Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 25.09.2024 · IWW-Abrufnummer 243952

    Finanzgericht München: Urteil vom 18.07.2024 – 14 K 247/23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht München 

    Urteil vom 18.07.2024


    In der Streitsache
    Klägerin
    gegen
    Beklagter

    wegen Umsatzsteuer 2015 - 2018

    hat der 14. Senat des Finanzgerichts München durch
    XXX
    auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2024 für Recht erkannt:

    Tenor:

    1.Die Klage wird abgewiesen.
    2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin, eine im Inland ansässige GmbH, betreibt überwiegend internationalen Luftverkehr, indem sie Flugzeuge im Bedarfsflugverkehr verchartert und Beförderungsleistungen anbietet.

    Die Klägerin ist in den Listen des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) der im Inland ansässigen Unternehmer nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (UStG), die im entgeltlichen Luftverkehr überwiegend internationalen Luftverkehr betreiben, für die Streitjahre aufgeführt (vgl. Stand 2015: BStBl I 2015, S. 120; Stand 2016: BStBl I 2016, S. 40; Stand 2017: BStBl I 2017, S. 105; Stand 2018: BStBl I 2018, S. 79). Dementsprechend bezog sie den überwiegenden Teil der Eingangsleistungen steuerfrei.

    Hinsichtlich eines geringen Anteils der Eingangsleistungen wurde ihr jedoch Umsatzsteuer in Rechnung gestellt (vgl. Bl. 60 ff FG-Akte) und von ihr bezahlt. Dies betraf die erforderlichen Einkäufe für das Catering und die Ausstattung der Flugzeuge mit aktuellen Zeitschriften, Blumen, Dekoration aber auch Wäsche u.ä. durch die Flugbegleiter in Einzelhandelsgeschäften (Supermärkte, Blumenläden, Kioske etc.). Diese erfolgten in der Nähe des jeweiligen Flugplatzes, da die Vorbereitungszeit der Charterflüge oft kurz ist und die Abflughäfen ständig wechseln. Gleiches gilt für den Einkauf anderer Ausstattungsgegenstände und den Leistungsbezug von X., um ein mobiles Telefon im Cockpit jedes Flugzeugs zu betreiben, das dazu dient die Navigationsdaten zu aktualisieren.

    Die Kosten werden 1:1 auf die Kunden umgelegt. Im Anschluss an die Einkäufe wendete sich die Klägerin aus Praktikabilitätsgründen nicht an die Rechnungsaussteller, um die Rechnungen korrigieren zu lassen. Lediglich hinsichtlich der Rechnungen von X. wurde versucht, für die Nutzung der Mobilfunkgeräte als Zubehör der Luftfahrzeuge umsatzsteuerfreie Einkaufsleistungen zu erzielen. Innerhalb desselben Rahmenvertrages, d.h. unter denselben Konditionen, wurde eine umsatzsteuerfreie Abrechnung aber nicht angeboten. Vielmehr wäre ein neuer höherer Tarif erforderlich gewesen, weshalb von einem Wechsel abgesehen wurde.

    Die Vorsteuer aus diesen Leistungsbezügen wurde von der Klägerin in ihren Steuererklärungen zunächst nicht geltend gemacht. Für auf die inländischen Streckenanteile entfallenden Umsätze grenzüberschreitender Personenbeförderungen im Luftverkehr wurde die Steuer nach § 26 Abs. 3 UStG - zumindest in den Jahren 2016 bis 2018 - nicht erhoben.

    Im Rahmen einer Außenprüfung bezüglich der Streitjahre begehrte die Klägerin den Vorsteuerabzug aus den Einkäufen im Rahmen der Steuerfestsetzung, hilfsweise aus Billigkeitsgründen.

    Das FA war der Auffassung, dass ein solcher Vorsteuerabzug nicht zu gewähren sei, da es sich bei den ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträgen nicht um eine gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer handele, und setzte die übrigen - hier nicht streitigen - Prüfungsfeststellungen für die Streitjahre durch Steuerbescheide vom 30. April 2021 um. Mit Schreiben vom 16. Februar 2022 lehnte das FA auch eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen ab.

    Die auf eine geänderte Steuerfestsetzung gerichteten Einsprüche lehnte das FA mit Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2023 als unbegründet ab. Im Rahmen der Einspruchsentscheidung prüfte das FA auch die Voraussetzung einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen und lehnte eine solche ab.

    Mit der hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die gesetzliche Regelung sei dahingehend auszulegen, dass - wie bei allen anderen Leistungsbezügen auch - die Leistungen für den Flugbetrieb zum Vorsteuerabzug berechtigten. Damit werde eine Regelungslücke geschlossen, denn die Steuerbefreiung der Ausgangsumsätze nach § 26 Abs. 3 UStG diene der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens bei grenzüberschreitenden Beförderungen von Personen im Luftverkehr. Eine entsprechende Vereinfachungsregelung fehle aber hinsichtlich der Eingangsumsätze. Der Zweck von § 8 UStG könne nicht darin liegen, die Leistungen für Besatzungsmitglieder und Passagiere umsatzsteuerfrei zu gewähren und anschließend mit Umsatzsteuer zu belegen, obwohl die Verwendung nicht im Inland erfolge. Darüber hinaus trügen diese Kosten die Kunden. Die Entstehungsgeschichte und die bezweckte Arbeits- und Verwaltungsvereinfachung sei ebenso zu berücksichtigen wie das Ziel der in § 8 UStG geregelten Umsatzsteuerfreiheit, die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen inländischen Unternehmer zu stärken und einen Anreiz zu schaffen, im Inland Lieferungen zu bestellen. Auch beim Bezug von Leistungen durch Luftfahrtunternehmer müsse eine Vereinfachung greifen, denn sie sei gegenüber anderen Unternehmern, die ihre Abläufe standardisieren könnten, dadurch mehr belastet, dass sie bei ihren Beschaffungsvorgängen zwischen Leistungen für bzw. nicht für den Flugbetrieb unterscheiden müsse. Es bestünde ein höherer Informationsbedarf von potentiellen Geschäftspartnern und aufgrund von Abgrenzungsproblemen auch ein höherer Beratungsbedarf. Aufgrund des damit verbundenen Wettbewerbsnachteils sei der Neutralitätsgrundsatz verletzt.

    Faktisch seien Rechnungsberichtigungen z.T. nicht möglich. Auch umsatzsteuerfreie Online-Einkäufe seien teils nicht möglich. § 14c Abs. 1 UStG solle eine Gefährdung des Steueraufkommens verhindern, aber nicht Unternehmer in ihrem freien Wettbewerb einschränken. Die Inanspruchnahme des § 26 Abs. 3 UStG stehe einem Vorsteuerabzug nicht entgegen, da es sich nicht um eine Steuerbefreiung handele.

    Hilfsweise seien die Vorsteuerbeträge im Billigkeitswege abzugsfähig, denn nach unionsrechtlichen Grundsätzen müsse es dem Leistungsempfänger ermöglicht werden, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen. Wenn - wie im vorliegenden Fall - es unmöglich oder übermäßig schwierig sei, die Steuer von seinem Vertragspartner zurückzuerhalten, richte sich der Erstattungsanspruch unmittelbar gegen das Finanzamt. Insbesondere würde beim Einkauf im Einzelhandel ein Nachweis der Steuerfreiheit der Umsätze durch Vorlegen der Liste nach Abschn. 8.2 Abs. 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) in der Praxis nicht akzeptiert werden. Die Kosten für die Berichtigung der Rechnungen würden die jeweilige Vorsteuerbeträge übersteigen, da es sich um viele geringwertige Einzelbezüge handele. Ein Berichtigungsverlangen verletze die Grundsätze der Effektivität und der Verhältnismäßigkeit. Da die gesetzliche Regelung Ursache der fehlenden praktischen Umsetzbarkeit sei, müsse aus Billigkeitsgründen von der gesetzlichen Regelung abgewichen werden. Eine Gefährdung des Steueraufkommens sei ausgeschlossen, da davon auszugehen sei, dass die ausgewiesene Umsatzsteuer von den Einzelhändlern abgeführt worden sei und dass eine Berichtigung der anonymen Kassenbelege nicht erfolge. Aufgrund des Steuerausweises und entsprechender Steuerabführung bezüglich ihrer Leistungsbezüge sei die Finanzverwaltung bereichert.

    Die Klägerin beantragt,

    die Umsatzsteuerbescheide für 2015 bis 2018 jeweils vom 30. April 2021 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2023 dahingehend zu ändern, dass zusätzlich ein Vorsteuerabzug gewährt wird i.H.v. XXX, und die Umsatzsteuer für 2015 bis 2018 entsprechend niedriger festzusetzen;

    hilfsweise das Finanzamt zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 30. April 2021 und der Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2023 den Vorsteuerabzug i.H.v. XXX aus Billigkeitsgründen zu gewähren.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es trägt im Wesentlichen vor, dass hinsichtlich der bei den Leistungsbezügen ausgewiesenen Umsatzsteuer die Möglichkeiten der §§ 14c Abs. 1 und 17 Abs. 1 UStG bestünden, von der Klägerin aber nicht genutzt würden. Auch bestehe aufgrund der vom BMF veröffentlichten Liste die Möglichkeit, zutreffende Rechnungen über umsatzsteuerfreie Leistungen zu erhalten.

    Die Argumentation, die gesetzliche Regelung des § 26 Abs. 3 UStG wäre auch zwingend für Luftfahrtunternehmen nach § 8 Abs. 2 UStG anzuwenden, greife nicht, da der hier zu beurteilende Sachverhalt weder der Regelung des § 26 Abs. 3 UStG unterfalle noch eine Anordnung des BMF zu der hier einschlägigen Sachverhaltskonstellation vorliege.

    Dass der leistende Unternehmer rechtsirrtümlich oder mutmaßlich auch bewusst nicht umsatzsteuerfrei abrechne, könne nicht im Billigkeitswege durch die Finanzverwaltung richtiggestellt werden. Es bestehe insofern keine Regelungslücke.

    Ein Erstattungsanspruch nach den Grundsätzen der Reemtsma-Rechtsprechung scheide aus, da die Leistungserbringer im vorliegenden Fall weder insolvent seien noch die Einrede der Verjährung erhöben. Ein Verzicht auf Korrekturansprüche aus betriebswirtschaftlichen Gründen, wie vorliegend, stelle keine Unmöglichkeit i.S. der Reemtsma-Rechtsprechung dar.

    Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2024, die eingereichten Schriftsätze und auf die vorgelegten Unterlagen und Akten verwiesen

    II.

    Die Klage ist unbegründet, da der Klägerin weder im Besteuerungsverfahren noch im Billigkeitswege ein Vorsteuerabzug oder ein Erstattungsanspruch in der streitgegenständlichen Höhe zusteht.

    1. Die Klägerin kann die in ihren streitgegenständlichen Einkaufsrechnungen ausgewiesene Steuer nicht als Vorsteuer abziehen, da diese nicht gesetzlich geschuldet ist.

    a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.

    Zu den Abzugsvoraussetzungen gehört also insbesondere, dass die für die Leistungen in Rechnungen ausgewiesene Steuer i.S. von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG "gesetzlich geschuldet" wird. Ein Steuerausweis für eine steuerfreie Leistung, die zu einer Steuerschuld nach § 14c UStG führt, berechtigt nicht zum Vorsteuerabzug (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Oktober 2019 - V R 46/17, BStBl II 2022, 779, Rn. 17).

    b) Den streitgegenständlichen Rechnungen liegen steuerfreie Lieferungen über Versorgungsgegenstände bzw. Ausrüstungsgegenstände/-leistungen des Flugzeugs zu Grunde, so dass die ausgewiesene Umsatzsteuer gesetzlich nicht geschuldet ist.

    aa) Nach §§ 4 Nr. 2 i.V.m. 8 Abs. 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 UStG sind Lieferungen von Gegenständen, die zur Ausrüstung bzw. zur Versorgung von Luftfahrzeugen bestimmt sind, steuerfrei. Voraussetzung ist, dass die Luftfahrzeuge zur Verwendung durch Unternehmer bestimmt sind, die im entgeltlichen Luftverkehr überwiegend grenzüberschreitende Beförderungen oder Beförderungen auf ausschließlich im Ausland gelegenen Strecken und nur in unbedeutendem Umfang nach § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG steuerfreie, auf das Inland beschränkte Beförderungen durchführen (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Die in §§ 4 Nr. 2 i.V.m. 8 Abs. 2 UStG normierten Steuerbefreiungen sind obligatorisch, so dass in Bezug auf ihre Inanspruchnahme kein Wahlrecht besteht (vgl. Sölch/Ringleb/Jatzke, 99. EL Oktober 2023, UStG § 8 Rn. 1; L'habitant UStB 2021, 162).

    Die Steuerbefreiung beruht auf Art. 148 Buchst. f und Buchst. g bzw. Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen, Umbau, Reparatur und Wartung von Gegenständen, die in Luftfahrzeuge eingebaut sind oder ihrem Betrieb dienen sowie Dienstleistungen hierzu bzw. die Lieferung von Gegenständen zur Versorgung von Luftfahrzeugen von der Steuer, wenn die Luftfahrzeuge von Luftfahrtgesellschaften verwendet werden, die hauptsächlich im entgeltlichen internationalen Verkehr tätig sind.

    bb) Zu den Ausrüstungsgegenständen gehören zumindest die an Bord eines Flugzeugs zum Gebrauch mitgeführten Gegenstände, Rettungsvorrichtungen, Möbel, Wäsche und anderes Inventar. Zu Versorgungsgegenständen gehören zumindest die während der Beförderungen zum Verbrauch durch die Besatzungsmitglieder und Fahrgäste bestimmten üblichen Gegenstände, wie z.B. Proviant, Genussmittel, Toilettenartikel, Zeitungen und Zeitschriften (vgl. Abschn. 8.2 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. 8.1 Abs. 3 und 4 UStAE), sowie Dekoration, wie Blumen. Insofern handelt es sich bei den streitgegenständlichen Lieferungen um Versorgungsgegenstände.

    cc) Diese dienten auch der Versorgung von Luftfahrzeugen i.S. des § 8 Abs. 2 Nr. 1 UStG, da von der Klägerin überwiegend grenzüberschreitende Beförderungen durchgeführt wurden. Auf der Grundlage des § 8 Abs. 3 Satz 2 UStG hat das BMF in Abschn. 8.2 Abs. 3 Satz 6 UStAE geregelt, dass bei Luftverkehrsunternehmern mit Sitz im Inland diese Voraussetzung als erfüllt angesehen werden kann, wenn sie in der für den Besteuerungszeitraum maßgeblichen im Bundessteuerblatt veröffentlichten Liste aufgeführt sind. Dies ist bei der Klägerin der Fall.

    c) Die Frage, ob die Inanspruchnahme des § 26 Abs. 3 UStG hinsichtlich der Ausgangsumsätze nicht ohnehin zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG führt, kann insofern offenbleiben.

    2. Eine analoge Anwendung des § 26 Abs. 3 UStG dahingehend, dass ein Vorsteuerabzug aus Vereinfachungsgründen oder zur Förderung des grenzübergreifenden Flugverkehrs unabhängig davon zu gewähren ist, ob die Eingangsleistungen nach §§ 4 Nr. 2 i.V.m. 8 Abs. 2 UStG steuerfrei sind, scheidet aus. Zum einen handelt es sich um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, die lediglich für Ausgangsumsätze eine Vereinfachung vorsieht. Zum anderen fehlt es auch an einer nach dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 UStG erforderlichen Umsetzung durch das Bundesministerium der Finanzen (BMF).

    3. Ein Direktanspruch auf Erstattung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt ergibt sich auch nicht nach dem Grundsatz der Neutralität und Effektivität der Mehrwertsteuer.

    a) Dem Grundsatz der Neutralität und Effektivität der Mehrwertsteuer ist in der Regel genügt, wenn der Leistende die Erstattung der zu Unrecht an die Steuerbehörden bezahlten Mehrwertsteuer verlangen und der Leistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage gegen den Leistenden auf Rückzahlung der rechtsgrundlos bezahlten Beträge erheben kann (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 2013 - XI R 9/11, BFH/NV 2013, 1457, Rn. 35). Denn ein System, nach dem zum einen der Lieferer eines Gegenstands, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörden entrichtet hat, deren Erstattung verlangen kann, und zum anderen der Erwerber dieses Gegenstands eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung gegen den Lieferer erheben kann, beachtet die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Effektivität (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - Schütte vom 7. September 2023 - C-453/22, EU:C:2023:639, Rn. 22, m.w.N.).

    Wenn allerdings die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig schwierig wird, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Lieferers, kann der Grundsatz der Effektivität gebieten, dass der Erwerber des betreffenden Gegenstands seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann (EuGH-Urteil Schütte vom 7. September 2023 - C-453/22, EU:C:2023:639, Rn. 23, m.w.N.). Ein entsprechender Direktanspruch wird von der Rechtsprechung und Finanzverwaltung anerkannt (vgl. BFH-Beschluss vom 3. November 2022 - XI R 6/21, BStBl II 2023, 469, Rn. 27, m.w.N.).

    b) Im vorliegenden Fall ist unerheblich, ob ein solcher Anspruch im Besteuerungsverfahren (§ 155 AO) oder im Billigkeitsverfahren (§ 163 AO) geltend zu machen wäre, da zwar jeweils die Zulässigkeitsvoraussetzungen aufgrund abgeschlossener Vorverfahren erfüllt sind, ein solcher Anspruch aber nicht besteht.

    aa) Ein Direktanspruch ist nach der Rechtsprechung nur dann vorzusehen, wenn die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig schwierig ist, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers (vgl. EuGH-Urteile Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15. März 2007 - C-35/05, EU:C:2007:167, Rn. 41, Farkas vom 26. April 2017 - C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 53, PORR Építési Kft. vom 11. April 2019 - C-691/17, EU:C:2019:327, Rn. 42 und 48, sowie HUMDA vom 13. Oktober 2022 - C-397/21, EU:C:2022:790, Rn. 22).

    Im Streitfall spricht zunächst viel dafür, dass die Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer übermäßig schwierig ist.

    Die systematische Verwendung des Adverbs "insbesondere" in der Rechtsprechung belegt, dass die Insolvenz der Lieferer nur einen der Fälle darstellt, in denen es unmöglich oder übermäßig schwierig sein kann, die Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer zu erhalten (EuGH-Urteil Schütte vom 7. September 2023 - C-453/22, EU:C:2023:639, Rn. 29).

    Zwar kann dem Leistenden eine Berichtigung der geschuldeten Mehrwertsteuer von der Finanzverwaltung nicht mit der Begründung versagt werden, dass über diese Umsätze keine Rechnungen ausgestellt worden seien, sondern Registrierkassenbons (vgl. EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Bydgoszczy (Possibilité de correction en cas de taux erroné) vom 21. März 2024 - C-606/22, EU:C:2024:255, Rn. 31). Allerdings begegnet ein Berichtigungsverlangen gegenüber Leistenden bei anonymen Kassenbelegen praktischen Schwierigkeiten. Aber auch aufgrund der Vielzahl der Leistenden und der verhältnismäßig geringen Höhe der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer, dürfte die Geltendmachung zivilrechtlicher Erstattungsansprüche im Streitfall als "übermäßig schwierig" im Sinne der Rechtsprechung anzusehen sein.

    bb) Auch ist fraglich, ob aufgrund des Grundsatzes, dass eine rechtsgrundlos in der Kette Rechnungsempfänger-Rechnungsaussteller-FA gezahlte Steuer grundsätzlich entlang dieser Kette zurückzuzahlen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 3. November 2022 - XI R 6/21, BStBl II 2023, 469, Rn. 49), ein Direktanspruch nur in Betracht kommt, wenn sich der Leistungsempfänger bereits erfolglos an seinen Vertragspartner gewandt hat (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 16. November 2023, zu C-606/22, Rn. 40), was im vorliegenden Fall nicht geschehen ist. Dagegen könnte sprechen, dass in anderen Fällen zumindest die Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Rechnung, die zum Vorsteuerabzug berechtigen würde, nicht gefordert wurde (vgl. BFH-Beschluss vom 3. November 2022 - XI R 6/21, BStBl II 2023, 469, Rn. 39 mit Verweis auf EuGH-Urteil HUMDA vom 13. Oktober 2022 - C-397/21, EU:C:2022:790).

    cc) Diese Fragen können im vorliegenden Fall jedoch offenbleiben, da ein Direktanspruch als Ausnahmefall dann nicht in Betracht kommt, wenn der Leistungsempfänger die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer - wie hier - bewusst bezahlt hat und sich dabei - wie hier - im Klaren war, dass eine zivilrechtliche Rückabwicklung sehr schwierig sein würde.

    Entsprechend ging der BFH hinsichtlich eines Billigkeitserlasses davon aus, dass bereits eine ohne weiteres vermeidbare Fehlbeurteilung einem Anspruch entgegenstehen könnte (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 2018 - V R 32/16, BStBl II 2022, 794, Rn. 15). Im Streitfall steht keine - möglicherweise vermeidbare - Fehlbeurteilung der Klägerin im Raum, sondern deren aus betriebswirtschaftlichen Gründen bewusst getroffene Entscheidung.

    Die Formulierung des EuGH, dass eine Strafe, die einer absoluten Verwehrung des Rechts auf Erstattung der fälschlich in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer entspricht, unangemessen erscheine, wenn weder ein Betrug noch eine Beeinträchtigung des Staatshaushalts vorliegen, und zwar selbst dann, wenn der Steuerpflichtige nachweislich fahrlässig gehandelt hat (EuGH-Urteil Schütte vom 7. September 2023 - C-453/22, EU:C:2023:639, Rn. 24, m.w.N.), steht dem nicht entgegen.

    Im vorliegenden Fall liegt zwar kein Betrug oder eine Beeinträchtigung des Staatshaushalts vor, da davon auszugehen ist, dass die jeweiligen Einzelhändler die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer auch erklärt und abgeführt haben. Allerdings ist die ausnahmsweise Eröffnung eines Direktanspruchs hier nicht geboten, da die Interessen des Leistungsempfängers deswegen nicht schützenswert sind, weil er bewusst den unrichtigen Ausweis von Umsatzsteuer herbeigeführt hat, indem er die Leistenden nicht auf seine Berechtigung zum steuerfreien Bezug der Lieferungen hingewiesen hat, und außerdem die Umsatzsteuer im Bewusstsein gezahlt hat, dass eine zivilrechtliche Rückforderung beim jeweiligen Leistenden unpraktikabel sein würde. Sinn und Zweck des Direktanspruches ist es nicht, dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf eine aufwandsärmere und kostengünstigere Erstattung durch die Finanzverwaltung einzuräumen, wenn er - wie hier - die Möglichkeit hatte, entweder rechtzeitig die Steuerfreiheit des Umsatzes bei jedem Geschäftsvorfall gegenüber den jeweiligen Leistenden geltend zu machen oder alternative Beschaffungswege mit weniger Geschäftsbeziehungen zu organisieren und er die Kosten im Übrigen auch 1:1 auf seine Kunden umlegt.

    4. Der geltend gemachte Vorsteuerabzug ist auch nicht aus anderen Gründen im Billigkeitswege zu gewähren.

    a) Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuer erhöhen, bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

    b) Abweichende Steuerfestsetzung und Erlass sind Maßnahmen der finanzbehördlichen Billigkeit im Steuerschuldverhältnis, über die in einem vom Steuerfestsetzungsverfahren gesonderten Verfahren durch eigenständigen Verwaltungsakt zu entscheiden ist. Dieser Verwaltungsakt unterliegt, wenn die begehrte Billigkeitsmaßnahme abgelehnt wurde, nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (§ 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); diese beschränkt sich darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht beachtet wurden oder Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde (BFH-Urteile vom 25. April 2023 - II R 10/21, BStBl II 2023, 1020, Rn. 28, und vom 17. Mai 2022 - VIII R 26/20, BStBl II 2022, 829, Rn. 17, m.w.N.).

    c) Die Unbilligkeit der Erhebung einer Steuer, an die § 163 AO die Möglichkeit einer abweichenden Steuerfestsetzung knüpft, kann sich aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben.

    Sachlich unbillig ist die Erhebung vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrundeliegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (BFH-Urteile vom 17. Mai 2022 - VIII R 26/20, BStBl II 2022, 829, Rn. 15, und vom 27. September 2018 - V R 32/16, BStBl II 2022, 794, Rn. 14, m.w.N.). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 25. April 2023 - II R 10/21, BStBl II 2023, 1020, Rn. 27, und vom 17. Mai 2022 - VIII R 26/20, BStBl II 2022, 829, Rn. 15, jeweils m.w.N.).

    d) Persönliche Billigkeitsgründe sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Aber auch sachlich ist es nicht unbillig, dass der Klägerin kein Anspruch auf Vorsteuerabzug zusteht.

    aa) Aus den dargestellten Gründen kann nur die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer als Vorsteuer abgezogen werden und wird der Leistungsempfänger, der eine nicht geschuldete Steuer gezahlt hat, grundsätzlich auf zivilrechtliche Erstattungsansprüche gegen seinen Geschäftspartner verwiesen.

    bb) Etwas anderes ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus dem Zweck der Steuerfreiheit der streitgegenständlichen Lieferungen.

    Neben anderen Zwecken war es ausdrückliches Ziel des Gesetzgebers durch §§ 4 Nr. 2 i.V.m. 8 Abs. 2 UStG zu vermeiden, dass die Luftfahrtunternehmen laufend hohe Vorsteuerüberhänge geltend machen müssen (vgl. BT-Drucks. 8/1779, 37; FG Hamburg, Urteil vom 13. Februar 2013 - 5 K 20/11, EFG 2013, 1274, Rn. 29).

    Da insofern gerade die Vermeidung der Geltendmachung von Vorsteuer durch Luftfahrtunternehmen das Ziel des Gesetzgebers war, ergibt sich auch im Fall der Klägerin keine Regelungslücke, die ausnahmsweise bei Problemen in der praktischen Umsetzung des Bezugs steuerfreier Leistungen durch eine Billigkeitsregelung zu füllen wäre.

    cc) Im Übrigen besteht aufgrund der Inanspruchnahme der wie einer materiellen Steuerbefreiung wirkenden Erlassregelung des § 26 Abs. 3 UStG weder ein weitergehendes Vereinfachungsbedürfnis noch erfordert die sachliche Billigkeit den Vorsteuerabzug für Ausgangsumsätze, die im Ergebnis (in Deutschland) nicht besteuert werden.

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    6. Da für den Senat keine Zweifel über die Auslegung des Unionsrechts bestehen, war eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht veranlasst. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

    RechtsgebietUStGVorschriften§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG

    Lehrvideos

    Ausgewiesene Steuerexperten machen Sie alle 14 Tage mit einem aktuellen steuerlichen Thema vertraut.

    Mehr Videos