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  • 26.01.2011 · IWW-Abrufnummer 000753

    Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 09.05.2000 – 9 K 438/99

    1. Wird der PKW eines Steuerpflichtigen auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitstätte infolge eines Verkehrsunfalls zerstört, kann dieser die infolge des Totalschadens entstandene Vermögenseinbuße im Wege der Abschreibung für außergewöhnliche Abnutzung (AfaA) als Werbungskosten geltend machen.



    2. Mit den einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigenden Fahrtkostenpauschalen nach § 9 Abs.1 Satz 1 Nr. 4 EStG wird die AfaA nach § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG nicht abgegolten.



    3. Die Höhe der AfaA bestimmt sich nach den Anschaffungskosten abzüglich der AfA, die in dem Pauschbetrag nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG bereits enthalten ist, wobei regelmäßig von einer 8-jährigen Nutzungsdauer des PKWs auszugehen ist



    4. Wird ein PKW in gebrauchtem Zustand erworben, beginnt die Nutzungsdauer neu. Die AfA bestimmt sich in diesem Falle nach der gewöhnlichen Restnutzungsdauer, die unter Berücksichtigung des Alters und des voraussichtlichen Einsatzes des PKWs zu schätzen ist.


    Hessisches Finanzgericht v. 09.05.2000 - 9 K 438/99

    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten darüber, ob durch einen Verkehrsunfall entstandene Kosten des Klägers als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen sind.

    Der Kläger, der als ... bei ... beschäftigt ist, und im Streitjahr aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezog, erlitt auf dem Weg zur Arbeit bei dem Befahren der Bundesautobahn A bei ... am ... gegen ... Uhr mit seinem PKW einen Verkehrsunfall. Dieser ereignete sich dadurch, daß der Kläger wegen schlechter Sicht auf einen LKW auffuhr. Hierduch entstand an dem PKW des Klägers ein Totalschaden. Bei dem PKW handelte es sich um einen Wagen der unteren Mittelklasse, den der Kläger am 21.4.1997 zum Preise von 9.200,-- DM gebraucht erworben hatte. Nach der verbindlichen Bestellung vom 21.4.1997 erwarb der Kläger den am 18.12.1991 erstmals zugelassenen PKW mit einem Kilometerstand von 53.840; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die verbindliche Bestellung (Bl. 48 der Gerichtsakte) sowie auf die Rechnung Gebrauchtfahrzeuge vom 21.4.1997 (Bl. 12 der Einkommensteuerakte) Bezug genommen. Der Kläger erhielt von seiner Versicherung für den entstandenen Glasschaden 500,-- DM und für den Verkauf des unfallgeschädigten PKW's von einem Schrotthändler 500,-- DM; auf das Einspruchsschreiben des Klägers vom 29.6.1998 wird verwiesen.

    Ausweislich der Angaben des Klägers in seiner Einkommensteuererklärung für 1997 betrug die einfache Entfernung zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte in ... 70 Kilometer; wegen des Verlaufs des Arbeitsweges wird auf die Angaben des Klägers vom 28.3.2000 (Bl.47 der Gerichtsakte) verwiesen. Für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzte der Kläger nach seinen Angaben einen PKW an 221 Tagen.

    Der Kläger machte die Unfallkosten in seiner Einkommensteuererklärung für 1997 zunächst nicht geltend. Der Beklagte führte die Veranlagung entsprechend der Erklärung gemäß Bescheid vom 26.5.1998 durch.

    Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein und beantragte nunmehr, den Betrag von 8.200,-- DM (9.200,-- DM abzüglich 1.000,-- DM) als Werbungskosten steuermindernd zu berücksichtigen; auf das Einspruchsschreiben vom 29.6.1998 wird verwiesen. Der Beklagte lehnte dies ab, weil die Nutzungsdauer für den PKW bereits Ende 1996 abgelaufen gewesen sei, so daß der steuerliche Buchwert zum Zeitpunkt des Unfalls 0,-- DM betragen habe. Ein Abzug der Absetzung für Abnutzung (AfA) und damit eine solche für außergewöhnliche technische Abnutzungen (AfaA) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit scheide daher aus; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 28.12.1998 Bezug genommen.

    Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend, für den PKW müsse eine AfA gegeben sein. Diese sei auf die Restnutzungsdauer des PKW abzuschreiben, wie es bei jedem Unternehmer gemäß § 7 Einkommensteuergesetz in der im Streitjahr maßgebenden Fassung (EStG) gehandhabt werde. Er sehe deswegen nicht ein, warum es bei einem Arbeitnehmer anders sein solle. Die Argumentation des Beklagten stelle sämtliche Gleichbehandlungsgrundsätze auf den Kopf. Nach Auffassung des Beklagten dürfte § 7 EStG darüber hinaus nur noch für neue Wirtschaftsgüter gelten.

    Der Kläger beantragt,

    für 1997 bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 8.200,-- DM zu berücksichtigen und die Einkommensteuer für 1997 entsprechend zu ermäßigen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er ist unter Bezugnahme auf seine Einspruchsentscheidung der Auffassung, daß das im Unfallzeitpunkt mehr als fünf Jahre alte Fahrzeug steuerlich bereits voll abgeschrieben gewesen sei, so daß dem Kläger eine weitere AfA nicht mehr zustehe.

    Der Beklagte ist des weiteren der Auffassung, daß die regelmäßig mit 5 bzw. 4 Jahre anzunehmende Nutzungsdauer des PKW im Erwerbszeitpunkt bereits abgelaufen gewesen sei. Werde eine andere als die reguläre Nutzungsdauer behauptet, sei ein Nachweis durch denjenigen zu führen, der die Änderung anstrebe. Im Streitfall sei nach dem Alter des Fahrzeugs und der zu erwartenden intensiven Nutzung - allein für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte würden täglich 140 Kilometer, im Jahr ca. 31.000 Kilometer geltend gemacht - nicht anzunehmen, daß sich die Verwendung über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstrecke. AfA sei nach § 7 Abs. 1 EStG in einem solchen Falle nicht vorzunehmen.

    Der Beklagte ist darüber hinaus der Auffassung, daß nicht der tatsächliche, sondern der verallgemeinernd anzunehmende übliche Zeitraum der Nutzung maßgeblich sei. Der achtjährigen Nutzungszeitraum sei zwischenzeitlich überholt; wegen der Ausführungen des Beklagten im übrigen wird auf den Schriftsatz vom 5.5.1999 hingewiesen.

    Dem Gericht hat ein Band Einkommensteuerakte vorgelegen.



    Gründe
    Die Klage ist zum überwiegenden Teil begründet.

    1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG zählen zu den Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4; 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) auch die AfaA.

    Wird der PKW eines Steuerpflichtigen auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitstätte infolge eines Verkehrsunfalls zerstört, kann dieser die infolge des Totalschadens entstandene Vermögenseinbuße im Wege der AfaA als Werbungskosten geltend machen. Mit den einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigenden Fahrtkostenpauschalen nach § 9 Abs.1 Satz 1 Nr. 4 EStG wird die AfaA nach § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG nicht abgegolten. Die Höhe der AfaA bestimmt sich nach den Anschaffungskosten abzüglich der AfA, die in dem Pauschbetrag nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG bereits enthalten ist ( BFH-Urteil vom 26.7.1992 VI R 114/88 , BStBl 1992 II S. 105).

    2. AfaA können indessen nur bei solchen Wirtschaftsgütern berücksichtigt werden, deren betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer im Zeitpunkt des Schadenseintritts noch nicht abgelaufen ist (Finanzgericht -FG- Köln, Urteil vom 11.3.1992, 11 K 1361, 90, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1993, 146; FG Münster, Urteil vom 13.1.1994 , 3 K 7332/91L, EFG 1994, 472; Finanzgericht Köln, Urteil vom 12.8.1992, 2 K 4314/90 , veröffentlicht bei JURIS). Die von den Anschaffungskosten abzuziehende AfA richtet sich nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStG). Diese wird ebenso wie dessen Gesamtnutzungsdauer im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von der technischen und wirtschaftlichen Abnutzung beeinflußt (BFH-Urteil vom 26.7.1991, VI R 82/89, BStBl 1992 II S. 1000). Nach der Rechtsprechung des BFH, die das Gericht als zutreffend erachtet, ist bei der Nutzungsdauer eines PKW auf den PKW-Typ, die jährliche Fahrleistung und den betriebstypischen Einsatz abzustellen (BFH-Urteile vom 24.11.1994, IV R 25/94, BStBl 1995 II S. 318, VI R 82/89). Danach ist nach der Rechtsprechung des BFH eine jährliche AfA von 12,5 % bei einem PKW mit einer jährlichen Fahrleistung von 15.000 Kilometern und einer angenommenen Nutzungsdauer von 8 Jahren angemessen (BFH-Urteile, VI R 82/89; IV R 25/94, vom 19.11.1997, X R 78/94, BStBl 1998 II S. 59).

    Wird ein PKW in gebrauchtem Zustand erworben, beginnt die Nutzungsdauer neu (s. Liebscher/Zitzmann/Spanke, AfA-Lexikon mit Amtlichen Tabellen, 43. Aktualisierung, Februar 2000, Stichwort „Nutzungsdauer”, Tz.13, 35). Die AfA bestimmt sich in diesem Falle nach der gewöhnlichen Restnutzungsdauer (BFH-Urteil vom 19.5.1976, I R 164/74, BStBl 1977 II S. 60), die unter Berücksichtigung des Alters und des voraussichtlichen Einsatzes des PKW's zu schätzen ist (s.insoweit Amtliches Lohnsteuerhandbuch 2000, H 38-S.158-; Schmidt/Drenseck, Kommentar zum EStG, 18. Aufl. Tz.85 zu § 7 EStG).

    3. Nach diesen Grundsätzen ist dem Kläger eine AfaA zuzusprechen. Der Unfall ereignete sich unstreitig auf einer beruflich veranlaßten Fahrt. Infolge des Unfalls wurde der PKW des Klägers total geschädigt, so daß der Kläger eine AfaA geltend machen kann. Das Gericht vermag dem Beklagten, der Verwaltungsregelungen für seine gegenteilige Auffassung anführt, nicht darin beizupflichten, daß der PKW bei einem Alter von weniger als 6 Jahren im Zeitpunkt des Unfalls keinen Restwert mehr besessen haben soll. Diesen schätzt das Gericht auf 8.433,-- DM. Hierbei läßt es sich von der Erwägung leiten, daß der PKW im Zeitpunkt der Anschaffung im April 1997 bereits ca. 64 Monate alt war, einen Kilometerstand von 53.840 aufwies und daß es sich bei dem Wagen des Klägers um einen PKW der unteren Mittelklasse handelte. Unter Berücksichtigung der Kilometer, die der Kläger voraussichtlich zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Jahr gefahren wäre, wie der Beklagte errechnet hat, wären dies ca. 31.000 Kilometer gewesen, hält das Gericht eine dem Kläger nach der Anschaffung des PKW's verbleibende Restnutzungszeit von 2 Jahren für am zutreffendsten. Der Prozeßbevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung gegen den Ansatz von 2 Jahren keine Einwände erhoben. Bei dem Ansatz von 2 Jahren berücksichtigt das Gericht auch, daß der Kläger mit dem PKW außer den beruflich veranlaßten Fahrten zusätzlich private unternommen hätte. Der Prozeßbevollmächtigte hat dem in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht widersprochen und dem Gericht darin beigepflichtet, daß die privaten Fahrten in einer Größenordnung von ca. 2000 Kilometer jährlich zu veranschlagen seien. Für die geschätzten 2 Jahre Restnutzungsdauer ergibt sich somit eine geschätzte Kilometerzahl von ca. 66.000, die bei der Schätzung der Restnutzungsdauer zugrunde zu legen sind. Mit den bereits bis zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs zurückgelegt gewesenen 53.840 Kilometern hätte die Gesamtzahl der Kilometer ca. 120.000 betragen, bei einer Gesamtnutzungszeit von weniger als 8 Jahren, nämlich von ca. 7 Jahren und 4 Monaten. Dieser Zeitraum deckt sich auch mit der von dem BFH (s. BStBl 1995 II S. 318; 1998, 59) angenommenen Gesamtnutzungszeit eines PKW's von 8 Jahren. Aufgrund der dem Kläger verbliebenen Restnutzungszeit von 2 Jahren errechnet sich die AfA für die Zeit von ca. 2 Monaten zwischen der Anschaffung und dem Zeitpunkt des Unfalls auf 767,-- DM (9.200 ./. 24 x 2 = 767,-- DM). Der Restwert beträgt mithin 8.433,-- DM, der den Betrag der AfaA ausmacht. Dieser Betrag war um die Zahlungen, die der Kläger von der Versicherung und dem Schrotthändler in Höhe von zusammen 1.000,-- DM erlangt hat, zu ermäßigen, so daß dem Kläger bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zusätzliche Werbungskosten in Höhe von 7.433,-- DM zustehen.

    4. Die Einkommensteuer für 1997 ermäßigt sich daher auf ... DM. Dementsprechend waren der Einkommensteuerbescheid vom 26.5.1998 und die Einspruchsentscheidung vom 28.12.1998 aufzuheben, soweit sie von dem Urteilsausspruch abweichende Feststellungen enthalten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-); im übrigen war die Klage abzuweisen.

    Die Kosten des Verfahrens fallen dem Kläger zu 9 v.H. und dem Beklagten zu 91 v.H. zur Last (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Zuziehung eines Bevollmächtigten in Vorverfahren war wegen der in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bestehenden Schwierigkeit der Streitsache erforderlich (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).

    Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der dem Beklagten auferlegten Kosten ergibt sich aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4