08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 12.08.2002 – 13 K 1850/02
Angesichts der fortgeschrittenen technischen Entwicklung im KFZ-Sektor ist die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer eines Anfang der 90er Jahre hergestellten PKW bei einer jährlichen Fahrleistung von 20.000 bis 25.000 km mit 8 Jahren anzunehmen. Ein Ansatz von nur 5 Jahren gemäß amtlicher AfA-Tabelle führt zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
wegen Einkommensteuer 1999
hat das Finanzgericht München, 13. Senat, durch den Richter am Finanzgericht als Berichterstatter mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung am 12. August 2002
für Recht erkannt:
1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 19. März 2002 wird der Einkommensteuerbescheid 1999 vom 6. April 2001 dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer 1999 auf 33.127 DM (= 16.937,57 EUR) herabgesetzt wird.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für einen Pkw im Zusammenhang mit einem Unfallschaden auf einer beruflich veranlassten Fahrt.
Die verheirateten Kläger wurden für das Streitjahr 1999 antragsgemäß zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt.
Der Kläger erzielte als Angestellter der Firma … Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In der ESt-Erklärung 1999 machte er als Werbungskosten u. a. Pkw-Unfallkosten i.H.v. 8.321 DM geltend. Hierzu wurden folgende Angaben gemacht:
Der Unfall ereignete sich am 14. Mai 1999 gegen ca. 18.00 Uhr auf einer beruflich veranlassten Fahrt zwischen Arbeitsstätte und Wohnung.
Der Schaden entstand an dem auf die Ehefrau zugelassenen Peugeot 306 XR.
Der am 1. April 1993 erstmals zugelassene Pkw wurde am 7. Oktober 1994 gebraucht für 18.500 DM erworben; seine Gesamtfahrleistung beträgt ca. 200.000 km, die durchschnittliche Jahresfahrleistung der Kläger knapp 22.000 km.
Der km-Stand zum Zeitpunkt des Unfalls betrug 133.315 km; der Zeitwert des Pkw nach dem Unfall betrug noch 1.700 DM.
Ausgehend von einer zehnjährigen Nutzungsdauer (ab dem Erwerb) beträgt die Absetzung für Abnutzung (AfA) bis zum Schadensereignis am 14. Mai 1999 insgesamt 8.479,17 DM (= AfA für 55 Monate bei einer monatlichen AfA von 154,16 DM).
Die Anschaffungskosten von 18.500 DM vermindert um die AfA von 8.479,17 DM und abzüglich des verbleibenden Zeitwerts von 1.700 DM ergeben die geltend gemachten Werbungskosten von gerundet 8.321 DM (s. die Berechnung Bl. 15 ESt-Akte 1999).
Bei Durchführung der Veranlagung ging der Beklagte (das Finanzamt – FA –) lediglich von einer Restnutzungsdauer von fünf Jahren aus und errechnete eine AfA i.H.v. 16.650 DM (308,33 DM × 54 Monate). Nach Abzug des Zeitwerts verblieben Werbungskosten von 150 DM.
Der ESt-Bescheid 1999 erging am 6. April 2001. Dagegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 25. April 2001 Einspruch. Sie wendeten sich gegen die vom FA zugrunde gelegte Abschreibungsdauer des „verunglückten Pkw” und gingen zunächst von einer zehnjährigen Nutzungsdauer aus. Auf den umfangreichen Schriftverkehr zu diesem Streitpunkt wird verwiesen. In einer abschließenden Stellungnahme haben die Kläger ihr Vorbringen dahingehend einschränkt, dass sie sich mit dem Ansatz einer achtjährigen Nutzungsdauer einverstanden erklärten.
Der Einspruch blieb erfolglos (s. die Einspruchsentscheidung –EE– vom 19. März 2002, Bl. 10 – 13 FG-Akte).
Mit ihrer Klage machen die Kläger weiterhin geltend, eine Gesamtnutzungsdauer von sechs Jahren, wie vom FA angenommen, sei zu kurz bemessen. Zutreffend sei vielmehr eine mindestens achtjährige betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer. Auf die Klageschrift vom 14. April 2002 wird verwiesen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
unter Aufhebung der EE vom 19. März 2002 den ESt-Bescheid 1999 vom 6. April 2001 dahingehend zu ändern dass – ausgehend von einer Nutzungsdauer von acht Jahren – die ESt 1999 auf 33.127 DM = 16.937,57 EUR herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hält an seinen Ausführungen in der EE fest.
Gründe
II.
Die Klage ist begründet.
1. Zutreffend hat das FA die Absetzung für außergewöhnliche technische Abnutzung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m § 7 Abs. 1 Satz; 6 EStG 1999 nach der Methode: Anschaffungskosten abzüglich fiktiver AfA ./. Restwert des Pkw nach dem Unfall ermittelt. Maßgebend für den AfA-Satz ist die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer i. S.v. § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG.
Das FA hat auch pflichtgemäß eine fünfjährige Nutzungsdauer zugrunde gelegt, nämlich gem. Pos. B V 2 a der AfA-Tabelle für allgemein verwendbare Anlagegüter (Pkw und Kraftfahrzeuge, die nach dem 31. Dezember 1992 erstmals zugelassen worden sind) und gem. Abschn. LStH 38 (Stichwort „Einzelnachweis”) des Lohnsteuer-Handbuchs 1999 (S. 148).
Jedoch stehen die Vorgaben mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht in Einklang (zur Kritik s. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 7 Rn. 85). Hiernach – s. zuletzt BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 74/97 (BFHE 191, 125, BStBl II 2001, 311, m.w.N.) – ist bei der Schätzung der Nutzungsdauer von Kfz auf den Kfz-Typ, die jährliche Fahrleistung und den betriebstypischen Einsatz der Fahrzeuge abzustellen. Lt. BFH kann bei einer durchschnittlichen Fahrleistung von 15.000 km im Jahr von einer achtjährigen Nutzungsdauer ausgegangen werden. Die damals von der amtlichen AfA-Tabelle zugrunde gelegte Regelnutzungsdauer von vier Jahren führe wegen der technischen Fortentwicklung zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung.
Inzwischen ist (das oben zit. BFH-Urteil betraf das Streitjahr 1983) die technische Entwicklung auf dem Kfz-Sektor kräftig fortgeschritten, so dass für den Fahrzeugtyp des Klägers (Zulassung 1993) von einer Gesamtfahrleistung von ca. 200.000 DM ausgegangen werden kann (so auch die zutreffende Angabe der Kläger). Bei einer Jahrsfahrleistung von 20.000 bis 25.000 km ist daher eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von acht Jahren als realitätsnah und angemessen anzusehen.
Bezogen auf den Streitfall bedeutet dies: Der Pkw der Kläger hatte bei einer jährlichen Fahrleistung von ca. 22.000 km (Nutzung durch beide Kläger für berufliche und überwiegend für Privatfahrten) eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von acht Jahren, im Zeitpunkt des Erwerbs (ein Jahr nach Zulassung) noch eine Restnutzungsdauer von sieben Jahren.
Demnach ergibt sich folgende Sonder-AfA gem. § 7 Abs. 1 Satz 6 EStG:
Anschaffungskosten | 18.500 DM |
Nutzungsdauer | 84 Monate |
Monats-AfA | 220 DM |
fiktive AfA (55 Monate × 220 DM) | 12.100 DM |
Restwert vor dem Unfall (18.500 DM ./. 12.100 DM =) | 6.400 DM |
./. Restwert nach dem Unfall | 1.700 DM |
Sonder-AfA | 4.700 DM |
./. Sonder-AfA lt. FA | 150 DM |
zusätzliche Werbungskosten | 4.550 DM. |
2. Die ESt 1999 ermäßigt sich demnach wie folgt:
Zu versteuerndes Einkommen bisher | 142.467 DM |
./. zusätzliche Werbungskosten | 4.550 DM |
zu versteuerndes Einkommen nunmehr | 137.917 DM |
ESt hieraus | 35.236 DM |
./. Beträge gem. §§ 34 f, 34 g EStG | 2.109 DM |
ESt nunmehr | 33.127 DM. |
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Der Berichterstatter entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats (§ 79 a Abs. 3, 4 FGO).