der Senat davon aus, dass das Gesundheitsamt die Gesellschafter der Klägerin gerade aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation als approbierte Ärzte gebeten hat, das Abstrich- und Testzentrum zu betreiben, um hierdurch die sach- und fachgerechte Abnahme von Proben sicherzustellen, die für entsprechend aussagekräftige Testergebnisse unverzichtbar erforderlich gewesen sind, um das Infektionsgeschehen zuverlässig beurteilen zu können und seine weitere Ausbreitung, wenn schon nicht verhindern, dann doch beschränken zu können.
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Diese Zielsetzung wurde insbesondere auch dadurch verfolgt, dass die Klägerin schwerpunktmäßig mit der Testung von Personen beauftragt wurde, bei denen bereits der Verdacht einer Infektion aufgetreten war und bei denen es insbesondere darum gegangen ist, diese von den allgemeinen Arztpraxen im Stadtgebiet Z fernzuhalten, um eine weitere Ausbreitung der Infektion zu unterbinden.
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d) Soweit der Beklagte mithin darauf abstellt, dass es sich bei dem Betrieb der Klägerin um eine Tätigkeit gehandelt habe, die von der jeweiligen originären Arzttätigkeit der Gesellschafter in ihren Praxen losgelöst gewesen sei und für die auch keine berufliche Qualifikation erforderlich gewesen sei, so bedeutet dies somit nicht, dass damit jeglicher Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit der Gesellschafter der Klägerin verloren gegangen ist. Insofern hat sich das von der Klägerin betriebene Testzentrums, das auf Bitten des Gesundheitsamtes eingerichtet worden ist, allein darauf beschränkt, das Risiko der Infektion durch bislang nicht erkennbar infizierte Personen einzuschränken. Diese Beschränkung der ärztlichen Diagnostik auf einen solchen Abstrich bzw. die Testung als Vorstufe für den eigentlichen PCR-Test und die eigentliche Diagnostik im Labor beinhaltet dessen ungeachtet einen ausreichenden sachlichen und gegenständlichen Bezug zur ärztlichen Tätigkeit im Sinne der Diagnostik.
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4. Soweit der Beklagte schließlich darauf hingewiesen hat, nach seinen Erkenntnissen sei der Seniorpartner der Obergesellschaft, der Y GbR, Herr Y in der Untergesellschaft, also der Klägerin, gar nicht tätig geworden, sodass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. z.B. Urteil vom 04.08.2020 VIII R 24/17, BStBl. II 2021, 81) davon auszugehen sei, dass die Klägerin als Untergesellschaft nicht freiberuflich tätig geworden sei, so ist auch dieser Einwand nicht durchgreifend.
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Zwar trifft es zu, dass nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs eine Untergesellschaft ‒ im Streitfall die Klägerin ‒ Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nur dann erzielt, wenn neben den unmittelbar an ihr beteiligten natürlichen Personen alle mittelbar beteiligten Gesellschafter der Obergesellschaft über die persönliche Berufsqualifikation verfügen und in der Untergesellschaft zumindest in geringfügigem Umfang leitend und eigenverantwortlich tätig sind.
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Aus den von der Gesellschafterin der Klägerin Frau X im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgestellten Abrechnungsunterlagen ist jedoch ersichtlich, dass Herr Y als Gesellschafter der Obergesellschaft zumindest in einem Umfang von 5-10 % Abstriche bzw. Testungen für die Klägerin vorgenommen hat. Dieser festgestellte Umfang der Mitarbeit von Herrn Y war im Termin zur mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten unstreitig.
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Damit hat Herr Y in zumindest geringfügigem, damit aber ausreichenden Umfang in der Klägerin leitend und eigenverantwortlich mitgearbeitet.
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5. Soweit sich im Termin zur mündlichen Verhandlung noch herausgestellt hat, dass der Sohn der Gesellschafterin Frau X, selbst Medizinstudent, teilweise bei den Abstrichen und Testungen mitgearbeitet hat, so ergibt sich aber auch aus dieser Erkenntnis nichts im Sinne des Beklagten.
98
Wie Frau X in vom Beklagten nicht bestrittener Art und Weise vorgetragen hat, hat der Sohn aber zu keinem Zeitpunkt alleine und selbstständig die betreffenden Testungen vorgenommen, sondern allein unter ihrer Mitwirkung und Aufsicht. Insoweit sind aber auch zugleich die Vorgaben des Bundesfinanzhofs gewahrt, wonach die Tätigkeiten innerhalb einer Freiberuflergesellschaft nicht leitend und eigenverantwortlich von berufsfremden Personen durchgeführt werden können (vgl. Schmidt/Wacker, EStG, 43. Auflage 2024, § 18 Rn. 23 ff mit Nachweisen zur Rspr. des BFH).
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Die Mitarbeit von fachlich vorgebildeten Arbeitskräften ist nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG darüber hinaus insoweit unschädlich, solange der Angehörige eines freien Berufs aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.
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Unabhängig von der Frage, ob es sich beim Sohn der Mitgesellschafterin Frau X um eine fachlich vorgebildete Arbeitskraft handelt, sind jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Gesellschafterin Frau X trotz der Hilfstätigkeit ihres Sohnes die Abstriche und Testungen nicht weiterhin leitend und eigenverantwortlich durchgeführt hat.
101
III. Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2020 und der Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2020, beide vom 24.05.2022, sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 02.05.2023 sind daher aufzuheben,
102
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
103
V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
104
VI. Über die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO zu entscheiden.
105
VII. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da die Frage, ob Ärzte im Rahmen eines von ihnen betriebenen Corona-Testzentrum freiberufliche oder gewerbliche Einkünfte erzielen, umstritten ist und einer höchstrichterlichen Klärung zugeführt werden sollte.