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  • 21.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243327

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 01.02.2024 – 1 K 1855/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Baden-Württemberg 

    Urteil vom 01.02.2024


    In dem Finanzrechtsstreit
    Kläger
    - Kläger -
    prozessbevollmächtigt:
    gegen
    Finanzamt
    - Beklagter -

    wegen Einkommensteuer 2018

    hat der 1. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2024 durch
    xxx
    für Recht erkannt:

    Tenor:

    1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

    Tatbestand

    Streitig ist der Abzug von außergewöhnlichen Belastungen (agB) im Jahr 2018 (Streitjahr) i.H. von 191.567 Euro.

    1. Der unverheiratete Kläger, geb. am XX.XX.XXXX, ist A.

    Mit notariellem Kaufvertrag vom XX.XX.XXXX erwarb er ein mit einem freistehenden Einfamilienhaus (Baujahr XXXX) bebautes Grundstück in der a Straße 1 in B zu einem Kaufpreis von insgesamt 565.000 DM (Flurstück-Nr. XXX C; Grundstück X m2; ...). Die Gesamtwohnfläche betrug X m2 (...).

    Die erste Etage mit X Zimmern, Diele und einem Bad wurde an die D GmbH, deren Gesellschafter-Geschäftsführer der Kläger war, vermietet (X m2; vgl. Mietvertrag vom XX.XX.XXXX, ...). Die Gesellschaft wurde im Jahr XXXX liquidiert und am XX.XX.XXXX im Handelsregister gelöscht (Handelsregister des Amtsgerichts --AG-- E HRX XXX).

    2. Am XX.XX.XXXX ließ der Kläger das Schlafzimmer des Wohngebäudes baubiologisch von Diplom-Ingenieur F (Baubiologe VDB, b Straße 2 in E) --dem Zeugen-- untersuchen, welcher mit "Kurzbericht" vom 24.03.2017 ausführte (...):

    "Ergebnisse

    - Die Raumluftmessung auf Holzschutzmittel ergab den Nachweis einer leicht auffälligen Lindan-Konzentration.

    - Die Raumluftmessung auf Formaldehyd und weitere Aldehyde ergab aus baubiologischer Vorsorgesicht den Nachweis einer hohen Formaldehydkonzentration (0,112 ppm).

    - Die Raumluftmessung auf Chloranisole ergab den Nachweis einer leicht über der in der Fachliteratur veröffentlichten Geruchsschwelle liegenden Konzentration an Trichloranisol, die ich auch beim Ortstermin als leichte Geruchsauffälligkeit in Teilbereichen wahrgenommen habe. Nach unserem Wissen kann hier jedoch noch nicht von einem Gesundheitsrisiko ausgegangen werden.

    - Die Raumluftmessung auf Essigsäure ergab den Nachweis einer unauffälligen Raumluftkonzentration.

    Fazit

    - Es wird auch Bezug genommen auf die bei der Begehung während des Ortstermins gemachten Hinweise.

    - Es werden Minimierungsmaßnahmen empfohlen, um insbesondere die Schadstoffkonzentration (Formaldehyd und Lindan) als auch die Geruchsauffälligkeit zu minimieren.

    - Folgende Reduzierungsmaßnahmen können zum Beispiel in Frage kommen: Abdichtungen von Öffnungen und Fugen in den Wänden und an den Bauteilanschlüssen und Abdichtungen der Wand- und Deckenoberflächen. Installation dezentraler Lüftungsgeräte oder einer Lüftungsanlage. Für die Planung der Minimierungsmaßnahmen wären noch weitere Erkundungen erforderlich. Ich schlage vor -wenn Sie dies wünschen- einen weiteren Ortstermin hierfür durchzuführen."

    3. In einem ärztlichen Attest vom XX.XX.2017 führt G, c Straße 3 in B (Facharzt für Innere Medizin - Hausärztliche Versorgung) aus, dass der Kläger unter (...) leide, wenn er sich --insbesondere in den Herbst- und Wintermonaten-- in seinen Wohnräumen aufhalte. Diese Beschwerden seien bei Geschäfts- und Urlaubsreisen auch im Winter "praktisch weggeblasen". Der Zusammenhang mit dem häuslichen Raumklima sei durch Baugutachten zur Schadstoffbelastung mit Formaldehyd belegt. Um gesundheitlichen Schaden abzuwenden, riet er dem Kläger "wenn möglich" zur Sanierung oder zum Umzug, wobei eine solche Immobilie unverkäuflich sei. Durch eine Sanierung bzw. einen Teilabriss entstehende Kosten seien im "im weiteren Sinne ... Gesundheitskosten" (...).

    4. Der Kläger beantragte Ende des Jahres 2017 den Abbruch des bestehenden Wohngebäudes auf einem Bestandskeller sowie den Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage. Die Stadt B genehmigte das Vorhaben mit Baugenehmigung vom XX.XX.2018 (..). Der Neubau war im Streitjahr "bewohnbar" (...).

    Hierfür entstanden Aufwendungen i.H. von 259.399,96 Euro (...):

    Maßnahme    Aufwendungen
    Genehmigung Neubau Wohnhaus    1.780,00 Euro
    Statikberechnung/Standsicherheit Bestandskeller    714,00 Euro
    Ausbau Gaszähler wegen Abbrucharbeiten    64,26 Euro
    Abbruch altes Wohnhaus    19.592,16 Euro
    Erstellung Fundamenterder    163,97 Euro
    Miete Baumaschinen    401,68 Euro
    Isolierung und Trockenestrich Fußboden OG    2.483,40 Euro
    Fußbodenheizung OG    3.200,00 Euro
    Wandfarbe OG    276,07 Euro
    Bauherrenhaftpflichtversicherung    152,62 Euro
    Duschelement OG    195,41 Euro
    Trockenbauarbeiten    90,00 Euro
    Baumaterial    454,73 Euro
    Drückerplatte Bad OG    38,80 Euro
    Baumaterial    307,08 Euro
    Trockenbaumaterial    387,79 Euro
    Fußbodenbelag (Laminat)    2.065,60 Euro
    Baumaterial allgemein    47,00 Euro
    Badzubehör    335,53 Euro
    Rechnung neues Haus (...)    224.661,00 Euro
    Rechnung Inbetriebnahme Fußbodenheizung OG    535,50 Euro
    Rechnung Gebühr Zählerwechsel Elektro    101,15 Euro
    Verkleidung Carport    88,94 Euro
    Gebühr Stadt B, Straßensperrung    337,35 Euro
    Türen EG    726,70 Euro
    Einbauschrank EG    200,22 Euro
    Summe    259.399,96 Euro

    Die Zahlung der Aufwendungen erfolgte im Streitjahr (...).

    Die Gesamtwohnfläche des neuen Gebäudes beträgt nach Angaben des Bevollmächtigten X m2 (wobei in der Wohnflächenberechnung X m2 angegeben sind; ...). An die D GmbH vermietete der Kläger fortan eine Fläche von X m2 (...).

    5. In seiner Einkommensteuererklärung für 2018 vom 28.09.2019 machte der Kläger Aufwendungen i.H. von 191.567 Euro (259.399,96 Euro x 73,85%) als agB wegen eines Neubaus aufgrund einer Formaldehydbelastung geltend (...). Bei der Ermittlung der Verhältniszahl ging der Kläger von einer Gesamtwohnfläche von X m2 und einer davon vermieteten Fläche von X m2 aus.

    Die restlichen Aufwendungen von 67.833 Euro (259.399,96 Euro x 26,15%) ordnete der Kläger den für "gewerbliche/berufliche Zwecke" dienenden Gebäudeteilen als Herstellungskosten zu und schrieb diese mit einem AfA-Satz von 2% ab (...).

    6. Mit Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 30.04.2020 lehnte der Beklagte (das Finanzamt --FA--) den Abzug der geltend gemachten agB ab (...).

    Eine konkrete Gesundheitsgefährdung sei nicht durch ein amtlich technisches Gutachten, in dem eine Formaldehydkonzentration in der Innenluft von über 0,1 ppm bestätigt werde, nachgewiesen worden. Auch könne nicht belegt werden, dass die Schadstoffbelastung tatsächlich gesundheitliche Beeinträchtigungen verursacht habe.

    7. Hiergegen legte der Kläger am 12.05.2020 Einspruch ein.

    Die baubiologische Untersuchung des Zeugen belege, dass die Formaldehydbelastung den zulässigen Grenzwert überschreite. Daher seien die Kosten der Neuherstellung des Hauses als agB anzuerkennen (...).

    Die Untersuchung sei nur für das Schlafzimmer erstellt worden, da eine Begutachtung weiterer Zimmer des gesamten Hauses kostenintensiv gewesen wäre. Da das bestehende Objekt überall aus den gleichen Materialien bestehe, reiche der Test in einem Raum aus. Eine Sanierung hätte 150.000 € gekostet. Dennoch wäre es nicht gelungen, ein kontaminiertes Haus ganz abzudichten. Die Gesundheitsgefährdung wäre immer noch vorhanden gewesen und im Laufe der Zeit, bei einer Ermüdung des Materials, immer schlimmer geworden. Da ein Verkauf des Hauses nicht möglich gewesen sei und eine Sanierung nicht zum Ziel geführt hätte, habe er das Haus abreißen und neu bauen müssen (...).

    8. Mit Einspruchsentscheidung vom 20.07.2021 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen (...).

    Zum Nachweis der Voraussetzungen von agB bei einer Formaldehydbelastung müssten die Quellen der Ausgasungen in einem Gutachten präzise beschrieben werden. Außerdem müsse nachgewiesen werden, welche Maßnahmen für die Sanierung erforderlich seien. Die vorgelegten Nachweise reichten hierfür nicht aus. Es liege lediglich ein technisches Gutachten vor, welches das Schlafzimmer beurteile und dort Mängel gefunden habe. Demgegenüber seien keine Mängel im übrigen Gebäude festgestellt worden. Außerdem sei nicht detailliert festgestellt worden, aus welchen Bauteilen die Ausgasungen stammten (z.B. Holzwände, -böden oder aus dem Ständerwerk). Pauschal zu behaupten, dass das Gebäude in allen Räumen mit denselben Materialen erstellt worden sei, genüge nicht.

    Überdies empfehle das Gutachten gerade nicht den vollständigen Abriss und Neubau des gesamten Gebäudes. Es würden vielmehr die Abdichtung sowohl von Öffnungen und Fugen in den Wänden und an den Bauteilanschlüssen als auch von Wand- und Deckenoberflächen als Lösung vorgeschlagen. Zudem werde die Installation dezentraler Lüftungsgeräte oder einer Lüftungsanlage in Erwägung gezogen. Für die Planung der Minimierungsmaßnahmen sei ein weiterer Ortstermin für erforderliche zusätzliche Erkundungen vorgeschlagen worden, welchen der Kläger aber nicht vereinbart habe.

    Zudem trage der Kläger die Feststellungslast für die Tatsachen, die eine Steuervergünstigung dem Grunde und der Höhe nach begründeten. Kläre er die steuermindernden Umstände nicht hinreichend auf und erfülle er die ihm obliegenden Darlegungs- und Nachweispflichten nicht in ausreichendem Maße, trage er den Nachteil einer verbleibenden Ungewissheit.

    9. Hiergegen erhob der Kläger am 03.08.2021 die vorliegende Klage und begründet diese im Wesentlichen mit seinem Vortrag aus dem Einspruchsverfahren (...).

    10. Er beantragt,

    den Bescheid über die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 2018 vom 30.04.2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.07.2021 zu ändern und die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 2018 festzusetzen auf 0,00 €.

    11. Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    12. Der Berichterstatter hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 14.12.2023 erörtert (...).

    13. Der erkennende Senat hat Diplom-Ingenieur F in der mündlichen Verhandlung am 01.02.2024 aufgrund eines Beweisbeschlusses vom 19.12.2023 als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die hierüber in der mündlichen Verhandlung erfolgte Tonaufzeichnung verwiesen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Unterlagen sowie auf die Behördenakten (ESt-, Rb- und Allgemeine Akte) und die Gerichtsakten Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    1. Die Klage ist unbegründet.

    Der Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 30.04.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.07.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

    a) Nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (agB) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

    Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11.11.2010 - VI R 17/09, BStBl II 2011, 969, Rz. 12 m.w.N.).

    aa) Aufwendungen, die im Zusammenhang mit Gegenständen des existenznotwendigen Bedarfs stehen, können agB sein.

    Gehen von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs konkrete Gesundheitsgefährdungen aus, entstehen die Aufwendungen zur Beseitigung dieser Gefährdung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig und sind deshalb grundsätzlich als agB abziehbar (BFH-Urteile vom 09.08.2001 - III R 6/01, BStBl II 2002, 240 [BFH 09.08.2001 - III R 6/01] - Aufwendungen für die Asbestsanierung der Außenfassade eines Wohnhauses; vom 23.05.2002 - III R 52/99, BStBl II 2002, 592 - Aufwendungen für den Austausch mit Formaldehyd verseuchter Möbel; vom 11.11.2010 - VI R 16/09, BStBl II 2011, 966 - Aufwendungen für die medizinisch indizierte Anschaffung von Schlafzimmermöbeln und einer Couchgarnitur; vom 29.03.2012 - VI R 47/10, BStBl II 2012, 570 - Asbestsanierung des Daches eines Wohnhauses, und vom 29.03.2012 - VI R 70/10, BStBl II 2012, 572 - Aufwendungen zur Beseitigung des Echten Hausschwamms in einer Wohnung).

    bb) In den genannten Fällen sind die Aufwendungen allerdings nur dann abziehbar, wenn den Grundstückseigentümer kein Verschulden an der Belastung trifft, die Belastung für ihn zum Zeitpunkt des Grundstückserwerbs nicht erkennbar war, realisierbare Ersatzansprüche gegen Dritte nicht gegeben sind und es sich nicht um übliche Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen oder dem gewöhnlichen Wertverzehr geschuldete Baumaßnahmen handelt. Überdies dürfen die streitigen Aufwendungen nicht der Beseitigung von Baumängeln dienen, denn Baumängel sind keineswegs unüblich und nicht mit ungewöhnlichen Ereignissen vergleichbar. War der Einsatz mittlerweile verbotener schadstoffhaltiger Materialien zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes allerdings --so wie vorliegend-- erlaubt, liegt jedenfalls für das Jahr der Errichtung des Gebäudes kein Baumangel vor. Nichts anderes kann gelten, wenn ein solches Gebäude nach einem Verbot der Materialien veräußert wurde. Denn das Rechtsgeschäft der Veräußerung hat die tatsächliche Beschaffenheit des Gebäudes nicht verändert (BFH-Urteil vom 29.03.2012 - VI R 21/11, BStBl II 2012, 574, Rz. 15 f.).

    Der Umstand, dass ein vor Durchführung der Beseitigungs- bzw. Wiederherstellungsmaßnahmen erstelltes amtliches technisches Gutachten nicht vorliegt, steht dem Abzug der Aufwendungen als agB nicht entgegen (Änderung der Rechtsprechung mit BFH-Urteilen vom 11.11.2010 - VI R 17/09, BStBl II 2011, 969, Rz. 17 f., und VI R 16/09, BStBl II 2011, 966 [BFH 11.11.2010 - VI R 16/09], Rz. 25). Gleichwohl hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass er sich den Aufwendungen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen konnte (BFH-Urteil vom 29.03.2012 - VI R 21/11, BStBl II 2012, 574, Rz. 17).

    cc) Die erforderlichen Feststellungen hat das Finanzgericht (FG) nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu treffen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Es hat dabei zu berücksichtigen, dass ein von einem Beteiligten vorgelegtes Sachverständigengutachten im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln und damit als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist. Es kann daher nicht als Nachweis für die Richtigkeit des klägerischen Vortrags gewertet werden. Da weder das FA noch das FG die Sachkunde besitzen, um die Zwangsläufigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Maßnahme zu beurteilen, ist das FG aufgrund seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung gehalten, gegebenenfalls von Amts wegen ein entsprechendes Gutachten einzuholen (BFH-Urteil vom 29.03.2012 - VI R 21/11, BStBl II 2012, 574, Rz. 25).

    Als Nachweisverpflichteter trägt der Steuerpflichtige das Risiko, dass ein gerichtlich bestellter Sachverständiger im Nachhinein die Zwangsläufigkeit möglicherweise nicht mehr verlässlich feststellen kann. Dieser Gefahr kann der Steuerpflichtige entgehen, wenn er vor Beginn der Maßnahme auf eigene Initiative ein amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis bzw. ein amtlich technisches Gutachten einholt oder im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 485 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) die eine tatsächliche Zwangsläufigkeit begründenden Umstände feststellen lässt (BFH-Urteil vom 29.03.2012 - VI R 47/10, BStBl II 2012, 570, Rz. 16)

    Gelingt dem Steuerpflichtigen der Nachweis, dass er sich den Sanierungsaufwendungen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen konnte, ist der Abzug der Sanierungskosten nicht durch einen Gegenwert gehindert. Denn tauscht der Steuerpflichtige wegen einer aus tatsächlichen Gründen bestehenden Zwangslage Gegenstände des existenznotwendigen Bedarfs aus, so steht die Gegenwertlehre dem Abzug der Aufwendungen nicht entgegen (BFH-Urteil vom 29.03.2012 - VI R 21/11, BStBl II 2012, 574, Rz. 26).

    dd) Mit der Sanierung einhergehende wertsteigernde Aufwendungen werden nicht berücksichtigt, d.h. über die (reine) Wiederherstellung der (vollen) Funktionsfähigkeit hinausgehende Aufwendungen sind von der Berücksichtigung ausgeschlossen (BFH-Urteile vom 06.05.1994 - III R 27/92, BStBl II 1995, 104 - Orientierungssatz 1; vom 09.08.2001 - III R 6/01, BStBl II 2002, 240 [BFH 09.08.2001 - III R 6/01], und vom 29.03.2012 - VI R 21/11, BStBl II 2012, 574, Rz. 27). Überflüssige und nicht zwingend notwendige Wiederherstellungsmaßnahmen bleiben ebenfalls unberücksichtigt (BFH-Urteil vom 06.05.1994 - III R 27/92, BStBl II 1995, 104 - Orientierungssatz 1, und vom 06.05.1994 - III R 27/92, BStBl II 1995, 104).

    Soweit notwendige Wiederherstellungsarbeiten nicht ohne Werterhöhung durchgeführt werden können, muss der Steuerpflichtige sich die Wertverbesserung im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen (Abzug Neu für Alt). Dabei obliegt die Ermittlung des Vorteilsausgleichs dem FG als Tatsacheninstanz (BFH-Urteile vom 29.03.2012 - VI R 21/11, BStBl II 2012, 574, Rz. 26, und vom 11.11.2010 - VI R 16/09, BStBl II 2011, 966, Rz. 26, sowie Urteil des FG Düsseldorf vom 22.07.1999 - 10 K 3923/96 E, EFG 1999, 1075, Rz. 16 ff.).

    b) Im Hinblick auf die Belastung der Raumluft mit Formaldehyd in einem Wohnhaus ist beim Überschreiten des Grenzwertes von 0,1 ppm von einer konkreten Gesundheitsgefährdung auszugehen.

    Eine Formaldehydbelastung von Innenräumen kann durch Bauprodukte oder Möbel entstehen, bei deren Herstellung Spanplatten verwendet werden. Bei Spanplatten, die unter Verwendung von Harnstoff-Formaldehydharzen hergestellt werden, kommt es häufig zu einer nachträglichen Formaldehyd-Abgabe bzw. Abspaltung. Die Ausdünstungen von mit Formaldehyd behandeltem Holz können gesundheitsbeeinträchtigende Mengen dieser Substanz an die Raumluft abgeben, wodurch --je nach persönlicher Empfindlichkeit-- verschiedene Reizzustände verursacht werden können, die nach Beendigung der Exposition abklingen. In Deutschland regelt die Chemikalien-Verbotsverordnung (ChemVerbotsV) seit 1996, dass beschichtete und unbeschichtete Holzwerkstoffe (Spanplatten, Tischlerplatten, Furnierplatten und Faserplatten) vor Inverkehrbringen geprüft werden müssen. Dabei gilt, dass die die durch den Holzwerkstoff verursachte Konzentration des Formaldehyds in der Luft eines Prüfraums 0,1 ⁠ppm nicht überschreiten soll (§ 3 Abs. 2 ChemVerbotsV i.V.m. Anlage 1 - Eintrag 1 - Spalte 2).

    Der Gesetzgeber sieht danach eine Formaldehydausgasung, die zu einer Formaldehydkonzentration in der Raumluft von mehr als 0,1 ppm führt, typisierend als gesundheitsgefährdend an. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass ein gesetzliches Verbot die ultima ratio der Gefahrenvorsorge darstellt und daher nur bei erheblichen Gefahren angeordnet werden kann. Dem hat sich die Rechtsprechung angeschlossen und nimmt auch im Rahmen der steuerrechtlichen Prüfung der Zwangsläufigkeit an, dass Sanierungsmaßnahmen im Hinblick auf Gegenstände, die eine über dem Wert von 0,1 ppm liegende Formaldehydbelastung von Innenräumen verursachen, aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig sind. Dem Steuerpflichtigen ist es nicht zumutbar, abzuwarten, ob er tatsächlich zu den besonders empfindlichen Personen gehört, die bereits bei einer nur knapp über dem Grenzwert liegenden Schadstoffbelastung mit Krankheitserscheinungen reagieren (vgl. BFH-Urteil vom 23.05.2002 - III R 52/99, BStBl II 2002, 592, Rz. 14 ff.).

    Generell müssen die vom Steuerpflichtigen getroffenen Maßnahmen aber notwendig sein, um die Formaldehydemission zu beseitigen. In diesem Rahmen ist zu prüfen, ob die Gesundheitsgefahr durch Versiegelung, Abdichtung, Nachbeschichtung, Lüftungsmaßnahmen oder --so wie vorliegend begehrt-- nur durch einen vollständigen Abriss und Neubau beseitigt werden kann, denn Aufwendungen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG können nur steuermindernd berücksichtigt werden, soweit sie nach den Umständen des Einzelfalles "notwendig" sind und einen "angemessenen Betrag" nicht übersteigen (vgl. BFH-Urteil vom 23.05.2002 - III R 52/99, BStBl II 2002, 592, Rz. 10 und Rz. 17).

    c) Unter Anwendung dieser Maßstäbe liegen keine agB vor.

    Der Abriss des Bestandsgebäudes und der Neubau waren nicht notwendig.

    Zunächst ist es aus Sicht des Senats nicht geklärt, auf welche Bauteile des Hauses die erhöhte Schadstoffkonzentration im Schlafzimmer zurückzuführen ist. Bei der Untersuchung wurden lediglich Proben aus der Raumluft des Schlafzimmers entnommen, die keine Rückschlüsse auf den konkreten Entstehungsort der Emissionen zulassen. So weist der Zeuge in seinem "Kurzbericht" auch darauf hin, dass zur Planung von Minimierungsmaßnahmen "noch weitere Erkundungen" erforderlich gewesen wären. Dies hat er auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt und ausgeführt, dass er bei einer weiteren Untersuchung durch die Entnahme von Materialproben (sog. Bauteilöffnungen) im Schlafzimmer und in mindestens einem anderen Raum des Hauses die Emissionsquellen näher eingegrenzt hätte. Manchmal seien nämlich nur die Holzbalken oder die Spanplatten an der Außen- und nicht an der Innenseite belastet. Diese weitere Begutachtung hätte in etwa zwischen 3.000 Euro bis 5.000 Euro gekostet.

    Zudem hat der Zeuge lediglich Minimierungsmaßnahmen empfohlen, um die Schadstoffkonzentration und die Geruchsauffälligkeit zu reduzieren. In seiner Begutachtung vom 24.03.2017 ist die Rede von der Abdichtung von Fugen und Öffnungen und einer Verbesserung der (Ent-)Lüftung. Hierzu hat der Zeuge in der mündlichen Verhandlung ergänzt, dass man die Emissionen durch Sanierungsmaßnahmen zwar nicht auf Null, aber doch deutlich reduzieren und so ein "unproblematisches Level" erreichen könne. Hierzu werde z.B. von der Innenseite eine Abdichtung an die belasteten Wände angebracht oder ein geeignetes Entlüftungssystem mit einer ausreichenden "Luft-Wechsel-Rate" installiert. Der vollständige Abriss und Neubau sei daher in seiner Begutachtung nicht vorgeschlagen worden. Eine solche Maßnahme werde auch --anders als bei einem starken Schimmelpilzbefall-- nicht empfohlen ("Wir formulieren das nie so."). Die Empfehlung, dass das gesamte Haus abgerissen werden müsse, werde in einem solchen Fall wie dem vorliegenden nicht ausgesprochen. Sicher --so der Zeuge-- sei der Abriss eine Möglichkeit, es gebe aber "weniger gravierende Maßnahmen." Wenn eine solche Sanierung sorgfältig ausgeführt werde, würden künftig keine hohen Konzentrationen mehr entstehen. Die Sanierung sei ein Kompromiss und müsse bei künftigen baulichen Maßnahmen beachtet werden.

    In einer Gesamtschau ist zudem zu berücksichtigen, dass der Formalaldehyd-Grenzwert von 0,1 ppm nur geringfügig überschritten wurde und damit die Emissionen mit einem geringeren Aufwand als dem vollständigen Abriss und Neubau auf ein unbedenkliches Niveau hätten gesenkt werden können.

    Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Überzeugung, dass die für den Abriss und Neubau geltend gemachten Aufwendungen nicht notwendig waren.

    Etwas Abweichendes ergibt sich auch nicht durch die vom Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 01.02.2024 eingereichten Stellungnahmen von zwei Diplom-Ingenieuren (...). Diese nehmen --mangels genauer Kenntnis des vorliegenden Sachverhalts-- nur allgemein zu der Frage Stellung, ob schadstoffbelastete Fertigteilhäuser generell abgerissen werden sollten. Konkrete Ableitungen für den Streitfall ergeben sich daraus daher nicht.

    Auch ist das vorgelegte ärztliche Attest vom XX.XX.2017 nicht geeignet, die Kausalität der Schadstoffbelastung für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers nachzuweisen. Hierzu fehlen detailliertere Angaben zum zeitlichen Verlauf und der Schwere der Krankheiten und zu Untersuchungen zu den bereits eingetretenen Gesundheitsschäden sowie zum ausschließlichen Zusammenhang der Symptome mit der Formaldehydkonzentration.

    Der Sachverhalt lässt sich aufgrund des Gebäudeabrisses auch nicht weiter aufklären. Aufgrund dessen sieht der Senat von der Beauftragung eines zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellten Sachverständigen ab.

    Eine Berücksichtigung von (hypothetischen) Aufwendungen zur Sanierung --die nach Auffassung des Klägers anderenfalls i.H. von rund 150.000 Euro von ihm hätten getätigt werden müssen (...)-- ist nicht möglich, da der Besteuerung der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zugrunde zu legen ist.

    2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG